Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Mag Engelhart über die Berufung des Herrn Wilhelm L, geb 1933, Wien, K-gasse, vom 14.11.1995, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, Zahl MA 67-RV - 057309/5/8, vom 19.10.1995, nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung insofern Folge gegeben, als das angefochtene Straferkenntnis ersatzlos behoben wird. Gemäß § 65 VStG hat der Berufungswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Begründung:
1. Das angefochtene Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 19.10.1995 ist gegen den Berufungswerber, Herrn L sen, als
Beschuldigten gerichtet und enthält folgenden Spruch:
"Sie haben am 18.01.1995 um 11.40 Uhr in Wien, T-straße als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen W 69 folgende
Verwaltungsübertretung begangen:
Abstellen des Fahrzeuges außerhalb eines Parkplatzes nicht parallel, sondern schräg zum Fahrbahnrand.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:
Gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO wird gegen Sie eine Geldstrafe in der Höhe von S 600,--, im Falle der Uneinbringlichkeit 14 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt.
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen: S 60,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe.
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher S 660,--."
2. Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten, Herrn L sen, vom 14.11.1995, worin dieser vorbringt, er als Zulassungsbesitzer des
Fahrzeuges habe dieses zur Tatzeit nachweislich nicht in seinem Besitz gehabt und somit die ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen. Die Strafverfügung sei an die Zulassungsadresse Wien, K-gasse zugestellt worden. Der Einspruch sei mit seinem Einverständnis von seinem gleichnamigen Sohn erhoben worden. Der Berufungswerber selbst sei seit der gegen ihn eingeleiteten Verfolgungshandlung von der Behörde nie persönlich befragt worden, was einer materiellen Wahrheitsfindung gedient hätte. Seither seien mehr als sechs Monate vergangen.
3. Laut der vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien ergänzend eingeholten Zentralmeldeauskunft ist der Berufungswerber, Herr Wilhelm L sen, 1933 geboren, seit 09.01.1991 in Wien, T-gasse, und seit 09.11.1990 in Wien, K-gasse gemeldet.
Der Sohn des Berufungswerbers, Herr Wilhelm Franz L jun, ist 1963 geboren und seit 16.10.1963 in Wien, T-gasse gemeldet. In der Sache wurde am 14.03.1996 vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.
Der Berufungswerber, Herr L sen, verwies auf das bisherige Vorbringen
und führte ergänzend aus, daß zwar er Zulassungsbesitzer sei, aber sein Sohn das Fahrzeug gelenkt habe. Er habe deshalb seinem Sohn die Strafverfügung gegeben. Es sei keine Lenkeranfrage erfolgt, der Berufungswerber sei deshalb auch nicht verpflichtet gewesen, eine Lenkerauskunft zu erteilen.
Der Berufungswerber wurde als Partei vernommen.
4. Die Berufung ist begründet.
4.1. Gemäß § 32 Abs 1 VStG ist Beschuldigter die im Verdacht einer Verwaltungsübertretung stehende Person von dem Zeitpunkt der ersten von der Behörde gegen sie gerichteten Verfolgungshandlung bis zum Abschluß der Strafsache. Der Beschuldigte ist Partei im Sinne des AVG.
Gemäß § 13 Abs 1 ZustG ist die Sendung - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen - dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. "Empfänger" im Sinne dieser Gesetzesstelle ist auf Grund der Bestimmung des § 7 ZustG die Person, für die das Schriftstück bestimmt ist.
Auf Grund des Berufungsvorbringens, der Berufungswerber, Herr L sen, sei Zulassungsbesitzer des gegenständlichen Fahrzeuges, sein gleichnamiger Sohn, Herr L jun, habe dieses Fahrzeug gelenkt, die Strafverfügung sei an die Zulassungsadresse zugestellt, der Einspruch
von Herrn L jun erhoben worden, war vorerst zu klären, wer von diesen
beiden Personen als Empfänger der Strafverfügung anzusehen ist. Dies hat nämlich Auswirkungen auf die Beurteilung der Frage, ob die Strafverfügung überhaupt und bejahendenfalls, wem gegenüber sie als rechtswirksam gelten kann.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß aus der Bezeichnung des Empfängers zweifelsfrei erkennbar sein muß, für wen die betreffende Sendung nach dem Willen der Behörde bestimmt ist.
Das
bedeutet, daß eine hinreichende Bezeichnung des Empfängers notwendig ist, die daher eine entsprechende Individualisierung der Person, der zugestellt werden soll, erfordert. Gewöhnlich kann dabei mit der Angabe von Vor- und Zunamen und genauer Anschrift der Abgabestelle das Auslangen gefunden werden. Anders ist es lediglich bei einer Gleichheit dieser für mehrere Personen zutreffenden Merkmale, in welchen Fällen es daher zwecks Möglichkeit der Unterscheidung noch eines zusätzlichen Hinweises, etwa der Worte "senior" bzw "junior" oder des Geburtsdatums oder der Beschäftigung des "Empfängers" bedarf
(vgl VwGH 24.9.1987, Zl 87/02/0038).
Wenn sich der Empfänger weder aus der Bezeichnung der Sendung noch aus deren Inhalt objektiv erkennbar ergibt und die Sendung von einer Person, auf die die angeführten Merkmale (auch) zutreffen, übernommen
wird, so ist diese als Empfänger anzusehen. Danach beurteilt sich auch die Frage, ob jemand Beschuldigter im Sinne des § 32 Abs 1 VStG ist (vgl VwGH 24.9.1987, Zl 87/02/0038, VwGH 4.9.1992, Zl 92/18/0203).
Aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsstrafakt ist ersichtlich, daß als Empfänger der Strafverfügung vom 10.04.1995 in der behördlichen Zustellverfügung Herr Wilhelm L, Wien, K-gasse bezeichnet wurde. Laut Zustellnachweis wurde die Strafverfügung an dieser Adresse von Herrn Wilhelm L übernommen.
In der Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien gab der
Berufungswerber, Herr L sen, als Partei vernommen an, sein voller Name sei Wilhelm L, er sei 1933 geboren. Er habe zum Zeitpunkt der Zustellung der Strafverfügung in Wien, K-gasse gewohnt und die Strafverfügung persönlich übernommen.
Sein Sohn, Herr L jun, heiße Wilhelm Franz L und habe im Zeitpunkt der Zustellung der Strafverfügung in Wien, T-gasse gewohnt. Diese Angaben stimmen mit der vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eingeholten Zentralmeldeauskunft überein.
Es steht damit fest, daß gegenständlich keine Gleichheit der Anschrift der Abgabestelle des Berufungswerbers, Herrn L sen und seines Sohnes, Herrn L jun besteht. Der Empfänger der Strafverfügung war daher bereits mit der Angabe von Vor- und Zunamen und der genauen
Anschrift der Abgabestelle hinreichend bezeichnet, es war nicht erforderlich, eine weitere, der Individualisierung des Empfängers dienende Angabe hinzuzufügen. Aus der Bezeichnung des Empfängers in der Strafverfügung (Wilhelm L, Wien, K-gasse) ergibt sich objektiv erkennbar, daß sie den Berufungswerber, Herrn L sen, betrifft. Darüber hinaus wurde die Strafverfügung, wie dies auch dem behördlichen Willen entsprach, dem Berufungswerber, Herrn L sen, durch persönliche Übernahme am 21.4.1995 zugestellt. Insgesamt wurde daher die Strafverfügung gegenüber dem Berufungswerber, Herrn L sen, rechtswirksam erlassen, dieser war ab diesem Zeitpunkt Beschuldigter und damit Partei des Verwaltungsstrafverfahrens.
4.2. Gemäß § 49 Abs 1 VStG kann der Beschuldigte gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen.
Aus dem Verwaltungsstrafakt ist ersichtlich, daß der Einspruch vom 05.05.1995 von Herrn Wilhelm L, Wien, T-gasse, in der "Ich-Form" erhoben wurde.
Im Zusammenhang damit, daß die Strafverfügung, wie bereits dargestellt, an den Berufungswerber, Herrn L sen, erlassen wurde und dieser in der Berufung ausführt, "mein gleichnamiger Sohn ... hat dann mit meinem Einverständnis Einspruch erhoben", bestanden für den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien Zweifel darüber, ob der Einspruch von Herrn L jun im eigenen Namen, oder im Namen des Beschuldigten und
Berufungswerbers, Herrn L sen, erhoben wurde.
Die Frage der Zurechnung einer Verfahrenshandlung ist im AVG nicht geregelt. Die Behörde hat in Anwendung der Bestimmung des § 37 AVG, wonach den Parteien im Ermittlungsverfahren Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben ist, die Verpflichtung, den Sinn eines mehrdeutigen Parteienantrages durch
Herbeiführung einer entsprechenden Parteienerklärung festzustellen, dh in einem Zweifelsfall sich Klarheit darüber zu verschaffen, wer Rechtsmittelwerber ist (VwGH 30.10.1990, Zl 90/04/0093). Der Berufungswerber hat dazu befragt in der Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien angegeben, der Einspruch sei von seinem Sohn, Herrn L jun, erhoben worden, das erkenne man an der Unterschrift. Sein Sohn habe den Einspruch für sich gemacht und nicht
für den Berufungswerber, weil er sei auch gefahren. Der Berufungswerber habe seinen Sohn nicht beauftragt, für ihn einen Einspruch zu erheben. Sein Sohn habe den Einspruch nicht für den Berufungswerber sondern für sich selbst im eigenen Namen erhoben. Dies stimmt auch mit dem objektiven Erklärungswert des Einspruches überein.
Insgesamt steht damit zweifelsfrei fest, daß der Einspruch vom 05.05.1995 von Herrn L jun im eigenen Namen erhoben wurde und diesem zuzurechnen ist.
In rechtlicher Hinsicht wäre daher, da Herr L jun nicht Beschuldigter
und damit nicht Partei des Verwaltungsstrafverfahrens ist, der von ihm erhobene Einspruch von der erstinstanzlichen Behörde als unzulässig zurückzuweisen.
Da durch diesen, von Herrn L jun erhobenen Einspruch die gegen den Berufungswerber und Beschuldigten, Herrn L sen, gerichtete Strafverfügung nicht außer Kraft getreten, sondern, da dieser keinen Einspruch erhoben hat, rechtskräftig geworden ist, war die erstinstanzliche Behörde nicht berechtigt, das ordentliche Verfahren gegen den Berufungswerber einzuleiten und ein Straferkenntnis zu erlassen. Es war daher spruchgemäß das angefochtene Straferkenntnis zu beheben.
5. Gemäß § 51f Abs 2 VStG erfolgte die Durchführung der Verhandlung und die Fällung des Erkenntnisses in Abwesenheit des Magistrates der Stadt Wien.