Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Dr Frey
über die Berufung der Frau Elisabeth K gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Döbling vom 20.10.1995, S 135444-D/95, wegen Übertretung des § 76/3 StVO, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 17.4.1996 entschieden und verkündet:
Gemäß § 66 Abs 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991
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AVG wird das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG eingestellt.
Demnach entfällt der erstinstanzliche Kostenbeitrag. Gemäß § 65 VStG wird der Berufungswerberin kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Begründung:
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde die Berufungswerberin (BW) schuldig erkannt, am 27.7.1995 um 3.25 Uhr in Wien, D-Straße - Kreuzung D-Gürtel als Fußgängerin die Fahrbahn überquert zu haben, obwohl die für ihre Gehrichtung maßgebliche Verkehrsampel Rotlicht gezeigt habe.
Wegen Verletzung des § 76 Abs 3 StVO 1960 wurde über die BW gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO 1960 eine Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Stunden) verhängt und ihr ein Kostenbeitrag von S 50,-- auferlegt.
In der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung wird im wesentlichen vorgebracht, die BW hätte Grünlicht für das Überqueren der Fahrbahn gehabt.
Ohne auf dieses Berufungsvorbringen eingehen zu müssen, war das angefochtene Straferkenntnis aus folgendem Grund zu beheben und das Verfahren spruchgemäß einzustellen:
Beweis wurde erhoben durch zeugenschaftliche Einvernahme jenes Taxilenkers, von der die BW befördert wurde, nämlich des Herrn Bontscho B.
Dieser gab im wesentlichen folgendes an:
"Als die BW aus dem Fahrzeug ausstieg, befand sich die Tür, aus der sie ausstieg, ungefähr 3,5 m bis 4,0 m hinter der Haltelinie. Die BW hat die Fahrbahn in Richtung Schutzinsel unmittelbar von der Tür aus überquert, sie ist nicht zuerst zum Schutzweg nach vor gegangen und hat die Fahrbahn nicht auf dem Schutzweg überquert. Mein Fahrzeug befand sich auf dem mittleren Fahrstreifen. Der linke Fahrstreifen war frei. Als die BW vom Taxifahrzeug erfaßt wurde, befand sie sich daher nicht auf dem Schutzweg, sondern noch vor der Haltelinie auf dem äußerst linken Fahrstreifen."
Bei der Beweiswürdigung waren folgende Erwägungen maßgebend:
Die Zeugenaussage war schlüssig und widerspruchsfrei und somit glaubwürdig, zumal die Darstellung mit der allgemeinen Lebenserfahrung in Einklang zu bringen ist.
Der Sachverhalt wird daher als erwiesen angenommen, wie er vom Zeugen
B dargestellt wurde.
In rechtlicher Hinsicht ergibt sich auf Grund des festgestellten Sachverhaltes folgendes:
§ 76 Abs 3 StVO 1960 bestimmt:
An Stellen, wo der Verkehr für Fußgänger durch besondere
Lichtzeichen
(§ 38 Abs 8) geregelt ist, dürfen Fußgänger nur bei grünem Licht die Fahrbahn zum Überqueren betreten. An Stellen, wo der Verkehr sonst durch Arm- oder Lichtzeichen geregelt ist, dürfen Fußgänger die Fahrbahn nur überqueren, wenn für den Fahrzeugverkehr auf dieser Fahrbahn das Zeichen "Halt" (§§ 37 Abs 3 und 38 Abs 5) gilt. Hält ein
Verkehrsposten einen Arm senkrecht nach oben oder leuchtet gelbes, nicht blinkendes Licht, so dürfen Fußgänger die Fahrbahn nicht betreten. Wenn Fußgänger die Fahrbahn in Übereinstimmung mit den angeführten Arm- oder Lichtzeichen betreten haben, sich diese Zeichen
jedoch ändern, während sich die Fußgänger auf der Fahrbahn befinden, so dürfen sie die Überquerung der Fahrbahn fortsetzen, bei Vorhandensein einer Schutzinsel jedoch nur bis zu dieser.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:
Wenn eine Fußgängerin die Fahrbahn nicht auf dem Schutzweg, sondern ungefähr 3,5 m bis 4,0 m vor der Haltelinie überquert, die sich vor einem (durch Lichtzeichen geregelten) Schutzweg befindet, so kann dieser Ort der Überquerung aufgrund seiner Entfernung vom geregelten Schutzweg nicht als eine Stelle, wo der Verkehr für Fußgänger durch besondere Lichtzeichen geregelt ist, im Sinne des § 76 Abs 3 erster Satz StVO 1960 angesehen werden. § 76 Abs 3 erster Satz StVO 1960 ist
daher auf einen solchen Fall nicht anzuwenden. Vielmehr kommen für die Anwendung § 76 Abs 6 erster Satz StVO 1960, wonach, wenn Schutzwege vorhanden sind, Fußgänger diese Einrichtungen zu benützen haben, und § 76 Abs 5 StVO 1960 in Betracht, wonach Fußgänger die Fahrbahn in angemessener Eile zu überqueren haben, außerhalb von Schutzwegen den kürzesten Weg zu wählen haben und hiebei den Fahrzeugverkehr nicht behindern dürfen.
Somit hat sich im vorliegenden Fall ergeben, daß die BW die Fahrbahn nicht an einer der im § 76 Abs 3 StVO 1960 angeführten Stellen überquerte, weshalb sie nach dieser Bestimmung nicht bestraft werden kann. Die Verwirklichung eines anderen Tatbildes wurde ihr jedoch innerhalb der 6-monatigen Verfolgungsverjährungsfrist, berechnet ab der angelasteten Tatzeit, nicht verbal zur Last gelegt, weshalb auch eine Bestrafung nach einem anderen Tatbestand nicht erfolgen kann. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.