Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Mag Leitner über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens des Herrn Marko R (auch Jordan D), vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, (Zl 01/23/0055/92) vom 21.7.1992, womit seine Beschwerde gegen die mit Bescheid der belangten Behörde zur Aktenzahl Pst 380-P/92 verfügte und vollzogene Anhaltung in Schubhaft als unbegründet abgewiesen worden war, entschieden:
Gemäß §69 Abs1 und Abs4 sowie §70 Abs3 AVG wird der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unbegründet abgewiesen.
Begründung:
Der mit 5.10.1993 datierte und eingebrachte Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens richtet sich - zufolge der Ausführungen des Rechtsvertreters - gegen den Bescheid, UVS-02/11/00042/92, vom 21.7.1992, mit welchem eine Beschwerde gegen die Inschubhaftnahme und Anhaltung in Schubhaft als unbegründet abgewiesen worden wäre. Die Schubhaft habe sich auf ein auf das gesamte Bundesgebiet erstrecktes Aufenthaltsverbot gegen Herrn Jordan D gegründet, welches rechtskräftig und vollstreckbar war. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien sei demnach davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer mit der Person des Jordan D ident sei.
Folglich sei der Unabhängige Verwaltungssenat Wien davon ausgegangen, daß die wider ihn erhobenen Vorwürfe der Urkundenfälschung hinsichtlich des auf Marko R lautenden Reisepasses zuträfen. Mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 23.12.1992 im Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien, zur Zahl 24a Vr 4544/92, war ein Gerichtsverfahren gegen den Antragsteller betreffend den auch der hsg Entscheidung zugrundegelegten Reisepaß gemäß §90 Abs1 StPO eingestellt worden. Dieser Beschluß war im Umweg über einen weiteren Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 10.9.1993 am 22.9.1993 dem ausgewiesenen Vertreter zugegangen. Die 14tägige Einbringungsfrist gemäß §69 Abs2 AVG sei gewahrt und wird in diesem Zusammenhang vorgebracht, daß der Antragsteller, Marko R, zu Recht den Reisepaß lautend auf seine Person innehatte. Er sei somit mit der Person des Jordan D nicht ident und sei seine Abschiebung aufgrund des gegen Jordan D verhängten Aufenthaltsverbotes zu Unrecht erfolgt. Mit obzitiertem Beschluß d LG Wien sei sohin ein neues Beweismittel hervorgekommen, welches im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien ohne sein Verschulden nicht geltend gemacht werden hatte können und weiters sei durch den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eine entscheidene Vorfrage dergestalt anders entschieden worden, daß dem Bescheid vom 21.7.1992 jede Grundlage entzogen wird.
2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien forderte zunächst von der Bundespolizeidirektion Wien den bezughabenden fremdenpolizeilichen Akt an, als auch vom Landesgericht den im Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zitierten Akt.
Es war aber sowohl von der Bundespolizeidirektion Wien als auch vom Landesgericht Wien - wiederholt - mitgeteilt worden, daß der Akt derzeit nicht zur Verfügung gestellt werden könne. Dieser Umstand war dem Vertreter des Beschwerdeführers auch am 1.9.1994 Rsa zur Kenntnis gebracht worden, der ungeachtet dessen beim Verwaltungsgerichtshof Säumnis relevierte.
Am 9.11.1994 war der Gerichtsakt eingelangt, seitens der Bundespolizeidirektion Wien war anläßlich einer Parallelentscheidung eine Aktenkopie übermittelt worden, welche für das ha Verfahren herangezogen werden konnte.
2.1. Zunächst ist zum Antrag des ausgewiesenen Rechtsvertreters auszuführen, daß der Bescheid, für dessen abgeschlossenes Verfahren die Wiederaufnahme beantragt wird, sowohl hinsichtlich der Aktenzahl als auch des Datums der Erlassung unrichtig bezeichnet wurde.
Zur Geschäftszahl UVS-02/11/00042/92 ist beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eine Anfechtung des Bescheides UVS-02/11/00017/92 vom 7.5.1992 beim Verwaltungsgerichtshof anhängig; mit letzterem Bescheid war der Antrag, die Vollstreckung des Aufenthaltsverbotes durch Verschaffung des Beschwerdeführers Marko R (auch Jordan D) vom Polizeigefangenenhaus Wien bis zum Grenzübergang Spielfeld für rechtswidrig zu erklären, als unbegründet ab- bzw unzulässig zurückgewiesen worden. Im Parallelverfahren UVS-01/23/00055/92, vom 21.7.1992, war über die dem gegenständlichen Antrag offensichtlich zugrundeliegende Schubhaftsbeschwerde abgesprochen worden. Aufgrund des Gesamtzusammenhanges der Ausführungen zum Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und auch des vom Parteienvertreter ausdrücklich genannten Bescheiddatums 21.7.1992 sowie die darin tatsächlich abgehandelte "verfügte und vollzogene Anhaltung in Schubhaft, zur Bezugszahl der Bundespolizeidirektion Wien, zur Zahl Pst 380-P/92, vom 24.1.1992" (wörtlich aus dem vorliegenden Antrag) ist jedenfalls der nunmehrigen Entscheidung der Bescheid aus dem Parallelverfahren (Schubhaftbeschwerde) zur Aktenzahl UVS-01/23/00055/92, vom 21.7.1992, - und nicht der im Antrag genannte Bescheid - zugrunde zu legen.
3. Rechtliche Erwägungen:
§69 Abs1 AVG lautet:
"Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
b) neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnisse des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalte des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
c) der Bescheid gemäß §38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde."
§69 Abs2 AVG lautet:
"Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrunde Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat."
3.1. Zu dem Beschluß des Untersuchungsrichters vom 23.12.1992 zum Verfahren 24a Vr 4544/92 des Landesgerichts für Strafsachen Wien ist auszuführen, daß über Ersuchen des Landesgerichtes für Strafsachen am 4.12.1992 die Bundespolizeidirektion Wien, Büro für Erkennungsdienst, Kriminaltechnik und Fahndung, zur Aktenzahl II-3562/EKF/92 eine Untersuchung der beim Antragsteller vorgefundenen Dokumente veranlaßt hatte.
Gegenstand der Untersuchung waren 1) der Befreiungsschein der Republik Österreich, lautend auf R Marko, 2) der jugoslawische Reisepaß, lautend auf R Marko, 3) ein Meldezettel für die Anschrift: Wien, S-gasse lautend auf G Marko; und 4) ein jugoslawischer Reisepaß, lautend auf G Marko. Um Überprüfung im Hinblick auf Fälschungen wird ersucht.
Bei der Untersuchung (Lichtmikroskope; UV-, IR-Prüfung) konnten in Verbindung mit zur Verfügung stehendem Vergleichsmaterial keine Kriterien befundet werden, die den Nachweis einer Totalfälschung begründen könnten.
Die weitere Untersuchung bezog sich auf durchgeführte Abänderungen oder sonstige Manipulationen in bezug auf die Ausfertigung.
Zu 1: Der Befreiungsschein wurde vom Arbeitsamt für Handel Transport und Verkehr am 20.12.1991 ausgestellt und hat Gültigkeit vom 27.12.1991 bis 26.12.1996.
Zu 2: Der Reisepaß wurde am 9.1.1992 von der jugoslawischen Botschaft in Wien (BEC) ausgestellt und ist gültig bis 9.1.1997.
Zu 3: Der Meldezettel wurde am 28.11.1991 vom BezPolKoat mit einem Meldevermerk versehen. Die letzte Wohnanschrift war Wien L-gasse, von welcher G am 25.11.1991 amtlich nach Jugoslawien abgemeldet worden ist.
Zu 4: Der Reisepaß wurde am 16.5.1990 von der Behörde in Valjevo, befristet bis 16.5.1995, ausgestellt. Das Reisedokument wurde durch Lochung entwertet und ist nach Namensänderung durch Heirat als ungültig zu beurteilen.
Die Überprüfung der Ausfüllschriften erbrachte keine Merkmale einer erfolgten Abänderung. Ebenso konnten an den in den Reisepässen befindlichen Lichtbildern bzw an den Ösen und an den Stempelabdrucken keine Spuren, die einen erfolgten Lichtbildaustausch nachweisen könnten, festgestellt werden. Ergänzend wird zu Punkt 2) bemerkt, daß eine fehlende Unterschrift keinen derartigen Nachweis begründet.
Desweiteren wurde beim Standesamt der Magistratsabteilung 61 am 26.11.1992 über Ersuchen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mitgeteilt, daß der "Bräutigam Marko G" am 2.1.1991 die Ehe unter Vorlage von Dokumenten schloß und als gemeinsamer Familienname der Geschlechtsname der Frau R bestimmt worden war.
Am 23.12.1994 war daraufhin gegen "Jordan D alias Marko R" gemäß §90 StPO das Verfahren wegen Verdacht nach §223, 228 und 83 StGB eingestellt worden (im Gerichtsakt finden sich zum gleichen Datum der Auftrag zur Ausfolgung eines Beweisgegenstandes; der entsprechende Einstellungsbeschluß lag nicht ein).
Zufolge Fristsetzungsantrages des Beschwerdeführers vom 28.6.1993 wurde eine Beschwerde mit 29.7.1993 dem Oberlandesgericht Wien vorgelegt, über welche mit - vom Antragsteller teilweise beigegebenem - Beschluß zur Aktenzahl 22 Fs 1/93, vom 10.9.1993, abgesprochen worden war.
Daraus wörtlich: Das Verfahren gegen Marko R wurde mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 23.12.1992 (Aktenseite 3e verso) gemäß §90 Abs1 StPO eingestellt. Gleichzeitig wurde verfügt, die sichergestellten Urkunden an Marko R auszufolgen... Ob Marko R oder sein Verteidiger von der Einstellung des Verfahrens verständigt wurde, kann vom Gericht nicht überprüft werden, weil gemäß §90 Abs2 StPO die Verständigungspflicht nach Zurücklegung einer Anzeige den Staatsanwalt trifft.
4. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat hiezu erwogen:
Insoweit der Antragsteller vorbringt, eine Kopie des beiliegenden Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien vom 10.9.1993 erst am 22.9.1993 erhalten zu haben, konnte die erkennende Behörde diesen Vorbringen Glauben schenken und war von der Rechtzeitigkeit der Antragstellung auszugehen; in den Einstellungsbeschluß konnte nicht Einsicht genommen werden; Zustellungsnachweise fehlen. Beim Wiederaufnahmegrund des §69 Abs1 litb AVG muß es sich um Tatsachen oder Beweismittel handeln, die dem Antragsteller im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides nicht bekannt waren und auch der entscheidenden Behörde nicht zugänglich waren (vgl etwa VwSlg 8348/A oder VwGH vom 28.3.1990, zur Zahl 89/03/0283-1). Es entspricht aber weiters der Spruchpraxis des Höchstgerichtes, daß "neu hervorgekommene Tatsachen" im Sinne des §69 Abs1 litb AVG nur solche seien können, die bereits zur Zeit des Verfahrens bestanden haben, jedoch später erst bekannt wurden. Erst nach Abschluß des Verfahrens entstandene Tatsachen sind keinesfalls "neu hervorgekommene Beweise" (VwGH vom 13.11.1990 zur Zahl 89/08/0041 unter Hinweis auf 83/08/0252 vom 13.12.1984).
Insoweit also der Antragstellter unter Verweis auf den Beschluß des Untersuchungsrichters vom 23.12.1992 für seine ha eingebrachte Beschwerde vom 22.2.1992 den Erneuerungstatbestand releviert, wäre der Antrag als unzulässig zurückzuweisen gewesen, soweit jedoch der Antragsteller §69 Abs1 litc AVG geltend macht, ist er im Recht.
Unter einer Vorfrage im Sinne der §38 und 69 Abs1 litc AVG ist eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage - als Gegenstand eines rechtsfeststellenden oder rechtsgestaltenden Abspruches - von einer anderen Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist (etwa VwSlg 10383A mwN).
Nach §69 Abs1 litc AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines Verfahrens dann, wenn der Bescheid von einer Vorfrage abhängig war und nachträglich über diese Vorfrage in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde, stattzugeben. Wenngleich es ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (etwa 90/02/0027, 0028, 0029, vom 20.6.1960) ist, daß Verwaltungsbehörden Vorfragen unterschiedlich beurteilen, ist aber für die Beurteilung des Vorfragentatbestandes jedenfalls maßgeblich, ob die für die Vorfrage relevanten Punkte von einer anderen Behörde inhaltlich insoweit anders entschieden worden sind, sodaß dies einen Wiederaufnahmeantrag zu begründen vermag. Nur dann, wenn die abweichende Lösung dieser Vorfrage zu einer anderen Entscheidung in der Hauptfrage führen kann, ist dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattzugeben (VwSlg 3537A). Der dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zugrundeliegende Beschluß des Landesgerichtes Wien zur Zahl 24a Vr 4544/92 vom 23.12.1992 wurde vom Untersuchungsrichter getroffen und war gemäß §90 Abs1 StPO das Verfahren gegen den auch da unter beiden Namen geführten Jordan D (alias Marko R) eingestellt worden. Eine "Entscheidung" des Landesgerichtes für Strafsachen in der Sache ist - abgesehen vom Stadium der Vorerhebungen - nicht ergangen; wiewohl die erkennende Behörde auch nicht die Auffassung teilen hätte können, das Strafverfahren wegen Verdacht nach §83, 223 und 228 StGB, habe mit dem verfahrensgegenständlichen fremdenpolizeilichen Verfahren eine so enge Verflechtung, als dies als Vorfrage in wesentlichen Punkten die ha getroffene Entscheidung vom 21.7.1992 nachträglich beeinflussen hätte können. Eine Vorfrage im Sinne des §38 und §69 Abs1 litc AVG liegt nur dann vor, wenn der Tatbestand ein Element enthält, daß für sich allein Gegenstand der bindenden Entscheidung einer anderen Behörde ist. Zufolge des Einstellungsbeschlusses gemäß §90 Abs2 StPO war die für das Wiederaufnahmsverfahren zu beurteilende Vorfrage vom Landesgericht für Wien nicht abweichend gelöst worden; derartiges liegt allein schon deshalb nicht vor, weil das Landesgericht für Strafsachen Wien über den die Vorfrage bildenden Gegenstand der Namensgleichheit bzw Personenidentität vom Jordan D und Marko R endgültig nicht abgesprochen hat.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien vermag sich der Argumentation des Antragstellers nicht anzuschließen, als "durch den zitierten Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien eine für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien entscheidende Vorfrage dergestalt anders entschieden worden war, daß dem Bescheid vom 21.7.1992 jede Grundlage entzogen würde". Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 5.10.1993 war demnach als unbegründet abzuweisen.
§64 Abs4 VStG gelangt hier nicht zur Anwendung.