Index
62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1 idF 1996/201;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dr. W in W, vertreten durch Dr. Gernot Pettauer, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Prinz Eugen Straße 62, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 5. September 1996, Zl. 12/1218/56/1996, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Dem mit Unterbrechungen seit 1985 Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung (Notstandshilfe) beziehenden, zuletzt am 15. Jänner 1991 beschäftigten und nunmehr den Aufbau einer eigenen tierärztlichen Praxis anstrebenden Beschwerdeführer wurde am 24. Mai 1996 von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice W. (AMS) eine Stelle als Griller an einem Holzkohlengrill bei der Fa. S Ges.m.b.H. angeboten. Am 30. Mai 1996 teilte die Fa. S dem AMS mit, dass der Beschwerdeführer nicht eingestellt worden sei, weil er "eine Arztpraxis" eröffne und "den ganzen Tag am 'Handy' erreichbar sein" müsse, was (nach Antritt der angebotenen Stelle) nicht möglich erscheine.
Aus der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift vom 10. Juni 1996 geht hervor, dass die Stelle mit monatlich ungefähr S 11.000,-- brutto "gemäß KV" dotiert gewesen wäre. Der Beschwerdeführer gab an, "bis spätestens Ende Juli" eine eigene Praxis zu eröffnen. Er arbeite nach freier Vereinbarung und müsse daher von 11 bis 23 Uhr telefonisch erreichbar sein.
Mit Bescheid vom 26. Juni 1996 sprach das AMS aus, dass der Beschwerdeführer 1996 den Anspruch auf "Arbeitslosengeld" vom 1. Juni bis 12. Juli gemäß § 10 AlVG verloren habe. Der Beschwerdeführer erhob dagegen "Einspruch", in dem er hervorhob, dass sich die Tätigkeit als Griller - auch aus standesrechtlichen Gründen - nicht mit den teilweise schon jetzt nach Vereinbarung durchgeführten, teilweise geplanten tierärztlichen Tätigkeiten vereinbaren ließe und außerdem in Anbetracht seiner bisherigen "Lohnklasse" zu niedrig entlohnt wäre. Ab Mai 1997 würde er eine tierärztliche Ordination eröffnen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Sie vertrat die Auffassung, dass der Beschwerdeführer durch seine Angabe, ständig am Telefon erreichbar sein zu müssen, das Zustandekommen eines Dienstverhältnisses geradezu ausgeschlossen habe.
Gegen diesen Bescheid rief der Beschwerdeführer den Verfassungsgerichtshof an, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 24. Februar 1997, B 3308/96, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt vor, er hätte mit einer Tätigkeit als Griller gegen "standesrechtliche Vorschriften des Tierarztgesetzes verstoßen" und die Eröffnung seiner Ordination verzögert. Die belangte Behörde hätte erheben müssen, wie weit die "in Aussicht gestellte Eröffnung seiner Ordination nunmehr gediehen ist".
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen.
Gemäß § 9 Abs. 2 erster Satz AlVG war die Beschäftigung dem im Bezug der Notstandshilfe stehenden Beschwerdeführer - unter den fallbezogen zu erörternden Gesichtspunkten - zumutbar, wenn sie seinen körperlichen Fähigkeiten angemessen war, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdete, angemessen entlohnt war und dem Beschwerdeführer eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwerte. Die zuletzt genannte Voraussetzung bleibt bei Arbeitslosen, deren Anspruch auf den Bezug des Arbeitslosengeldes erschöpft ist und bei denen keine Aussicht besteht, dass sie in absehbarer Zeit in ihrem Beruf eine Beschäftigung finden, außer Betracht (§ 9 Abs. 2 zweiter Satz AlVG).
Die Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 9 Abs. 2 AlVG - u.a. - voraus, dass die Beschäftigung "angemessen entlohnt" ist. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt hiezu in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass eine Entlohnung nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag jedenfalls angemessen ist (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 98/08/0392 m. w.N.). Maßgeblich ist die angemessene Entlohnung für die konkret zugewiesene Beschäftigung. Das Verhältnis zu dem vom Arbeitslosen in seiner bisherigen Berufstätigkeit erzielten Einkommen ist ebenso wenig von Bedeutung wie dessen individuelle Bedarfssituation.
Da im vorliegenden Fall der Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld bereits erschöpft gewesen ist, kann der Beschwerdeführer den im § 9 Abs. 2 erster Satz AlVG verankerten Berufsschutz nicht in Anspruch nehmen (vgl. hingegen das einen aufrechten Anspruch auf Arbeitslosengeld behandelnde Erkenntnis vom 18. Oktober 2000, Zl. 98/08/0410).
Nach § 10 Abs. 1 AlVG in der am 1. Mai 1996 in Kraft getretenen Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201, verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder der die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Diese Bestimmung ist gemäß § 38 AlVG auch auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 18. Oktober 2000, Zl. 97/08/0408) sind die genannten Bestimmungen Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszwecke, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, durch Vermittlung möglichst wieder in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene, zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein.
Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits (und deshalb) aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern.
Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen somit auf zwei Wegen verschuldet (d.h. dessen Zustandekommen vereitelt) werden:
Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermines, Nichtantritt der Arbeit, etc.) oder aber dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht.
Unter "Vereitelung" i.S.d. § 10 Abs. 1 AlVG ist daher ein auf das zugewiesene Beschäftigungsverhältnis bezogenes Verhalten des Vermittelten zu verstehen, das - bei Zumutbarkeit der Beschäftigung - das Nichtzustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses herbeiführt; das Nichtzustandekommen muss in einem darauf gerichteten oder dieses zumindest in Kauf nehmenden Tun des Vermittelten seinen Grund haben. Die Vereitelung i. S.d. § 10 Abs. 1 AlVG verlangt ein vorsätzliches Handeln des Vermittelten, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung dieses Tatbestandes hingegen nicht hin (vgl. das Erkenntnis vom 20. Oktober 1992, Slg. 13722/A - ständige Rechtsprechung).
Dadurch, dass der Beschwerdeführer gegenüber dem potenziellen Dienstgeber und dem AMS angab, durch parallel zu der ihm angebotenen Beschäftigung entfaltete Aktivitäten seine gegenwärtigen und künftigen Dienstleistungen als Tierarzt fördern und den Aufbau seiner tierärztlichen Ordination vorantreiben zu wollen, gibt er - unabhängig vom konkreten Arbeitsangebot - zu erkennen, dass er nicht an einer neuen Beschäftigung sondern an der Gründung einer tierärztlichen Ordination interessiert ist, sodass schon das objektive Vorliegen der Verfügbarkeit i.S. des § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG (in der am 1. Mai 1996 in Kraft getretenen - und daher zeitraumbezogen im Beschwerdefall anzuwendenden - Fassung der Novelle BGBl. Nr. 201/1996) und damit eine Grundvoraussetzung für einen Anspruch aus der Arbeitslosenversicherung, fraglich ist (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 27. Juli 2001, Zl. 2000/08/0216 m.w.N.), worauf sich die belangte Behörde aber nicht - im Sinne einer gänzlichen Einstellung der Notstandshilfe - stützte. Diese schon abstrakt nicht gegebene Arbeitsbereitschaft i.S. des § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG verwirklichte sich bei dem konkreten Vermittlungsversuch (aus der Sicht des Beschwerdeführers folgerichtig) dadurch, dass seine oben dargestellte Verhaltensweise (zu der er sich bekennt, sodass an der erforderlichen Vorsätzlichkeit seines Verhaltens kein Zweifel besteht) zur Nichtaufnahme der Beschäftigung führte und nach allgemeiner Erfahrung auch geeignet ist, einen potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen (vgl. das einen bloß nicht richtig gestellten Anschein der Aufrechterhaltung einer selbstständigen Tätigkeit als Ziviltechniker betreffende Erkenntnis vom 26. Jänner 2000, Zl. 98/08/0266). Beim potenziellen Dienstgeber ist dadurch der - hier mit der Wirklichkeit übereinstimmende - Eindruck entstanden, dem Beschwerdeführer liege in erster Linie seine selbstständige Tätigkeit als Tierarzt am Herzen. Er hat daher im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Zustandekommen der Beschäftigung vereitelt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1999, Zl. 97/08/0572).
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 4. Oktober 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1997080132.X00Im RIS seit
21.02.2002