Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Schopf über die Berufung des Herrn Reinhard S gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Liesing, vom 27.9.1995, Zl Pst 4065-Li/93, wegen Übertretung der §§ 1) 4 Abs 1 lit a und 2) 4 Abs 5 StVO entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt.
Der Berufungswerber hat daher gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in der Höhe von S 400,-- zu 1) und S 300,-- zu 2), insgesamt S 700,--, das sind 20 % der verhängten Geldstrafen, zu bezahlen.
Begründung:
Mit angefochtenem Straferkenntnis wurde dem Beschuldigten zur Last gelegt, er habe am 3.11.1993 um 10.10 Uhr in Wien, L-gasse - Kreuzung P-Straße das Kfz mit dem Kennzeichen W-82 gelenkt, sei an einem Verkehrsunfall ursächlich beteiligt gewesen und habe 1) nicht sofort angehalten und 2) es unterlassen, ohne unnötigen Aufschub die nächste Sicherheitsdienststelle von diesem Verkehrsunfall zu verständigen und habe dadurch gegen die im Spruch genannten Normen verstoßen, weswegen über ihn Geldstrafen von zu 1) S 2.000,--, zu 2) S 1.500,--, im Falle der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Stunden zu 1) und 90 Stunden zu 2) verhängt und erstinstanzliche Strafkostenbeiträge von 10% der verhängten Geldstrafen zur Zahlung vorgeschrieben wurde.
Innerhalb offener Frist erhob der Beschuldigte gegen dieses Straferkenntnis eine Berufung, in welcher er ausführte, er selbst habe weder eine Sicht zur Unfallstelle gehabt, noch mangels Reifenquietschen etwas vom Verkehrsunfall wahrnehmen können. Sein Fahrzeug habe sich unmittelbar vor der Haltelinie bei der nächsten Ampel zum Linksabbiegen befunden, sodaß es zum Zeitpunkt der Kollision von dieser Unfallstelle ca 60 m entfernt war. Der Beschuldigte habe somit den Unfall mit seinem Fahrverhalten nicht in ursächlichem Zusammenhang mehr sehen können. Auch der Zeuge O, welcher als erster mit seinem Fahrzeug von der Kreuzung losfuhr, habe nur mit Mühe und Not das Nummernschild des Fahrzeuges des Beschuldigten ablesen können, sodaß sich auch aus dieser Aussage ergäbe, daß ein so großer Abstand zwischen dem Fahrzeug des Beschuldigten und der Unfallstelle war, daß dieser den Unfall nicht mit seinem Fahrverhalten in Zusammenhang bringen konnte. Auch die Zeugin Theresia S habe angegeben, daß sie einen Kracher hörte, als sie sich bereits bei der Haltelinie zum Linksabbiegen befunden hätten. Die im § 4 Abs 1 lit a StVO festgelegte Verpflichtung, nach einem Verkehrsunfall sofort anzuhalten, setze aber das Wissen von diesem voraus. Die Anhaltepflicht beschränke sich nur auf den Bereich der Unfallstelle und fordere darüberhinaus nicht, daß der Fahrzeuglenker, der erst nachträglich vom Verkehrsunfall erfährt, an den Unfallsort zurückzukehren habe. Der Beschuldigte habe den Unfall gar nicht wahrnehmen können bzw aufgrund der Entfernung von 60 m zum Unfallgeschehen sein Fahrverhalten in keinem Zusammenhang mit dem Unfall anerkennen können. Objektive Umstände, die dem Beschuldigten zu Bewußtsein hätten kommen müssen, aus denen ja die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit wenigstens einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte, lägen im gegenständlichen Fall nicht vor. Nach Stellung eines weiteren Beweisantrages, beantragte der Beschuldigte, die Berufungsbehörde möge in Stattgebung der Berufung das angefochtene Straferkenntnis dahingehend abändern, daß dieses behoben werde und bezüglich des gegen den Beschuldigten eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 45 Abs 1 VStG die Einstellung verfügt werde, die verhängte Strafe in eine Mildere umgewandelt oder ganz nachsehen und jedenfalls eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumen.
Unbestritten blieb, daß der Beschuldigte zur Tatzeit am Tatort das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen W-82 lenkte. Weiters ist unbestritten, daß es an diesem Tag im Bereich Wien, L-gasse Krzg mit der P-Straße insoweit zu einem Verkehrsunfall kam, als der von Johann O gelenkte PKW mit amtlichen Kennzeichen MD-63 in die dortige Kreuzung einfuhr, sein Fahrzeug plötzlich abbremsen mußte und ihm der von Gerhard K gelenkte PKW mit dem amtlichen Kennzeichen W-34 auffuhr, wobei beide Fahrzeuge insoweit beschädigt wurden, als das von Johann O gelenkte Fahrzeug im Bereich der Rücklichtverglasung, der hinteren Stoßstange und des Kofferraumdeckels, das von Gerhard K gelenkte Fahrzeug im Bereich der vorderen Stoßstange links, des linken Blinkers, des linken vorderen Kotflügels und des Frontblechs beschädigt wurde. Strittig blieb nach Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens bei der Behörde erster Instanz, ob der Beschuldigte in diesem Moment die Kreuzung bei Rotlicht übersetzte. Mit rechtskräftigem Berufungsbescheid vom 22.6.1995, UVS-03/20/04311/94 in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 25.9.1995, Zl UVS-03/20/04311/94, wurde festgestellt, daß der Beschuldigte am 3.11.1993 um etwa
10.10 Uhr in Wien, L-gasse Krzg P-Straße als Lenker des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen W-82 das Rotlicht der dort befindlichen Verkehrslichtsignalanlage mißachtet hat, indem er in die Kreuzung einfuhr.
In dem dieser Entscheidung zugrundliegenden Berufungsverfahren wurden die Unfallbeteiligten Gerhard K und Johann O sowie die Zeugen Rudolf P und Theresia S zeugenschaftlich zu ihren Wahrnehmungen einvernommen. Dabei ergab sich aus den Aussagen der Zeugen Gerhard K, Johann O und Rudolf P einheitlich, daß Johann O bei Grünlicht in die Kreuzung einfahren wollte, sein Fahrzeug in Bewegung setzte, dieses aber aufgrund des vom Beschuldigten gelenkten Fahrzeuges, das unter Michachtung des Rotlichtes in die Kreuzung gelenkt wurde, abrupt wieder abbremsen mußte und es in Folge dieses Abbremsen zu dem Auffahrunfall kam. Die diesbezüglichen Ausführungen der Zeugen sind durchaus glaubhaft und nachvollziehbar und stehen die unter Wahrheitspflicht und der Strafsanktionsdrohung des § 289 StGB gemachten Äußerungen miteinander im Einklang. Die Zeugin Theresia S hat zwar einen Kracher gehört, bei Übersetzen der Kreuzung, in welcher der Unfall stattfand, hat sie aber keinerlei Wahrnehmungen gemacht. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien geht somit aufgrund dieser Aussagen und deren Würdigung wie unter Zugrundelegung der rechtskräftigen Entscheidung bezüglich der Übertretung nach § 38 Abs 5 StVO davon aus, daß der unbestritten stattgefundene Verkehrsunfall insoweit durch den Beschuldigten verursacht wurde, als dieser durch sein rechtswidriges Übersetzen der Kreuzung den Zeugen O zu einem abrupten Abbremsen seines Fahrzeuges nötigte, wodurch es zu dem den Schaden herbeiführenden Auffahrunfall kam. Dies wird im übrigen auch in der Berufung im wesentlichen nicht mehr abgestritten, sondern rechtfertigt sich der Beschuldigte darin konkret nur mehr damit, daß er den Unfall nicht habe wahrnehmen können und auch nicht hätte wahrnehmen müssen.
Dazu ist folgendes festzustellen:
Das dem Verkehrsunfall zugrundeliegende Verhalten des Berufungswerbers stellt sich als eine der schwerwiegendsten Verwaltungsübertretungen nach der StVO dar. Gerade bei einem Mißachten des Rotlichtes muß ein Fahrzeuglenker mit der Möglichkeit eines Verkehrsunfalles rechnen, ist doch davon auszugehen, daß andere Fahrzeuglenker im Vertrauen darauf, daß sich die übrigen Verkehrsteilnehmer entsprechend der Lichtzeichen verhalten, fort- und weiterbewegen und daß es dementsprechend auf seiten dieser Verkehrsteilnehmer durchaus zu verzögerten Reaktionen kommen kann. Ganz allgemein hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach festgestellt, daß Fahrzeuglenker, die ein riskantes Fahrverhalten an den Tag lenken, zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet sind. Derartige Fahrzeuglenker haben den Geschehnissen um ihr Fahrzeug ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwenden und sich zu vergewissern, ob ihr Fahrverhalten für einen Verkehrsunfall ursächlich gewesen ist. Wird dies unterlassen, so ist das Nichtwissen von einem von ihm derart verursachten Verkehrsunfall verschuldet (siehe unter vielen VwGH 26.5.1993, 92/03/0125, 26.9.1990, 90/02/0112, 20.5.1992, 91/03/0347, 21.10.1992, 92/02/0197 und 30.6.1993, 93/02/0059). Im vorliegenden Fall hätte der Berufungswerber daher - selbst wenn ihm die Kollision entgangen sein sollte - aus den durch die Kollision verursachten Kontaktgeräuschen, die sogar von seiner Beifahrerin, der Zeugin Theresia S, wahrgenommen wurden, und somit in seinem Fahrzeug zu hören waren, auch auf die Möglichkeit eines durch sein Fahrverhalten verursachten Verkehrsunfalles mit Sachschaden schließen müssen. Unter diesen Umständen bedurfte es auch keines Sachverständigengutachtens über die Wahrnehmbarkeiten der Beschädigung.
Im übrigen sei zur Bemerkbarkeit festgestellt, daß der Beschuldigte nicht nur im Verfahren erster Instanz bei seiner Einvernahme vom 8.3.1994 zugestand, daß er wahrgenommen habe, daß ein Kraftfahrzeug eine Notbremsung durchführte und daß es gekracht habe, sondern daß er auch als Zeuge im Verfahren vor dem Bezirksgericht Innere Stadt, GZ 29 C 548/94, dem gegenständlicher Vorfall zugrundelag, bei der mündlichen Verhandlung vom 15.9.1994 ausführte, daß er die Kollision im Augenwinkel mitbekommen habe (siehe Seite 7 des dortigen Verhandlungsprotokolls). Es war somit davon auszugehen, daß der Berufungswerber ursächlich Beteiligter am gegenständlichen Verkehrsunfall war und daß er den Unfall selbst wahrgenommen hat bzw auch aufgrund objektiver Umstände wahrnehmen hätte müssen. Umstrittenermaßen hat der Berufungswerber weder an der Unfallstelle angehalten noch eine Meldung bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle erstattet.
§ 4 Abs 1 lit a lautet:
Alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhange steht, haben wenn sie
ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.
§ 4 Abs 5 lautet:
Wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, haben die im Abs 1 genannten Personen die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.
Im übrigen sei bemerkt, daß vom Berufungswerber nicht verlangt worden wäre, daß er an die Unfallstelle zurückkehrt, sondern daß er verpflichtet gewesen wäre unmittelbar im Zeitpunkt, da er den Unfall wahrnahm bzw aufgrund der objektiven Umstände wahrnehmen hätte müssen, verpflichtet gewesen wäre sein Fahrzeug anzuhalten. Dies hat der Berufungswerber aber unbestrittenermaßen nicht getan, weshalb der Berufung in der Schuldfrage keine Folge zu geben und das angefochtene Straferkenntnis diesbezüglich zu bestätigen war. Schließlich wird zu dem in der öffentlichen mündlichen Verhandlung erhobenen Einwand der Verfolgungsverjährung festgestellt, daß die gegenständliche Verwaltungsübertretung am 3.11.1993 begangen wurde, mit der niederschriftlichen Beschuldigtenvernehmung vom 8.3.1994, in welcher dem Beschuldigten der gesamte Akteninhalt zur Kenntnis gebracht wurde, den Zeugeneinvernahme vom 30.3.1994, der Zeugeneinvernahme vom 27.4.1994 und dem Rechtshilfeersuchen vom 27.4.1994 ausreichende, dem § 32 VStG entsprechende Verfolgungshandlungen gesetzt wurden, weshalb diesem Einwand keine weitere rechtliche Bedeutung zukommt.
Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist die Grundlage der Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.
Gemäß Abs 2 leg cit sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 StGB sinngemäß anzuwenden. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen, die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen. Die gegenständlichen Verwaltungsübertretungen waren mit einer Geldstrafe zu 1) von S 500,-- bis S 30.000,-- und zu Punkt 2) bis S 10.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit zu 1) von 24 Stunden bis 6 Wochen, zu 2) bis 2 Wochen Ersatzarrest, bedroht. Durch die angelasteten Verwaltungsübertretungen wurde das durch die Strafdrohung als schutzwürdig erkannte Interesse an der raschen Aufklärung von Verkehrsunfällen geschädigt. Trotz des Fehlens sonstiger nachteiliger Folgen konnte daher der objektive Unrechtsgehalt nicht als unbedeutend angesehen werden. Das Verschulden des Berufungswerbers kann nicht als geringfügig angesehen werden, da weder hervorgekommen ist, noch aufgrund der Tatumstände anzunehmen war, daß die Einhaltung der Vorschrift eine besondere Aufmerksamkeit erfordert habe oder daß die Verwirklichung des Tatbestandes aus besonderen Gründen nur schwer hätte vermieden werden können.
Mildernd war das Fehlen von Vormerkungen zu werten. Berücksichtigt wurden weiters die unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse, die Vermögenslosigkeit und die Sorgepflichten für 1 Kind.
Die Geldstrafen erweisen sich unter Berücksichtigung dieser Strafzumessungsgründe als durchaus angemessen und keineswegs zu hoch, befinden sie sich doch im untersten Rand der möglichen Strafzumessung.
Die Vorschreibung des Beitrages zu den Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf die zwingende Vorschrift des § 64 Abs 1 und 2 VStG.