Der Unabhängige Verwaltungssenat hat durch sein Mitglied Dr Frey über die fristgerecht eingebrachte Berufung des Herrn Gerhard M gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Wieden vom 21.6.1994, Pst 3403/W/93, wegen Übertretung der §§ 1) 11 Abs2 2) 19 Abs7 3) 23 Abs2 StVO und
4) 102 Abs2 KFG, entschieden:
Gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG wird das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß §45 Abs1 Z3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG eingestellt.
Demnach entfällt der erstinstanzliche Kostenbeitrag. Gemäß §65 VStG wird dem Berufungswerber kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Begründung:
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der nunmehrige Berufungswerber (Bw) schuldig erkannt, am 22.12.1993 um 17.45 Uhr in Wien, T-gasse das Kfz W 32 gelenkt zu haben, wobei er 1) von der P-Straße vom S-platz kommend Richtung S-hof plötzlich nach rechts in die T-gasse eingebogen sei, ohne diesen Vorgang rechtzeitig anzuzeigen, wodurch er 2) einen Vorrangberechtigten zum unvermittelten Bremsen und Ablenken seines Fahrzeuges genötigt habe, 3) das Kfz nicht am Rande der Fahrbahn und parallel zum Fahrbahnrand sondern in 2. Spur abgestellt habe und 4) die hintere Kennzeichentafel derart verschmutzt gewesen sei, sodaß sie aus einer Entfernung von 10 m nicht ablesbar gewesen sei. Ohne auf die dagegen gerichtete Berufung eingehen zu müssen, war das angefochtene Straferkenntnis aus folgenden Gründen zu beheben und das Verfahren einzustellen:
Gemäß §44a Z1 VStG hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung ist es rechtlich geboten, die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, daß 1.) die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird und 2.) die Identität der Tat unverwechselbar feststeht.
Was den vorstehenden Punkt 1 anlangt, sind entsprechende, das heißt in Beziehung zum vorgeworfenen Straftatbestand stehende, wörtliche Anführungen erforderlich, die nicht etwa durch die bloße paragraphenmäßige Zitierung von Gebots- oder Verbotsnormen ersetzt werden können. Soweit die Strafbarkeit das Vorliegen bestimmter, in der Person des Täters gelegener besonderer Merkmale voraussetzt, sind insb auch diese Merkmale zu bezeichnen. Was den vorstehenden Punkt 2 anlangt (unverwechselbares Feststehen der Identität der Tat) muß a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat insoweit in konkretisierter Umschreibung zum Vorwurf gemacht werden, daß der Besch in die Lage versetzt wird, im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren und gegebenenfalls im außerordentlichen Verfahren (Wiederaufnahmeverfahren) auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und b) der Spruch geeignet sein, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Taugliche Beweismittel im Sinne der vorstehenden lita sind solche, die ein Beweisthema betreffen, das sich auf das in Strafverfolgung gezogene Faktum bezieht (VwGH verst Sen 13.6.1984 Slg 11466 A, 15.4.1985, 83/10/0162, 14.1.1987, 86/06/0017 uva).
Zu Spruchpunkt 1):
Gemäß §11 Abs2 erster Satz StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung oder den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei dieser Bestimmung wesentliches Tatbestandselement, "daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können" (VwGH 20.12.1989, 89/03/0082).
Im vorliegenden Fall fehlt im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses eine entsprechende Anlastung, wonach sich andere Straßenbenützer auf einen angezeigten Vorgang nicht hätten einstellen können.
Zu Spruchpunkt 2):
Gemäß §19 Abs7 StVO darf, wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.
In dieser Bestimmung ist also die Wartepflicht des Normadressaten wesentliches Tatbestandselement. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß bei der Übertretung des §19 Abs7 StVO zur Umschreibung der Tat im Sinne des §44a lita (nunmehr Z1) VStG anzuführen ist, durch welche der in den Absätzen 1-6 (nunmehr 1-6a) angeführten Verhaltensweisen der Beschuldigte den Tatbestand des §19 Abs7 erfüllte. Es muß sich bereits aus der Tatumschreibung ergeben, worauf sich die Wartepflicht gründet, deren Verletzung einen Verstoß gegen §19 Abs7 StVO darstellt (VwGH 18.11.1981, Slg 10594 A, 23.10.1986, 86/02/0081).
Im vorliegenden Fall ist dieses Erfordernis nicht erfüllt.
Zu Spruchpunkt 3):
Gemäß §23 Abs2 erster Satz StVO ist ein Fahrzeug außerhalb von Parkplätzen, sofern sich aus Bodenmarkierungen oder Straßenverkehrszeichen nichts anderes ergibt, zum Halten oder Parken am Rande der Fahrbahn und parallel zum Fahrbahnrand aufzustellen.
Abgesehen davon, daß der vorliegende Tatvorwurf, das Fahrzeug sei nicht parallel zum Fahrbahnrand abgestellt worden, aktenwidrig ist, kann auch hinsichtlich des Vorwurfes, das Kraftfahrzeug sei nicht am Rande der Fahrbahn, sondern in 2. Spur abgestellt worden, keine Bestrafung erfolgen.
Dies deshalb nicht, weil aus der dem gegenständlichen Straferkenntnis zugrundeliegenden Anzeige hervorgeht, der Berufungswerber habe sein Fahrzeug zunächst neben den am rechten Fahrbahnrand abgestellten Kraftfahrzeugen in 2. Spur, danach später neben den am linken Fahrbahnrand abgestellten Kraftfahrzeugen abermals in 2. Spur "angehalten". Im Hinblick auf diese besonderen Tatumstände wäre es geboten gewesen, im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses die Tatumschreibung im Sinne des §44a Z1 VStG und der dazu ergangenen Rechtsprechung soweit zu konkretisieren, daß daraus ersichtlich ist, für welchen der beiden Abstellvorgänge der Beschuldigte bestraft werden soll, damit eine Doppelbestrafung rechtlich ausgeschlossen ist.
Eine derartige Konkretisierung ist jedoch im Spruch des
angefochtenen Straferkenntnisses nicht erfolgt.
Zu Spruchpunkt 4):
Gemäß §102 Abs1 erster Satz KFG darf der Kraftfahrzeuglenker ein Kraftfahrzeug erst in Betrieb nehmen, wenn er sich, soweit dies zumutbar ist, davon überzeugt hat, daß das von ihm zu lenkende Kraftfahrzeug und ein mit diesem zu ziehender Anhänger sowie deren Beladung den hiefür in Betracht kommenden Vorschriften entsprechen; die Überprüfung der Wirksamkeit der Vorrichtungen zum Abgeben von akustischen Warnzeichen darf jedoch nur erfolgen, sofern nicht ein Verbot gemäß §43 Abs2 lita StVO 1960 besteht. Nach §102 Abs2 zweiter Satz KFG hat der Lenker unter anderem dafür zu sorgen, daß die Kennzeichen des von ihm gelenkten Kraftfahrzeuges und eines mit diesem gezogenen Anhängers vollständig sichtbar sind und nicht durch Verschmutzung der Kennzeichentafel unlesbar sind.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des §44a lita (nunmehr Z1) VStG bei Anwendung des Abs1 erster Satz auch zu verstehen, inwiefern der KFZ-Lenker gegen die dort genannte Pflicht, sich zu überzeugen, verstoßen hat (VwGH 20.5.1981, 2907, 2908/80). Was der Verwaltungsgerichtshof somit für die Pflicht, sich zu überzeugen, gemäß §102 Abs1 erster Satz KFG verlangt, erscheint im Hinblick auf die gleichartige Regelungstechnik auch bei Anwendung des Abs2 zweiter Satz der genannten Gesetzesstelle erforderlich:
Bei Anwendung des §102 Abs2 zweiter Satz KFG muß aus der Tatumschreibung gemäß §44a Z1 VStG ersichtlich sein, inwiefern der KFZ-Lenker gegen die dort genannte Pflicht, für bestimmte Umstände zu sorgen, verstoßen hat.
Derartiges läßt jedoch die Tatumschreibung im vorliegenden Fall
nicht erkennen.
Zu den Spruchpunkten 1-4):
Da somit die Tatumschreibung in allen 4 Spruchpunkten des angefochtenen Straferkenntnisses im Hinblick auf §44a Z1 VStG zu wenig konkretisiert ist und einer Konkretisierung durch die Berufungsbehörde der mittlerweile eingetretene Ablauf der sechsmonatigen Verfolgungsverjährungsfrist, gerechnet ab der Tatzeit, entgegensteht, war spruchgemäß zu entscheiden.