Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Hollinger über die Berufung des Herrn Günther L, vertreten durch Rechtsanwalt, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Hietzing, vom 13.9.1994, Zl Pst 2575/93, wegen Übertretung der §§ 1) 19 Abs7 iVm §19 Abs4 StVO,
2) 100 KFG, 3) 21 Abs1 StVO und 4) 38 Abs5 StVO entschieden:
Gemäß §66 Abs4 AVG wird der Berufung zu den Punkten, 1) und 4) keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis mit der Abänderung bestätigt, daß der Tatort zu 1) wie folgt zu lauten hat: "Kreuzung M-Gasse/J-Gasse".
Der Berufungswerber hat daher gemäß §64 Abs1 und 2 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in der Höhe von S 200,-- zu 1) und von S 300,-- zu 4), somit zusammen S 500,-- das sind 20 % der verhängten Geldstrafen, zu bezahlen.
Gemäß §66 Abs4 AVG wird der Berufung zu Punkt 2) und 3) Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis diesbezüglich behoben und das Verfahren gemäß §45 Abs1 Z1 VStG eingestellt. Gemäß §65 VStG hat der Berufungswerber zu Punkt 2) und 3) keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Begründung:
Das angefochtene Straferkenntnis enthält folgenden Spruch:
"Sie haben als Lenker des Kfz mit dem Kennz W 28 am 15.9.1993 um 07.55 Uhr in Wien, M-G
1. als Wartepflichtiger durch Einbiegen das vor der Kreuzung aufgestellte Vorschriftszeichen "Halt" nicht beachtet, wodurch ein vorrangberechtigter Lenker zum unvermittelten Bremsen bzw Ablenken seines Fahrzeuges genötigt wurde,
2. zwischen J-B und E-str mehrmals über längere Zeit optische Warnzeichen abgegeben,
2. in Höhe E-str nach einem Überholvorgang das Kfz ohne zwingenden Grund abrupt abgebremst, wodurch andere Straßenbenützer gefährdet bzw behindert wurden, wobei dieses Fahrverhalten nicht aus Gründen der Verkehrssicherheit erforderlich war,
4. das Rotlicht der VLSA der Kreuzung E-str R-G nicht beachtet, sondern ohne anzuhalten die Kreuzung in gerader Richtung übersetzt.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
1. §19/7 iVm §19/4 StVO, 2. §100 KFG, 3. §21/1 StVO, 4. §39/5 StVO Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie folgende
Strafen verhängt:
Geldstrafen von Schilling 1. 1.000,--, 2. 500,--, 3. 1.000,--, 4. 1.500,--, falls diese uneinbringlich sind, Ersatzfreiheitsstrafen von 1. 60 Stunden, 2. 30 Stunden, 3. 60 Stunden, 4. 90 Stunden gemäß 1. - 3. §99/3a StVO, 2. §134 KFG. ..."
Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die fristgerechte Berufung des Beschuldigten, in welcher dieser im wesentlichen ausführt, daß er regelmäßig seinen Weg nicht durch die M-Gasse sondern über den M-platz und anschließend die E-straße bis zum A-Platz nehme. Die M-Gasse zu befahren würde für ihn einen erheblichen Umweg bedeuten, sodaß er schon aus diesem Grunde - obgleich er an den 15.9.1993 keine konkreten Erinnerungen mehr habe - davon ausgehen müsse, daß er - unabhängig von anderen Überlegungen - die angelasteten Delikte nicht verwirklicht haben könnte. Der Aufforderin müsse offenbar ein Irrtum beim Ablesen des Kennzeichens unterlaufen sein. Im übrigen seien im gegenständlichen Fall die Feststellungen der erstinstanzlichen Behörde zur umfassenden rechtlichen Beurteilung nicht ausreichend. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien führte am 21.12.1994 eine öffentliche mündlich Verhandlung durch. In dieser Verhandlung, an welcher der Berufungswerber zusammen mit seinem rechtsfreundlichen Vertreter teilnahm, wurde der Berufungswerber selbst einvernommen sowie die Zeuginnen Veronika V und Christa V. Der Berufungswerber gab zunächst an:
"Ich bringe jeden Tag mein Kind von O wo wir wohnen nach M zu den Ursulinen in die Schule. Von dort fahre ich dann zum M-platz und in das Geschäft meiner Frau, welches sich in der B-Straße befindet. Auf diesem Weg komme ich nie durch die M-Gasse. Konkret zum 15.9.1993 befragt kann ich nur angeben, daß ich nie durch die M-Gasse auf dem oben beschriebenen Weg fahre, dies wäre ein Umweg. Es könnte allerdings sein, daß damals schon eine Umleitung gewesen ist, und mußte man im Zuge der Umleitung die M-Gasse befahren. Angeben kann ich noch, daß kurz vor dem 15.9.1993, am 22.8.1993 ich einen schweren Verkehrsunfall miterlebt habe und bin ich daher besonders vorsichtig gefahren.
Im Zuge der Umleitung war die Stopptafel bei der Kreuzung M-Gasse umgedreht, insofern als dann die Fahrzeuglenker in der M-Gasse die Stopptafel nicht mehr hatten. Unser Geschäft sperrt um 1/2 9 Uhr auf. Vom M-platz bis zum Geschäft ist Fahrzeit höchstens 10 Minuten."
Frau Veronika V gab zeugenschaftlich einvernommen folgendes an:
"Ich kann mich noch gut an den gegenständlichen Vorfall erinnern. Ich fuhr damals als Lenkerin von der J-Gasse kommend in Richtung A. Bei der Kreuzung mit der M-Gasse wollte ich nach rechts in diese einbiegen, dies ging jedoch insofern nicht ohne Probleme, als der später angezeigte Lenker in der M-Gasse von links gekommen ist und ohne anzuhalten in die Kreuzung eingefahren ist. Er hat die sich für seine Fahrtrichtung befindliche Stopptafel nicht beachtet. Nur dadurch, daß wir beide abgebremst haben, konne eine Kollision verhindert werden. Ich konnte dann nach rechts einbiegen und fuhr dann der Angezeigte hinter mir. Es ist dort eine 30 km/h-Zone. Der Angezeigte hat mehrmals die Lichthupe betätigt. Er hat sich zurückfallen lassen, hat dann wieder aufgeschlossen und hat die Lichthupe betätigt. Das Betätigen der Lichthupe war weder zu seiner noch zu meiner Sicherheit erforderlich. Wir fuhren dann in der E-straße Richtung R-Gasse weiter. In der E-straße hat der Lenker mich dann überholt und hat sich so knapp vor mir eingereiht und hat dann eine Vollbremsung durchgeführt. Daher mußte ich abermals mein Fahrzeug abbremsen, um eine Kollision zu vermeiden. Die Straße vor dem Angezeigten war frei, es war dort kein Hindernis und hat daher für den Lenker keine Veranlassung bestanden, nach dem Überholen und dem Einreihen abzubremsen. Ich konnte dann noch beobachten, daß der Angezeigte bei der Kreuzung E-straße/R-Gasse das Rotlicht der Verkehrsampel mißachtete und hat trotz Rotlicht die Kreuzung übersetzt. Meine Tochter hat sich das Kennzeichen in der E-straße notiert. Ich habe das Kennzeichen abgelesen und sie hat es notiert.
Ich fuhr damals in der J-Gasse mit knapp 30 km/h und hatte einen Seitenabstand von ca 20 - 30 cm zum rechten Fahrbahnrand. Ich war 5 m vom Kreuzungsmittelpunkt J-Gasse/M-Gasse entfernt, wie ich das angezeigte Fahrzeug das erste Mal gesehen habe. Es war zu diesem Zeitpunkt auf der Höhe der Hauskante. Ich habe nach rechts geblinkt. Ich habe sofort abgebremst, bin durch das Bremsen ein Stück nach vorne gekommen, konnte aber nachdem ich abgebremst habe, wie ich vor hatte, nach rechts abbiegen. Der andere Fahrzeuglenker kam nachdem er abgebremst hat, knapp an meiner linken Seite zum Stehen. Wo genau das andere Fahrzeug an meiner linken Seite gestanden ist, kann ich jetzt nicht mehr exakt angeben, nehme aber an, eher vorne bei der Fahrertür. Ich habe vorgehabt, mit etwa 20 km/h abzubiegen.
Die M-Gasse ist eine Einbahn und bleibt für den aktiven Verkehr eine Fahrspur frei. Ich bin damals mit Licht gefahren, ob der Angezeigte auch das Licht eingeschalten gehabt hat, kann ich jetzt nicht sagen. Der Lenker hat sich bis auf 1, bis 1/2 m an mich herangenähert, hat sich aber auch wieder zurückfallen lassen und war dann bis zu 1 1/2 Autolängen von mir entfernt. Ich konnte das Betätigen der Lichthupe im Innen- und Außenspiegel bemerken, in welcher Phase (herangenähert oder zurückgefallen) ich das gesehen habe, kann ich jetzt nicht sagen. Ich hatte zu den links geparkten Fahrzeugen einen Seitenabstand von einem halben Meter. Ich traue mir durchaus zu zu unterscheiden, ob ein Fahrzeuglenker eine Lichthupe betätigt, oder ob ich im Rückspiegel ein Fahrzeug mit eingeschaltetem Licht sehe, welches aufgrund der Straßenverhältnisse und der bewegten Geschwindigkeit und des variierenden Abstandes nicht immer im Rückspiegel zu sehen ist und ein Licht daher von den Scheinwerfern mal zu sehen und mal nicht. Das Kennzeichen haben wir abgelesen, als der Lenker nach dem Überholen in der E-straße sich vor mir eingeordnet und abgebremst hat. Das Kennzeichen war längere Zeit gut zum Ablesen. Wie weit exakt das Fahrzeug vor meinem war, kann ich jetzt nicht angeben. Ich kann einen Irrtum beim Ablesen des Kennzeichens ausschließen. Ich habe das Kennzeichen abgelesen und habe die Nummer gesagt und auch meine Tochter hat das Kennzeichen abgelesen und ebenfalls die Nummer gesagt, dies hat übereingestimmt und hat sich meine Tochter das Kennzeichen notiert. Zur Marke des Fahrzeuges kann ich nicht sagen, welche Marke das Fahrzeug gewesen ist. Auf Vorhalt, daß auf der Heckscheibe des Fahrzeuges mit dem angezeigten Kennzeichen groß die Aufschrift "Toyota" angebracht ist, kann ich nur sagen, daß mir jetzt nicht mehr erinnerlich ist, ob mir damals diese Aufschrift aufgefallen ist.
Das angezeigte Fahrzeug war von meinem Fahrzeug 5 bis 6 Fahrzeuglängen entfernt, als ich sah, daß es bei Rot in die Kreuzung eingefahren ist. Andere Fahrzeuge waren nicht zwischen uns. Nach dem Abbremsen in der E-straße hat der angezeigte Lenker sich mit seinem Fahrzeug von mir entfernt, dh wir fuhren nicht hintereinander in gleichbleibendem Abstand, sondern entfernte sich der Abstand zwischen uns. Ich beschleunigte auf knapp 50 km/h in der E-straße, bremste aber wieder ab und verringerte die Geschwindigkeit als ich sah, daß die Ampel auf Rot zeigen wird. Als ich sah, daß es grün blinkte, bin ich vom Gas weggegangen. Ich bin mir sicher, daß der angezeigte Lenker bei Rot in die Kreuzung eingefahren ist."
Frau Christa V gab zeugenschaftlich einvernommen folgendes an:
"Ich fuhr damals mit meiner Mutter am Beifahrersitz mit. Meine Mutter fuhr zunächst entsprechend der 30 km/h-Zone mit 30 km/h in der J-Gasse und wollte nach rechts in die M-Gasse abbiegen. Für mich plötzlich kam von links der dann später angezeigte Lenker und fuhr ohne stehenzubleiben bis in den Kreuzungsmittelpunkt vor. Meine Mutter mußte abbremsen und der andere hat auch abgebremst, beide Fahrzeuge sind dann in der Kreuzung gestanden. Meine Mutter bog dann nach rechts ab. Der andere Lenker fuhr hinter uns. Er fuhr sehr knapp hinter uns und hat immer wieder uns mit Lichthupe und Fernlicht angeblinkt. Wie exakt der Lenker hinter uns gefahren ist, kann ich nicht angeben. Ich habe mich aber umgedreht und habe gerade den Beginn der Motorhaube und zwar den oberen Rand der Scheinwerfer sehen können. Wir fuhren dann in der E-straße weiter und hat meine Mutter dann beschleunigt, da die 30 km/h Zone zu Ende ist. Der andere Lenker hat uns überholt, hat sich knapp vor uns eingereiht und hat dann aus mir unersichtlichen Gründen abgebremst. Meine Mutter mußte auch abbremsen, und zwar sehr heftig. Dann konnte ich noch sehen, wie der Lenker stark beschleunigt hat und bei rot in die Kreuzung E-straße/R-Gasse eingefahren ist. Ich habe mir das Kennzeichen gemerkt und entweder bei der Schnellbahnstation (A/M) oder auf dem Weg dorthin notiert, jedenfalls bevor ich ausgestiegen bin.
Mir ist das angezeigte Auto das erste Mal aufgefallen, wie es von links in der M-Gasse gekommen ist und zwar habe ich es das erste Mal gesehen, wie es in Höhe der straßenseitigen Kante der dort geparkten Autos war. Die J-Gasse ist im Kreuzungsbereich so breit, daß zwei Fahrzeuge knapp aneinander vorbeikommen. Wie das angezeigte Fahrzeug nach dem Abbremsen gestanden ist, ist es so gestanden, daß ich den Kofferraum nicht mehr sehen konnte, der hintere Teil war bis zum Kofferraum noch zu sehen. Einen Geschwindigkeitseindruck vom anderen Fahrzeug habe ich nicht gehabt. Ich habe nicht festgestellt, daß meine Mutter beim Abbremsen ein Stück nach vorne gerutscht wäre, sie konnte nach rechts abbiegen, mußte aber ein Stück ausweichen.
Der Anlaß mir das Kennzeichen zu merken und in der Folge dann zu notieren war für mich die abrupte Bremsung in der E-straße vor dem Aquädukt."
Der Beschuldigtenvertreter führte abschließend aus:
"Zunächst einmal ist ein Irrtum beim Ablesen des Kennzeichens nicht auszuschließen, weist dieses doch insbesonders zwei Ziffern auf, 0, 8, die eine leichte Verwechslung zulassen. Des weiteren hätte der Berufungswerber keine Veranlassung gehabt, die Strecke wie angezeigt zu wählen, es sei denn, es wäre eine Umleitung bestanden. In diesem Fall wäre aber mit Sicherheit bei der Kreuzung J-Gasse/M-Gasse eine andere Vorrangregelung gegeben gewesen. In diesem Zusammenhang wurde schon im erstinstanzlichen Verfahren beantragt, bei der MA 46 eine Auskunft einzuholen, ob am 15.9.1993 in diesem Bereich eine Baustelle gewesen war und ob daher eine Umleitungsstrecke verfügt wurde, weiters welches Vorschriftszeichen hinsichtlich der Vorrangregelung für die Kreuzung J-Gasse/M-Gasse bestanden hat. Dieser Beweisantrag wird aufrecht erhalten.
Zu den Delikten selbst ist auszuführen, daß diese nicht mit der im Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit als erwiesen angesehen werden können. Des weiteren würde das Verhalten, wenn es der Berufungswerber wirklich gesetzt hätte, mit dessen Persönlichkeit nicht übereinstimmen, ist doch der Berufungswerber nicht der Typ eines aggressiven Fahrzeuglenkers.
Nach Ansicht der Verteidigung reichen die von den beiden Zeuginnen vorgenommenen Angaben über Abstände und Geschwindigkeiten sohin insgesamt die Bewegungsabläufe nicht aus, um einen Sachverhalt feststellen zu können, aus dem rechtliche Schlüsse gezogen werden können. Das subjektive Empfinden von Zeugen ersetzt nicht die Notwendigkeit einer präzisen Sachverhaltsfeststellung. Zur Frage des Irrtums beim Ablesen des Kennzeichens wird nochmals darauf verwiesen, daß die auffällige Aufschrift Toyota am Heckfenster des Fahrzeuges des Beschuldigten den Zeuginnen wohl nicht entgangen wäre, wenn tatsächlich das Beschuldigtenfahrzeug an den Vorfällen beteiligt gewesen wäre.
Es wird daher beantragt, der Berufung Folge zu geben, das Straferkenntnis zu beheben und das Verfahren einzustellen."
Folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt wird als erwiesen festgestellt:
Der Berufungswerber lenkte zur Tatzeit das im Spruch des Straferkenntnisses genannte KFZ zunächst in der M-Gasse in Richtung J-Gasse. Bei gegenständlicher Kreuzung: M-Gasse/J-Gasse fuhr der Berufungswerber in die Kreuzung ein, ohne das vor der Kreuzung in seiner Fahrtrichtung angebrachte Verkehrszeichen "Halt" zu beachten und nötigte durch dieses Verhalten die Aufforderin Veronika V, welche von der J-Gasse kommend in Richtung A fahrend bei der Kreuzung mit der M-Gasse nach rechts in diese einbog zum unmittelbaren Abbremsen. In weiterer Folge fuhr dann der Berufungswerber direkt hinter dem Fahrzeug der Zeugin V und betätigte in der M-Gasse zwischen der J-Gasse und der E-straße mehrmals die Lichthupe. Auf Höhe E-straße überholte der Berufungswerber die Beschuldigte, reihte sich direkt vor ihr wieder ein und bremste danach jäh und für die Zeugin V überraschend ab, obwohl es die Verkehrssicherheit nicht erforderte. Die Zeugin V mußte ebenfalls abbremsen. Der Berufungswerber fuhr dann in der E-straße Richtung R-Gasse weiter und fuhr in die Kreuzung E-straße/R-Gasse ein, obwohl für ihn die aVLSA auf "Rotlicht" geschaltet war.
Dieser Sachverhalt ergibt sich im wesentlichen aus der Zeugenaussage der Auforderin Veronika V und der Zeugenaussage ihrer Beifahrerin Christa V.
Beide Zeuginnen haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien zeugenschaftlich einvernommen inhaltlich klar und widerspruchsfrei und zudem unter der Wahrheitsverpflichtung des §289 StGB ausgesagt. Auch konnte die Aktenlage keinerlei Hinweis darüber abgeben, daß die Zeuginnen den ihnen offenbar unbekannten Berufungswerber durch eine unrichtige Aussage wahrheitswidrig einer verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung hätten aussetzen wollen.
Entgegen dem Beschuldigtenvorbringen konnte aber der Unabhängige Verwaltungssenat Wien keinen Anhaltspunkt dafür finden, daß den beiden Zeuginnen ein Irrtum beim Ablesen des Kennzeichens unterlaufen wäre. Beide Zeuginnen hinterließen in der mündlichen Verhandlung einen überaus ruhigen und gefestigten Eindruck und wirkten glaubhaft und überzeugend. Insbesondere hinterließ die Zeugin Veronika V einen besonnenen und ruhigen Eindruck und vermittelte nicht das Gefühl, sie sei eine Autofahrerin, die auf das Verkehrsgeschehen "übersensibel" oder ängstlich reagiert. Vielmehr zeigt der Umstand, daß sich die Zeugin, trotzdem daß seit dem Vorfall über ein Jahr vergangen ist, an den Vorfall bzw die Fahrweise des Berufungswerbers noch so gut erinnern kann, daß es sich beim Verhalten des Berufungswerbers nicht um eine "typische und situationsbezogene" Fahrweise gehandelt hat, sondern vielmehr um gravierende Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung, sodaß sich die Aufforderin veranlaßt gesehen hat, diese zur Anzeige zu bringen, trotz der Unbequemlichkeiten, die ein solches Tun mit sich bringt.
Demgegenüber hatte der Berufungswerber zweifellos ein Interesse, durch seine Darstellung ein Kalkül herbeizuführen, welches ihm Straffreiheit gewährleistet bzw ermöglicht. Es konnte zudem nicht ausgeschlossen werden, daß er den angezeigten Vorgängen nicht dieselbe Aufmerksamkeit beigemessen hat als die Aufforderin, die über das Verhalten des Berufungswerbers - berechtigterweise - empört war. Allein der Umstand, daß die angezeigte Fahrtroute für den Berufungswerber einen Umweg darstellen würde, läßt für sich allein noch nicht den Schluß zu, er hätte die Strecke nicht doch - aus welchen Gründen auch immer - befahren.
In rechtlicher Hinsicht ist zu den einzelnen Punkten des Straferkenntnisses folgendes auszuführen:
Zu Punkt 1:
§19 Abs4 StVO lautet:
"Ist vor einer Kreuzung das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" oder "Halt" angebracht, so haben sowohl die von rechts als auch die von links kommenden Fahrzeuge den Vorrang. Ist jedoch auf einer Zusatztafel ein besonderer Verlauf einer Straße mit Vorrang dargestellt, so haben die Fahrzeuge, die auf dem dargestellten Straßenzug kommen, den Vorrang, unabhängig davon, ob sie dem Straßenzug folgen oder ihn verlassen; ansonsten gilt Abs1. Beim Vorschriftszeichen "Halt" ist überdies anzuhalten."
Gemäß §19 Abs7 StVO darf derjenige, welcher keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.
Dadurch, daß der Berufungswerber trotz Vorhandenseins des Vorschriftszeichens "Halt" bei diesem nicht angehalten hat, sondern in die Kreuzung eingefahren ist, hat er schon den Tatbestand des §19 Abs4 iVm §19 Abs7 StVO verwirklicht, zumal die Zeugin V zu einem unvermittelten Abbremsen genötigt wurde. Dem Berufungswerber als Wartepflichtigen wäre nur dann keine Vorrangverletzung zur Last zu legen gewesen, wenn er beim Überqueren der Kreuzung diese so rechtzeitig wieder freigegeben hätte, daß die Zeugin V als Vorrangberechtigte in ihrer ruhigen Weiterfahrt nicht einmal behindert worden wäre. Darin, daß der Berufungswerber in die Kreuzung eingefahren ist und erst dann im Kreuzungsbereich angehalten hat, um der Vorrangberechtigten die Vorfahrt einzuräumen, ist ein den Bestimmungen des §19 Abs4 iVm §19 Abs7 StVO widersprechendes Verhalten zu erblicken. Ob und inwieweit sich die Vorrangberechtigte ebenfalls verkehrswidrig verhalten hat, ist bei der Beurteilung des strafbaren Verhaltens des Wartepflichtigen nicht von rechtlicher Bedeutung (vgl in diesem Zusammenhang VwGH vom 19.11.1963, Zl 974/62). In diesem Sinne ist der Vorrangberechtigte nicht zu einem bremsbereiten Fahren in die Kreuzung verpflichtet (OGH 15.11.1971, 2OB 263, 264/71, ZVR 1972/166). Solange der Kreuzungsbereich unübersichtlich ist, muß der Wartepflichtige mit dem jederzeitigen Erscheinen eines PKW's in der bevorrangten Straße rechnen und darf daher nur mit einer solchen Geschwindigkeit fahren, die es ihm tatsächlich erlaubt, jederzeit sein Fahrzeug anzuhalten. Das Tatbild des §19 Abs7 ist verwirklicht, wenn der Vorrangberechtigte zur Vermeidung eines Zusammenstoßes jäh bzw rasch bzw stark bzw plötzlich bremsen muß (VwGH 16.3.1978, 822/77).
Zu Punkt 2:
Gemäß §100 2. Satz KFG dürfen Blinkzeichen - außer mit Alarmblinkanlagen - nicht durch längere Zeit abgegeben werden. Nach §100 KFG ist nur strafbar, wer andere optische Warnzeichen als kurze Blinkzeichen, wer optische Warnzeichen mit anderen als den im §22 Abs2 angeführten Vorrichtungen und wer (kurze) Blinkzeichen durch längere Zeit abgibt (VwGH 14.12.1988, 88/02/0160).
Dem Spruch des Straferkenntnisses ist zu entnehmen, daß der Berufungswerber deshalb bestraft wurde, weil er mehrmals über längere Zeit optische Warnzeichen abgegeben hat.
Dem gegenüber hat die zeugenschaftliche Befragung in der mündlichen Verhandlung lediglich ergeben, daß der Berufungswerber "mehrmals die Lichthupe betätigt" hat. Nach einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29.8.1990, Zl 89/02/0221 und 90/02/0131, reicht dies allerdings nicht dafür aus, um das Verhalten des Berufungswerbers unter §100 KFG zu subsumieren. Das Straferkenntnis war daher in diesem Punkt zu beheben und das Verfahren spruchgemäß einzustellen.
Zu Punkt 3.:
Gemäß §21 Abs1 StVO darf der Lenker das Fahrzeug nicht jäh und für den Lenker des nachfolgenden Fahrzeuges überraschend abbremsen, wenn andere Straßenbenützer dadurch gefährdet oder behindert werden, es sei denn, daß es die Verkehrssicherheit erfordert. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die wesentlichen Sachverhaltselemente bei der Übertretung des §21 Abs1 StVO
1. Das jähe und für den nachfolgenden Lenker überraschende Abbremsen,
2. die Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer durch dieses Manöver,
3. daß dieses Manöver aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht erforderlich gewesen ist.
Aufgrund der Zeugenaussagen steht als erwiesen fest, daß der Berufungswerber eine "abrupte Bremsung" bzw eine "Vollbremsung" durchgeführt hat. Ob aber durch das jähe Abbremsen eine Gefährdung oder Behinderung eines anderen Straßenbenützers erfolgte, kann nunmehr mit der im Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates nicht mehr festgestellt werden, ist es doch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl Erkenntnis vom 26.4.1991) erforderlich, den ungefähren Abstand des nachfolgenden Fahrzeuges vor dem Abbremsen des Berufungswerbers und die ungefähre Geschwindigkeit des nachfolgenden Fahrzeuges festzustellen, damit beurteilt werden kann, ob das Verhalten des Berufungswerbers zu einer Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer führen mußte. Diese Komponenten konnten aber nicht mehr exakt ermittelt werden. Der Umstand, daß das nachfolgende Fahrzeug der Veronika V ebenfalls abgebremst werden mußte bedeutet an sich noch nicht zwingend, daß die Gefährdung oder Behinderung durch den Berufungswerber herbeigeführt wurde.
Daher war auch in diesem Punkt spruchgemäß mit Behebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verfahrens vorzugehen.
Zu Punkt 4:
Gemäß §38 Abs5 StVO gilt rotes Licht als Zeichen für "Halt". Bei diesem Zeichen haben die Lenker von Fahrzeugen unbeschadet der Bestimmung des Abs7 und des §53 Z10a an den im Absatz 1 bezeichneten Stellen anzuhalten.
Aufgrund der eindeutigen, schlüssigen und widerspruchsfreien Zeugenaussagen steht aber als erwiesen fest, daß der Berufungswerber diesen Tatbestand verwirklichte indem er, obwohl das Rotlicht der aVLSA in seiner Richtung aufleuchtete, in die Kreuzung einfuhr.
Das Straferkenntnis war daher in den Punkten 1 und 4 mit der Ergänzung im Spruch zu Punkt 1 zu bestätigen, die der korrekten Tatortbezeichnung diente.
Abzuweisen war der Antrag auf Einholung einer Auskunft bei der MA 46, ob am 15.9.1993 im Tatortbereich eine Baustelle gewesen war und ob daher eine Umleitungsstrecke verfügt wurde, weiters welches Vorschriftszeichen hinsichtlich der Vorrangregelung für die Kreuzung J-Gasse/M-Gasse bestanden hat, weil dieser Antrag auf einen reinen Erkundungsbeweis hinausläuft.
Zur Strafbemessung ist folgendes auszuführen:
Die Taten schädigten in erheblichem Maße das Interesse an der Verkehrssicherheit. Der Unrechtsgehalt der Taten war daher nicht geringfügig.
Das Verschulden des Berufungswerbers kann nicht als geringfügig angesehen werden, da weder hervorgekommen ist, noch aufgrund der Tatumstände anzunehmen war, daß die Einhaltung der Vorschrift eine besondere Aufmerksamkeit erfordert habe oder daß die Verwirklichung des Tatbestandes aus besonderen Gründen nur schwer hätte vermieden werden können.
Die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Berufungswerbers wurde schon von der Behörde erster Instanz zutreffend als mildernd gewertet.
Auf die unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse und die Vermögenslosigkeit und auch auf das Bestehen der gesetzlichen Sorgepflichten für ein Kind wurde bei der Strafbemessung Bedacht genommen.
Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe und auf den bis zu jeweils S 10.000,-- reichenden Strafsatz, sind die verhängten Geldstrafen durchaus angemessen und keineswegs zu hoch, zumal im Verfahren keine weiteren Milderungsgründe hervorgetreten sind. Eine Herabsetzung der Geldstrafe kam daher nicht in Betracht. Die Vorschreibung des Beitrages zu den Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf die zwingende Vorschrift des §64 Abs1 und 2 VStG.