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19/05 Menschenrechte;Norm
MRK Art8 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde 1. des IS, 2. der SS, 3. der SS, 4. des GS und 5. des SES, alle in I, alle vertreten durch Dr. Alfons Klaunzer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 6, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 19. September 2000, Zl. Ia- 13.427/17-2000, betreffend Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft und Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 28. April 1998 sicherte die Tiroler Landesregierung (die belangte Behörde) dem Erstbeschwerdeführer die Verleihung der Staatsbürgerschaft und den zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien (Ehegattin und Kinder des Erstbeschwerdeführers) die Erstreckung der Verleihung gemäß § 20 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) für den Fall zu, dass sie binnen zwei Jahren aus dem Verband ihres bisherigen Heimatstaates (Türkei) ausscheiden.
Mit Bescheid vom 19. September 2000 widerrief die belangte Behörde diese Zusicherung gemäß § 20 Abs. 2 StbG (Spruchpunkt I.) und wies den Verleihungsantrag des Erstbeschwerdeführers gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 leg. cit. (Spruchpunkt II.) sowie die Erstreckungsanträge der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 18 leg. cit. ab (Spruchpunkt III.).
Diesen Bescheid begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass sich der Erstbeschwerdeführer seit 9. Juni 1989 ununterbrochen in Österreich aufhalte und mit seiner Familie seit 7. April 1993 mit Hauptwohnsitz in Innsbruck aufrecht gemeldet sei. Er sei als Schlossergehilfe beschäftigt und beziehe aus dieser Tätigkeit ein monatliches Nettoeinkommen von S 17.500,--.
Mit Beschluss des türkischen Innenministeriums vom 23. Dezember 1998 seien den Beschwerdeführern die Genehmigungen erteilt worden, nach Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft aus dem türkischen Staatsverband auszuscheiden.
Am 23. April 1999 habe der Erstbeschwerdeführer nach einer Geburtstagsfeier in Telfs, bei der er zahlreiche alkoholische Getränke konsumiert habe, seinen Personenkraftwagen auf der Inntalautobahn in Richtung Innsbruck gelenkt. Auf Grund seines sehr hohen Alkoholisierungsgrades sei er am Ende einer Ausfahrt von der Fahrbahn abgekommen und mit dem PKW an der Böschung hängen geblieben. Nachdem ein vorbeifahrender Autofahrer die Gendarmerie verständigt habe, sei der Erstbeschwerdeführer beim Eintreffen der Beamten schlafend hinter dem Lenkrad seines Fahrzeuges vorgefunden worden. Die Gendarmeriebeamten hätten den Motor abstellen, den Schlüssel abziehen und die bereits gezogene Handbremse nachziehen müssen. Der Erstbeschwerdeführer sei mit seinem PKW soweit auf das Bankett vorgefahren, dass eine weitere Bewegung des Fahrzeuges zum Abrutschen und in weiterer Folge zu einem Überschlagen hätte führen können. Nach Wecken des Erstbeschwerdeführers habe es fünf Minuten gedauert, bis er seine Umgebung wieder habe wahrnehmen und die Gendarmeriebeamten habe verstehen können. Bei der in der Folge durchgeführten Alkoholuntersuchung sei ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,99 mg/l (1. Messung) und von 0,93 mg/l (2. Messung) festgestellt worden. Es sei ihm daher der Führerschein vorläufig abgenommen und in der Folge mit Bescheid vom 28. April 1999 die Lenkerberechtigung für einen Zeitraum von vier Monaten entzogen worden. Überdies habe die Bundespolizeidirektion Innsbruck mit Straferkenntnis vom 10. Juni 1999 über den Erstbeschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von S 16.000,-- wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (§ 5 Abs. 1 StVO) verhängt.
Die geschilderte Verhaltensweise ein Jahr nach Erlassung des Zusicherungsbescheides bringe die negative Einstellung, vor allem aber das mangelnde Verantwortungsbewusstsein des Erstbeschwerdeführers gegenüber der österreichischen Rechtsordnung in deutlicher Weise zum Ausdruck. Bei der festgestellten Fahruntüchtigkeit infolge hochgradiger Alkoholisierung - der Erstbeschwerdeführer sei von den Gendarmeriebeamten in einem der Bewusstlosigkeit ähnlichen Schlaf vorgefunden worden - grenze es "an ein Wunder", dass er beim vorangegangenen Befahren der Autobahn keinen Unfall verursacht habe. Jedenfalls habe er durch sein Verhalten beträchtliche Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer heraufbeschworen und zumindest die Verletzung strafgesetzlicher Vorschriften in Kauf genommen. Demzufolge stehe der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Erstbeschwerdeführer das Einbürgerungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG entgegen. Dass der Erstbeschwerdeführer im Rahmen der verkehrspsychologischen Stellungnahme selbst eingestanden habe, "vor ca. 7 Jahren" schon einmal ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben - wofür er lt. telefonischer Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck nach § 5 Abs. 1 StVO zu einer Geldstrafe in Höhe von S 19.260,-- verurteilt worden sei -, sei davon ausgehend nicht mehr von Bedeutung. Das gelte auch für den Umstand, dass ihm lt. telefonischer Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein mit Bescheid vom 15. Mai 1990 wegen Alkoholisierung die Lenkerberechtigung für vier Wochen entzogen worden sei.
Im Hinblick auf das vorliegende Einbürgerungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG sei die Zusicherung der Verleihung zu widerrufen und das Verleihungsbegehren des Erstbeschwerdeführers abzuweisen. Im Hinblick darauf müsse auch den Erstreckungsanträgen der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien ein Erfolg versagt bleiben.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - erwogen:
Gemäß § 20 Abs. 2 StbG ist die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.
Im vorliegenden Fall erachtete die belangte Behörde den Widerruf nach der genannten Bestimmung in Bezug auf die Person des Erstbeschwerdeführers als geboten, weil das Einbürgerungserfordernis nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG weggefallen sei. Gemäß dieser Bestimmung kann einem Fremden die Staatsbürgerschaft nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Staatsbürgerschaftsbehörde bei der Prüfung der Frage, ob das Verleihungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vorliegt, vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, das wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter erlassene Rechtsvorschriften missachten. Wie die belangte Behörde zutreffend erkannte, kann sich die erwähnte Schlussfolgerung auch auf Verstöße gegen Vorschriften gründen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen, wobei nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowohl das Lenken eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand als auch die Verweigerung des Atemlufttests auf Alkoholgehalt gravierende Verstöße gegen die genannten Vorschriften darstellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 1999, Zl. 98/01/0229, mwN).
Vor diesem Hintergrund vermag die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Sie lässt die Feststellungen im bekämpften Bescheid betreffend das am 23. April 1999 begangene Verkehrsdelikt, betreffend den Alkoholisierungsgrad und betreffend die Umstände der Auffindung des Erstbeschwerdeführers unbestritten. Dass der Erstbeschwerdeführer - wie in der Beschwerde erwähnt - keinen Unfall verursacht habe, kann am Boden dieser Feststellungen mit der belangten Behörde nur als außergewöhnlicher "Glücksfall" bezeichnet werden, was freilich nicht zu seinen Gunsten ausschlagen kann und nichts an der in besonderer Weise zum Ausdruck gebrachten Gefährlichkeit ändert. Die Beschwerde lässt ferner unbestritten, dass der Erstbeschwerdeführer schon vor dem Vorfall vom 23. April 1999 einschlägig straffällig geworden ist, sodass auch keineswegs davon die Rede sein kann, es habe sich beim gegenständlichen Vorfall um eine einmalige Entgleisung gehandelt. Insbesondere auch im Hinblick darauf und angesichts dessen, dass der wiederholte Rechtsbruch wenig mehr als ein Jahr vor Erlassung des bekämpften Bescheides gesetzt worden ist, kann die Prognose der belangten Behörde nicht mit Erfolg in Frage gestellt werden. Wenn der Erstbeschwerdeführer in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass er die entzogene Lenkerberechtigung "wieder erlangt" habe, weil Verkehrspsychologin, Amtsarzt und die Bundespolizeidirektion Innsbruck als Führerscheinbehörde davon ausgegangen seien, dass er sich künftig verkehrskonform verhalten und keine Gefährdung im Straßenverkehr darstellen werde, so handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG); in seiner im Verwaltungsverfahren erstatteten Stellungnahme vom 10. Jänner 2000 hatte der Erstbeschwerdeführer noch darauf hingewiesen, dass er infolge des Entzugs der Lenkerberechtigung ohne Fahrzeug auszukommen habe, die in dem von der belangten Behörde beigeschafften Akt der Bundespolizeidirektion Innsbruck enthaltene verkehrspsychologische Stellungnahme vom 26. August 1999 mit dem Ergebnis, der Erstbeschwerdeführer erscheine zum Lenken von Kraftfahrzeugen derzeit nicht geeignet, schließt mit der Bemerkung, dass eine verkehrspsychologische Untersuchung zwecks Aufzeigens günstigerer Voraussetzungen nicht vor Ablauf eines Jahres sinnvoll sei. Im Übrigen würde aber auch die behauptete Wiedererteilung der Lenkerberechtigung - nach dem Inhalt der Verwaltungsakten wurde diese dem Beschwerdeführer nicht nur auf vier Monate, sondern in der Folge mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 30. August 1999 wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung für deren Dauer ein weiteres Mal entzogen - in Anbetracht der dargestellten Umstände und des daraus ableitbaren auffallend sorglosen Umganges mit Vorschriften zum Schutz der Gesundheit Anderer nichts daran ändern, dass der Erstbeschwerdeführer - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides - keine Gewähr dafür bietet, dass er weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentlichen Interessen gefährde. Die in der Beschwerde angesprochenen "Mechanismen zur Läuterung von Alkoholsündern und zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer" im Führerscheingesetz haben mit dieser Frage nichts zu tun. Davon ausgehend trifft es auch nicht zu, dass sich der Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft und die Abweisung des Verleihungsantrages als "Sanktionierung seines Fehlverhaltens" darstellen.
Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung ausschließlich auf das nach Erlassung des Zusicherungsbescheides eingetretene Einbürgerungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gestützt. Entgegen dem Beschwerdevorbringen beruhte ihre Entscheidung hingegen nicht darauf, dass sie das ihr in § 11 StbG eingeräumte Ermessen zum Nachteil des Erstbeschwerdeführers geübt habe; hiezu wäre sie im Übrigen im Hinblick auf den Zusicherungsbescheid vom 28. April 1998 auch gar nicht berechtigt gewesen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 98/01/0268). Auch die in der Beschwerde zu § 11 StbG angestellten Überlegungen vermögen ihr daher nicht zu einem Erfolg zu verhelfen. Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 2. Oktober 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000010534.X00Im RIS seit
06.12.2001