TE UVS Niederösterreich 1994/06/13 Senat-MD-93-583

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Veröffentlicht am 13.06.1994
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Spruch

Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) 1991, BGBl Nr 51/1991, Folge gegeben und das erstinstanzliche Straferkenntnis vom 14.04.1993, Zl 3-*****-92, infolge Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz aufgehoben.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis erkannte die Bezirkshauptmannschaft xx den nunmehrigen Berufungswerber schuldig, am 25.05.1992 um 03.40 Uhr im Unfallkrankenhaus W N als Lenker des PKW ** *** Z die Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt gegenüber einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht verweigert zu haben, obwohl er das Fahrzeug am 25.05.1992 gelenkt hat und vermutet werden konnte, daß er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden hat.

 

Aufgrund dieser Verwaltungsübertretung nach §§ 99 Abs1 litb, 5 Abs2, jeweils StVO, verhängte die Behörde erster Instanz gemäß §99 Abs1 litb StVO eine Geldstrafe von S 11.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 240 Stunden) und schrieb gemäß §64 Abs2 VStG einen Kostenbeitrag von S 1.100,-- vor.

 

Gegen dieses Straferkenntnis brachte der Beschuldigte fristgerecht am 04.05.1993 Schuld- und Strafberufung ein und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens; in eventu die Behebung des Straferkenntnisses und Zurückverweisung der Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Behörde erster Instanz; in eventu die verhängte Strafe gemäß §51 Abs4 VStG in eine mildere umzuwandeln.

 

Mit Schreiben vom 24.05.1993 teilte die Bezirkshauptmannschaft xx mit, vom Recht einer Berufungsvorentscheidung keinen Gebrauch zu machen und ersuchte um Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.

 

Gemäß §51c VStG entscheidet der Unabhängige Verwaltungssenat über Berufungen durch Kammern, wenn aber im angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine S 10.000,-- übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch eines seiner Mitglieder, sodaß im gegenständlichen Fall die Zuständigkeit der (laut derzeit geltender Geschäftsverteilung des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land NÖ) sechsten Kammer gegeben ist.

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich hat erwogen:

 

1. ZUSTÄNDIGKEIT:

 

Da nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz im oben zitierten Straferkenntnis die Tat in W N begangen wurde, ist gemäß §51 Abs1 VStG der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ zur Entscheidung über die gegenständliche Berufung zuständig.

 

2. ENTSCHEIDUNGSRELEVANTER SACHVERHALT:

 

Die Bundespolizeidirektion W N, Verkehrsunfallkommando, erstattete am 25.05.1992 zur GZl. VU eine "Verkehrsunfallanzeige" bezüglich eines an diesem Tag gegen 02.15 Uhr in W N, A *, Baukilometer 49,5 - 46,1, Fahrtrichtung Norden stattgefundenen Verkehrsunfalles mit Personen- und Sachschaden, an welchem Vorfall neben anderen Personen auch der Beschuldigte H S beteiligt war.

Nach den in den Punkten I bis VIII des Formulars getätigten Ausführungen (Unfallshergang, Beteiligte, verletzte Personen, weitere Geschädigte, Unfallszeugen, Beschädigungen an den beteiligten Fahrzeugen, besondere Feststellungen am Unfallsort, Angaben über alle beteiligten Fahrzeuge) wird unter Punkt "IX. Sachverhalt", in welchem laut Vordruck des im gegenständlichen Fall verwendeten Formulars die "Lage der Verletzten, Stellung oder Lage der Fahrzeuge beim Eintreffen am Unfallsort, Festlegung der Zusammenstoßstelle, Alkoholbeeinträchtigung, Feststellung des Alkoholkonsums, Führerscheinabnahme, usw" zu vermerken sind, ua angeführt: "Bei der Befragung des S wurde vom VUK festgestellt, daß er deutliche Alkoholisierungsmerkmale aufwies. Er schwankte leicht beim Gehen und Stehen, seine Atemluft roch nach alkoholischen Getränken und er hatte eine lallende Aussprache. Aufgrund dieser Merkmale wurde er zur Atemalkoholuntersuchung aufgefordert, welche er am 25.05.1992, um 03.40 Uhr im UKH W N verweigerte. Zum Alkoholkonsum und auch zum Unfallshergang machte S keine Angaben".

Weitere Angaben zur Alkotestverweigerung enthält die Verkehrsunfallanzeige nicht, insbesondere keine Anzeige des Verdachtes der Begehung einer Verwaltungsübertretung nach §5 Abs2 StVO durch den im gegenständlichen Verfahren Beschuldigten Horst Sieghardt.

 

Am 26.05.1992 langte diese Verkehrsunfallanzeige bei der Bundespolizeidirektion W N ein und wurde da zur Zl VU ***/92 registriert. In weiterer Folge ersuchte die BPD W N den Gendarmerieposten M bezüglich H S und das Bezirkspolizeikommissariat F bezüglich A L jeweils um niederschriftliche Einvernahme "zu gegenständlichen VU" als Beteiligte.

 

Am 29.06.1992 langte bei der Bezirkshauptmannschaft xx ein unter der Zl VU ***/92 abgefaßtes Schreiben der Bundespolizeidirektion W N vom 25.06.1992 nachstehenden Inhaltes ein:

 

"Betr.: S H

Verkehrsunfall.

 

Gem §29a VStG abgetreten.

Das polizeiliche Erhebungsergebnis betreffend S H wurde am 23.06.1992 dem Herrn Bezirksanwalt beim BG W N zur strafrechtlichen Beurteilung übermittelt."

 

Weitere Ausführungen enthält dieses Schreiben, welchem offensichtlich Kopien der Verkehrsunfallanzeige der BPD W N vom 25.05.1992, des Aktenvermerkes vom 26.05.1992, der beiden Ersuchen um Einvernahme, jeweils vom 25.05.1992, der Niederschriften vom 26.05. und 04.06.1992 sowie eine Verkehrsunfallskizze vom 16.06.1992 angeschlossen waren, nicht.

 

3. RECHTLICHE BEURTEILUNG:

 

Gemäß §29a VStG kann unter bestimmten Voraussetzungen die zuständige Behörde das (Verwaltungs-) Strafverfahren oder den Strafvollzug an die sachlich zuständige Behörde übertragen, in deren Sprengel der Beschuldigte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat.

 

Unter "Strafverfahren" im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung ist ausschließlich das Verwaltungsstrafverfahren zu verstehen, und stellt die Übertragung des Verwaltungsstrafverfahrens eine Verfahrensanordnung dar, welche eine Änderung der örtlichen Zuständigkeit der Behörde herbeiführt.

 

Die Berufungsbehörde hat im Rahmen ihrer Überprüfungspflicht und -befugnis anläßlich einer ihr vorliegenden Berufung auch die Rechtmäßigkeit einer auf §29a VStG gestützten Übertragung des Verwaltungsstrafverfahrens zu beurteilen.

 

Insoweit die Abtretung eines Verwaltungsstrafverfahrens gemäß §29a VStG an eine Anzeige anknüpft, wird das Verwaltungsstrafverfahren nur hinsichtlich der den entsprechenden Sachverhaltselementen nach in der Anzeige ausdrücklich angeführten Verwaltungsübertretungen übertragen (VwGH 03.10.1984, Slg. 11536 A).

 

Abgesehen davon, daß die gegenständliche Verkehrsunfallanzeige expressis verbis überhaupt keine Anzeige einer Verwaltungsübertretung enthält, ist der in der Anzeige dargestellte Sachverhalt für eine Verwaltungsübertretung nach §5 Abs2 StVO insofern ungenügend, als ein wesentliches Sachverhaltselement, nämlich, daß die Aufforderung zur Atemluftalkoholgehaltuntersuchung durch ein besonders geschultes und von der Behörde hiezu ermächtigtes Organ der Straßenaufsicht erfolgte und diesem gegenüber verweigert wurde, fehlt, sodaß die vorgenommene Abtretung allein schon aus diesem Grund mangelhaft ist.

 

Darüber hinaus ist dem "Abtretungsschreiben" der BPD W N vom 25.06.1992 in keiner Weise zu entnehmen, daß damit ein Verwaltungsstrafverfahren übertragen werden soll, sondern wird als Betreff ausdrücklich "S H, Verkehrsunfall" angeführt. Der dieser Textierung zu entnehmende Abtretungsgegenstand ist somit ausschließlich der Verkehrsunfall, welcher nur im mittelbaren Bezug zur gegenständlichen Verwaltungsübertretung steht und nicht mit einem Verwaltungsstrafverfahren gleichgesetzt werden kann.

 

Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut der Bestimmung des §29a VStG kann von der zuständigen Behörde (fallbezogen) nur das Verwaltungsstrafverfahren übertragen werden.

 

Der gegenständliche Akt enthält keinen konkreten Anhaltspunkt dafür, daß bei der Bundespolizeidirektion W N bezüglich der verfahrensgegenständlichen Verwaltungsübertretung gegen den Beschuldigten jemals ein Verwaltungsstrafverfahren anhängig war, insbesondere nimmt nicht einmal die BPD W N anläßlich ihrer Abtretung auf ein derartiges Verfahren Bezug, sondern erfolgt die Zuständigkeitsübertragung zu einer Verkehrsunfallzahl (VU), die lediglich zum Ausdruck bringt, daß es sich um eine Anzeige eines sich in W N ereignenden Verkehrsunfalles handelt.

 

Da somit dem "Abtretungsschreiben" nicht einmal konkludent zu entnehmen ist, daß bei der BPD W N ein Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschuldigten H S auf Grundlage der Verkehrsunfallanzeige anhängig war, was jedoch ein Erfordernis für eine rechtswirksame Zuständigkeitsübertragung darstellt, sind auch aus diesem Grund die Voraussetzungen einer Abtretung nach §29a VStG nicht erfüllt.

 

Das Schreiben der BPD W N vom 25.06.1992 kann unter Anwendung großzügigster Interpretation in rechtlicher Hinsicht bestenfalls als Übersendung einer Anzeige in Gleichschrift qualifiziert werden, welcher Vorgang jedoch noch keine Übertragung der Zuständigkeit nach §29a VStG darstellt (VwGH 24.04.1963, 729/61).

 

Daraus folgt, daß durch die absolut mangelhafte Behördenhandlung der BPD W N keine Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft xx für das gegenständliche gegen den Beschuldigten geführte Verwaltungsstrafverfahren begründet werden konnte, sodaß die Erstbehörde für die Durchführung dieses Verfahrens, insbesondere die Erlassung eines Straferkenntnisses unzuständig war.

 

Gemäß §6 Abs1 AVG hat die Behörde ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen.

 

Die Berufungsbehörde hat die Unzuständigkeit der Unterbehörde von Amts wegen wahrzunehmen und den bei ihr bekämpften Bescheid aufzuheben (VwGH 30.11.1981, Slg 10581 A ua).

 

Eine allfällige Unzuständigkeit - aus welchem Grund immer - der Unterbehörde hat zur ersatzlosen Aufhebung des unterinstanzlichen Bescheides zu führen.

 

Die Unzuständigkeit ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen, daher auch von der Berufungsbehörde in Ansehung der Unterinstanz (VwGH 21.01.1992, 91/11/0076).

 

Bei dem Recht auf Entscheidung durch die zuständige Behörde, das jeder Partei des Verwaltungsverfahrens, somit auch einem Beschuldigten, zusteht, handelt es sich, wie aus §6 Abs2 AVG, wonach durch Vereinbarung der Parteien die Zuständigkeit der Behörde weder begründet noch geändert werden kann, mit aller Deutlichkeit folgt, um ein unverzichtbares Recht, also um ein Recht, dessen Verfolgbarkeit sein Träger auch nicht durch Verschweigung verlustig gehen kann (VwGH 04.07.1968, Slg 7385 A).

 

Durch das Unterlassen der Geltendmachung der Unzuständigkeit durch den Beschuldigten wurde somit keine Zuständigkeit der unzuständigen Bezirkshauptmannschaft xx begründet.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß §51e Abs1 VStG abgesehen werden.

 

Sämtliche in dieser Entscheidung zitierten gesetzlichen Bestimmungen des AVG gelten gemäß §24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren und waren deshalb anzuwenden.

 

Der Vollständigkeit halber wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses ausschließlich aus formalrechtlichen Gründen erfolgte und sich aufgrund dieser rechtlichen Beurteilung ein Eingehen auf das Berufungsvorbringen erübrigte.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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