Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Mag Fritz über die Berufung des Herrn Markus B gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat, vom 17.6.1994, Zl Cst 45677/Mg/93/Ros, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung entschieden:
Gemäß §66 Abs4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß §45 Abs1 Z2 VStG eingestellt.
Der Berufungswerber hat daher gemäß §65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Begründung:
Mit Schreiben der Bundespolizeidirektion Wien vom 30.12.1993 wurde der Berufungswerber (Bw) als Zulassungsbesitzer eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges gemäß §103 Abs2 des Kraftfahrgesetzes 1967 (KFG) aufgefordert, der Behörde binnen zwei Wochen nach Zustellung Auskunft darüber zu erteilen, wer dieses Kraftfahrzeug in Wien, K-straße abgestellt habe, sodaß es dort am 7.10.1993 um 15.39 Uhr gestanden sei (Delikt: vorschriftswidriges Halten).
Diese Aufforderung wurde laut Zustellnachweis (RSb-Brief, Formular 4 zu §22 des Zustellgesetzes) nach einem erfolglosen Zustellversuch (am 7.1.1994) unter der Anschrift des Bw "G-gasse, Wien" mit Beginn der Abholfrist am 8.1.1994 beim Postamt hinterlegt. Die Sendung wurde der Bundespolizeidirektion Wien am 24.1.1994 mit dem Vermerk "Nicht behoben" zurückgesendet. Daraufhin erging gegen den Bw die Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat, vom 2.3.1994, mit der er wegen der Verwaltungsübertretung nach §103 Abs2 KFG bestraft wurde. Am 8.3.1994 wurde die an den Bw als Empfänger zu eigenen Handen unter seiner Anschrift "G-gasse, Wien", adressierte Sendung, welche eine Ausfertigung der genannten Strafverfügung enthielt, postamtlich hinterlegt (Beginn der Abholfrist: 9.3.1994). Auch diese Sendung wurde der Erstbehörde mit dem Vermerk "Nicht behoben" (am 28.3.1994) zurückgesendet. Mit Schreiben vom 26.3.1994 teilte der Bw der Erstbehörde mit, er sei derzeit als Pilot bei den TA in I beschäftigt und komme entsprechend seiner Diensteinteilung nur gelegentlich nach Wien; daher konnte ihm ein RSa-Brief mit der Aktenzahl 45677/Mg/93 nicht zugestellt werden. Er habe bereits am 27.1.1994 ein Schreiben an die Bundespolizeidirektion Wien in der B-gasse geschickt und dort seine Zustelladresse in I bekanntgegeben; das entsprechende Schreiben liege in Kopie bei. Abschließend ersuchte der Bw, dieses Schriftstück an die Adresse seines Dienstgebers in I "TA, F-weg, I" zu schicken.
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat, vom 17.6.1994 wurde der Bw sodann der Verwaltungsübertretung nach §103 Abs2 KFG schuldig erkannt, weil er es als Zulassungsbesitzer eines dem Kennzeichen nach bestimmten PKWs unterlassen habe, trotz behördlicher Aufforderung Auskunft zu erteilen, wer dieses Kraftfahrzeug in Wien K-straße abgestellt habe, sodaß es dort am 7.10.1993 um 15.39 Uhr gestanden sei. Gemäß §134 KFG wurde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.500,-- (im Falle der Uneinbringlichkeit 120 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Gleichzeitig wurden die vom Bw zu ersetzenden Verfahrenskosten mit S 150,-- bestimmt. In der Begründung heißt es, der Sachverhalt sei durch die Anzeige sowie durch den Akt als erwiesen anzusehen. Da das Schreiben des Beschuldigten, welches er im Einspruch beilege, weder beim Strafamt noch ha eingelangt sei, sei ein Verfahren gemäß §103 Abs2 KFG eingeleitet worden. Daher sei kein Grund mildernd oder erschwerend gewesen.
Auch dieses Straferkenntnis wurde zunächst an die Anschrift des Bw "G-gasse, Wien" gerichtet und laut Rückschein nach zwei erfolglos gebliebenen Zustellversuchen am 4.7.1994 beim Zustellpostamt Wien hinterlegt (Beginn der Abholfrist: 5.7.1994). In der Folge (am 25.7.1994) wurde aber auch diese Sendung der Erstbehörde mit dem Vermerk "Nicht behoben" zurückgesendet. Erst nachdem der Bw mit Schreiben vom 3.8.1994 - neuerlich - um Zustellung des Schriftstückes (mit der Aktenzahl 45677/Mg/93) an die Adresse seines Arbeitgebers in I ersuchte (dabei gab er auch seine private Wohnanschrift in I bekannt), veranlaßte die Erstbehörde die Zustellung des Straferkenntnisses an den Bw "zH TA, F-weg, I" (dieses Straferkenntnis wurde dem Bw laut dem im Akt erliegenden Rückschein am 13.9.1994 durch Hinterlegung zugestellt). Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Bw mit Schreiben vom 15.9.1994 rechtzeitig folgende Berufung:
"Laut Straferkenntnis habe ich es unterlassen, der Behörde auf ihr schriftliches Verlangen vom 30.12.1993 fristgerecht Auskunft über den Lenker meines Kraftfahrzeuges zu erteilen.
Der Aufforderung zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers konnte ich jedoch insofern nicht nachkommen, als mir das entsprechende Schreiben nicht zugestellt worden ist. Die am 8.1.1994 erfolgte Hinterlegung gilt nicht als Zustellung, da ich mich seit Jahren beruflich in I aufhalte, somit auch während der Dauer der Hinterlegung des Schriftstückes im Jänner 1994.
Ich bin seit 1986 in I bei der Firma TA beschäftigt und dort polizeilich zweitwohnsitzgemeldet. Entsprechend der Diensteinteilung komme ich oft wochenlang nicht nach Wien, dies ist meist nur während meiner Urlaube oder bei längeren arbeitsfreien Perioden möglich. Aus familiären Interessen wie der bevorstehenden Schulpflicht meiner Tochter und der ebenfalls bevorstehenden Versetzung nach Wien durch meine Firma habe ich Wien jedoch als Hauptwohnsitz beibehalten. Auch befindet sich das betroffene Fahrzeug ständig in Wien und wird größtenteils von meiner Mutter benützt.
In insgesamt 3 (!) Schreiben an das Strafamt bzw das Bezirkspolizeikommissariat habe ich dies der Behörde gemeinsam mit der Adresse meines Aufenthaltsortes in I bekanntgegeben. Einer rechtswirksamen Zustellung stand daher nichts im Wege. Wenn in der Begründung der Straferkenntnis angeführt wird, daß mein Schreiben weder beim Strafamt noch am Kommissariat eingelangt ist, so ist darauf zu verweisen, daß es sich nicht um ein, sondern um drei Schreiben handelt, die korrekt adressiert und mit der richtigen Aktenzahl versehen waren und es in heutigen Zeiten sehr unwahrscheinlich ist, daß drei Schreiben am Postweg verloren gehen. Zum Beweis liegen Kopien der abgeschickten Briefe gemeinsam mit dem Computerausdruck über den Zeitpunkt und Umfang der drei Schreiben bei."
Auf ha Anfrage teilte der Bw (Schreiben vom 7.12.1994) mit, daß er sich im Frühjahr 1994 fast durchgehend in I aufgehalten habe; nur in der ersten Februar-Woche sei er während seines Urlaubes in Wien gewesen. In der Zeit seiner Abwesenheit kümmere sich sein in Wien lebender Bruder um die Wohnung und leere gelegentlich das Postfach aus. So habe er auch von den Benachrichtigungen Kenntnis erlangt und daraufhin sofort die bereits erwähnten Schreiben mit der Bekanntgabe seiner Adresse in I abgeschickt. Er habe zwar früher einen Nachsendeauftrag gehabt, diesen jedoch seit 1993 nicht mehr verlängert, weil der Großteil seiner Korrespondenz direkt nach I geschickt und die Post in Wien von seinem Bruder kontrolliert werde. Als Beilage übermittle er seine Einsatzpläne für die Monate Jänner, Februar und März 1994, aus denen hervorgehe, daß er durchgehend in I beschäftigt gewesen sei. Vom 1. bis 7.2.1994 habe er Urlaub gehabt (im Plan mit "U" gekennzeichnet).
In seinem (ergänzenden) Schreiben vom 2.1.1995 wiederholte der Bw seine Bitte, ihm im Falle der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung die Möglichkeit der persönlichen Anwesenheit und Aussage zu gewähren und diese nötigenfalls beim Unabhängigen Verwaltungssenat in I abzuhalten. Auf Grund der vorliegenden Tatsachen stehe wohl außer Zweifel, daß sein momentaner Aufenthaltsort I sei. Es könne ihm daher wohl kaum zugemutet werden, für eine Verhandlung in Wien mehr als tausend Kilometer zurückzulegen (samt den damit verbundenen Zeitaufwand), insbesondere dann, wenn die Kosten dafür nicht ersetzt würden und diese die angedrohte Strafe bei weitem übersteigen. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien führte am 10.2.1995 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Bruder des Bw (der Bw selbst ist zu dieser Verhandlung trotz ausgewiesener Ladung nicht erschienen), Herr Matthias B, als Zeuge einvernommen wurde. Dieser bestätigte dabei im wesentlichen die Angaben des Bw.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:
Vorauszuschicken ist, daß die - vom Bw gewünschte - Abtretung des Aktes an den Unabhängigen Verwaltungssenat I (um dort eine allfällige Verhandlung abzuhalten) nicht in Betracht gekommen ist, weil der Unabhängige Verwaltungssenat Wien nicht befugt ist, seine Zuständigkeit (vgl §51 Abs1 VStG) nach §29a VStG an den Unabhängigen Verwaltungssenat T zu übertragen (vgl Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate2, Seite 210).
Gemäß §4 ZustG ist Abgabestelle im Sinne dieses Bundesgesetzes der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anläßlich einer Amtshandlung auch deren Ort.
Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des §13 Abs3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist gemäß §17 Abs1 ZustG das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
Nach §17 Abs2 ZustG ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen. Gemäß §17 Abs3 ZustG ist die hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des §13 Abs3 ZustG wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.
Dem Bw ist darin beizupflichten, daß die Rechtmäßigkeit seiner Bestrafung nach §103 Abs2 KFG die rechtswirksame Zustellung des Auskunftsverlangens vom 30.12.1993 an ihn zur Voraussetzung hatte (vgl das Erk d VwGH v 6.9.1989, 89/02/0034).
Von den im §4 ZustG angeführten Abgabestellen kommt in Ansehung der Anschrift "Wien, G-gasse" nur "die Wohnung" in Betracht. Unter einer Wohnung ist jene Räumlichkeit zu verstehen, in der jemand seine ständige Unterkunft hat, wo sich also der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse befindet. Auf die polizeiliche Meldung als Hauptwohnsitz kommt es nicht an (vgl d Erk d VwGH v 18.12.1990, 90/11/0081). Eine Räumlichkeit verliert dann den Charakter einer Wohnung iSd §4 ZustG und damit eines Ortes, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf, wenn dieser länger abwesend ist. Längere Abwesenheit ist jedenfalls zu bejahen, wenn der Empfänger - zufolge eines auswärtigen Arbeitsplatzes (hier: in I) - seine Wohnung in Wien nur fallweise benützt (vgl d Erk d VwGH v 16.12.1992, 92/02/0250).
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien geht aufgrund der Aktenlage und der glaubwürdigen Aussage des Zeugen Matthias B in der mündlichen Verhandlung davon aus, daß der Bw (dieser ist Pilot) seit 1986 in I bei den TA beschäftigt ist und sich dort auch der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse befindet. Im ersten Halbjahr 1994 hat sich der Bw fast durchgehend in I aufgehalten; nur in der ersten Februar-Woche war er während seines Urlaubes in Wien. Diese Abwesenheit des Bw von der Räumlichkeit "Wien, G-gasse" reichte aus, ihre Eigenschaft als Wohnung des Bw iSd §4 ZustG für den genannten Zeitraum aufzuheben. Vom Zustellrecht her gesehen hatte der Bw somit im Zeitraum des Zustellvorganges, also am 7.1.1994 (Zustellversuch; Hinterlegung) und am 8.1.1994 (erster Tag der Abholfrist), unter der Anschrift "Wien, G-gasse" keine Abgabestelle. Eine Hinterlegung gemäß §17 Abs1 ZustG konnte deshalb rechtens bei dem für die vorbezeichnete Adresse zuständigen Postamt nicht stattfinden. Daraus folgt, daß auch keine "hinterlegte Sendung" iSd §17 Abs3 leg cit vorlag, weshalb auch die Regeln dieser Gesetzesstelle, insbesondere die Zustellfiktion des dritten Satzes, nicht zum Tragen kamen (vgl dazu d Erk d VwGH v 30.6.1988, 88/10/0069).
Alle diese Ausführungen zeigen, daß die Aufforderung zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers vom 30.12.1993 dem Bw nicht rechtswirksam zugestellt worden ist. Dem Bw wurde daher zu Unrecht ein Verstoß gegen §103 Abs2 KFG zum Vorwurf gemacht, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.