Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Einzelmitglied Dr. Karl-Heinz Liebenwein über die Berufung des Herrn Dr. F.L., gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Graz - Steueramt vom 20.7.1995, GZ.: A8aP-6825B, ohne Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung wie folgt entschieden:
Der Berufung wird gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe I.) laut Feststellung eines beeideten Aufsichtsorganes am 15.12.1994 in der Zeit von 10.08 Uhr bis 10.20 Uhr sein mehrspuriges Kraftfahrzeug G.. in der gebührenpflichtigen Kurzparkzone in Graz am Marburgerkai 51 ohne Parkschein geparkt, obwohl er verpflichtet gewesen wäre, die Parkgebühr bei Beginn des Parkens des Kraftfahrzeuges durch einen gültigen Parkschein zu entrichten und dadurch die vorgeschriebene Parkgebühr hinterzogen.
II.) Außerdem habe er die Aufforderung vom 27.2.1995, den Namen und die Adresse jener Person binnen zwei Wochen, gerechnet vom Tage der am 6.3.1995 erfolgten Zustellung, bekanntzugeben, der er zur oben bezeichneten Tatzeit das in Rede stehende Kraftfahrzeug überlassen oder ob er es selbst gelenkt habe, nicht befolgt, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre.
Er habe dadurch folgende Verwaltungsübertretungen begangen:
I.) § 2 des Stmk. Parkgebührengesetzes 1979, LGBl. Nr. 21/1979 i.d.g.F. iVm. §§ 2 und 4 der Grazer Parkgebührenverordnung 1979 i.d.g.F.
II.) § 6 Abs 5 leg. cit. i.V.m. § 5 Abs 4 der zitierten Verordnung.
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurden über ihn gemäß § 6 Abs 1 leg. cit. folgende Geldstrafen verhängt:
zu I.) Geldstrafe von S 300,--;
zu II.) Geldstrafe von S 500,--.
Für den Fall der Uneinbringlichkeit dieser Geldstrafen wurden die Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 16 Abs 1 und 2 VStG mit zu I.) 12 Stunden und zu II.) 18 Stunden festgelegt.
Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich offenbar die in offener Frist eingebrachte Berufung vom 16.8.1995, in der u.a. ausgeführt wird, daß die Parkzeitenverordnung vom 30.9.1994 gesetzwidrig wäre, am Tatort keine Bodenmarkierungen einer Zone angebracht wären und schließlich auch die Verordnung wegen falsch angebrachter Verkehrszeichen gesetzwidrig verordnet sei. Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat erwogen:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG hat die Berufungsbehörde,
sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Gemäß § 51 Abs 1 VStG steht dem Beschuldigten stets das Recht der Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat jenes Landes zu, in dem die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ihren Sitz hat; somit ergibt sich die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark für die Erlassung der gegenständlichen Entscheidung.
Gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat. Gemäß § 45 Abs 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Weiters sind gemäß § 25 Abs 2 VStG die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden. Zur Tatzeit stand am Tatort die Kurzparkzonenverordnung vom 30.9.1994, Zl. A 10/1-358/40-1994 in Geltung, welche am selben Tag kundgemacht wurde. Diese flächendeckend verordnete Kurzparkzone in der Grazer Innenstadt ist seit 1.10.1991, 08.00 Uhr - dies ist der Zeitpunkt der Kundmachung der Vorgängerverordnung
vom 30.9.1991, Zl. A 10/1-1588/6-1991 - auf zweibeinigen Stehern in ca. 0,60 m Höhe montierte Vorschriftszeichen gemäß § 52 Z 13 lit d und e StVO an allen Ein- und Ausfahrtsstraßen in diese Zone kundgemacht. Diese Vorschriftszeichen waren zumindest teilweise bis 23. März 1995, so etwa auch im Bereich der Kreuzung Schlögelgasse-Reitschulgasse, auf gelb schraffierten Sperrflächen aufgestellt. Die als Aufstellungsort dienenden Sperrflächen wurden seitens der belangten Behörde nicht verordnet.
Anlaß für den solcherart gewählten Aufstellungsmodus war, daß der Gehsteig teilweise für die Aufstellung zu schmal ist und daher überall dort, wo die niedrigen und relativ breiten Tafeln auf dem vorbeiführenden Gehsteig eine Behinderung für die Fußgänger darstellen könnten, die Verkehrszeichen auf den eigens dafür, quasi als Abstellplatz geschaffenen Sperrflächen montiert wurden. Diese Feststellungen gründen sich unter anderem auf das Ergebnis des Ortsaugenscheines im Verfahren 30.15- 52/94 des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark sowie die telefonischen Anfragebeantwortungen informierter Vertreter des Grazer Straßen- und Brückenbauamtes.
In rechtlicher Hinsicht resultiert daraus folgendes:
Gemäß § 55 Abs 4 StVO 1960 i.d.g.F. sind Teilflächen von Straßen oder Parkplätzen, die nicht befahren werden dürfen, mit Schraffen zu kennzeichnen (Sperrflächen). Nach der zu dieser Bestimmung ergangenen ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (u.a. Zl. 897/76 und der dort zitierten Vorjudikatur) wird durch eine Bodenmarkierung in Gestalt einer Sperrlinie oder einer Sperrfläche der Charakter einer Fahrbahn im Sinne des § 2 Abs 1 Z 2 StVO 1960 nicht verändert, d. h.
Sperrflächen im Sinne der zitierten Bestimmungen sind Teile der Fahrbahn.
Gemäß § 48 Abs 2 und Abs 5 StVO 1960 sind Straßenverkehrszeichen auf der rechten Straßenseite oder oberhalb der Fahrbahn in einem bestimmten Minimal- bzw. Maximalabstand anzubringen. Ausgehend von der Prämisse, daß Sperrflächen Teile der Fahrbahn sind, folgt daraus, daß die im Anlaßfall anzuwendende flächendeckende Kurzparkzone an mehreren Einfahrtsstraßen nicht gehörig kundgemacht wurde, da die entsprechenden Vorschriftszeichen in gesetzwidriger Weise auf der Fahrbahn aufgestellt sind. Nach der ständigen Rechtssprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 17.10.1967, V37/67, KJ 1969, 10) hat eine einzige Verletzung der Kundmachungsvorschrift (hier des § 44 Abs 4 StVO) zur Folge, daß die Verordnung zur Gänze als nicht gehörig kundgemacht anzusehen ist. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH 4.7.1963, 2042/62) hat dazu auf Verwaltungsstrafverfahren bezogen entschieden, daß die Nichtbeachtung eines gesetzwidrig angebrachten Verkehrszeichens nicht strafbar ist. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 13.2.1985, 85/18/0024) folgt aus § 48 Abs 5 StVO zwar keine Verpflichtung der Behörde zur zentimetergenauen Einhaltung der Höchst- und Mindestmaße für die Anbringung von Straßenverkehrszeichen.
Wohl aber hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13.6.1986, 84/17/0156 ausgesprochen, daß die ausschließliche Anbringung eines Vorschriftszeichens gemäß § 52 Z 13 lit d und e StVO an einem absolut unzulässigen Aufstellungsort (hier die linke Straßenseite) gesetzwidrig ist und die Anordnung der Kurzparkzone mit einem Kundmachungsmangel belastet. Ebenso läßt sich auch aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes eine Tendenz ableiten, derzufolge bei Überschreitung gewisser Toleranzgrenzen jedenfalls, d.h. ohne das Zusatzerfordernis einer Beeinträchtigung der Wahrnehmbarkeit, ein wesentlicher Kundmachungsmangel vorliegt (vgl. VfSlg. 7724, wonach durch die Überschreitung des gesetzlichen Maximalabstandes von 2,20 m um 20 cm die zugrundeliegende Verordnung jedenfalls - allein schon diese Abweichung bewirkt... - nicht gehörig kundgemacht ist).
Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark vermag sich daher im Lichte dieser Judikatur der in der seitens des Magistrates Graz, Straßen- und Brückenbauamt eingeholten Stellungnahme des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 14.5.1995, Zl. 160.050/3-1/6/95 vertretenen Rechtsauffassung, derzufolge ein Kundmachungsmangel nur bei einer Beeinträchtigung der Wahrnehmbarkeit des betreffenden Verkehrszeichens vorliegt, nicht anzuschließen, zumal auch in der herrschenden Lehre eine andere Auffassung vertreten wird (vgl. u.a. Tichy, Bodenmarkierungen als Kundmachungsmittel, ZVR
1984, 33 unter Verweis auf Novak, Die Fehlerhaftigkeit von Gesetzen und Verordnungen Wien 1967, welch letzterer im Anwendungsbereich des Artikel 89 Abs 1 B-VG von absoluter Nichtigkeit als Fehlerfolge kraft verfassungsgesetzlicher Anordnung spricht und in diesem Zusammenhang ausführte, daß das Gericht die nicht gehörig kundgemachte Norm bei der Entscheidung des anhängigen konkreten Rechtsfalles zu ignorieren, d.h. den Rechtsfall so zu entscheiden habe, als ob diese Norm niemals kundgemacht worden wäre).
Da gemäß § 1 der Grazer Parkgebührenverordnung 1979 i. d.g.F. die Einhebung einer Parkgebühr eine - gesetzeskonform kundgemachte - Verordnung gemäß § 25 StVO zur Voraussetzung hat und zur Tatzeit am Tatort eine solche nicht vorlag, ist die Gebührenpflicht nicht entstanden, weshalb der Berufungswerber die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat. Gemäß Artikel 89 Abs 1 B-VG steht die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Gesetze, Verordnungen und Staatsverträge soweit in diesem Artikel nicht anderes bestimmt wird, den Gerichten nicht zu. Nach herrschender Lehre und Rechtssprechung folgt aus dieser Bestimmung e contrario, daß die Gerichte nicht gehörig kundgemachte Gesetze, Verordnungen und Staatsverträge nicht anzuwenden haben.
Gemäß Artikel 129 a Abs 3 B-VG gilt Artikel 89 sinngemäß auch für die Unabhängigen Verwaltungssenate.
Aus dem Zusammenhalt dieser Bestimmungen folgt, daß die Unabhängigen Verwaltungssenate sowohl hinsichtlich ihrer Befugnis zur Normenanfechtung als auch hinsichtlich ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Beachtung von Kundmachungsmängeln den Gerichten im Sinne des Artikel 89 B-VG gleichgestellt sind. Es war daher der amtsbekannte Kundmachungsmangel im Anlaßfall aufzugreifen und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
Zu den Ausführungen der belangten Behörde, wonach
der u.a. im Verfahren 30.15-52/94 festgestellte Kundmachungsmangel für das gegenständliche Verfahren irrelevant wäre, ist auszuführen, daß die diesbezüglich vorgebrachten Argumente nicht stichhaltig sind. Vielmehr wurden mit der, der verfahrensgegenständlichen Verwaltungsübertretung zugrundeliegenden Verordnung des Stadsenates der Landeshauptstadt Graz eine räumlich zusammenhängende Fläche der Grazer Innenstadt zur gebührenpflichtigen Kurzparkzone erklärt, wobei sich ausschließlich wegen des teilweise unterschiedlichen zeitlichen Geltungsbereiches (maximale Parkdauer) eine differenzierte wörtliche Hervorhebung der einzelnen Straßenzüge oder Teilen derselben, als notwendig erwiesen.
Nach ha. Dafürhalten macht es daher keinen Unterschied, in welchem Bereich dieser in einer Verordnung und eine zusammenhängenden Fläche betreffenden gebührenpflichtigen Kurzparkzone die Tathandlung gesetzt wird, wenn unzweifelhaft festgestellt wird, daß auch nur bei einer in diese Zone führenden Zufahrtsstraße ein nach Ansicht der erkennenden Behörde zumindest bis 23.3.1995 vorhandener Kundmachungsmangel vorliegt, der sich daher auch zwangsläufig auf die Gültigkeit der gesamten Verordnung auswirken muß.
Hinsichtlich der dem Berufungswerber zu Punkt II.) angelasteten Verwaltungsübertretung ist auszuführen, daß die Bestrafung für eine nicht erteilte Lenkerauskunft nach dem Steiermärkischen Parkgebührengesetz bzw. der Grazer Parkgebührenverordnung und nicht nach § 103 Abs 2 KFG 1967 wohl voraussetzt, daß sich diese Anfrage nur auf einen Bereich beziehen kann, der durch eine im konkreten Fall wohl auch gesetzeskonform kundgemachte Verordnung zu einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone erklärt wurde. Da dieses Erfordernis im Sinne der vorigen Ausführungen für den verfahrensgegenständlichen Tatortbereich nicht zutrifft, bestand auch keine Verpflichtung zur Erteilung der erbetenen Lenkerauskunft, weshalb der Berufungswerber auch diesbezüglich die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat.