TE Vwgh Erkenntnis 2001/10/9 98/21/0442

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Veröffentlicht am 09.10.2001
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2;
StGB §125;
StGB §269 Abs1;
StGB §83 Abs1;
StGB §84 Abs2 Z4;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):98/21/0443

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerden 1. des am 11. August 1959 geborenen C und 2. der am 13. Februar 1967 geborenen H, beide vertreten durch Dr. Ernst Gruber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwertgasse 3, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich 1. vom 1. September 1998, Zl. Fr 54/98, (betreffend den Erstbeschwerdeführer) und 2. vom 2. September 1998, Zl. Fr 55/98, (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin), jeweils betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den zitierten, im Instanzenzug ergangenen und im Wesentlichen gleichlautenden Bescheiden erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführer, beide Staatsangehörige der Republik Korea, gemäß § 36 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75/1997, jeweils ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte sie aus, dass einer Strafanzeige des Gendarmeriepostens D. vom 28. August 1997 an die Staatsanwaltschaft K. zu entnehmen sei, der Erstbeschwerdeführer wäre am 18. August 1997 im Ortsgebiet von D. wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten worden und daraufhin zur Klärung des Sachverhaltes freiwillig zum zuständigen Gendarmerieposten mitgekommen. Dort wäre ihm die rechtliche Situation in englischer Sprache klargelegt und er dazu aufgefordert worden, die Dienststelle zu verlassen und sich Geld (gemeint: für die Bezahlung des Organstrafmandates) zu besorgen. Da der Erstbeschwerdeführer dieser Aufforderung nicht nachgekommen und regungslos auf dem ihm zuvor zugewiesenen Sessel sitzen geblieben wäre, wodurch er zwei weitere Beamte an der Ausübung ihres Dienstauftrages zur Außendienstverrichtung gehindert hätte, wäre die Anwendung von Körperkraft erforderlich geworden, um ihn aus der Dienststelle zu verbringen. Gegen diesen Versuch hätte sich der Erstbeschwerdeführer durch heftiges Herumschlagen mit beiden Armen zur Wehr gesetzt, die mit ihm verheiratete Zweitbeschwerdeführerin wäre ihm daraufhin zur Hilfe geeilt und hätte zwei Beamte durch Armstöße attackiert. Bei diesem "Handgemenge" hätten sowohl die Beschwerdeführer als auch einer der Beamten leichte Verletzungen in Form von Hautabschürfungen und kleinflächigen Hämatomen erlitten. In der Folge hätte die Zweitbeschwerdeführerin heftig mit den Füßen gegen die Eingangstüre des Gendarmeriepostens getreten und diese dadurch beschädigt.

Weiters verwies die belangte Behörde auf den Strafantrag der Staatsanwaltschaft K. vom 4. September 1997. Demnach hätten die beiden Beschwerdeführer

"I.) im bewussten und gewollten Zusammenwirken

1.) die Gendarmeriebeamten GrInsp. Edwin H. und RevInsp. Reinhard R. mit Gewalt am Entfernen des Kim aus den Diensträumen des Gendarmeriepostens D., sohin an einer Amtshandlung gehindert, indem Kim mit den Händen gegen die Beamten schlug und Sung den Beamten Armstöße versetzte;

2.) den Gendarmeriebeamten RevInsp. Reinhard R. durch Schläge und Stöße, die Prellungen und Hautabschürfungen an der rechten Hand, am rechten Oberarm und am linken Ellenbogen zur Folge hatten, vorsätzlich am Körper verletzt, wobei sie die Tat an einem Beamten während oder wegen Entfernung des Kim aus den Diensträumen des Gendarmeriepostens D., sohin während oder wegen der Vollziehung der Aufgaben und der Erfüllung der Pflichten des Beamten begingen;

II.) Chung Hyun KIM (gemäß Strafanzeige wohl KIM Choi Sung) fremde Sachen, nämlich die Eingangstüre des Gendarmeriepostens D., durch Fußtritte, die eine Eindellung der Türfüllung und einen Abbruch einer Glasleiste zur Folge hatten, vorsätzlich beschädigt, wobei ein Schaden von S 12.373,20 herbeigeführt wurde."

Die Staatsanwaltschaft habe deswegen die Bestrafung zu Punkt I./1.) wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 269 Abs. 1 StGB), zu I./2.) wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 iVm. § 84 Abs. 2 Z. 4 StGB) beantragt, hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers zu II. überdies wegen des Vergehens der Sachbeschädigung. Die Beschwerdeführer seien allerdings trotz mehrmaliger Aufforderungen zur Hauptverhandlung nicht erschienen, weshalb die Strafverfahren gemäß § 412 StPO vorläufig eingestellt worden seien.

Die belangte Behörde erachtete die den Beschwerdeführern vorgeworfenen Handlungen als "völlig glaubwürdig" und qualifizierte das "Gesamtfehlverhalten, das von der Staatsanwaltschaft K. im Strafantrag skizziert wurde" derart schwerwiegend, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dringend erforderlich sei. Zwar hätten die Beschwerdeführer versucht, den Sachverhalt in ihrer Berufung "völlig anders" darzustellen, indem sie ihrerseits den Beamten ein rechtswidriges Verhalten vorwürfen und sich selbst als völlig unschuldig darstellten. Diese in den Berufungen vorgebrachten Rechtfertigungen seien jedoch als Schutzbehauptungen zu werten. Die Beschwerdeführer hätten nämlich im Strafverfahren ausreichend Möglichkeit gehabt, dem Gericht ihre Sicht der Dinge darzulegen und sich zu rechtfertigen, wovon sie allerdings keinen Gebrauch gemacht hätten. "Insofern" sei für die belangte Behörde "nicht erkennbar, weshalb die in Frage stehenden Anschuldigungen nicht den Tatsachen entsprechen sollen". Den Beweisanträgen der Beschwerdeführer werde daher nicht nachgekommen, weil sich die erkennende Behörde "aufgrund der ausreichend vorliegenden Aktenlage (Gerichtsakt samt niederschriftlicher Einvernahme der Beamten und einer Zeugin sowie die Verletzungsanzeigen)" davon "keinerlei zu berücksichtigende Neuigkeiten erwarte". Ein "vielleicht nicht rechtmäßiges" Verhalten der Beamten sei jedenfalls nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Von ihrem Ermessensspielraum nach § 36 Abs. 1 FrG könne die belangte Behörde aufgrund dieser massiven Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung nicht zugunsten der Beschwerdeführer Gebrauch machen. Eine Interessensabwägung nach § 37 FrG sei im Hinblick auf ihre fehlenden familiären Bindungen zu in Österreich lebenden Personen nicht erforderlich.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Unter dem Gesichtspunkt einer mangelhaften Bescheidbegründung machen die Beschwerdeführer zunächst geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, den ihren Entscheidungen zugrunde gelegten Sachverhalt festzustellen. In diesem Zusammenhang ist zwar zutreffend, dass in den angefochtenen Bescheiden zum "entscheidungsrelevanten Sachverhalt" im Wesentlichen nur der Inhalt der an die Staatsanwaltschaft K. erstatteten Strafanzeige sowie deren Strafantrag vom 4. September 1997 wiedergegeben werden. Bei Gesamtbetrachtung der Bescheidbegründungen besteht jedoch kein Zweifel daran, dass die belangte Behörde das Fehlverhalten, "das von der Staatsanwaltschaft K. im Strafantrag skizziert wurde", bei der Frage der Erfüllung der Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 FrG für die Erlassung der Aufenthaltsverbote heranzog.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass ein Aufenthaltsverbot ausschließlich auf § 36 Abs. 1 FrG gestützt werden kann, wenn triftige Gründe vorliegen, die zwar nicht die Voraussetzungen der in § 36 Abs. 2 FrG - demonstrativ - aufgezählten Fälle aufweisen, wohl aber bei einer Gesamtbetrachtung die in Abs. 1 dieser Bestimmung umschriebene Annahme rechtfertigen. Entscheidend ist hiebei das dieser Beurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers und nicht das Vorliegen einer deswegen erfolgten rechtskräftigen Bestrafung oder Verurteilung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 1999, Zl. 99/18/0085).

Was das unter Punkt II. in dem in den angefochtenen Bescheiden wiedergegebenen (den Verwaltungsakten aber nicht angeschlossenen) Strafantrag dargestellte Fehlverhalten der Beschwerdeführer anlangt, wenden die Beschwerden zutreffend ein, die angefochtenen Bescheide ließen nicht erkennen, welchem der beiden Beschwerdeführer die Behörde dieses Fehlverhalten zuordne. Einerseits wird nämlich nach dem dargestellten Inhalt des Strafantrages, dem die belangte Behörde das Gesamtfehlverhalten der Beschwerdeführer entnimmt, die vorsätzliche Sachbeschädigung dem Erstbeschwerdeführer zur Last gelegt, andererseits merkt die belangte Behörde dazu (nur) an, dass dieses Verhalten "gemäß Strafanzeige wohl" von der Zweitbeschwerdeführerin gesetzt worden sei.

Das im Strafantrag unter Punkt I. angeführte Fehlverhalten wird von beiden Beschwerdeführern bestritten. Sie wenden ein, dass der Erstbeschwerdeführer "einfach passiv " gewesen wäre, wodurch er den Zorn der Beamten auf sich gezogen habe, und dass die Zweitbeschwerdeführerin in Putativ-Notwehrhilfe gehandelt habe. Auch sei nicht nachvollziehbar, warum aufgrund dieses Vorfalles eine negative Prognose hinsichtlich des künftigen Verhaltens der Beschwerdeführer zu treffen sei.

Letztgenanntes Vorbringen führt die Beschwerden zum Erfolg. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Erstbeschwerdeführer, wie im Strafantrag beschrieben, die beiden Gendarmeriebeamten verletzt und an einer Amtshandlung dadurch gehindert hat, dass er - im Zuge des unbestrittenen Versuches, ihn aus den Diensträumen zu verbringen - mit den Händen gegen die Beamten schlug, oder ob er nur ein "passives" Verhalten gesetzt hat und ob die Zweitbeschwerdeführerin aufgrund eines vermeintlichen Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrundes gehandelt hat. Selbst unter Zugrundelegung des im Strafantrag der Staatsanwaltschaft dargestellten Verhaltens der Beschwerdeführer (das bei Zutreffen keinesfalls zu bagatellisieren wäre) würde dieses Fehlverhalten bei einer Gesamtbetrachtung der Umstände nicht einen solchen Grad der Verwerflichkeit erreichen, dass dadurch bereits die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt wäre.

So hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22. November 1995, Zl. 95/21/0276, in einem vergleichbaren Fall, in dem der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 4 StGB sowie wegen des Vergehens des tätlichen Angriffes auf zwei Beamte nach § 270 Abs. 1 StGB (der Angriff führte im Rahmen eines Polizeieinsatzes zur Beendigung einer privaten Feier u.a. zur Rippenprellung eines Beamten) schuldig erkannt wurde, ausgesprochen, dass dieses aggressive Vorgehen, auch wenn es schwer ins Gewicht falle, nicht zuletzt im Hinblick auf die nicht erheblichen Verletzungen (noch) kein bedeutsames Fehlverhalten im Sinne des § 18 Abs. 1 FrG 1992 (als Vorgängerbestimmung des § 36 Abs. 1 FrG) darstellte.

In den vorliegenden Fällen erreichte der genannte Verletzungsgrad ein geringeres Ausmaß, wobei gegenständlich im Rahmen der Gesamtumstände weiters zu berücksichtigen ist, dass den freiwillig auf den Gendarmerieposten gekommenen - der deutschen Sprache aber sichtlich nicht mächtigen - Beschwerdeführern offensichtlich nicht verständlich war, weshalb sie einer Aufforderung zur (sofortigen) Bezahlung einer Verwaltungsstrafe nachkommen sollten.

In Anbetracht der Umstände dieser beiden Einzelfälle sowie der Tatsache, dass sich die - in der Republik Korea wohnhaften - Beschwerdeführer lediglich auf der Durchreise durch Österreich befanden, vermag der Verwaltungsgerichtshof eine Gefährdung im Sinne des § 36 Abs. 1 Z. 1 und 2 FrG nicht zu erkennen.

Auf das (zutreffende) weitere Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe die festgesetzte Dauer der verhängten Aufenthaltsverbote in keiner Weise begründet, braucht daher nicht weiter eingegangen werden.

Die angefochtenen Bescheide waren somit wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 9. Oktober 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998210442.X00

Im RIS seit

28.12.2001

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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