TE UVS Wien 1994/12/07 02/11/109/94

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Veröffentlicht am 07.12.1994
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VfGH-Beschwerde anhängig Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Mag Leitner über die am 1.12.1994 beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eingelangte Beschwerde des Herrn Friedrich Wilhelm K, derzeit in Haft, vertreten durch RA, gegen den Bundeskanzler der Republik Österreich wegen behaupteter rechtswidriger Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Zusammenhalt mit seiner Anhaltung wie folgt entschieden:

Die auf §67a Abs1 Z2 AVG gestützte Beschwerde wird gemäß §67c Abs3 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

Text

Begründung:

I. Die auf Art129a Abs1 Z2 B-VG iZm §67a Abs1 Z2 AVG gestützte Beschwerde, datiert mit 25.11.1994, richtet sich "gegen die Tatsache der fortgesetzten rechts- und konventionswidrige Anhaltung und Entziehung der persönlichen Freiheit des Beschwerdeführers in der der belangten Behörde unterstehenden Justizanstalt M". Der Beschwerdeführer beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, der belangten Behörde die Vorlage der näher bezeichneten Administrativakten aufzutragen, "sodann die (weitere) Anhaltung des Beschwerdeführers in der Justizanstalt M für rechts- und konventionswidrig zu erklären und der belangten Behörde aufzutragen, den Beschwerdeführer sofort zu entlassen", schließlich dem Bund den Ersatz der verzeichneten Kosten aufzuerlegen.

In seiner Sachverhaltsdarstellung (Seite 3f, Punkte 3.1. bis 5.2. der Beschwerde) führt der Beschwerdeführer - zusammengefaßt - aus, er sei in einem gegen ihn beim Landesgericht K zur GZ10 Vr 949/82 anhängig gewesenen Strafverfahren wegen des Verbrechens des Mordes nach §75 StGB zu einer 20-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden (Urteil vom 18.12.1984).

Infolge der Berufungen seiner Angehörigen und des öffentlichen Anklägers habe der Oberste Gerichtshof diese erstgerichtliche Entscheidung dahingehend abgeändert, daß er den Beschwerdeführer, dem er zuvor die Teilnahme an der von ihm öffentlichen und mündlichen Berufungsverhandlung verweigert gehabt habe, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt habe (Urteil vom 2.7.1986, GZ9 Os 76/85-27).

Zufolge Entscheidung des Bundesministers für Justiz vom 5.3.1987, Zahl 418.392/46-V6/1986, werde diese Freiheitsstrafe seit dem 3.7.1986 in der Justizanstalt M vollzogen, wo der Beschwerdeführer auch gegenwärtig angehalten werde.

Der Beschwerdeführer habe seine Verurteilung mit einer Beschwerde gemäß Art25 MRK bekämpft. Nachdem die Europäische Kommission diese Beschwerde - soweit sie sich auf das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof bezogen habe - für zulässig erklärt habe, habe sie am 20.5.1992 den in Art31 MKR vorgesehenen Bericht angenommen. Danach sei unter anderem mit 11:3 Stimmen eine Verletzung von Art6 Abs1 MRK iVm Art6 Abs3 litc MRK festgestellt worden, weil dem Beschwerdeführer nicht gestattet worden sei, persönlich vor dem Obersten Gerichtshof anwesend zu sein und dort seine Rechte zu wahren. Dieser Ausschluß habe gegen das Gebot eines fair trial verstoßen.

Die belangte Republik Österreich habe sich mit dieser Entscheidung nicht zufrieden gegeben und gemäß Art48 MRK den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im folgenden: EGMR) angerufen. Dieser habe mit Urteil vom 21.9.1993, Zahl 29/1992/374/448, veröffentlicht in Serie A Bd 268 B die oben wiedergegebenen Schlußfolgerungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte einstimmig bestätigt und ausgeführt, daß der Oberste Gerichtshof durch den Ausschluß des Beschwerdeführers vom Gerichtstag am 2.7.1986 sowohl das sich aus Art6 Abs1 EMRK ergebende Recht auf "fair trial", als auch das sich aus Art6 Abs3 litc EMRK ergebende Recht, sich selbst in Person vor Gericht zu verteidigen, verletzt habe. Weiters sei die belangte Republik Österreich schuldig erkannt worden, dem Beschwerdeführer Verfahrenskosten in Höhe von S 230.000,-- zu bezahlen.

Die innerstaatliche Umsetzung dieses Urteiles des EGMR sei bis heute von der Republik Österreich und ihren Organen verweigert worden. Für das vorliegende Beschwerdeverfahren seien unter anderem die Ergebnisse folgender vorangegangener Verfahren von Bedeutung:

Der Beschwerdeführer habe bereits am 24.9.1993 beim Landesgericht K die Einleitung eines Verfahrens nach Art5 Abs4 EMRK, um zufolge der seines Erachtens nach eingetretenen Konventionswidrigkeit seiner Verurteilung die Entlassung aus der (rechts- und konventionswidrig) gewordenen Gefangenschaft zu erreichen, beantragt. Dieser Antrag sei mit Beschluß vom 1.12.1993, GZ10 Vr 949/82-1266, mangels gesetzlicher Grundlage zurückgewiesen worden. Beschwerde und Grundrechtsbeschwerde seien als unzulässig zurückgewiesen worden (OGH 15.2.1994, GZ14 Os 193/93, 8/94-13). Mit Intimationsurkunde des öffentlichen Notars, hätte das erwähnte Urteil des EGMR dem Bundesminister für Justiz als zuständigem Organ der Republik Österreich mit der Aufforderung zur Kenntnis gebracht werden sollen, die zufolge dieses Urteils eingetretene rechts- und konventionswidrig gewordene Gefangenschaft zu beenden. Der Bundesminister für Justiz habe durch seinen Sekretär dem einschreitenden Notar mitteilen lassen, daß er die Annahme der Erklärung verweigere.

Im Hinblick auf diese Haltung habe der Beschwerdeführer gegen die Republik Österreich eine Amtshaftungsklage eingebracht. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien habe hierauf mit Teilurteil vom 28.4.1994, GZ31 Cg 41/93, festgestellt, daß der aufgrund des oberstgerichtlichen Urteils vom 2.7.1986 eingeleitete Strafvollzug rechts- und konventionswidrig sei.

Dieses Urteil sei der belangten Behörde nachweislich am 15.6.1994 zur Kenntnis gebracht worden. Sie habe bis zum heutigen Tag nichts unternommen, um die Beendigung des rechts- und konventionswidrigen Zustandes zu bewirken.

II. Unter Zugrundelegung dieses Sachverhaltsvorbringens ergibt sich rechtlich folgendes:

Gemäß §67a Abs1 Z2 iVm §67c AVG entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Wie auch der Beschwerdeführer einräumt, liegt die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nur dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und dieser Akt gegen individuell bestimmte Adressaten gerichtet ist. Demgegenüber können Akte von Verwaltungsbehörden, die in Durchführung richterlicher Befehle gesetzt werden, entsprechend der herrschenden Lehre und Rechtsprechung nicht dem Bereich der Hoheitsverwaltung zugeordnet werden. Vielmehr sind der richterliche Befehl und dessen tatsächliche Ausführung, auch wenn diese durch Verwaltungsorgane vorgenommen wird, als Einheit zu sehen. Demgemäß sind die aufgrund eines richterlichen Befehls von Verwaltungsorganen vorgenommenen Akte zur Durchführung dieses Befehls - solange die Verwaltungsorgane den ihnen durch den richterlichen Befehl gestellten Ermächtigungsrahmen nicht überschreiten - funktionell der Gerichtsbarkeit zuzurechnen. Nur im Fall einer offenkundigen Überschreitung des richterlichen Befehls liegt insoweit ein der Verwaltung zuzurechnendes Organhandeln vor (vgl die ständige Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, insbesondere auch das vom Beschwerdeführer zitierte unlängst ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.9.1993, 92/01/0940, mit zahlreichen Hinweisen).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist im Beschwerdefall daher zunächst zu prüfen, ob das Urteil des Obersten Gerichtshofes, das die Rechtsgrundlage für die Anhaltung des Beschwerdeführers bildet bzw ursprünglich gebildet hat, auch nach der Entscheidung des EGMR noch weiterhin den Titel für die Freiheitsentziehung und damit für die derzeitige Anhaltung des Beschwerdeführers zu bilden vermag, oder ob - wovon offenkundig der Beschwerdeführer ausgeht (siehe insbesondere Seite 20, Punkt 13.10.) - dieses Urteil des Obersten Gerichtshofes außer Kraft getreten ist und daher in der Folge die derzeitige Anhaltung des Beschwerdeführers nicht mehr dem Gericht, sondern einer Verwaltungsbehörde zuzurechnen ist, bejahendenfalls, ob diese Verwaltungsbehörde rechtswidrigerweise verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausübt.

Die hier relevanten Bestimmungen der EMRK normieren folgendes:

Art50 lautet: Erklärt die Entscheidung des Gerichtshofes, daß eine Entscheidung oder Maßnahme einer gerichtlichen oder sonstigen Behörde eines der Hohen Vertragsschließenden Teile ganz oder teilweise mit den Verpflichtungen aus dieser Konvention in Widerspruch steht und gestatten die innerstaatlichen Gesetze des erwähnten Hohen Vertragsschließenden Teils nur eine unvollkommende Wiedergutmachtung für die Folgen dieser Entscheidung oder Maßnahme, so hat die Entscheidung des Gerichtshofes der verletzten Partei gegebenenfalls eine gerechte Entschädigung zuzubilligen.

Art53 lautet: Die Hohen Vertragsschließenden Teile übernehmen die Verpflichtung, in allen Fällen, an denen sie beteiligt sind, sich der Entscheidung des Gerichtshofs zu richten.

Art54 lautet: Das Urteil des Gerichtshofes ist dem Ministerkomitee zuzuleiten; dieses überwacht seine Durchführung.

Zur Frage der Rechtswirkungen eines Urteiles des EGMR auf das innerstaatliche Recht führt Brigitte Gutknecht in "Ratifikation und Prozeß der Akzeptanz der EMRK in Österreich", ZfV 1987, 267, unter Hinweis auf die Lehre aus, daß das Urteil des EGMR die Feststellung einer Konventionsverletzung im Einzelfall zum Gegenstand habe, jedoch keinerlei Kassationswirkung entfalte. Das Urteil binde nur den Staat und habe insoweit keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung. Sehe man vom Fall der Festsetzung einer Geldentschädigung gemäß Art50 MRK ab, so bleibe es dem Staat überlassen, wie er das Urteil konkret verwirkliche und seine relativ unbestimmt fixierten Verhaltenspflichten erfülle. Dabei werde er vom Ministerkomitee überwacht.

Dem Verletzten gegenüber treffe ihn eine Pflicht zur Wiedergutmachung - primär zur restitutio in integrum, was aber häufig auf Schwierigkeiten stoße. In aller Regel hätten die Mitgliedstaaten nämlich für eine solche Wiedergutmachung keine besondere gesetzliche Vorsorge getroffen - der Beseitigung konventionswidriger Akte stehe insbesondere die Rechtskraft des beanstandeten Urteils oder Bescheides entgegen. Hier erfolge ein Ausgleich über die Entschädigung gemäß Art50 EMRK.

Der Beschwerdeführer gibt zu dieser Frage die Ansicht Fuhrmanns, Forum, 1992, Nr 468 wieder, und zwar folgende Passage:

"Es steht außer Zweifel, daß Österreich sich völkerrechtswidrig verhält, wenn es der Judikatur des EGMR nicht folgt. Meines Erachtens bewirkt Art53 EMRK weiters, daß alle innerstaatlichen Instanzen, die aufgrund der geltenden innerstaatlichen Rechtslage dazu imstande sind, den vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als menschenrechtswidrig qualifizierten Akt aus der Rechtsprechung zu entfernen haben, und zwar unter Bindung an die Rechtsanschauung des EGMR."

Unter Zugrundelegung dieser vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien für zutreffend erachteten Ausführungen gelangt man im Beschwerdefall aber zu dem Ergebnis, daß das zitierte Urteil des Obersten Gerichtshofes, auch wenn der EGMR eine Rechtsverletzung in vorangegangenen Gerichtsverfahren festgestellt hat - weiterhin dem Rechtsbestand angehört und daher auch für die derzeitige Anhaltung des Beschwerdeführers die Rechtsgrundlage bildet. Das Urteil des EGMR beseitigt nicht die innerstaatliche Wirksamkeit des Urteiles, mit dem der Beschwerdeführer zu der Freiheitsstrafe verurteilt wurde, sodaß der bekämpfte Freiheitsentzug dem Gericht zuzurechnen ist.

Ob, und wenn ja, inwieweit die Gerichte nunmehr verpflichtet sind, den der Rechtsanschauung des EGMR entsprechenden Rechtszustand herzustellen bzw der Gesetzgeber entsprechende Instrumentarien zur Umsetzung solcher Urteile des EGMR im Sinne des Art53 EMRK (etwa die Normierung eines eigenen Wiederaufnahmsgrundes) im innerstaatlichen Recht einrichten müßte, ist im gegenständlichen Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen.

Angesichts des vorhin Gesagten sind die die Haft ausführenden Verwaltungsorgane auf Anordnung des Gerichtes und innerhalb des ihnen von diesem gesetzten Rahmens tätig, sodaß es sich bei der bekämpften Anhaltung nicht um einen Akt unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt handelt. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien ist daher zur Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Anhaltung nicht zuständig.

An diesem Ergebnis vermag auch das in Art13 EMRK normierte Erfordernis einer wirksamen Beschwerde nichts zu ändern. Diese im Verfassungsrang stehende Vorschrift kann nämlich nicht dazu führen, daß ohne nähere gesetzliche Ausgestaltung entgegen dem Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung eine Verwaltungsbehörde - wie es der unabhängige Verwaltungssenat gemäß Art129a B-VG ist - über die Rechtmäßigkeit gerichtlicher Akten befindet. Die Beschwerde war daher ohne die beantragte Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung (§67d Abs1 AVG) und ohne die beantragte Einholung der Akten zurückzuweisen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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