Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Mag Fritz über die Berufung der Frau Margareth P, vertreten durch Rechtsanwalt, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 13./14. Bezirk, vom 31.10.1995, Zl MBA 13/14-S 12104/94, betreffend Verwaltungsübertretung nach § 8 Abs 2 iVm § 57 Abs 2 der Rechtsanwaltsordnung, nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
Gemäß § 65 VStG wird der Berufungswerberin kein Beitrag zu den Kosten
des Berufungsverfahrens auferlegt.
Begründung:
Mit Schreiben vom 4.11.1994 beantragte die Rechtsanwaltskammer Wien gegen Frau Margareth P ein Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 57 der Rechtsanwaltsordnung (RAO) einzuleiten. Mit dem (in Kopie beiliegenden) Schreiben der genannten brasilianischen Rechtsanwältin vom 20.9.1994 würden österreichischen Gewerbetreibenden anwaltliche Leistungen offenbar auch in Österreich angeboten, obwohl die Berufungswerberin nicht in die Liste der Rechtsanwaltskammer Wien als
Rechtsanwältin eingetragen sei. Das Anbot zur Beratung und Vertretung
von Unternehmen mit dem Sitz in Österreich stelle daher ein Anbot zur
berufsmäßigen Parteienvertretung in außergerichtlichen und privaten Angelegenheiten dar, die jedoch gemäß § 8 Abs 2 RAO ausschließlich inländischen Rechtsanwälten vorbehalten sei und "gemäß § 57 Abs 2
RAO
ein Verwaltungsstrafverfahren darstelle". Das erwähnte Schreiben der Berufungswerberin an ein Unternehmen in V vom 20.9.1994 hat folgenden
Wortlaut:
"Ihr Unternehmen zählt zu den am meisten exportorientierten Österreichs. Daher unterhält es weltweite Wirtschaftsbeziehungen. Auch der brasilianische Markt könnte in Ihren Dispositionen eine Rolle spielen.
Es wird Sie vielleicht interessieren, daß ich mich auf den brasilianisch-österreichischen Wirtschaftsverkehr spezialisiert habe.
Ich betreibe mit Partnern in S eine Wirtschaftsanwaltskanzlei und dort sowie in Wien Beratungsbüros. Wir verfügen über besondere Erfahrung im brasilianischen wie der österreichischen Wirtschaftsrecht sowie bei Gerichten und Verwaltung. Zudem sind wir in der Lage, ein Netzwerk von Experten für Marktbeurteilung, Investition, Marktforschung und Technologietransfer heranzuziehen. Die brasilianische Wirtschaft ist wieder voll Dynamik. Die Industrie wuchs im vergangenen Jahr um über 10 %, die Investitionsgüterproduktion um über 13 %. Ganz besonders boomt die Autoindustrie. Die Inflation ist weitgehend gestoppt, die Importbarrieren wurden abgebaut, die internationalen Kredite können durch hohe Exporterlöse bedient werden, das Lohnniveau entspricht dem
der osteuropäischen Reformländer und großzügige Investitionshilfen werden gewährt.
Auf allenfalls aktuelle rechtliche Problemfälle sowie auf Ihre strategischen Überlegungen würden wir besonders eingehen: seriös, rasch und "maßgeschneidert". Ich würde mich freuen, mit Ihnen oder Ihren Mitarbeitern unsere Möglichkeiten zu besprechen. Eine Kurzinformation über Brasilien und über unsere Gruppe senden wir Ihnen gerne auf Wunsch (Fax Wien 802)."
Über Aufforderung der Erstbehörde vom 6.3.1995 brachte die Berufungswerberin zu ihrer Rechtfertigung mit Schreiben vom 9.3.1995 vor, sie habe in dem zitierten Schreiben gemäß § 8 Abs 4 RAO ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich der Ort ihres Kanzleisitzes
in S, Brasilien, befinde. Sie habe nirgends in diesem Schreiben oder sonstwo die berufsmäßige, rechtliche Vertretung von Parteien in Österreich angeboten oder übernommen. Sie habe lediglich darauf hingewiesen, daß sie selbst und ihr Beratungsbüro in der Lage seien, nützliche Informationen zu erteilen, die sich auf die wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse in Brasilien bezögen. Die Angaben zu ihrer Person und zu den Rechtsgebieten, auf denen sie vornehmlich tätig sei, gingen im übrigen nicht über die Angaben hinaus, die gemäß § 45 Abs 2 der Richtlinie über die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes vom 8.10.1977 (RA-BA 1977) für österreichische Rechtsanwälte Standespflicht wäre. Im Falle von rechtlichen Problemfällen, die eine Vertretung in Österreich erforderlich machten, beziehe sich ihre Information auf in dieser Hinsicht erfahrene, in Österreich zugelassene österreichische Anwaltskanzleien, die die Vertretung übernehmen hätten können. Sie weise daher den Vorwurf der Rechtsverletzung in aller Form als gegenstandslos zurück.
Die Rechtsanwaltskammer Wien äußerte sich zu dieser Rechtfertigung der Berufungswerberin in ihrer Stellungnahme vom 11.5.1995 dahingehend, daß diese Rechtfertigung dem Inhalt des Werbeschreibens vom 20.9.1994 widerspreche, das in seinem zweiten Absatz insbesondere
lautet: ".... Wir verfügen über besondere Erfahrung im brasilianischen wie "der" österreichischen Wirtschaftsrecht sowie bei
Gerichten und Verwaltung." Aus diesem Satz ergebe sich eindeutig, daß
damit offensichtlich Vertretungsleistungen sowohl bei Gerichten und Verwaltungsbehörden angeboten würden, und zwar nicht nur in Brasilien, sondern auch in Österreich, wie sich aus dem zweiten Satz des Absatzes 1 ableiten lasse, der auf Büros sowohl in S als auch in Wien verweise. Von einer bloß beratenden oder vermittelnden Tätigkeit
über die Grenze, wie die Berufungswerberin den Inhalt dieses Schreibens nunmehr interpretiert haben möchte, könne daher keine Rede
sein.
In ihrer Stellungnahme vom 24.5.1995 zu diesem Schreiben der Rechtsanwaltskammer Wien brachte die Berufungswerberin vor, der in diesem Schreiben zitierte Satz lasse eine ganze Reihe andere Interpretationen zu, unter anderem jene, die tatsächlich beabsichtigt
gewesen sei, nämlich, daß ihre besonderen Kenntnisse sie qualifizierten, ein interessiertes Unternehmen zu beraten und gegebenenfalls die Vertretung in Brasilien zu übernehmen. Aus dem Zusammenhang des ganzen Schreibens gehe hervor, daß sich ihre anwaltliche Tätigkeit auf Brasilien erstrecke und sich der Sitz ihrer
Anwaltskanzlei in S (Brasilien) befinde. In Österreich beschränke sich ihre Tätigkeit auf die Vermittlung von Informationen durch ein Beratungsbüro. Dies gehe in aller Eindeutigkeit aus dem zweiten Satz des Absatzes 1 hervor, in welchem auf die Anwaltskanzlei mit Sitz in S und auf Beratungsbüros dort sowie in Wien verwiesen werde. Es sei zu berücksichtigen, daß § 8 Abs 2 RAO derartige Informationen nicht untersage, sondern lediglich die berufsmäßige Parteienvertretung selbst. Nicht einmal die Wiener Rechtsanwaltskammer behaupte übrigens, daß sie die ihr verbotene anwaltliche Vertretungstätigkeit in Österreich im konkreten oder in irgendeinem anderen Fall ausgeübt hätte. In die Beurteilung der tatsächlichen Absicht ihres Informationsschreibens sei der Zusammenhang des gesamten Schreibens einzubeziehen. Daraus ergebe sich vielmehr, daß ihre Absicht darin bestanden habe, 1. einen möglichen österreichischen Interessenten darauf aufmerksam zu machen,
daß ihre besonderen Erfahrungen auch des österreichischen Wirtschaftsrechts sowie der österreichischen gerichtlichen und behördlichen Praxis sie befähigten, für dessen Dispositionen in bezug
auf Brasilien die dort selten gleichzeitig anzutreffenden Erfahrungen
mit beiden Rechts- und Wirtschaftsordnungen zu vermitteln und allenfalls seine Interessen in Brasilien im Rahmen ihrer dortigen rechtmäßigen Anwaltstätigkeit zu vertreten. 2. Darüber zu informieren, daß die von ihr in Österreich erworbenen Erfahrungen sie
befähigten, österreichische Interessenten auf charakteristische Unterschiede zwischen der brasilianischen und der österreichischen Rechtsordnung sowie der Gerichts- und Behördenpraxis aufmerksam zu machen und sie auf diese Weise vor Fehleinschätzungen in Brasilien zu
bewahren. 3. Durch besonders qualifizierte Beratung zur Verbesserung der österreichisch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen beizutragen. Diese Gesichtspunkte seien im bisherigen Beweisverfahren
nicht gewürdigt worden. Zu diesen für die österreichische Wirtschaft zweckdienlichen und nützlichen Absichten, die in keiner Weise in Widerspruch mit österreichischen Gesetzen stünden, sondern Aktivitäten der österreichischen Wirtschaft in Brasilien förderten, beantragte die Berufungswerberin abschließend die Einholung von Stellungnahmen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten, der Wirtschaftskammer Österreich, der Vereinigung österreichischer Industrieller und des österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung.
In ihrer abschließenden Stellungnahme vom 6.10.1995 brachte die Rechtsanwaltskammer Wien vor, auch wenn die Berufungswerberin nicht ganz unplausibel behaupte, nicht vor österreichischen Gerichten und Verwaltungsbehörden tätig sein zu wollen, ergebe sich dennoch, daß sie in Österreich versuche, Parteien zu aquirieren und für diese dann
- dies aber tatsächlich von Österreich aus - in Brasilien zu vertreten. Auch dieses Verhalten sei tatbestandsmäßig im Sinne des § 8 Abs 2 RAO.
Mit dem nunmehr vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien angefochtenen Straferkenntnis der Erstbehörde vom 31.10.1995 wurde die Berufungswerberin schuldig erkannt, sie habe mit Schreiben vom 20.9.1994, Absender: Dout Margareth P, A Sao Pauolo - Brasilien an ein Unternehmen in Österreich uz der Firma W, V-park, G, Beratung und
Vertretung angeboten, obwohl sie nicht in die Liste der Rechtsanwaltskammer Wien als Rechtsanwältin eingetragen sei und das Recht Anbote zur berufsmäßigen Parteienvertretung in außergerichtlichen und privaten Angelegenheiten gemäß § 8 Abs 2 RAO ausschließlich inländischen Rechtsanwälten vorbehalten sei. Sie habe dadurch § 8 Abs 2 RAO verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über sie gemäß § 57 Abs 2 RAO eine Geldstrafe in der Höhe von
S
3.000,-- (im Falle der Uneinbringlichkeit 3 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Gleichzeitig wurden die von der Berufungswerberin zu ersetzenden Verfahrenskosten mit S 300,-- bestimmt.
Begründend wurde ausgeführt, der Rechtfertigung der Berufungswerberin
sei entgegenzuhalten, daß von ihr in Österreich versucht werde, geeignete Parteien zu gewinnen und diese dann - dies aber tatsächlich
von Österreich aus - in Brasilien zu vertreten und dieses Verhalten dem Tatbestand des § 8 Abs 2 RAO entspreche. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens sei die Verwaltungsübertretung somit als erwiesen anzusehen. Der Stellungnahme bzw Rechtfertigung der Berufungswerberin zu den Ausführungen des Anzeigelegers könne keine entlastende Wirkung beigemessen werden. Die Berufungswerberin habe auch weder behauptet noch bewiesen, daß ihr die Einhaltung der übertretenen Verwaltungsvorschrift ohne ihr Verschulden nicht möglich
gewesen sei; es sei daher die Verschuldensfrage im Sinne des § 5 VStG
zu bejahen gewesen. Abschließend begründete die Erstbehörde noch die Strafbemessung näher.
In ihrer gegen dieses Straferkenntnis innerhalb offener Frist erhobenen Berufung brachte die Berufungswerberin vor, sie habe mit Schreiben vom 20.9.1994 lediglich darauf hingewiesen, daß sie mit Partnern in S eine Wirtschaftskanzlei und dort sowie in Wien Beratungsbüros betreibe, und zwar unter Hinweis auf ihre besondere Erfahrung im brasilianischen wie im österreichischen Wirtschaftsrecht. Dieses Schreiben stelle keineswegs ein Anbot auf Übernahme der berufsmäßigen Parteienvertretung vor Gerichten oder Behörden der Republik Österreich dar, sondern beziehe sich ausschließlich auf Brasilien, was durch die Hinweise auf die brasilianische Wirtschaft eindeutig klargestellt sei. Keinesfalls habe ihr Schreiben vom 20.9.1994 jedoch eine Vertretungstätigkeit oder berufsmäßige Parteienvertretung dargestellt, wie sie im § 8 Abs 2 RAO angeführt sei. Das angefochtene Straferkenntnis werfe ihr auch nicht die unzulässige Parteienvertretung vor, sondern lediglich das Anbot zu einem solchen, sodaß von einer Verletzung des § 8 Abs 2 RAO keine Rede sein könne. Für die Behauptung, daß sie ihre Tätigkeit, nämlich Vertretungshandlungen in Brasilien für österreichische Firmen, tatsächlich von Österreich aus ausüben würde, habe das Beweisverfahren nicht den geringsten Anhaltspunkt ergeben. Bereits in
ihrer Stellungnahme vom 9.3.1995 habe sie darauf hingewiesen, daß im Falle von rechtlichen Problemfällen, die eine Vertretung in Österreich erforderlich machten, selbstverständlich Anwaltskanzleien mit der Vertretung betraut würden.
In ihrer Stellungnahme zu dieser Berufung brachte die Rechtsanwaltskammer Wien vor, mit dem inkriminierten Schreiben der Bw
würden eindeutig Handlungen, die nur im Rahmen der berufsmäßigen Parteienvertretung, wie sie gemäß § 8 Abs 2 RAO den Rechtsanwälten vorbehalten sei, angeboten. Nach dem Erkenntnis des VwGH vom 24.4.1989, Zl 89/10/0045, stelle nicht nur die konkrete Begehung von Vertretungshandlungen durch einen Nichtbefugten das Delikt der Winkelschreiberei dar, sondern auch das bloße Anbieten. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien führte am 12.4.1996 eine öffentlich mündliche Verhandlung durch, an der Herr Dr Herwig K als Vertreter der Berufungswerberin und Herr Dr Wolfgang V als Vertreter der Rechtsanwaltskammer Wien teilnahmen. Der Vertreter der Berufungswerberin brachte dabei vor, die Berufungswerberin habe in Österreich kein Büro im eigentlichen Sinn, sondern sei allein tätig. Ihr derzeitiger Aufenthalt in Österreich habe private Gründe und nichts mit der Rechtsanwaltstätigkeit zu tun. Die Berufungswerberin sei in ihrer Funktion als Rechtsanwältin in Brasilien bei Gerichten und Verwaltungsbehörden tätig geworden und verfüge in diesem Bereich über entsprechende Erfahrung. In Österreich habe die Berufungswerberin bisher keinerlei derartige Tätigkeiten ausgeübt; der einzige Kontakt mit Behörden sei das gegenständliche Verfahren. Prüfungen oder Lehrveranstaltungen habe sie seines Wissens nach in Österreich nicht abgelegt bzw besucht.
Der Vertreter der Rechtsanwaltskammer wies darauf hin, daß sich die gegenständliche Anzeige konkret auf den folgenden Satz im Schreiben vom 20.9.1994 stütze: "Wir verfügen über besondere Erfahrung im brasilianischen wie der österreichischen Wirtschaftsrecht sowie bei Gerichten und Verwaltung".
Abschließend wurde der Berufungsbescheid mündlich verkündet.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:
Gemäß § 8 Abs 1 RAO erstreckt sich das Vertretungsrecht eines Rechtsanwaltes auf alle Gerichte und Behörden der Republik Österreich
und umfaßt die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen
gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten. Vor allen Gerichten und Behörden ersetzt die Berufung auf die Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis. Gemäß § 8 Abs 2 RAO ist die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung im Sinne des Absatz 1 den Rechtsanwälten vorbehalten. Die Berufsbefugnisse der Notare, Patentanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Ziviltechniker werden hiedurch nicht berührt.
Wer unbefugt eine durch dieses Bundesgesetz den Rechtsanwälten vorbehaltene Tätigkeit gewerbsmäßig ausübt, begeht gemäß § 57 Abs 2 RAO eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu S 60.000,-- zu bestrafen. Diese Tat darf nicht auch nach anderen Bestimmungen über die Strafbarkeit der Winkelschreiberei geahndet werden.
Aus den wiedergegebenen Bestimmungen ergibt sich, daß die Vertretung vor ausländischen Gerichten und Behörden (hier: in Brasilien) oder auch das Anbot zu einer solchen Tätigkeit nicht den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach § 8 Abs 2 iVm § 57 Abs 2 RAO verwirklicht. In dem hier relevanten Schreiben vom 20.9.1994 wendet sich die Berufungswerberin an ein österreichisches Unternehmen, welches weltweite Wirtschaftsbeziehungen unterhalte und für das auch der brasilianische Markt bedeutsam sein könnte. Diesem Unternehmen bringt die Berufungswerberin dann zur Kenntnis, daß sie sich auf den österreichisch-brasilianischen Wirtschaftsverkehr spezialisiert habe und mit Partnern in S eine Wirtschaftsanwaltskanzlei betreibe; in S sowie in Wien habe sie Beratungsbüros. Sie verfügten über besondere Erfahrung im brasilianischen wie "der" österreichischen Wirtschaftsrecht sowie bei Gerichten und Verwaltung. Zudem seien sie in der Lage, ein Netzwerk von Experten für Marktbeurteilung, Investition, Markforschung und Technologietransfer heranzuziehen. Weiters gibt die Berufungswerberin eine kurze Information über die brasilianische Wirtschaftslage.
Die Anzeige der Rechtsanwaltskammer Wien erfolgte (mit Schreiben vom 4.11.1994) deshalb, weil mit diesem Schreiben "offenbar" österreichischen Gewerbetreibenden anwaltliche Leistungen auch in Österreich angeboten würden, obwohl die Berufungswerberin nicht in die Liste der Rechtsanwaltskammer Wien als Rechtsanwältin eingetragen
sei.
Im Schreiben vom 11.5.1995 merkte die Rechtsanwaltskammer Wien an, daß sich aus dem Satz "... Wir verfügen über besondere Erfahrung im brasilianischem wie "der" österreichischen Wirtschaftsrecht sowie bei
Gerichten und Verwaltung" eindeutig ergebe, daß damit offensichtlich Vertretungsleistungen sowohl bei Gerichten und Verwaltungsbehörden angeboten würden, und zwar nicht nur in Brasilien, sondern auch in Österreich, wie sich aus dem zweiten Satz des Absatzes 1 ableiten lasse, der auf Büros sowohl in San Paulo als auch in Wien verweise. Von einer bloß beratenden oder vermittelnden Tätigkeit über die Grenze könne daher keine Rede sein. Die Rechtsanwaltskammer Wien übersieht dabei freilich, daß in dem Schreiben vom 20.9.1994 davon die Rede ist, daß die Berufungswerberin mit Partnern in S eine Wirtschaftsanwaltskanzlei und dort sowie in Wien Beratungsbüros betreibe.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien versteht das Schreiben der Berufungswerberin vom 20.9.1994 dahin, daß einem österreichischen Unternehmen (mit möglichen Ambitionen, in Brasilien wirtschaftlich aktiv zu werden) überhaupt einmal zur Kenntnis gebracht wird, daß die
Berufungswerberin sich auf den brasilianisch-österreichischen Wirtschaftsverkehr spezialisiert habe. Sie sei darüber hinaus in der Lage, zahlreiche Experten in Wirtschaftsfragen heranzuziehen. Ausdrücklich ist von der Berufungswerberin klargestellt worden, daß sie mit Partnern (lediglich) in S (also in Brasilien) eine Wirtschaftsanwaltskanzlei betreibe. Der Vertreter der Berufungswerberin hat in der Verhandlung dazu angeführt, daß die Berufungswerberin in ihrer Funktion als Rechtsanwältin in Brasilien bei Gerichten und Verwaltungsbehörden tätig geworden und in diesem Bereich (in Brasilien) über entsprechende Erfahrung verfüge. Die Berufungswerberin hat auch darauf hingewiesen, daß sie in Wien und in
S Beratungsbüros habe. Da die Berufungswerberin im zweiten Satz des zweiten Absatzes ihres Schreibens ohnehin zwischen ihrer Wirtschaftsanwaltskanzlei in Brasilien und den Beratungsbüros in Wien
und S differenziert hat, vermag auch der Unabhängige Verwaltungssenat
Wien nicht zu erkennen, daß sich der Hinweis im folgenden Satz auf "Erfahrung bei Gerichten und Verwaltung" auf Vertretungstätigkeiten bei Gerichten und Verwaltungsbehörden in Österreich bezieht und nicht
nur - wie dies die Berufungswerberin glaubhaft versichert - auf Vertretungstätigkeiten in Brasilien. Auch die Rechtsanwaltskammer Wien mußte in ihrem Schreiben vom 6.10.1995 zugestehen, daß die Berufungswerberin "nicht ganz unplausibel" behaupte, nicht vor österreichischen Gerichten und Verwaltungsbehörden tätig sein zu wollen. Dem Hinweis der Rechtsanwaltskammer Wien, es ergebe sich dennoch, daß die Berufungswerberin in Österreich versuche, Parteien zu aquirieren und für diese dann - dies aber tatsächlich von Österreich aus - in Brasilien zu vertreten, ist entgegenzuhalten, daß
eine Vertretungstätigkeit in Brasilien (Vertretung bei Gerichten und Verwaltungsbehörden) oder das Anbot zu einer solchen Vertretung nicht
tatbestandsmäßig im Sinne des § 8 Abs 2 RAO sein kann. Daß allenfalls
Schriftsätze in Österreich abgefaßt und an die zuständigen Behörden in Brasilien versendet würden, vermag an dieser Beurteilung nichts zu
ändern.
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens gelangt der Unabhängige Verwaltungssenat Wien somit zum Ergebnis, daß das Anbot von Vertretungstätigkeiten in Brasilien keine Verwaltungsübertretung nach § 8 Abs 2 iVm § 57 Abs 2 RAO bildet. Daß die Berufungswerberin mit dem schon mehrfach erwähnten Schreiben vom 20.9.1994 Vertretungsleistungen vor Gerichten und Verwaltungsbehörden der Republik Österreich angeboten hätte, vermag der Unabhängige Verwaltungssenat Wien nicht zu erkennen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.