Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch Dr Suchomel als Vorsitzenden, Dr Grünstäudl als Berichter und Dr Pipal als Beisitzer über die Berufung der Frau Stefanie M vom 22.6.1995 gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 9. Bezirk, vom 3.6.1995, Zahl MBA 9 - S 6626/94, wegen Übertretung der §§ 129 Abs 2 Satz 1 iVm 135 Abs 3 Bauordnung für Wien, LGBl Nr 11/1930 idgF, entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung in der Schuldfrage keine Folge
gegeben und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, daß der letzte Halbsatz der Tatumschreibung im Spruch des Straferkenntnisses (" und Sie von diesen Mißständen ... wissen mußten.") entfällt.
Der Berufung gegen die Strafhöhe wird insoferne Folge gegeben, als die Geldstrafe auf S 5.000,--, die Ersatzfreiheitsstrafe auf 3 Tage herabgesetzt wird, wobei die Strafsanktionsnorm richtig "§ 135 Abs 1 und 3 der Wiener Bauordnung" lautet.
Der Kostenbeitrag zum erstinstanzlichen Verfahren beträgt gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG somit S 500,--.
Gemäß § 65 VStG hat die Berufungswerberin daher keinen Beitrag zu den
Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Begründung:
Der Berufungswerberin wurde mit dem angefochtenen Straferkenntnis angelastet:
"Sie haben als Miteigentümerin des Hauses Wien, S-gasse, dieses Gebäude vom 13.9.1994 bis 8.11.1994 insofern nicht in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften der Bauordnung für Wien entsprechendem Zustand erhalten, als am 13.9.1994 sowie am 08.11.1994
an der gassenseitigen Fassade dieses Hauses ca 8m des Hauptgesimses (Verputz und Mauerwerksteile) und Teile des darunter angeordneten Ziergesimses bereits abgestürzt bzw entfernt und augenscheinlich weitere Verputz- und Mauerwerksteile dieser Gesimse lose und absturzgefährdet waren, und Sie von diesen Mißständen durch am 6.9.1994 erfolgte Zustellung des Bescheids der MA 37, Baupolizei, vom
1.9.1994, MA 37/S-gasse/1893/94, wissen mußten."
Sie hätte daher gegen § 129 Abs 2 Satz 1 in Verbindung mit § 135 Abs 3 der Wiener Bauordnung verstoßen, weshalb über die Beschuldigte eine
Geldstrafe von S 10.500,-- gemäß § 135 Abs 3 leg cit verhängt wurde. Die Behörde erster Instanz begründete ihre Entscheidung im wesentlichen damit, die Miteigentümerin hätte nicht alle rechtlichen und tatsächlichen Mittel ausgeschöpft, um ihrer Instandhaltungspflicht nachzukommen, als sie ihre Miteigentümer zur Vornahme der Instandsetzungsarbeiten zu klagen gehabt hätte. Dagegen wendet die Berufungswerberin ein, sie habe alles unternommen,
was zweckentsprechend und ihr zumutbar gewesen sei, um den Baumangel zu beheben.
So habe sie insbesondere mit dem in Kopie vorgelegten Schreiben vom 4.10.1994 den Hausverwalter und gleichzeitigen Vertreter der Mehrheitseigentümerin W-gesellschaftmbH & Co KG, Herrn Rechtsanwalt Dr Ronald I aufgefordert, unverzüglich in Entsprechung des Bauauftrages vom 1.9.1994, welcher eine Herstellungsfrist von 7 Tagen
einräume, die aufgetragenen Maßnahmen zur Herstellung des Haupt- und Ziergesimses sowie zur Herstellung der definitiven Dacheindeckung vorzukehren.
Auch habe die Berufungswerberin zur Zahl 36 Cg 4/95 des Handelsgerichtes Wien Klage gegen die W-gesellschaftmbH & Co KG eingebracht und in der Folge, nachdem der Hausverwalter Rechtsanwalt Dr I seit dem Frühjahr 1995 nicht mehr auffindbar gewesen sei, einen neuen Hausverwalter bestellt und diesen ebenfalls aufgefordert, die Schäden zu beheben.
Entsprechend ihrem ergänzenden Vorbringen vom 20.10.1995 habe sie allerdings die von ihr vorbereitete Klage auf Abberufung des Verwalters nicht mehr eingebracht, da dieser bereits flüchtig gewesen
sei.
Hierüber hat der Unabhängige Verwaltungssenat Wien erwogen:
Aus der Aktenlage im Zusammenhalt mit dem dargestellten Berufungsvorbringen steht unbestrittenermaßen fest, daß die inkriminierten Baumängel im angelasteten Tatzeitraum nicht behoben waren, sodaß der Tatbestand des § 129 Abs 2 der Wiener Bauordnung in objektiver Hinsicht erfüllt ist.
Ergänzend ist festzustellen, daß laut dem in der Berufung zitierten Bauauftrag vom 1.9.1994 tatsächlich eine 7-Tagesfrist zur Entfernung der losen absturzgefährdeten Teile des Hauptgesimses und des darunter
befindlichen Ziergesimes eingeräumt wurde. Die folgende Beurteilung der von der Berufungswerberin als Miteigentümerin verabsäumten Instandsetzungsmaßnahmen ist daher insbesondere unter dem Gesichtspunkt dieser Gefährlichkeit der Baumängel und der Dringlichkeit der abhilfeschaffenden Maßnahmen zu sehen. Hinsichtlich des bestrittenen Verschuldens hat die Berufungsbehörde in den genannten Akt des Handelsgerichtes Wien Einsicht genommen, aus
dem sich jedoch ergibt, daß die in der Berufung genannte Klage vom 17.11.1994 nicht nur nach dem gegenständlichen Tatzeitraum erhoben wurde, sondern insbesondere ausschließlich auf Bezahlung eines Schadenersatzbetrages (und nicht auf Durchführung der Instandsetzungsarbeiten) gerichtet war, wobei die gegenständlichen Mängelbehebungsarbeiten an der Außenfassade nicht einmal Gegenstand dieser Schadenersatzforderungen waren.
Daher vermag die Tatsache der Erhebung dieser Klage das mangelnde Verschulden der Berufungswerberin nicht darzulegen. Ebenso geht die Argumentation, der Hausverwalter und Vertreter der Mehrheitseigentümerin Rechsanwalt Dr I sei im Frühjahr 1995 nicht mehr auffindbar gewesen, an der vorliegenden Berufungssache angesichts des bereits im November 1994 endenden Tatzeitraumes vorbei.
Da die gegenständliche Unterlassung der Instandhaltungspflicht ein Ungehorsamsdelikt darstellt, hätte die Berufungswerberin zur Hintanhaltung einer Bestrafung glaubhaft zu machen gehabt, daß sie an
der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Dazu hatte sie initiativ alles darzulegen, was für ihre Entlastung spricht (vgl Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Seite 708).
Abgesehen von der bereits angeführten - für den gegenständlichen Fall
aus den erwähnten Gründen jedoch irrelevanten - Klagsführung hatte die Berufungswerberin im Tatzeitraum lediglich mit Schreiben vom 4.10.1994 den Versuch unternommen, die Durchführung der Instandsetzungsarbeiten beim Mehrheitseigentümer als auch beim Verwalter zu erwirken.
Dieser Schritt alleine, der trotz der Dringlichkeit der Instandsetzungsmaßnahmen (absturzgefährdete Mauerwerksteile) erst Wochen nach dem gegenständlichen Bauauftrag erfolgte, war jedoch allenfalls schuldmindernd, nicht jedoch schuldbefreiend, zumal der Berufungswerberin angesichts der kurzen Fristsetzung im Bauauftrag als auch der Schwere der Baumängel die Verpflichtung zu raschem und effektivem Handeln bewußt sein hätte müssen.
Daher traf sie die Verpflichtung, einerseits schon weit vor dem 4.10.1994 sowohl den Hausverwalter als auch den Mehrheitseigentümer ultimativ aufzufordern, die Instandsetzungsarbeiten unverzüglich in Angriff zu nehmen und im Falle einer weiteren mehrtägigen, längstens aber wöchentlichen Untätigkeit der Aufgeforderten die Mängelbehebung als Miteigentümerin selbst in die Wege zu leiten. Nur am Rande sei bemerkt, daß ihr diese Möglichkeit auch in zivilrechtlicher Hinsicht offen stand, zumal sie im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag im
Notfall (vgl § 1036 ABGB) zur gegenständlichen Reparatur am Miteigentumsobjekt sogar im Falle der Zustimmungsverweigerung durch den Mehrheitseigentümer (vgl Rummel, ABGB, 2. Aufl, Rz 2 zu § 1036 ABGB sowie EvBl 1964/292) als auch gemäß § 13a Abs 2 WEG berechtigt gewesen wäre.
Aber auch ihrer Überwachungspflicht gegenüber dem Hausverwalter Dr I ist sie im Tatzeitraum nur in ungenügendem Ausmaß nachgekommen, als sie dessen Abberufung unverzüglich und im Gerichtsweg noch während des angelasteten Tatzeitraumes einzuleiten gehabt hätte (siehe dazu auch § 18 Abs 1 Z 3 iVm § 26 Abs 1 Z 7 des Wohnungseigentumsgesetzes), zumal durch die gravierende Überschreitung der im Bauauftrag gesetzten Instandsetzungsfrist schon
im Oktober 1994 offensichtlich war, daß dieser seine Verwalterpflicht
grob vernachlässigte. Zu dieser Zeit war Dr I unbestrittenermaßen auch noch erreichbar (hat er doch sogar noch im Februar 1995 die Klagebeantwortung im genannten Gerichtsverfahren für die Mehrheitseigentümerin eingebracht).
Da die Berufungswerberin jedoch die aufgezeigten Vorgangsweisen nicht
einschlug, war ihr jedenfalls die Verschuldensform der Fahrlässigkeit
hinsichtlich der angelasteten Instandsetzungsunterlassung anzulasten.
Zur Strafhöhe:
Gemäß § 135 Abs 1 der Wiener Bauordnung ist eine Übertretung dieses Gesetzes mit Geldstrafe bis zu S 300.000,-- oder Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.
Durch die in Rede stehende Verwaltungsübertretung wurde das öffentlich rechtliche Interesse an der raschestmöglichen Behebung von
Baumängeln, insbesondere wenn sie sich wie im gegenständlichen Fall in Form von Gesundheits- und Lebensgefahren auswirken, nicht unerheblich verletzt, weshalb der Unrechtsgehalt der Tat nicht unbeträchtlich war.
Dennoch darf unbeschadet des bereits begründeten Verschuldens im gegenständlichen Fall nicht übersehen werden, daß die Beschuldigte einem bekanntermaßen in Wohnrechtsfragen überaus versierten Rechtsanwalt gegenüberstand, der gleichzeitig Hausverwalter und Vertreter der Mehrheitseigentümerin war, sodaß die Durchsetzung ihrer
Ansprüche gegenüber vergleichbaren Fällen doch erschwert war. Daher ist ihr die - wenngleich verspätete und nicht schuldbefreiend wirkende - Vorgangsweise gegen Dr I in Form ihrer an ihn gerichteten Aufforderung vom 4.10.1994 zumindest als Bemühen zur Mängelbehebung zugutezuhalten, sodaß eine Herabsetzung der Strafe geboten erscheint.
Selbst bei verwaltungsstrafrechtlicher Unbescholtenheit der Berufungswerberin kommt jedoch angesichts der Verabsäumung effektiver
Maßnahmen sowie in Anbetracht ihrer durchschnittlichen Einkommensverhältnisse sowie nicht unerheblichen Vermögensverhältnisse (gegenständliches Miteigentum) eine weitere Herabsetzung unter das spruchgemäß festgesetzte Ausmaß nicht in Betracht.
Somit war spurchgemäß zu entscheiden, die Korrektur im Spruch des Straferkennntnisses diente lediglich der rechtlichen Präzisierung. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die angeführte Gesetzesstelle.