Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Schopf über die Berufung der Frau Stefanie W, vertreten durch RA, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Döbling, vom 30.6.1994, Zl Pst 1592- D/94, wegen Verwaltungsübertretung gemäß § 4 Abs 2 StVO entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung in der Schuldfrage keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis mit der Abänderung bestätigt, daß nach dem Wort "Sicherheitsdienststelle" die Worte "vom Verkehrsunfall" einzufügen sind.
In der Straffrage wird der Berufung jedoch insofern Folge gegeben, als die verhängte Geldstrafe von S 3.000,-- unter Anwendung der außerordentlichen Milderung gemäß § 20 VStG auf S 250,--, im Uneinbringlichkeitsfall 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, herabgesetzt. Dementsprechend verringert sich der erstinstanzliche Strafkostenbeitrag von S 300,-- auf S 25,--.
Gemäß § 65 VStG hat die Berufungswerberin keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Begründung:
Mit angefochtenem Straferkenntnis wurde der Beschuldigten zur Last gelegt, sie sei am 27.4.1994 um 10.30 Uhr in Wien, G-gasse - D-gasse als Lenker des PKWs mit dem Kennzeichen W-11 an einem Verkehrsunfall mit Personenschaden ursächlich beteiligt gewesen und habe es unterlassen, sofort die nächste Sicherheitsdienststelle zu verständigen und habe dadurch gegen die im Spruch genannte Norm verstoßen, weswegen über sie eine Geldstrafe von S 3.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafe von 180 Stunden verhängt und ein erstinstanzlicher Strafkostenbeitrag von 10% der verhängten Geldstrafe zur Zahlung vorgeschrieben wurde.
Innerhalb offener Frist erhob die Beschuldigte gegen dieses Straferkenntnis eine Berufung, in welcher sie ausführte, die Beschuldigte sei im gegenständlichen Straferkenntnis nicht ausreichend erkennbar, der Spruch des Straferkenntnisses lasse nicht erkennen, ob die Beschuldigte die ihr vorgeworfene Tat beging, indem sie die Sicherheitsdienststelle überhaupt nicht oder verspätet verständigte, es könne von einer gänzlichen Vernachlässigung der Meldepflicht der Beschuldigten nicht ausgegangen werden, da es andernfalls wohl kaum zu dem gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren gekommen wäre, es ermangle einer Darstellung eines allfälligen Ermittlungsverfahrens in der Begründung des Bescheides, die Behörde erster Instanz hätte zur Feststellung gelangen müssen, daß die Beschuldigte zum ehestmöglichen Zeitpunkt, umgehend nach der gleichfalls im § 4 Abs 2 StVO geforderten Hilfeleistung ihrer gesetzlichen Meldepflicht nachgekommen sei, sie selbst habe im Hinblick auf die in ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes normierte Verpflichtung, sich über das Ausmaß der Verletzungen Gewißheit zu verschaffen sowie angesichts des hohen Alters der Verletzten, weiters um jede unnötige Verzögerung zu vermeiden, welche etwa im Falle innerer Kopfverletzungen für die Verletzte lebensgefährlich hätte werden können, darauf gedrängt, die Verletzte persönlich mit ihrem PKW in die Unfallambulanz des AKH zu bringen, dies sei von der Verletzten akzeptiert worden, jedoch habe sie verlangt, vorerst ihre gleichfalls betagte Schwägerin, von welcher sie an einer nahegelegenen Straßenkreuzung erwartet wurde, abzuholen und sie zur Nahrungsaufnahme in ein Gasthaus zu geleiten, sie habe die Verletzte umgehend nach Versorgung der Schwägerin mit ihrem Kraftfahrzeug in die Unfallambulanz des AKH gebracht, sich von der ordnungsgemäßen Versorgung vergewissert und danach den Heimtransport per Taxi unter Ersatzes der erforderlichen Taxikosten veranlaßt, und habe sie, nachdem sie der gesetzlich normierten Hilfeleistungspflicht nachgekommen sei, sich umgehend und ohne unnötige Verzögerung zum Bezirkspolizeikommissariat Döbling begeben, um ihrer weiteren zeitlich nachrangigen Meldepflicht nachzukommen, somit in Entsprechung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vom 2.10.1967 gehandelt. Weiters rügt die Berufungswerberin Verfahrensmängel, insbesondere die Verletzung des Parteiengehörs und die Unterlassung weiterer Beweisaufnahmen.
In der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien ergänzte die Berufungswerberin durch ihren Vertreter dieses Vorbringen dahingehend, daß es vom Verständnis der Beschuldigten, aber auch wahrscheinlich vom Verständnis der Allgemeinheit her als unbillig erscheine, daß die Berufungswerberin, die noch mehr Schritte auf sich genommen habe, als üblicherweise und bei der es durch eben diese Schritte zu einer Verzögerung der polizeilichen Meldung gekommen sei, für eben diese Maßnahmen, die im Sinne der Verletzten erfolgten, auch noch bestraft werde.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hatte somit von folgendem, an sich unstrittigem Sachverhalt auszugehen:
Die Berufungswerberin, Frau Stefanie W, lenkte am 27.4.1994 um
10.30 Uhr in Wien, G-gasse - D-gasse den PKW mit dem amtlichen Kennzeichen W-11. An oben genannter Stelle mußte sie ihr Kraftfahrzeug verkehrsbedingt anhalten, schob dann mit ihrem KFZ zurück und stieß mit der Stoßstange die Fußgängerin, Frau Rosa P nieder. Frau Rosa P erlitt eine Abschürfung am Hinterkopf und eine kleine Beule. Die Berufungswerberin stieg daraufhin sofort aus ihrem Fahrzeug aus und ging zu der Verletzten. Diese war bereits aufgestanden und hielt sich den Hinterkopf, an welchem die Berufungswerberin eine leichte Abschürfung sah. Da sie offensichtlich keine weitere akute Verletzung erkannte, und die Rettung somit nach ihrem Empfinden nicht sofort notwendig war, tauschte sie am Unfallsort mit der Verletzten die Adressen aus. Da Frau P den Wunsch äußerte, zuerst ihre Schwägerin in das Gasthaus "E" nach Wien, G-gasse zu bringen, begleitete die Berufungswerberin die beiden Damen und führte hernach die Verletzte ins AKH, verblieb dort bei der Verletzten bis alles aufgenommen und geklärt war, veranlaßte die Heimbringung der Verletzten mit einem Taxi und fuhr hernach auf das Wachzimmer um eine Selbstanzeige zu erstatten.
Gemäß § 4 Abs 2 zweiter Satz StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden sind, sofort die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu verständigen.
Wenn die Berufungswerberin nun zum einen vermeint, sie hätte zuerst ihrer Hilfeleistung nachkommen müssen und habe hernach entsprechend der gesetzlichen Vorschrift des § 4 Abs 2 StVO 1960 sofort die nächste Polizeidienststelle verständigt, und sich in diesem Zusammenhang darauf beruft, daß sie verpflichtet gewesen wäre, sich über das Ausmaß der Verletzungen Gewißheit zu verschaffen sowie angesichts des hohen Alters der Verletzten, weiters um jede unnötige Verzögerung zu vermeiden, die allenfalls lebensgefährlich hätte werden können, darauf gedrängt, die Verletzte persönlich mit dem PKW in die Unfallambulanz des AKH zu bringen und habe sich nur darauf eingelassen, die gleichfalls betagte Schwägerin abzuholen und in ein Gasthaus zu bringen und habe aus diesen Gründen die sofortige Meldung unterlassen, so ist ihr entgegenzuhalten, daß sie nach ihren eigenen Angaben in der niederschriftlichen Befragung vom 27.4.1994 vor der Bundespolizeidirektion Wien angab, daß sie unmittelbar am Unfallsort der Meinung war, daß die Verletzte nur eine leichte Abschürfung am Hinterkopf hatte und sonst keine Verletzungen aufwies, weshalb eine Verständigung der Rettung ihr nicht notwendig erschien. Angesichts dieser Angaben und der weiteren Schilderung, daß sie mit der Verletzten auch noch die Daten ausgetauscht habe, scheint die in der Berufung vorgetragene diesbezügliche Rechtfertigung jedenfalls als nicht nachvollziehbar. Von einer Besorgnis um innere Verletzungen und einer drohenden Lebensgefahr ist bei dieser in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang zu dem Vorfall stehenden niederschriftlichen Befragung angesichts der Behauptung, der Berufungswerberin ihr erschien eine Verständigung der Rettung nicht als sofort notwendig, nichts zu merken. Die Berufungswerberin hätte allerdings bei solch schwerwiegenden Sorgen jedenfalls die Verpflichtung gehabt die Rettung zu verständigen, zumal schwere innere Verletzungen, wie sie sie nach ihrer Berufung befürchtete, ein Verschaffen der Verletzten mit dem Privat-PKW ins AKH als nicht tunlich erscheinen läßt. Hat die Berufungswerberin dies wirklich befürchtet, so wäre sie jedenfalls verpflichtet gewesen, die Rettung zu verständigen. Da solche Sorge seitens der Berufungswerberin aber am Unfallsort offensichtlich nicht vorlag, wäre sie schon zu diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, eine Meldung bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zumindest im Wege einer telefonischen Meldung (siehe VwGH 17.2.1969, 1175/68) vorzunehmen. Während die sofortige Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle nach § 4 Abs 2 StVO unmittelbar auf die ebenfalls in dieser Gesetzesstelle normierte, zeitlich jedoch Vorrang genießende Verpflichtung, Hilfe zu leisten oder unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen, zu folgen hat, räumt der Gesetzgeber bei Verkehrsunfällen mit bloßen Sachschaden den zur Meldung Verpflichteten einen gewißen, wenn auch sehr streng auszulegenden Spielraum ein. Der Begriff sofort stellt sich somit als der engere gegenüber den Begriff ohne unnötigen Aufschub dar (VwGH 23.2.1990, 85/18/0185). Eine erst ca 1/2 Stunden nach dem Unfall erfolgte Verständigung der nächsten Polizeidienststelle kann nicht mehr als "sofort" iSd § 4 Abs 2 zweiter Satz StVO qualifiziert werden (VwGH 30.5.1990, 90/03/0121 ua). Nach Erfüllung der Hilfeleistungspflicht hat der Verpflichtete unverzüglich im Anschluß daran die Verständigung der nächsten Polizeidienststelle vorzunehmen, ist doch das Wort "sofort" im zweiten Satz des § 4 Abs 2 StVO 1960 in wörtlichen Sinn zu verstehen, sodaß die Verständigung so rasch wie möglich zu erfolgen hat (VwGH 30.5.1990, 90/03/0121 unter Hinweis auf VwGH 12.4.1973, 1833/72).
Angesichts der von der Berufungswerberin in ihrer niederschriftlichen Befragung selbst vorgenommenen Sachverhaltsschilderung gegenständlichen Vorfalles wäre sie jedenfalls verpflichtet gewesen die Rettung zu verständigen und hernach sofort eine Meldung iSd § 4 Abs 2 StVO 1960 vorzunehmen oder, wenn ihr die Verletzung tatsächlich so gering erschien, wie sie in dieser Niederschrift angab, nach Versorgung der Unfallgegnerin sofort die nächste Polizeidienststelle zu verständigen, da Gendarmerie oder Polizei geeignete Stellen sind, die Hilfeleistung rascher in die Wege zu leiten (VwGH 22.11.1961, 1404/61, ZVR 1962/137).
Das von der Berufungswerberin gesetzte Verhalten erweist sich somit als Übertretung der im Spruch genannten Norm, weshalb der Berufung in der Schuldfrage keine Folge zu geben und das angefochtene Straferkenntnis diesbezüglich zu bestätigen war. Hinsichtlich der Strafzumessung war zu berücksichtigen, daß die Berufungswerberin verwaltungsstrafrechtlich unbescholten ist, daß sie versucht hat ihren gesetzlichen Pflichten nachzukommen, und daß sie eine Polizeimeldung, wenn auch verspätet, so doch nur deshalb verspätet, da sie sich um die Verletzte kümmerte, erstattete. Angesichts dieses Vorbringens hat die Behörde mit der geringstmöglichen Strafe das Auslangen zu finden (siehe VwGH 11.11.1992, 92/02/0137).
Angesichts einer Strafdrohung von S 500,-- bis S 30.000,-- gemäß § 99 Abs 2 lit a StVO 1960 und unter Bedachtnahme auf § 100 Abs 5 wonach bei Verwaltungsübertretungen nach § 99 Abs 1 oder 2 StVO 1960 die Bestimmungen des § 21 und des § 50 VStG keine Anwendung finden, war der Unabhängige Verwaltungssenat Wien somit gehalten, die vorgesehene Mindeststrafe unter Anwendung des § 20 VStG auf die Hälfte herabzusetzen.