Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Hollinger über die Berufung des Herrn Heimo Ö, vertreten durch Rechtsanwälte gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 16. Bezirk, vom 17.8.1994, Zl: MBA 16 - S/4606/92, wegen Übertretung des § 26 Abs 1 des Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetzes, entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
Der Berufungswerber hat daher gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Begründung:
Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 16. Bezirk, hat am 17.8.1994, betreffend Herrn Heimo Ö, ein Straferkenntnis mit folgendem Spruch gefällt:
"Sie haben als im Sinne des § 9 Abs 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der N Gesellschaft mbH, mit dem Sitz in Wien, W-gasse, welche in Ihrer Zweigstelle in Wien, M-straße, jugendliche Arbeitnehmer beschäftigt, zu verantworten, daß von dieser Gesellschaft als Arbeitgeberin den über die Beschäftigung von Kindern
und Jugendlichen geltenden Vorschriften insoferne zuwidergehandelt wurde, als - wie im Zuge einer Erhebung am 6.5.1992 um 17.15 Uhr festgestellt wurde - für den jugendlichen Arbeitnehmer, Herrn Robert
W kein Verzeichnis des Jugendlichen, welches
1)
Familiennamen und Vornamen sowie Wohnort des Jugendlichen,
2)
Tag und Jahr der Geburt,
3)
Tag des Eintrittes in den Betrieb,
4)
Art der Beschäftigung,
5)
Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung (§ 36 Abs 1 Arbeitsplatzgesetz, BGBl Nr 461/1969),
6)
die Zeit, während der dem Jugendlichen Urlaub gewährt wurde und
7)
Namen und Wohnort der gesetzlichen Vertreter des Jugendlichen zu enthalten hat, geführt wurde.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:
§ 26 Abs 1 des Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetzes, BGBl Nr 599/1987, in der geltenden Fassung.
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:
Geldstrafe von S 2.000,--, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen gemäß § 30 Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz. ..."
Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die fristgerechte Berufung des Beschuldigten, in welcher dieser ausführt, daß er am 26.2.1992 von der Generalversammlung abberufen, als leitender Angestellter dienstfrei gestellt worden und daher am 6.5.1992 um 17.15 Uhr nicht mehr vewaltungsstrafrechtlich für die N GmbH verantwortlich gewesen sei.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei die "ordnungsgemäße Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer einer GmbH sofort wirksam und von der Eintragung im Handelsregister unabhängig".
Einer diesbezüglichen Aufforderung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien folgend, legte der Berufungswerber Unterlagen
zum Beweis dafür vor, daß er am 25.2.1992 aus der N GmbH ausgeschieden sei, wenngleich er auch im Handelsregister (Firmenbuch)
als nach außen vertretungsbefugtes Organ eine gewisse Zeit weiter aufgeschienen sei. Das Vorbringen, er wäre am 25.2.1992 von der Generalversammlung abberufen worden, modifizierte der Berufungswerber
dahingehend, daß er von dem Gesellschafter, der den maßgebendsten Einfluß auf das gegenständliche Unternehmen gehabt, und der dem Unternehmen auch seinen Namen gegeben hatte, nämlich Herrn Walter N, am 25.2.1992 abberufen und sofort dienstfrei gestellt worden sei. Die Vereinbarung zwischen Walter N und dem Berufungswerber bezüglich der einvernehmlichen Lösung des Dienstverhältnisses lautet wie folgt:
"In einem Gespräch am 25.2.1992 zwischen Hrn N und Hrn Ö, das in den Räumlichkeiten der Kammer stattfand, kam es zu folgendem Übereinkommen:
Das Dienstverhältnis von Hrn Ö wird in beiderseitigem Einvernehmen gelöst.
Hr Ö wird das Unternehmen zum 31.7.1992 verlassen. Es gilt als vereinbart, daß er ab sofort dienstfreigestellt ist. Der noch offene Urlaubsanspruch in der Höhe von 92 Tagen alten Urlaubes zuzüglich dem aliquoten Anteil für 1992 wird abgegolten. Hr Ö erhält eine Abfertigung in der Höhe des 6-Fachen seines letzten monatlichen Entgeltes, wobei der Sachbezug (Dienstwagen Audi 80 2,0l)
im Wert von 6.000,-- pro Monat eingerechnet wird.
Außerdem ist vereinbart, daß Hr Ö die auf die Monate Jänner-Juli entfallende Urlaubs- und Weihnachtsremuneration erhält."
Weiters legte der Berufungswerber eine Bestätigung des damals nach außen vertretungsbefugten handelsrechtlichen Geschäftsführers, Günther B, vor, in der dieser die Entgegennahme der Firmenkreditkarten und der Geschäftsschlüssel mit 26.2.1992 bestätigt.
Dem Arbeitsinspektorat wurden diese Unterlagen seitens des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien zugemittelt und gab das Arbeitsinspektorat in der Folge folgende Stellungnahme mit Schreiben vom 2.12.1994 ab:
"Aufgrund des Ermittlungsverfahrens und der nunmehr beigebrachten Unterlagen scheint der Berufungswerber zum Tatzeitpunkt tatsächlich nicht mehr mit Anordnungsbefugnissen ausgestattet gewesen zu sein.
Da
seitens des Arbeitgebers bzw des Verantwortlichen Hr N offensichtlich
verabsäumt wurde, den Austritt des Beschuldigten aus dem Unternehmen der Behörde rechtzeitig mitzuteilen, hat die Strafbehörde zu Recht angenommen, daß Hr Ö noch verantwortlich war, zumal der Austritt formell erst mit 31.7.1992 erfolgte."
In rechtlicher Hinsicht ergibt sich nunmehr folgendes:
Gemäß § 9 Abs 1 VStG ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder Personengemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit, soferne die Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 25.6.1990, 89/15/0158, ua folgendes ausgeführt:
"Grundsätzlich ist zwischen der organschaftlichen Bestellung des Geschäftsführers und seiner Anstellung, die eine besondere schuldrechtliche Beziehung zwischen dem Geschäftsführer und der Gesellschaft erzeugt, zu unterscheiden (vgl Reich - Rohrwig, GmbH-Recht 96, 103 mit weiteren Nachweisen). Dementsprechend ist zwischen der Beendigung der Organfunktion und der Beendigung des Anstellungsvertrages zu unterscheiden; die Beendigung des Anstellungsverhältnisses bewirkt somit in der Regel nicht per se die Beendigung der Organstellung und umgekehrt (Reich - Rohrwig, aaO 109;
Baumbach - Hueck, GmbH-Gesetz 14 § 38, Rz 39).
Der Anstellung kann - je nach ihren Merkmalen - auch ein freier Dienstvertrag, ein Werkvertrag oder ein Auftrag zu Grunde liegen (Reich - Rohrwig, aaO 103); in der Regel - vor allem bei sogenannten "Fremdgeschäftsführern" - ist der Anstellungsvertrag ein echter Dienstvertrag (Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht 807) im Sinne der §§ 1151 ff ABGB.
Das Dienstverhältnis kann durch den Geschäftsführer einseitig durch Kündigung (§ 1159 ABGB, § 20 AngG) oder vorzeitige Auflösung (§ 1162 ABGB, § 25 AngG) beendet werden. In Lehre und Rechtsprechung ist anerkannt, daß der Geschäftsführer auch berechtigt ist, seine Organfunktion jederzeit niederzulegen; die Rücktrittserklärung stellt
dabei eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung dar (vgl das hg Erkenntnis vom 13. September 1988, Zl 85/14/0161 und die darin
zitierte Vorjudikatur; OGH SZ 58/181; Reich - Rohrwig, aaO 166, Gellis, Kommentar zum GmbH-Gesetz 2, 164). Nach herrschender Ansicht kann die Niederlegung der Funktion nicht nur gegenüber den Gesellschaftern und dem Aufsichtsrat, sondern auch gegenüber einem anderen Geschäftsführer erklärt werden (Reich - Rohrwig, aaO 166; Mertens in Hachenburg, GmbH-Gesetz 7, § 38 Rz 76). Der Rücktritt wird
mit dem Zugang der Erklärung wirksam (Reich - Rohrwig, aaO 166; OGH SZ 58/181), wenn nicht ein späterer Zeitpunkt genannt wird. Der zurückgetretene Geschäftsführer kann seine Löschung im Handelsregister durch Klage erzwingen (vgl zB OGH GesRZ 1980, 90); der Zeitpunkt der Löschung im Handelsregister ist im vorliegenden Zusammenhang aber nicht von Bedeutung (vgl das hg Erkenntnis vom 13. September 1988, Zl 85/14/0161, und die darin zitierte Vorjudikatur."
Im vorliegenden Fall ist somit entscheidend, ob durch die Erklärung des Berufungswerbers gegenüber dem zweiten Geschäftsführer, Herrn Günther B, bzw durch die "einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses", lediglich das Anstellungsverhältnis oder auch die Organfunktion als Geschäftsführer beendet wurde. Zwar ist von einer ausdrücklichen "Beendigung (Niederlegung, Rücktritt von) der Organfunktion" keine Rede, jedoch ergibt sich aus dem Umstand, daß der Berufungswerber ab sofort dienstfreigestellt wurde und auch die Firmenkreditkarten und die Firmenschlüssel zurückgab, daß nicht nur das Dienstverhältnis (im eigentlichen Sinn) mit 31.7.1992, sondern daß auch die Organfunktion als Geschäftsführer am 26.2.1992 beendet wurde. Eine sofortige Dienstfreistellung bei gleichzeitiger Rückgabe nicht nur der Firmenkreditkarten sondern viel wichtiger auch der Firmenschlüssel, könnte nämlich nur bei Vorliegen einer besonderen Interessenslage, die nahelegt, daß der Geschäftsführer die aus seiner
Organstellung resultierenden Pflichten (und das Haftungsrisiko eines Geschäftsführers) aus anderen Gründen als wegen der aus dem Dienstverhältnis resultierenden Gegenleistungen der Gesellschaft auf sich nehmen wollte, bedeuten, daß lediglich das Dienstverhältnis bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Organfunktion als Geschäftsführer aufgelöst wurde. Eine solche Interessenslage, die bei
einem "Fremdgeschäftsführer" nur bei Vorliegen besonderer Umstände in
Betracht kommen wird, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich; ebensowenig ist den Akten zu entnehmen, daß der Berufungswerber nach dem 26.2.1992 noch Vertretungshandlungen für die Gesellschaft gesetzt
hätte. Es ergibt sich somit kein Anhaltspunkt dafür, daß der Berufungswerber nach dem 26.2.1992 in aufrechter Funktion als Geschäftsführer der N GmbH gestanden ist.
Zu verweisen ist noch auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes
vom 22.12.1992, 92/04/0206, worin - allerdings hinsichtlich eines gewerberechtlichen Geschäftsführers - ausgeführt wird, daß die Geschäftsführereigenschaft mit dem Ausscheiden - und nicht etwa erst mit der Anzeige des Gewerbeinhabers über das Ausscheiden - endet.
Der
VwGH hat weiters ausgeführt, daß demnach auch die strafrechtliche Verantwortung des Geschäftsführers mit dessen "Ausscheiden" wegfalle,
wobei das Tatbestandsmerkmal dieses Begriffes - unabhängig vom zwischen dem Gewerbeinhaber und dem gewerberechtlichen Geschäftsführer bestehenden zivilrechtlichen Verhältnis - auch durch ein "faktisches Ausscheiden oder Entfernen" erfüllt werde. Ein solches "faktisches Ausscheiden oder Entfernen" liegt im konkreten Fall nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien aber durch die sofortige Dienstfreistellung vor.
Da der Berufungswerber somit zur Tatzeit nicht mehr als Geschäftsführer der Firma N GmbH anzusehen war, war spruchgemäß zu entscheiden.