Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Mag Fridl über die am 30.1.1996 beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eingelangte Beschwerde des Herrn Dr Friedrich Wilhelm K vom 29.1.1996, derzeit in Haft in Wien, vertreten durch RA, gegen den Bundesminister für Justiz und den Leiter der Justizanstalt M wegen Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wie folgt entschieden:
Die Beschwerde wird gemäß § 67c Abs 4 AVG wegen Unzuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates als unzulässig zurückgewiesen. Gemäß § 79a AVG hat der Beschwerdeführer dem Bund (Bundesminister für Justiz) die mit S 3.365,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung:
Zur Vorgeschichte: Der Beschwerdeführer hatte bereits am 24. und 25.11.1994 Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen die Bundesregierung, den Bundeskanzler, den Bundesminister für Justiz, den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten und den Leiter der Justizanstalt M eingebracht, die vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien als unzulässig zurückgewiesen worden waren. Wesentliche Begründung dieser Bescheide war, daß die Anhaltung des Beschwerdeführers der Gerichtsbarkeit zuzurechnen sei.
In der gegenständlichen Beschwerde wird nun im wesentlichen vorgebracht, daß folgende Sachverhaltsänderungen, die eine neue Beschwerdeführung ermöglichten, eingetreten seien:
1.
Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union,
2.
anhängiges Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg zur AZ C 299/95. Wegen des Vorranges des europäischen Gemeinschaftsrechts sei die frühere Argumentation des UVS Wien nicht mehr zu berücksichtigen. Der UVS sei verpflichtet, die seine Zuständigkeit beschränkenden Bestimmungen des Art 129a B-VG bzw § 67a Abs 1 Z 2 AVG in diesem Falle nicht anzuwenden.
Der Beschwerde sind beigelegt der Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 29. August 1995, 1 Ob 39/95-12, und die Äußerung des Beschwerdeführers an den Gerichtshof der Europ Gemeinschaften vom 20.12.1995.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien übermittelte daher Zweitschriften der Beschwerde an die belangten Behörden mit dem Ersuchen, die bezughabenden Akten vorzulegen.
Zur Klärung seiner Zuständigkeit ersuchte der UVS Wien die belangten Behörden ferner um Stellungnahme dazu, ob das Gerichtsurteil, mit dem der Beschwerdeführer verurteilt wurde (oder eine andere in die Gerichtsbarkeit fallende Erledigung) weiterhin den Titel für die Haft darstelle, oder ob (nunmehr) allein aufgrund verwaltungsbehördlichen Handelns die Inhaftierung des Beschwerdeführers aufrechterhalten werde. Im Fall des Bejahung des letzteren wurde um Bekanntgabe des Grundes für den Wegfall des Urteils (oder einer anderen gerichtlichen Entscheidung) als Titel für die Haft sowie um Bekanntgabe des dieses substituierenden konkreten verwaltungsbehördlichen Handelns (Bescheid oder unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- oder Zwangsgewalt) ersucht, sowie, ob und bejahendenfalls durch welche Umstände dieses Handeln einer der belangten Behörde zuzurechnen sei. Das Bundesministerium für Justiz erstattete eine Gegenschrift und legte vor die Akten mit der Geschäftszahl 418.392/16-V 7/1995 (beinhaltend das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14.3.1995, Zl 94/20/0804), 418.392/90-V 7/1995 (beinhaltend die Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 18.10.1995, Nr 23888/94), den Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 29.8.1995, Zl 1 Ob 39/95-12, in Kopie und das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 21.9.1993, 29/1992/374/448.
In seiner Gegenschrift wies das BMJ besonders auf die Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 18.10.1995, Nr 23888/94 hin. Danach habe der Beschwerdeführer mit Beschwerde vom 12.1.1994 im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 21.9.1993 vorgebracht, daß es die österreichischen Behörden verabsäumt hätten, ein Verfahren durchzuführen, in welchem gemäß Artikel 5 Abs 4 EMRK die Rechtmäßigkeit der Haft überprüft werden könne, und ihn freizulassen. Weiters habe er Verletzungen der Artikel 6 und 13 EMRK behauptet. Die Kommission habe die Beschwerde für unzulässig erklärt und unter Berufung auf das Urteil des EGMR in der Sache SAIDI, Urteil vom 20.9.1993, darauf hingewiesen, daß der EGMR nicht die Befugnis habe, den belangten Staat nach Feststellung einer Verletzung der EMRK die Wiederaufnahme des Verfahrens oder die Einleitung anderer administrativer Maßnahmen aufzutragen. Die Kommission habe weiters darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer die Frage der Rechtmäßigkeit seiner Haft bereits im vorangegangenen Verfahren, Beschwerde Nr 12350/86, vorgebracht, aber in der Folge nicht mehr aufrechterhalten habe, und sie auch der EGMR nicht von Amts wegen einer Prüfung unterzogen habe. Die Kommission habe weiters festgehalten, daß die Haft des Beschwerdeführers auf ein rechtskräftiges Urteil des Landesgerichtes K vom 18.2.1994 und des Obersten Gerichtshofes vom 2.7.1986 zurückzuführen sei und als Haft nach "Verurteilung durch ein zuständiges Gericht" im Sinne des Artikel 5 Abs 1 (a) anzusehen sei. Der im Artikel 5 Abs 4 EMRK festgelegte Anspruch auf Haftkontrolle sei sowohl während des erstgerichtlichen Verfahrens als auch während des Berufungsverfahrens gewahrt worden. Die Kommission habe in diesem Zusammenhang auch festgestellt, daß das im Artikel 5 Abs 4 EMRK festgelegte Verfahren nicht immer den Erfordernissen des Artikel 6 Abs 1 EMRK, die für das eigentliche Strafverfahren gelten würden, entsprechen müsse. Die Feststellung der Verletzung des Artikels 6 Abs 1 und 3 lit c EMRK im Urteil des EGMR vom 21.9.1993 stelle keine solche Verletzung der Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers dar, die eine Überprüfung seiner Verurteilung und Strafe erfordere. Folglich gebe es im gegenständlichen Verfahren keinen Rechtsanspruch auf Überprüfung seiner fortgesetzten Haft aufgrund der ursprünglichen Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Eine Verletzung des Artikels 5 Abs 4 EMRK sei nicht festzustellen (Hervorhebungen durch den Bescheidverfasser). Zusammengefaßt sei daher davon auszugehen, daß sich der Beschwerdeführer aufgrund eines dem innerstaatlichen Rechtsbestand angehörigen Urteils eines Gerichtes in Haft befinde, sodaß es sich bei der bekämpften Anhaltung nicht um einen Akt unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt handle. Daran vermöge auch der Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 29.8.1995, 1 Ob 39/95-12, mit welchem der Oberste Gerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, nichts zu ändern.
Weiters richtet sich die Gegenschrift gegen die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtschutzes, der im AVG nicht vorgesehen sei. Es wird daher beantragt, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.
Der Leiter der Justizanstalt M erstattete keine Gegenschrift.
Dazu wurde erwogen:
Der UVS Wien teilt die Rechtsmeinung des Bundesminsters für Justiz.
Die unabhängigen Verwaltungssenate sind trotz gerichtsähnlicher Struktur Verwaltungsbehörden (zuletzt: Köhler in ZUV 4/95, S 11) und gemäß Art 129 B-VG zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung berufen. Damit hat der Verfassungsgesetzgeber dem Art 94 B-VG (Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen) in vollem Umfang Rechnung getragen.
Dieses Prinzip der Gewaltentrennung wird auch durch Gemeinschaftsrecht nicht durchbrochen. Der Beschwerdeführer selbst zitiert ein Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 10.6.1990 (Factortame), in dem ausschließlich vom Gericht, nämlich vom "innerstaatlichen Gericht", bzw dem "zuständigen Gericht" die Rede ist.
Wenn nun der Beschwerdeführer meint, der UVS Wien sei verpflichtet, die seine Zuständigkeit beschränkenden Bestimmungen nicht anzuwenden, verkennt er, daß Art 129a B-VG und § 67 a Abs 1 und 2 AVG die Zuständigkeit der UVS nicht beschränken, sondern erst begründen. Andernfalls käme man zu einer grundsätzlichen Generalkompetenz der UVS, die das verfassungsrechtliche Grundprinzip der Gewaltentrennung sprengen würde. Selbst wenn man die zunächst in Art 129 B-VG weitgefaßte - im allgemeinen jedoch als programmatisch aufgefaßte - Kompetenz der UVS ("der gesamten öffentlichen Verwaltung") die Regelung des Art 129a B-VG gegenüberstellt, zeigt sich, daß der Zuständigkeitsbereich der UVS jedenfalls im Rahmen der Verwaltung bleibt und die Gerichtsbarkeit nicht tangiert.
Was schließlich die Regelungen zur sogenannten Maßnahmenbeschwerde betrifft, ist folgendes anzumerken: Diese dienen - wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont (vgl zB Erk d VwGH v 29.6.1992, Zl 91/15/0147, und die dort zitierte Vorjudikatur) - nur der Schließung einer Lücke im Rechtschutzsystem, nicht aber der Eröffnung einer Zweigleisigkeit der Verfolgung ein- und desselben Rechtes. Was daher im Wege eines anderen Verfahrens (sei es im Rahmen eines anderen Verwaltungsverfahrens oder eines gerichtlichen Verfahrens) ausgetragen werden kann, kann nicht Gegenstand einer Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sein.
Im vorliegenden Fall steht außer Zweifel, daß die in Beschwerde gezogene Anhaltung und die Entziehung der persönlichen Freiheit ausschließlich der Gerichtsbarkeit zuzurechnen ist. Die Beschwerde war daher spruchgemäß als unzulässig zurückzuweisen. Eine öffentlichen mündliche Verhandlung war daher gemäß § 67d Abs 1 AVG nicht durchzuführen.
Nach der ständigen Rechtsprechung hat der Unabhängige Verwaltungssenat hinsichtlich der Anträge der Parteien auf Ersatz von Kosten die Bestimmungen der §§ 47 ff Verwaltungsgerichtshofgesetz anzuwenden. Danach hat die obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.
Gemäß § 51 leg cit ist für den Fall, in dem die Beschwerde nach Einleitung des Vorverfahrens zurückgewiesen oder zurückgezogen wurde, die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz so zu beurteilen, wie wenn die Beschwerde abgewiesen worden wäre. Im gegenständlichen Verfahren war das Vorverfahren dadurch eingeleitet worden, daß die belangten Behörden aufgefordert worden waren, die Verwaltungsakten vorzulegen und diesen auch die Möglichkeit eingeräumt worden war, Gegenschriften zu erstatten. Dem kam die erstbelangte Behörde nach. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergab sich für den UVS in vollem Umfang erst aus den vorgelegten Verwaltungsakten im Zusammenhalt mit der Gegenschrift. Gemäß § 48 Abs 2 leg cit hat die belangte Behörde als obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz des Aufwandes, der für sie mit der Vorlage ihrer Akten verbunden war, sowie des Aufwandes, der für sie mit der Einbringung der Gegenschrift verbunden war. Der Kostenzuspruch an die belangte Behörde gründet sich auf § 79a AVG und die hiezu erlassene Verordnung des Bundeskanzlers BGBl Nr 855/95.
Demnach war der erstbelangten Behörde als obsiegender Partei Schriftsatzaufwand in Höhe von S 2.800,-- und Vorlageaufwand in der Höhe von S 565,--, zusammen S 3.365,-- zuzusprechen.