Der unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Mag Romano über die Berufung des Herrn Bernhard V, wohnhaft in Wien, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat, vom 27.1.1995, Zl Pst 5404/Dt/93, wegen Verwaltungsübertretung gemäß §102 Abs5 lita KFG entschieden:
Gemäß §66 Abs4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß §45 Abs1 Zif2 VStG eingestellt.
Der Berufungswerber hat daher gemäß §65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Begründung:
Auf Grundlage des abgeführten Ermittlungsverfahrens erster Instanz erging gegen den Beschuldigten das angefochtene Straferkenntnis mit folgender Tatumschreibung:
"Sie haben am 5.9.93 um 04.10 Uhr in Wien, Kreuzung W-Straße - St-gasse das KFZ mit Kennzeichen W-VO gelenkt und haben den Führerschein nicht mitgeführt.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:
§102/5a KFG"
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde eine Geldstrafe von S 500,--, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Stunden verhängt und ein erstinstanzlicher Strafkostenbeitrag von S 50,-- vorgeschrieben. In der dagegen fristgerecht eingebrachten Berufung stellte der Beschudligte die Verwirklichung der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretung in Abrede.
Hiezu wurde nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt erwogen:
Gemäß §102 Abs5 lita KFG hat der Lenker den Führerschein auf Fahrten mitzuführen und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder der Straßenaufsicht auf Verlangen zur Überprüfung auszuhändigen.
Aktenkundig ist, daß der Beschuldigte um 4.10 Uhr aufgefordert wurde, sich einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle zu unterziehen und hiebei den Führerschein nicht vorweisen konnte.
Zwischen dem Zeitpunkt des Lenken eines Fahrzeuges und dem Nichtaushändigen des Führerscheines liegt daher eine Zeitspanne von insgesamt etwa 4 Stunden.
Nun hat der Verwaltungsgerichtshof zwar in ständiger Judikatur ausgeführt, daß ein Kraftfahrer auch dann, wenn er sein Fahrzeug zum Parken abgestellt und bereits verlassen hat, als dessen "Lenker" zur Vorweisung der Fahrzeugpapiere verpflichtet ist (9.2.65, 1949,1950/64 uva). Anderseits wurde jedoch festgestellt, daß es der Zweck der im Absatz 5 normierten Aushändigungspflicht ist, zu gewährleisten, daß die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes möglichst rasch, nach Tunlichkeit noch am Tatort, über die Person des einer Verwaltungsübertretung Verdächtigen und das dabei verwendete Fahrzeug genaue Kenntnis zu erlangen (13.6.1975, 828,829/74 uva).
Die Berufungsbehörde ist jedoch zur Ansicht gelangt, daß im Sinne der letztgenannten Entscheidung ein zeitlicher Konnex zwischen dem Lenken eines Fahrzeuges und der Aufforderung des Fahrzeuglenkers, die kraftfahrrechtlichen Dokumente vorzuweisen, gegeben sein muß. Wird nämlich zu einem wesentlichen nach dem Lenken liegenden Zeitpunkt an den des Lenkens Verdächtigen die Aufforderung gestellt, den Führerschein vorzuweisen, ist der Zweck der raschen - möglichst am Tatort zu erfolgenden - Kenntnisnahme behördlicher Organe von der Lenkerberechtigung nicht entsprochen. Zu einem wesentlich nach dem Lenken eines Fahrzeuges liegenden Zeitpunkt stehen der Behörde andere Mittel zur Verfügung, sich über das Vorhandensein der Lenkerberechtigung zu überzeugen. Die als Fahrzeuglenker verdächtige Person kann nach Überzeugung der Berufungsbehörde nicht die Verpflichtung treffen, die kraftfahrrechtlichen Dokumente bis zu einem gänzlich unbestimmten Zeitpunkt nach Beendigung des Lenkens des Fahrzeuges mitzuführen. Der Beschuldigte konnte sohin zufammenfassend nach Überzeugung der Berufungsbehörde 4 Stunden nach dem Lenken eines Fahrzeuges nicht mehr zu Recht als Lenker im Sinn der angezogenen Gesetzesstelle angesehen werden. Da er somit die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht in allen wesentlichen Tatbestandselementen verwirklicht hat, war der Berufung spruchgemäß Folge zu geben und mit Behebung des angefochtenen Straferkenntnisses vorzugehen.