TE UVS Wien 1994/06/20 07/21/252/94

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.06.1994
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch seine Mitglieder Mag Werner Romano als Vorsitzender, Dr Irene Hollinger als Berichterin und Dr Ernst Schopf als Beisitzer über die Berufung des Herrn Anton L, vertreten durch RA, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den

9. Bezirk, vom 10.2.1994, Zl MBA 9 - S 6898/92, wegen Übertretung der §§1) und 2) 31 Abs2 litf Arbeitnehmerschutzgesetz iVm §11 Abs1 leg cit und §72 Abs1 und Abs2 letzter Satz Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung, 3) 31 Abs2 litp Arbeitnehmerschutzgesetz iVm §33 Abs1 lita Z12 leg cit iVm §45 Abs4 Baurarbeiterschutzverordnung, 4) 31 Abs2 litp iVm §33 Abs1 lita Z12 leg cit iVm §7 Abs2 Bauarbeiterschutzverordnung entschieden:

Gemäß §66 Abs4 AVG wird der Berufung zu den Punkten 1) und 2) des Straferkenntnisses Folge gegeben, das Straferkenntnis in diesen Punkten behoben und das Verfahren gemäß §45 Abs1 Zif3 VStG eingestellt.

Gemäß §65 VStG hat der Berufungswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu den Punkten 1) und 2) zu leisten.

Gemäß §66 Abs4 AVG wird der Berufung zu den Punkten 3) und 4) keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis mit den Abänderungen bestätigt, daß die Tatumschreibung wie folgt zu lauten hat:

"Sie (Herr Anton L) haben als Alleininhaber der "A" mit Gewerbeberechtigung in Wien, M-straße und als Arbeitgeber zu verantworten, daß am 19.8.1992 auf der Baustelle in Wien, H-gasse/N-gasse/I-Straße den zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erlassenen Anordnungen insoferne zuwidergehandelt wurde, als Sie

1. den Arbeitnehmer Nebojsa S bei Spenglerarbeiten (Saumverblechungen) am ungesicherten Laubengang (6. Stock, Stiege 4, Block I-Straße) beschäftigt haben, wobei von dieser Arbeitsstelle ein Absturz von ca 15 Metern möglich war und keine Schutzeinrichtungen wie Arbeitsgerüste, Brustwehren, Schutzgerüste oder Fangnetze vorhanden waren und eine Sicherung des Arbeitnehmers durch Anseilen nicht erfolgt ist, weil der Arbeitnehmer nicht angeseilt war,

2. den Arbeitnehmer Yildiz M bei Spenglerarbeiten (Verblechungsarbeiten am ungesicherten Laubengang) auf der in Punkt 1. angeführten Arbeitsstelle beschäftigt haben, wobei von dieser Arbeitsstelle ein Absturz von ca 15 Metern möglich war und keine Schutzeinrichtungen wie Arbeitsgerüste, Brustwehren, Schutzgerüste oder Fangnetze vorhanden waren und eine Sicherung des Arbeitnehmers durch Anseilen nicht erfolgt ist, weil der Arbeitnehmer nicht angeseilt war."

Die verletzten Rechtsvorschriften haben zu 1. und 2. jeweils zu lauten:

"§7 Abs1 in Verbindung mit §7 Abs2 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) in Verbindung mit §33 Abs1 lita Zif12 Arbeitnehmerschutzgesetz (AschG)"

Die Bestimmungen, nach denen die Strafen verhängt werden, haben zu

1. und 2. wie folgt zu lauten:

"§31 Abs2 litp AschG in Verbindung mit §33 Abs7 leg cit"

Der Berufungswerber hat daher gemäß §64 Abs2 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in diesen Punkten in der Höhe von jeweils S 4.000,--, insgesamt somit S 8.000,--, das sind 20 % der verhängten Geldstrafe, zu bezahlen.

Text

Begründung:

Mit Straferkenntnis vom 10.2.1994, Zl MBA 9 - S 6898/92, wurde dem Beschuldigten vom Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 9. Bezirk, wie folgt zur Last gelegt:

"Sie haben als Alleininhaber der "A" mit Gewerbeberechtigung in Wien, M-Straße und als Arbeitgeber zu verantworten, daß am 19.8.1992 auf der Baustelle in Wien, H-gasse/N-gasse/I-Straße den zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erlassenen Anordnungen insoferne zuwidergehandelt wurde, als folgende Mängel bestanden:

1) Dem Arbeitnehmer Nebojsa S, der mit Saumverblechungsarbeiten am ungesicherten Laubengang (6. Stock, Stiege 4, Block I-Straße) beschäftigt war, wobei von dieser Arbeitsstelle ein Absturz von ca 15 Meter möglich war, wurde kein Sicherheitsgeschirr mit Einrichtung zur Verminderung des Fangstoßes (zB Seilverkürzer in Verbindung mit Falldämpfer) zur  Verfügung gestellt, obwohl dieser Arbeitnehmer bei seiner Tätigkeit über eine große Bewegungsfreiheit verfügen mußte.

2) Dem Arbeitnehmer Yildiz M, der ebenfalls mit Verblechungsarbeiten am oben angeführten Laubengang beschäftigt war, wurde kein Sicherheitsgeschirr mit Einrichtung zur Verminderung des Fangstoßes zur Verfügung gestellt, obwohl auch dieser Arbeitnehmer bei seiner Tätigkeit über eine große Bewegungsfreiheit verfügen mußte.

3) Der Arbeitnehmer Nebosja S war bei den Spenglerarbeiten auf der im Punkt 1) angeführten Arbeitsstelle (Saumverblechungsarbeiten) nicht angeseilt.

4) Der Arbeitnehmer Yildiz M war bei den Spenglerarbeiten auf der im Punkt 2) angeführten Arbeitsstelle (Verblechungsarbeiten am ungesicherten Laubengang) nicht angeseilt.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

ad) 1 und ad) 2 §31 Abs2 litf Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl Nr 234/1974 in Verbindung mit §11 Abs1 leg cit in Verbindung mit §72 Abs1 und Abs2 letzter Satz der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, BGBl Nr 218/1983 (AAV)

ad) 3 §31 Abs2 litp Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl Nr 234/1972 in Verbindung mit §33 Abs1 lita Z12 leg cit in Verbindung mit §45 Abs4 Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl Nr 267/1954

ad) 4 §31 Abs2 litp Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl Nr 234/1972 in Verbindung mit §33 Abs1 lita Z12 leg cit in Verbindung mit §7 Abs2 Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl Nr 267/1954.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe

verhängt:

Geldstrafe von         falls diese uneinbringlich

Schilling            ist, Ersatzfreiheitsstrafe von

zu 1)     20.000,--      zu 1) zwanzig Tagen

zu 2)     20.000,--      zu 2) zwanzig Tagen

zu 3)     20.000,--      zu 3) zwanzig Tagen

zu 4)     20.000,--      zu 4) zwanzig Tagen

Summe:    80.000,--            achtzig Tagen

Gemäß § zu Punkt 1 und 2: §31 Abs2 litf des

Arbeitnehmerschutzgesetzes zu Punkt 3 und 4: §33 Abs1 lita Z12 des

Arbeitnehmerschutzgesetzes

Ferner haben Sie gemäß §64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu

zahlen:

S 8.000,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe.

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe, Kosten) beträgt daher S 88.000,--. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§54 d VStG)."

Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die fristgerechte Berufung des Beschuldigten, in welcher dieser im wesentlichen ausführt, es seien nach Art und Umfang ausreichende Schutzvorrichtungen vorhanden gewesen (dies werde auch vom Zeugen Wilhelm M bestätigt), die jedoch von den Dienstnehmern entgegen den ihnen wiederholt auferlegten bzw in Erinnerung gerufenen Verpflichtungen nicht verwendet werden. Es seien somit den gesetzlichen Bestimmungen folgend die entsprechenden Schutzvorrichtungen in ausreichender Anzahl vorhanden gewesen und hätten die betreffenden Dienstnehmer auch die Weisung erhalten, sich bei Verrichtung der gegenständlichen Arbeiten ihrer zu bedienen. Die trotz aktenkundiger regelmäßiger Überprüfung dennoch im Zeitpunkt der Überprüfung durch das Arbeitsinspektorat seitens der angeführten Dienstnehmer unterbliebenen Verwendung der Schutzvorrichtungen könne ihm unter den gegebenen Verhältnissen daher richtigerweise nicht zum Vorwurf gemacht werden. Es handle sich dabei bekanntermaßen um keinen Einzelfall, vielmehr um ein im gesamten Bau- und Baunebengewerbe ebenso wie bei den Behörden bekanntes Phänomen, daß man als Dienstgeber nicht selten machtlos ist gegenüber den intensiven Unwillen von Dienstnehmern, sich der betreffenden Schutzvorrichtung zu bedienen, dem in den meisten Fällen nur mit einer Auflösung des jeweiligen Dienstverhältnisses durch den Dienstgeber zu begehen wäre - eine Vorstellung, die allerdings wohl weder im Sinne des Dienstnehmers als auch der Wirtschaft gelegen wäre. Angesichts dieses Umstandes sei somit im Ergebnis auch aus rechtlichen Gründen seine strafrechtliche Verantwortung nicht gegeben. Schließlich sei es auch verfehlt, von der Verwirklichung von vier Tatbeständen zu sprechen. Selbst wenn man einzeln auf die Anzahl der Dienstnehmer abstellen wollte, wäre richtigerweise nur von der Verwirklichung von insgesamt zwei Delikten zu sprechen, da die gesondert angeführten Fakten 3) und

4) zwangsläufig in den Fakten 1) und 2) aufgehen.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien führte am 13.6.1994 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. An dieser Verhandlung nahm der rechtsfreundliche Vertreter des Berufungswerbers und ein Vertreter des Arbeitsinspektorates teil und es wurden Herr Siegfried R und Herr Wilhelm M zeugenschaftlich einvernommen.

Diese gaben folgendes zu Protokoll:

Rechtsfreundlicher Vertreter des Berufungswerbers:

"Im gegenständlichen Fall ist es dem Beschuldigten als Dienstgeber unmöglich, faktisch auf derartige Vorfälle einzugreifen. Das Unternehmen des Beschuldigten ist hauptsächlich mit der Herstellung von Flachdächern beschäftigt, daraus resultiert, daß es dem einzelnen Arbeitnehmer nicht einsichtig gemacht werden kann Sicherungsmaßnahmen zu entsprechen. Es könnte daher seitens des Beschuldigten ausschließlich durch Beendigung der Dienstverträge auf die Beschäftigten eingewirkt werden, dies wäre jedoch zweifellos mit unerwünschten Konsequenzen für die Wirtschaft und die Arbeitsmarktsituation verbunden.

Aus rechtlicher Hinsicht erscheint das Straferkenntnis auch verfehlt, da insgesamt 4 Tatbestände als verwirklicht angesehen wurden, nach Überzeugung des Beschuldigten jedoch lediglich zwei ineinander aufgehende Tatbestände angenommen werden könnten. Jedenfalls erscheint das Strafausmaß wegen der konkreten Unmöglichkeit des Eingriffs des Beschuldigten auf das Verhalten der Dienstnehmer als erheblich überhöht, sodaß primär die Einstellung des Verfahrens, sekundär jedoch in eventu die Herabsetzung der Strafe beantragt wird."

Der Vertreter des Arbeitsinspektorates:

"Der Strafantrag bleibt in vollem Umfang aufrecht, entgegen der Ansicht des Beschuldigten liegen verschiedene Tatbilder vor:

§7 Abs2 der Bauarbeiterschutzverordnung trifft Regelungen hinsichtlich des Anseilens, nicht jedoch hinsichtlich der zur Verfügung zu stellenden Schutzvorkehrungen. §72 Abs1 AAV regelt, welche Schutzbehelfe zur Verfügung zu stellen sind. Im Abs2 wird normiert, welche spezielle Ausrüstung zur Verfügung zu stellen ist, wenn der Arbeitnehmer eine erhöhte Bewegungsfreiheit gewährleistet braucht.

Hinsichtlich der Strafhöhe wird darauf hingewiesen, daß in Hinblick auf die Tatumstände und die Umstände des Einsatzes der Arbeitskräfte eine erhöhte Gefährdung für Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer vorliegt. Es sei auch auf die Judikatur des VwGH verwiesen, derzufolge im vorliegenden Fall von einem erheblichen Unrechtsgehalt auszugehen ist. Es wird daher der Antrag gestellt, die Übertretungsnorm zu Punkt 3) dahingehend abzuändern, daß diese "§7 Abs2 Bauarbeiterschutzverordnung" lautet. Hinsichtlich der Punkte 3) und 4) wolle die Strafnorm durch das Zitat des §33 Abs7 Arbeitnehmerschutzgesetz ergänzt werden."

Siegfried R:

"Ich kann mich an die gegenständlichen Vorfälle noch im wesentlichen erinnern. Ich habe die Kontrolle der Baustelle in Zusammenarbeit mit einem Polier der Baufirma R durchgeführt. Ich habe mich auf der Baustelle in den Laubengang - es hat sich um den

6. Stock gehandelt - begeben. Dort waren zwei Arbeitnehmer mit Verblecharbeiten beschäftigt, sie waren ungesichert, Schutzausrüstung war in diesem Bereich nicht vorhanden. Im Anschluß daran suchte ich den Vorarbeiter R auf, er befand sich im Bereich der Arbeitsstelle. Ich forderte ihn auf, die vorhandene Schutzausrüstung vorzulegen. Über diese Aufforderung entfernte er sich, er ging hinunter und kam nach etwa 15 bis 20 Minuten wieder zurück, wobei er einen Baugurt vorwies, ein entsprechendes Lichtbild wurde angefertigt und zum Akt erlegt. Ich fragte Herrn R mehrere Male, ob das vorhandene Material das gesamte Schutzmaterial sei, er sagte, es sei nicht mehr da. Er legte das Material dann auf ein provisorisches Stiegengeländer, das Lichtbild zeigt diese Situation.

Der vorgewiesene Bauchgurt wäre allenfalls für einen Arbeiter ausreichend, er könnte jedoch nur der "Punktsicherung" dienen. Eine derartige Sicherung ist nur dann zweckmäßig, wenn sich der Arbeitnehmer bei der Arbeit nicht von der Stelle bewegen muß. In der Praxis würde ein solcher Gurt für die gegenständlichen Arbeiten nicht verwendet, da die gegenständliche Arbeitsstelle eine Beweglichkeit von wenigen Metern nach vor und zurück erfordert. In diesem Fall wäre ein Sicherheitsgeschirr mit Sicherheitsseil in Verbindung mit einem Seilkürzer und einem Fangseil und Falldämpfer zu verwenden. Gerüste waren im Bereich der Baustelle nicht vorhanden, sie sind auch auf den Lichtbildern im Akt nicht ersichtlich.

Der Laubengang war etwa 25 m lang, die Arbeiter haben sich im Bereich der Segmente bewegt, von welchen jedes etwa 5 m lang ist. Diese Werte habe ich aber nicht abgemessen, ich rekonstruiere sie aus dem zum Akt erliegenden Lichtbildern.

Die Arbeitnehmer haben ausschließlich in der horizontale, nicht jedoch im Bereich einer schiefen Ebene gearbeitet. Das Gefälle an Ort und Stelle beträgt maximal 2 %. Das von mir beschriebene System Sicherheitsgeschirr, -seil, Seilkürzer, Fangseil und Falldämpfer ist für die gegenständlichen Arbeiten geeigneter als ein Bauchgurt. Über konkretes Befragen, ob der Baugurt absolut ungeeignet sei, gebe ich an, daß das Sicherheitssystem im vorliegenden Fall konkret vorgeschrieben ist. Beim Bauchgurt würde es im Fall eines Absturzes zu extremen Rückenverletzungen kommen, beim Sicherheitsgeschirr wären keine ernsthaften Verletzungsfolgen zu erwarten. Mir ist aus eigener dienstlicher Wahrnehmung kein Fall bekannt, in welchem wegen eines lockeren Seilkürzers und eines lockeren Fangseiles Unfälle mit erheblichen Folgen entstanden wären. Erst draußen vor der Verhandlung hat mir der Zeuge M von so einem Vorfall berichtet.

Mit dem Vorarbeiter R gab es keinerlei Verständigungsschwierigkeiten, ob seine Muttersprache deutsch war, kann ich aber nicht sagen.

Ich habe die Überprüfung mit dem Polier der Baufirma R durchgeführt, da dieser Kenntnis vom gesamten Bauvorhaben hatte, derartiges ist auch üblich, um dem Erhebungsorgan eine Orientierungshilfe zu gewährleisten."

Herr Wilhelm M:

"Ich bin über die gegenständlichen Vorfälle informiert. Zum Zeitpunkt der Kontrolle war ich nicht an der Baustelle anwesend. Ich bin Bauleiter der Firma A für die Spenglerabteilung. Ich war über die Vorfälle der Baustelle informiert. Die im Straferkenntnis genannten Arbeitnehmer waren auf der Baustelle zum Erhebungszeitpunkt beschäftigt. Sie haben Verblechungsarbeiten, Blechdächer und Blecheinfassungen hergestellt. Die Arbeiten wurden zum Erhebungszeitpunkt auf Stiege 3 und 4 im Laubengang, 3. Obergeschoß, durchgeführt.

Über konkretes Befragen, welche Sicherungsmaßnahmen seitens der Arbeitnehmer anläßlich dieses Vorfalles getroffen wurden, gebe ich an, daß ich gerade im Bereich der Spenglerei versucht habe, den Arbeitnehmern die Notwendigkeit derartiger Vorkehrungen begreiflich zu machen. Dies erfordert jedoch Zeit, Zwang ohne Einsicht des Arbeitnehmers würde erfolglos bleiben. Ich habe auch versucht, dieses Thema im Rahmen von Betriebsversammlungen anzusprechen. Bei den von mir durchgeführten Besichtigungen von Baustellen fordere ich die Arbeitnehmer auf, Sicherungsmaterial wenigstens mitzunehmen. Dies jedoch einem alten Spengler, welcher im Bereich eines Flachdaches tätig ist, zu vermitteln, ist nicht immer erfolgreich.

Ich selbst weiß nicht, welche Sicherungsmaßnahmen die Arbeitnehmer getroffen haben. Ich glaube allerdings schon, daß die dahingehenden Wahrnehmungen des Vertreters des Arbeitsinspektorates den Tatsachen entsprechen.

Auf der Baustelle oder im Auto des jeweiligen Partieführers befindet sich ein roter Koffer, welcher einen 3-Punkt-Sicherheitsgurt beinhaltet. Dabei ist auch ein Seil mit entsprechender Länge. Sonstiges Sicherungsmaterial befand sich im konkreten Fall nicht im Baustellenbereich.

Im gegenständlichen Fall befand sich deshalb nur ein Gurt für die gesamte Partie auf der Baustelle, da im Fall der Verwendung eines Gurtes, eine zweite Person zur Sicherung eingesetzt wird. Das ist nötig, da die Seillänge variiert und sich der Arbeitnehmer nicht andauernd umhängen kann. Dies trifft jedoch nur auf den Flachdachbereich zu, wenn Arbeiten an Steildächern durchgeführt werden, hätte jeder Arbeitnehmer diese Ausrüstung. Im gegenständlichen Fall handelte es sich aber um ein Flachdach. Hinsichtlich des Tattages hatte ich keine persönliche Wahrnehmung von der Baustelle. Normalerweise besuche ich meine Baustellen täglich, dies ist jedoch gelegentlich wegen der Fülle der Baustellen nicht möglich. Dafür gibt es dann einen Vorarbeiter, der mich vertreten sollte. Aus der Praxis ergibt sich, daß eine andere Form der Sicherung als jene, bei welcher eine Person hiefür eingesetzt wird, nicht angewendet wird. Diesfalls wird im Inneren der Baustelle eine Möglichkeit gesucht das Seil festzubinden. Es befindet sich dann eine Person im Seilbereich und variiert die Seillänge je nach Erfordernis durch entsprechende Verknotung. Normalerweise werden von uns keinerlei Arbeiten ohne erforderliches Gerüst durchgeführt, im speziellen Fall handelte es sich jedoch um einen flachen Bereich, ich konnte daher die Aufstellung eines Gerüstes nicht veranlassen.

Der Vorarbeiter R ist bereits in Pension, die seinerzeit beanstandeten Arbeitnehmer sind nicht mehr Mitglieder unseres Betriebes.

Mir ist bekannt, daß es Fälle gibt, in welchen die Kombination Seilkürzer, Fangseil und Falldämpfer auch gefährlich werden können. Die geprüften Fallstopper bieten keine absolute Sicherheit. Ich selbst habe bei Arbeiten an einem Steildach im Bereich des 20. Bezirkes feststellen müssen, daß Fallstopper nur wirksam sind, wenn sie unter Zug stehen. Wenn der Zug aus dem System genommen wird, löst sich der Fallstopper und ermöglicht ein ruckartiges Absinken. Daraus kann sich durchaus eine Gefahrenquelle ergeben. Bereits aus diesem Grund kann es den Arbeitnehmern nur schwer vermittelt werden, sich derartiger Maßnahmen zu bedienen."

Der Vertreter des AI führte abschließend aus:

"Der Tatbestand wird aufgrund der beiliegenden Fotos dokumentiert und durch die Zeugenaussage des Arbeitsinspektors R untermauert. Der Zeuge M war am Tattag nicht auf der Baustelle und konnte daher zu diesem Tattag auch keine persönlichen Wahrnehmungen angeben. Bei diesen Arbeiten an der Absturzkante des Laubganges, wobei für die Arbeitnehmer eine große Bewegungsfreiheit erforderlich war, ist es unbedingt notwendig Sicherheitsgeschirre plus Einrichtungen zur Verminderungen des Fangstoßes (Seilkürzer, Falldämpfer oder Höhesicherungsgeräte) zu verwenden. Eine Sicherung mit einem Sicherheitsgürtel oder mit Sicherheitsseilen oder "nur mit einem 3-Punkt-Gurt" ist nicht ausreichend. Wie auch die Zeugenaussage des Bauleiters M bestätigt, ist bei diesen Arbeiten eine variable Seillänge erforderlich. Zu der Neigung des Standplatzes wird bemerkt, daß es unerheblich ist, ob diese horizontal oder geneigt ist. Wesentlich ist, daß für die Arbeitnehmer bei ihrer beruflichen Tätigkeit Absturzgefahr bestand. Es hätte im gegenständlichen Fall sehr wohl, wenn die entsprechende Schutzausrüstung wie oben genannt auf der Baustelle zur Verfügung gestellt worden wäre, eine entsprechende Sicherung mittels dieser beigestellten Schutzausrüstung erfolgen können. Nach Ansicht des AI wurden daher verschiedene Tatbilder verwirklicht. Zum Einen, daß die Arbeitnehmer nicht angeseilt waren an der Absturzkante, zum Anderen, daß ihnen zwar eine Schutzausrüstung nicht jedoch wie §72/1 und 2 der All Arbeitnehmerschutzverordnung normiert, ein Sicherheitsgeschirr plus der dazugehörigen Schutzausrüstung (Seilkürzer, Falldämpfer, Höhensicherungsgeräte) zur Verfügung gestellt wurden. Das Unternehmen A wurde wiederholt durch das AI mittels Schreiben gemäß §6 Arbeintsinspektionsgesetz aufgefordert, den gesetzlichen Zustand auf den Baustellen herzustellen. Da bei Baustelleninspektionen wiederholt festgestellt werden mußte, daß der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen gegenüber den Arbeitgebern nicht nachkommt, mußte wiederholt der Strafantrag bei der Bezirkverwaltungsbehörde gestellt werden. In diesem Zusammenhang wird auch bemerkt, daß bereits ein Strafantrag in Rechtskraft erwachsen ist, zwei weitere beim UVS-Wien im Sinne des AI abgeführt wurden. Weiters wird auch bemerkt, daß es bei dieser Art von Übertretungen immer wieder zu schweren Arbeitsunfällen kommt, die mit tödlichem Ausgang enden. Es wird daher ersucht, da der Arbeitgeber sein Verschulden nicht glaubhaft machen konnte, das Verwaltungsstraferkenntnis der ersten Instanz in vollem Umfang zu bestätigen."

Der Vertreter des Beschuldigten führte abschließend aus:

"Was zunächst die Beweisfrage anlangt, so hat die Wiederholung des Beweisverfahrens ergeben, daß dem Beschuldigten über die von ihm in konkreto gesetzten bzw veranlaßten Maßnahmen hinaus keine weiteren zumutbar bzw für ihn praktisch durchsetzbar waren. In rechtlicher Hinsicht vermag der Auffassung des AI schon deshalb nicht beigepflichtet werden, da gerade §72 Abs1 AAV nicht zwingend die von AI geforderte Form der Schutzausrüstung verlangt. Vielmehr eine in konkreto zur Verfügung gestellte Alternative zuläßt. Es wird daher der Berufungsantrag aufrecht erhalten."

Folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt wird festgestellt:

Unbestritten ist, daß es sich bei den Arbeitenehmern Nebojsa S und Yildiz M um solche des Einzelunternehmens "A" gehandelt hat und diese am 19.8.1992 auf der im Spruch der Straferkenntnisses angeführten Baustelle am ungesicherten Laubengang im 6. Stock, von wo eine Absturzgefahr von ca 15 Meter bestand, Spenglerarbeiten durchgeführt haben.

Auf Grund der Zeugenaussage des Bauleiters der Firma A für die Spenglerabteilung, Herrn Wilhelm M, in Verbindung mit dem Berufungsvorbringen, weiters in Verbindung mit dem Akteninhalt und den sich darin befindlichen Lichtbildern geht der Unabhängige Verwaltungssenat Wien davon aus, daß sich auf der gegenständlichen Baustelle ein sogenannter "Drei-Punkt-Sicherheitsgurt" mit einer entsprechenden Länge befand. Sonstiges Sicherungsmaterial befand sich im konkreten Fall nicht auf der Baustelle. Beide Arbeitnehmer waren bei ihren Arbeiten nicht angeseilt.

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich folgendes:

I. Zu den Punkten 1) und 2) des Straferkenntnisses:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 24.11.1992, Zahl 88/08/0221, zu Recht erkannt, daß §72 Abs1 Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) bei Arbeiten an absturzgefährlichen Arbeitsstellen auf Dächern überhaupt nicht zur Anwendung kommt. Das Gebot des §7 Abs2 BauV, wonach "in solchen Fällen die Dienstnehmer durch Anseilen gegen Absturz zu sichern" sind, geht über das allgemeine Gebot des §72 Abs1 AAV, Schutzausrüstungen zur Verfügung zu stellen, hinaus (gleiches gilt etwa für §7 Abs1 2. und 3. Satz sowie die §44 und 45 BauV). Es handelt sich um die spezielle, die zur Verfügungstellung voraussetzende und mit einschließende Gebotsnorm. §72 Abs1 AAV hat bei absturzgefährlichen Dacharbeiten keinen selbständigen Anwendungsbereich neben §7 Abs1 und 2 BauV. Aus diesem Grund war das Straferkenntnis in seinen Punkten 1) und 2) zu beheben.

II. Zu den Punkten 3) und 4) des Straferkenntnisses:

§72 Abs1 und 2 AAV lauten:

§72 (1) Sofern bei Arbeiten an absturzgefährlichen Stellen durch

Schutzmaßnahmen nach den §§18, 24 und 44 ein ausreichender Schutz nicht erreicht werden kann oder die Durchführung solcher Schutzmaßnahmen im Hinblick auf den Umfang der auszuführenden Arbeiten nicht gerechtfertigt ist, sind den Arbeitnehmern Sicherheitsgürtel oder Sicherheitsgeschirr einschließlich der dazugehörigen Ausrüstungen, wie Sicherheitsseile (Fangseile), Karabinerhaken, Falldämpfer, Seilkürzer oder Höhensicherungsgeräte, zur Verfügung zu stellen. Sicherheitsseile dürfen nur in Verbindung mit Sicherheitsgürteln oder Sicherheitsgeschirren verwendet werden.

(2) An Stellen, an denen Schutzausrüstungen nach Abs1 verwendet werden, müssen möglichst lotrecht oberhalb dieser Stellen geeignete Befestigungsvorrichtungen vorhanden sein, die den bei einem Absturz auftretenden Belastungen standhalten. Sicherheitsseile (Fangseile) müssen so befestigt sein oder dürfen nur mit einer solchen Länge verwendet werden, daß eine Schlaffseilbildung möglichst vermieden wird. Die Länge des Schlaffseiles darf bei Verwendung von Sicherheitsgürteln nicht mehr als 1,80 m betragen. Bei Arbeiten, bei denen eine größere Bewegungsfreiheit erforderlich ist, sind Sicherheitsgeschirre mit Einrichtungen zur Verminderung des Fangstoßes oder in Verbindung mit Höhensicherungsgeräten zu verwenden.

Auf Grund der - vom Berufungswerber unwidersprochengelassenen - Zeugenaussage des Siegfried R geht der Unabhängige Verwaltungssenat Wien davon aus, daß es sich bei den gegenständlichen Spenglerarbeiten um solche Arbeiten handelt, die eine Beweglichkeit "von wenigen Metern nach vor und zurück" erfordert, war doch der Laubengang in etwa 25 Meter lang und haben sich die Arbeiter im Bereich der Segmente bewegt, von welchen jedes etwa 5 Meter lang ist.

Diesen Umstand bestätigt auch der Zeuge M, der angegeben hat, daß im Fall der Verwendung eines Gurtes eine zweite Person zur Sicherung eingesetzt werden müsse, der die Seillänge variiert, da sich "der Arbeitnehmer nicht andauernd umhängen" könne. Eine zweite Person im Seilbereich variiere die Seillänge je nach Erfordernis durch entsprechende Verknotung.

Es ergibt sich somit, daß bei gegenständlichen Arbeiten eine größere Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmer erforderlich gewesen ist. Entgegen der Auffassung des Berufungswerbers sieht §72 Abs2 AAV für diese Fälle eine konkrete Schutzausrüstung vor und läßt bei Arbeiten, bei denen eine größere Bewegungsfreiheit erforderlich ist, keine Alternative zu. Bei solchen Arbeiten sind gemäß den letzten Satz des §72 Abs2 AAV Sicherheitsgeschirre mit Einrichtungen zur Verminderung des Fangstoßes oder in Verbindung mit Höhensicherungsgeräten zu verwenden. Die beiden Arbeitnehmer wären daher durch Anseilen mit einem solchen Sicherheitsgeschirr gegen Absturz zu sichern gewesen. Dies ist jedoch unterblieben und hat daher der Berufungswerber den objektiven Tatbestand der Verwaltungsübertretungen erfüllt.

Zum Verschulden des Berufungswerbers ist folgendes auszuführen:

Da zum Tatbestand der verfahrensgegenständlichen Verwaltungsübertretungen weder der Eintritt eines Schadens noch einer Gefahr gehört und auch über das Verschulden keine Bestimmung enthalten ist, handelt es sich bei diesen Übertretungen um sogenannte Ungehorsamsdelikte im Sinne des §5 Abs1 VStG. Bei diesem besteht von vornherein die Vermutung eines Verschuldens (in Form fahrlässigen Verhaltens) des Täters, welche von diesen jedoch widerlegt werden kann; ihm obliegt es glaubhaft zu machen, daß ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich war. Der Beschuldigte hat hiezu initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht; dies hat in erster Linie durch ein geeignetes Tatsachenvorbringen und durch die Beibringung von Beweismitteln bzw die Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Hiezu bringt der Berufungswerber aber bloß vor, es sei ihm als Dienstgeber unmöglich, faktisch auf derartige Vorfälle einzugreifen. Es könne seitens des Dienstgebers ausschließlich durch Beendigung der Dienstverträge auf die Beschäftigten eingewirkt werden, dies wäre jedoch zweifellos mit unerwünschten Kosequenzen für die Wirtschaft und die Arbeitsmarktsituation verbunden.

Wenn der Berufungswerber vorbringt, er hätte seinen Arbeitnehmern die strikte Anweisung erteilt, Schutzausrüstungen zu verwenden, dann ist dazu zu bemerken, daß die bloße Erteilung von Anweisungen zur Glaubhaftmachung eines mangelnden Verschuldens nicht ausreicht; der Berufungswerber hätte vielmehr auch dartun müssen, daß er für die wirksame Überwachung der Einhaltung seiner Anweisungen gesorgt hat. Er hätte dafür eines seinem Betrieb entsprechendes Kontrollsystem einzurichten gehabt, von dem mit gutem Grund erwartet werden konnte, daß es die tatsächliche Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften sicherstellt. Dies hat der Berufungswerber jedoch unterlassen.

Daher ist auch vom Vorliegen der subjektiven Tatseite zumindest in Form des fahrlässigen Verhaltens auszugehen.

Zur Strafbemessung ist folgendes auszuführen:

Die Taten schädigten in erheblichen Maße das Interesse an der Vermeidung von Gefahren von Leben und Gesundheit von Arbeitnehmern. Der Unrechtsgehalt ist im Hinblick auf die mögliche Absturzhöhe von 15 Meter und die damit verbundenen eklatanten Gefahren als erheblich zu werten.

Wie bereits oben ausgeführt, trifft dem Berufungswerber zumindest der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens.

Der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit kommt dem Berufungswerber nicht mehr zugute. Die einschlägige Verwaltungsvormerkung wurde erschwerend gewertet. Auf die überdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse, die Vermögenslage, und auf die Sorgepflicht für die Gattin wurde Bedacht genommen.

Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe und auf den gesetzlichen, bis zu S 50.000,-- reichenden Strafsatz, sind die verhängten Geldstrafen durchaus angemessen und keineswegs zu hoch, zumal im Verfahren keine besonderen Milderungsgründe hervorgetreten sind, sollen sie doch auf den Berufungswerber einwirken, in Hinkunft gleichartige Verwaltungsübertretungen zu vermeiden.

Eine Herabsetzung der Geldstrafen kam daher nicht in Betracht. Die Vorschreibung des Beitrages zu den Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf die zwingende Vorschrift des §64 Abs1 und 2 VStG.

Schlagworte
Spenglerarbeiten, Schutzausrüstung bei Spenglerarbeiten
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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