Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Mag Leitner über die auf Art 129a Abs 1 Zif 2 B-VG im Zusammenhalt mit § 67a Abs 1 Zif 2 AVG gestützte Beschwerde der Frau Negosava K, 1950 geb, vertreten durch RA, wegen behaupteter Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit im Zusammenhang mit der am 29.1.1995 über Veranlassung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, erfolgten Festnahme und zwangsweisen Vorführung zum Strafantritt am 29.1.1995 um 8.30 Uhr sowie die daran anschließende Anhaltung bis zum 29.1.1995 um 19.15 Uhr ohne Anberaumung einer öffentlichen
mündlichen
Verhandlung entschieden:
Gemäß § 67c Abs 3 AVG iZm § 67d Abs 1 AVG wird der Beschwerde im Umfang ihrer Anfechtung stattgegeben und die zwangsweise Vorführung zum Strafantritt am 29.1.1995 um 08.30 Uhr sowie die daran anschließende Anhaltung bis 19.15 Uhr des selben Tages, als Verstoß gegen Art 1 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl Nr 684/1988, für rechtswidrig erklärt.
Die belangte Behörde (Magistrat der Stadt Wien) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres ausgewiesenen Vertreters gemäß § 79a AVG die mit S 8.453,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung:
1. Die auf § 67a AVG gestützte Beschwerde enthält folgendes Vorbringen:
Über die Beschwerdeführerin wurde wegen § 28 Ausländerbeschäftigungsgesetz, BGBl Nr 218/1975, in der geltenden Fassung, vom Magistratischen Bezirksamt für den 18. Bezirk, zur Zahl MBA 18-S-3259/93, eine Geldstrafe von S 30.000,--, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 14 Tagen und 20 Stunden, rechtskräftig verhängt. Infolge Nichtentrichtung dieser Geldstrafe wurde von der Magistratsabteilung 6 - Rechnungsamt, Erhebungs- und Vollstreckungsdienst, eine Vollstreckungsmaßnahme gemäß § 3 VVG eingeleitet. Mit Schreiben des Erhebungs- und Vollstreckungsdienstes vom 20.1.1995 wurde der Beschwerdeführerin die
Abholung der am 30.12.1993 gepfändeten Gegenstände - nach weiteren Verfahrensschritten - für den 30.1.1995 angekündigt. Trotz des anhängigen Vollstreckungsverfahrens wurde die Beschwerdeführerin am 29.1.1995 um 8.30 Uhr festgenommen und zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe vorgeführt und erst um 19.15 Uhr desselben Tages wieder freigelassen, nachdem die primär verhängte Geldstrafe bezahlt worden war.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich dadurch, daß gemäß § 53b Abs 2 VStG der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe nicht aufgeschoben worden war, in ihrem Recht auf persönliche Freiheit gemäß Art 1 des Gesetzes
zum Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl Nr 684/1988, verletzt.
Sie
stellt den Antrag, gemäß § 79a AVG an Kosten S 11.555,40 zuzusprechen.
2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien ersuchte am 22.3.1995 den Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6 - Rechnungsamt, um Vorlage der Verwaltungsakten sowie um Anschluß einer allfälligen Stellungnahme; am 4.4.1995 wurde der Vollstreckungsakt mit folgender Bemerkung vorgelegt:
"Aufgrund einer vom MBA 18 erlassenen Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe, der nicht Folge geleistet wurde, veranlaßte die Stadtkasse, auf die inzwischen der Strafvollzug überging, die Vorführung, wobei ein Pfandrecht vom 30.12.1993 unberücksichtigt blieb."
3. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat hiezu aus rechtlicher Sicht erwogen:
Die Beschwerde ist begründet.
Gemäß § 67c Abs 1 Z 2 AVG im Zusammenhalt mit Art 129a Abs 1 Z 2
B-VG
entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes. Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und Verwaltungsgerichtshofes stellen die zur Einleitung eines Strafvollzuges erfolgte Festnahme und Einlieferung in ein Gefangenenhaus sowie der Vollzug einer Freiheitsstrafe oder Ersatzfreiheitsstrafe Akte der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar, und sind jener Behörde zuzurechnen, in
deren Auftrag sie durchgeführt wurden. Ab 1.1.1991 können derartige faktische Amtshandlungen nicht mehr direkt vor dem Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshof angefochten werden, sondern sind vielmehr an die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zu richten (B-VG Novelle 1988, BGBl Nr 685).
Gemäß § 67c Abs 2 AVG hat die Beschwerde zu enthalten:
1.
Die Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes,
2.
soweit es zumutbar ist, eine Angabe darüber, welches Organ den angefochtenen Verwaltungsakt gesetzt hat und welcher Behörde er zuzurechnen ist,
3.
den Sachverhalt,
4.
die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,
5. das Begehren den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären,
6. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig - das heißt innerhalb der sechswöchigen Frist - eingebracht ist.
Die beschwerdegegenständliche Amtshandlung wurde am Sonntag, den 29.1.1995 gesetzt, die mit 10.3.1995 eingebrachte Beschwerde ist somit rechtzeitig.
Die weiteren Beschwerdevoraussetzungen sind gegeben.
§ 3 VVG lautet:
"(1) Die Verpflichtung zu einer Geldleistung ist in der Weise zu vollstrecken, daß die Vollstreckungsbehörde durch das zuständige Gericht nach den für das gerichtliche Exekutionsverfahren geltenden Vorschriften die Eintreibung veranlaßt. In diesem Falle schreitet die
Vollstreckungsbehörde namens des Berechtigten als betreibenden Gläubigers ein. Die Vollstreckungsbehörde kann die Eintreibung unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften über die Einbringung und Sicherung der öffentlichen Angaben selbst vornehmen, wenn dies im Interesse der Raschheit und der Kostenersparnis gelegen ist.
(2) Bescheide und Rückstandsausweise, die von der erkennenden oder verfügenden Stelle oder von der Vollstreckungsbehörde mit der Bestätigung versehen sind, daß sie einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht unterliegen, sind Exekutionstitel im Sinne des § 1 EO. Einwendungen gegen den Anspruch im Sinne des § 35 EO sind
bei der Stelle anzubringen, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist.
(3) Die Anspruchsberechtigten einschließlich des Bundes, der Länder und der Gemeinden können die Eintreibung einer Geldleistung unmittelbar beim zuständigen Gericht beantragen. Dies gilt auch für andere juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit ihnen zur
Eintreibung einer Geldleistung die Einbringung im Verwaltungsweg
(politische Exekution) gewährt ist."
§ 53a VStG lautet:
"Alle Anordnungen und Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe obliegen bis zum Strafantritt der Behörde, die in
erster Instanz entschieden hat oder der der Strafvollzug gemäß § 29a übertragen worden ist. Mit Strafantritt stehen diese Anordnungen und Entscheidungen, soweit nicht das Vollzugsrecht zuständig ist, der Verwaltungsbehörde zu, der gemäß § 53 der Strafvollzug der Strafvollzug obliegt (Strafvollzugsbehörde).
§ 53b VStG lautet:
(1) Ein Bestrafter auf freiem Fuß, der die Strafe nicht sofort antritt, ist aufzufordern, die Freiheitsstrafe binnen einer bestimmten angemessenen Frist anzutreten.
(2) Kommt der Bestrafte der Aufforderung zum Strafantritt nicht nach,
so ist er zwangsweise vorzuführen. Dies ist ohne vorherige Aufforderung sofort zu veranlassen, wenn die begründete Sorge besteht, daß er sich durch Flucht dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen werde. Solange eine solche Sorge nicht besteht, ist mit dem
Vollzug bis zur Erledigung einer vor dem Verfassungsgerichtshof oder dem Verwaltungsgerichtshof in der Sache anhängigen Beschwerde zuzuwarten.
Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 18. Bezirk hatte am 13.12.1993 einen Vollstreckungsantrag zufolge des Rückstandsausweises in der Höhe von S 30.000,-- Verwaltungsstrafe und
S 3.000,-- Strafkostenbeitrag an die Magistratsabteilung 6 gestellt. Die Magistratsabteilung 6 - Rechnungsamt, Erhebungs- und Vollstreckungsdienst, hatte am 30.12.1993 in der Wohnung der Beschwerdeführerin 6 Gegenstände gepfändet (Bl 4 verso des Vollstreckungsaktes).
Ein Formblatt, Auftrag zur öffentlichen Versteigerung der Magistratsabteilung 6 - Rechnungsamt, zur Bekanntgabe eines allfälligen Versteigerungstermines wurde unausgefertigt dem Akt beigeschlossen. Aufgrund eines Ratenansuchens und eines Teilzahlungsbescheides vom 2.2.1994 auf Monatsraten a S 3.000,-- war die Betreibung einer öffentlichen Auktion gemäß § 99 der Abgabenexekutionsordnung ausgesetzt worden. Die Beschwerdeführerin hatte jedoch außer einem Teilbetrag die Ratenvereinbarung nicht eingehalten, weshalb am 15.7.1994 eine "Erinnerung" an sie gerichtet worden war, mit dem Hinweis, daß die noch offenen Beträge unverzüglich zu überweisen sind, widrigenfalls die Geldstrafe als uneinbringlich anzusehen ist und die Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden müßte.
Am 10.11.1994 wurde der Beschwerdeführerin die Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe zugestellt, welche ebenfalls nicht befolgt wurde, weshalb die Vorführung zum Strafantritt im Wege der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Wieden am 18.1.1995 eingeleitet worden war; am 29.1.1995 war die Beschwerdeführerin auch tatsächlich um 8.15 Uhr zum Strafantritt vorgeführt worden; um 19.15 Uhr jedoch nach Bezahlung der Restschuld entlassen worden.
Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl etwa das Erkenntnis vom 9.5.1990, zur Zahl 89/03/0269) ist der Sinn einer zwangsweisen Vollstreckung darin gelegen, eine dem Willen der Behörde entgegenstehende Absicht einer Partei zu brechen. Ist dieser Zweck jedoch erreicht, bevor die verhängte Zwangsmaßnahme vollstreckt
werden konnte, so wäre es zweckwidrig auf dem Vollzug derselben zu bestehen, weil hier jedes Moment eines Sühne- oder Besserungszweckes auszuscheiden hat. (Verweis auf VwSlg 3171 A).
§ 2 VVG lautet:
(1) Bei Handhabung der in diesem Gesetz geregelten Zwangsbefugnisse haben die Vollstreckungsbehörden an dem Grundsatz festzuhalten, daß jeweils das gelindeste noch zum Ziel führende Zwangsmittel anzuwenden
ist.
(2) Geldleistungen dürfen nur insoweit zwangsweise eingebracht werden, als dadurch der notwendige Unterhalt des Verpflichteten und der Person, für die er nach dem Gesetz zu sorgen hat, nicht gefährdet
wird.
Gegen die Beschwerdeführerin war vorerst eine Fahrnispfändung eingeleitet worden war, ungeachtet der nicht von vornherein ausscheidenden Möglichkeit einer Lohnpfändung (als Beschäftigung wird
im Akt selbst Hauswart angegeben). Diese Vollstreckungshandlung war durch den bewilligten Teilzahlungsbescheid vom 2.2.1994 vorübergehend
unterbrochen worden und wäre nach Nichteinhaltung der Ratenbewilligung fortzusetzen gewesen; erst nach abgehaltener öffentlicher Versteigerung und offenkundiger Uneinbringlichkeit einer
(zu erwartenden) verbleibenden Restforderung des Magistrates der Stadt Wien, wäre eine Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 53b bzw 54b VStG rechtmäßig. Wie der Verwaltungsgerichtshof im verstärkten Senat vom 29.11.1973 in
VwSlg 8511 A ausgesprochen hat, ist der "Gedanke der Schonung erworbener Rechte in der österreichischen Rechtsordnung von derart fundamentaler Bedeutung", daß seine Erhaltung immer dort anzunehmen ist, wo ein Gesetz nicht ausdrücklich das Gegenteil festlegt. Aufgrund der der Vollstreckungsbehörde angelegenen Berücksichtigung des aus § 2 Abs 1 VVG erfließenden Schonungsprinzipes sind bei der Eintreibung von Geldleistungen zunächst die im § 3 VVG vorgesehenen Maßnahmen einzuleiten.
Die Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe, geschweige denn deren zwangsweise Veranlassung, war demnach nicht das gemäß § 2 VVG gelindeste zur Verfügung stehende Mittel, weshalb die Beschwerdeführerin in ihrem Recht gemäß Art 1 des Gesetzes zum Schutz
der persönlichen Freiheit, BGBl Nr 284/1988 im Zusammenhalt mit Art V
MRK verletzt worden ist.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf § 79a AVG im Zusammenhalt mit
der
Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl Nr 416/1994, vom 7.6.1994, Art I lit A Z 1, wobei für Schriftsatzaufwand S 12.500,-- - gekürzt um ein Drittel im Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten zuzüglich S 120,-- Bundesstempelmarken gebühren.