TE UVS Wien 1996/05/05 03/P/42/3796/95

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Veröffentlicht am 05.05.1996
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied MMag Tessar über die Berufung des Herrn Josef L gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt, vom 27.7.1995, S 143843-L/94, wegen Übertretung des § 99 Abs 3 lit a StVO iVm § 38 Abs 5 StVO, entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 3 VStG eingestellt.

Der Berufungswerber hat daher gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Text

Begründung:

1) BERUFUNGSVORBRINGEN UND ERMITTLUNGSERGEBNISSE:

Das angefochtene Straferkenntnis enthält folgenden Spruch:

"Sie haben am 19.8.1994 um 15.21 Uhr in Wien, A-straße Kreuzung P-platz Richtung E-platz als Lenker der Straßenbahngarnitur Nr 11 aus der dort befindlichen Haltestelle kommend trotz aufleuchtendem Rotlichtes der VLSA die Kreuzung A-straße - P-platz durchfahren.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§ 99/3 a StVO iVm § 38/5 StVO

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von S 2.000,--, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen gemäß § 99/3 a StVO. Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

S 200,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, ds 10 % der Strafe.

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher S 2.200,--. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 54d VStG)."

Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die verfahrensgegenständliche Berufung, in welcher der Berufungswerber darlegt, daß er sich nach seinem Straßenbahnlichtsignal zu richten hätte und daß sich die Straßenbahngarnitur nicht in Bewegung setzen würde, wenn dieses Signal auf "gesperrt" zeigt. Zudem sei in der Anzeige ihm nur vorgeworfen worden, er hätte die Kreuzung bei Rotlicht durchfahren, wenngleich nur das Anfahren bei Rotlicht strafbar sei.

Aus der Anzeige vom 25.8.1994 geht hervor, daß dem Berufungswerber vorgeworfen wurde, er hätte als Lenker der Straßenbahngarnitur Nr 11 bei Rotlicht die Kreuzung A-straße - P-platz durchfahren. Auch in der Strafverfügung vom 2.11.1994 wurde ihm vorgeworfen, er hätte als Lenker der Straßenbahngarnitur Nr 11 trotz des aufleuchtenden Rotlichts der Verkehrslichtsignalanlage A-straße - P-platz den Tatort durchfahren.

Das Bundesministerium für öffentliche Wirtschaft und Verkehr teilte im Schreiben vom 20.3.1996 folgendes mit:

"Bezugnehmend auf die in Anschluß an die ho Note vom 24.1.1996, Zl: 220.252/1-II/2/96, am 15.2.1996 fernmündlich gestellte Anfrage, warum die dzt existierenden Lichtzeichen für Straßenbahnen als Signale im Sinne des § 38 Abs 8 StVO zu werten sind, wobei insbesondere auf die Anmerkung 10 zu § 38 Abs 8 StVO idF der 19. StVO-Nov, 9. Auflage, Messiner, Manz'sche Große Gesetzausgabe 24 b, hingewiesen wurde, darf mitgeteilt werden, daß wunschgemäß hiezu die ho Sektion I um Abgabe einer Stellungnahme ersucht wurde. Die bezughabende Einsichtsbemerkung vom 19.3.1996 wird zur do Information in Kopie beigeschlossen."

Die Einsichtsbemerkung zum Akt 220.252/2-II/2/96 vom 19.3.1996 lautet wie folgt:

"Zur Frage der Rechtsnatur der Lichtsignale für Straßenbahnen in Form weißer Balken oder Punkte nimmt die Abteilung I/6 im Hinblick auf die aus dem do Akt ersichtliche Rechtsmeinung des UVS Wien wie folgt Stellung:

1. Daß Straßenbahnen auf öffentlichen Straßen der StVO unterliegen, steht außer Zweifel und ergibt sich eindeutig aus § 28 Abs 1 StVO.

2. § 38 Abs 8 StVO ermöglicht es, auch andere Lichtsignale als die sonst in dieser Bestimmung erwähnten (nämlich Verkehrslichtsignalanlagen im Dreikammersystem mit den Farben rot-gelb-grün) zu verwenden. Voraussetzung ist lediglich, daß sie für die Straßenbenützer leicht erkennbar sind (so auch Stolzlechner, Österreichisches Straßenverkehrsrecht, I. Teil Straßenverkehrsordnung, zu § 38 Abs 8 StVO).

3. Wo und für welche Verkehrsteilnehmer auch immer solche auf § 38 Abs 8 StVO beruhenden Verkehrslichtsignalanlagen eingesetzt werden, stets handelt es um Signale, die gewöhnlichen Lichtsignalen gem § 38 StVO bevorgehen. Müßten nämlich diejenigen Verkehrsteilnehmer, für die das "andere Lichtsignal" iS des § 38 Abs 8 StVO gilt, sich zusätzlich auch an sonstige vorhandene Lichtsignale halten, so wäre die Bestimmung nutzlos.

4. Umgekehrt ergibt sich aus diesen Ausführungen aber auch, daß die Signale iS des § 38 Abs 8 StVO für Verkehrsteilnehmer, für die sie nicht bestimmt sind, unbeachtlich sind. Diese haben sich ausschließlich an die für sie geltenden Signale zu halten (in diesem Sinne Stolzlechner aaO zu den Lichtsignalen für Fußgänger).

5. Ebenso folgt daraus, daß die Lichtsignale gemäß § 38 Abs 8 StVO für denjenigen "leicht erkennbar" sein müssen, für den sie gelten.

6. Im Gegensatz zu verschiedenen anderen Bestimmungen in der StVO wird bei der Regelung des Verkehrs durch Lichtzeichen hinsichtlich der Schienenfahrzeuge nicht auf eisenbahnrechtliche Bestimmungen verwiesen. Der Gesetzgeber war offenbar der Ansicht, daß sich Straßenbahnen an die in der Straßenverkehrsordnung vorgesehenen Lichtsignale zu halten hätten und weder Raum noch Notwendigkeit für eine Regelung durch eisenbahnrechtliche Bestimmungen bestünden. Auch besteht rechtlich gesehen keine Notwendigkeit, die derzeit bestehenden Lichtzeichen für Straßenbahnen nicht als Lichtzeichen im Sinne des § 38 StVO zu betrachten. Die angesprochene Anmerkung in Benes-Messiner, Straßenverkehrsordnung, geht ins Leere: ein Gesetz, das einem internationalen Übereinkommen zuwiderläuft, könnte höchsten einen völkerrechtlichen Verstoß gegen den Staatsvertrag darstellen; die innerstaatliche Geltung des Gesetzes würde davon aber nicht berührt.

7. Die derzeit existierenden Lichtzeichen für Straßenbahnen (weiße Punkte bzw Balken) sind somit Signale im Sinne des § 38 Abs 8 StVO und keine eisenbahnrechtlichen Lichtsignale (s hierzu insb LGZ Wien v 30.8.1993, ZVR 1994/58). Da die Bedeutung dieser Lichtzeichen in den Signalvorschriften festgelegt ist, ist auch davon auszugehen, daß jeder im Fahrbetrieb tätige Bedienstete ihre Bedeutung kennt, sodaß sie also für ihn "leicht erkennbar" im Sinne des § 38 Abs 8 StVO sind.

8. Da es sich bei Lichtsignalen gemäß § 38 Abs 8 StVO um Sondersignale für bestimmte Verkehrsteilnehmer handelt, die für diese selbstverständlich beachtlich sind, kann die vom UVS Wien befürchtete widersprüchliche Situation (s do Aktenvermerk v 23.2.1996) nicht eintreten. Daß auch die Straßenverkehrsordnung davon ausgeht, daß unter Umständen Straßenbahnen bei rot in die Kreuzung einfahren, zeigt sich auch daran, daß für diesen Fall ein eigenes Hinweiszeichen (§ 53 Abs 1 Z 10a StVO) besteht, um andere Verkehrsteilnehmer auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Um jedoch unklare oder sogar gefährliche Verkehrssituationen erst gar nicht entstehen zu lassen, wird in der Praxis bei der Schaltung eine Abstimmung der verschiedenen Verkehrslichtsignalanlagen vorzunehmen sein."

Weiters teilten die Wiener Stadtwerke - Verkehrsbetriebe im Schreiben vom 16.4.1996 mit:

"Bei der gegenständlichen Verkehrslichtsignalanlage, A-straße/P-platz (interne Bezeichnung der Verkehrsbetriebe: A-straße/Pe-straße) wird die Freiphase mittels eigener Vier-Punkt-Signale angezeigt. Als Signalbild leuchten die Lampen 2 und 4 und zeigen die "Freie Fahrt in der Geraden" an. Während der restlichen Zeit leuchten die Lampen 1-2-3 als Zeichen für "Halt für alle Fahrtrichtungen".

Die Straßenbahnsignale entsprechen den Angaben der Signalvorschrift für den Straßenbahnbetrieb (SV-STRAB - Ausgabe 1984 - genehmigt vom Bundesministerium für den Verkehr mit Bescheid vom 23.11.1984, Zl EB 6792/2-II/61-1984.

Die VLSA werden von der Magistratsabteilung 46 im Zuge der gesamten Projektabwicklung mitgenehmigt."

2) DER UNABHÄNGIGE VERWALTUNGSSENAT HAT ERWOGEN:

§ 38 Abs 1 und 2 StVO lauten:

"(1) Gelbes nicht blinkendes Licht gilt unbeschuldet der Vorschriften des § 53 Z 10a über das Einbiegen der Straßenbahn bei gelbem Licht als Zeichen für "Halt". Bei diesem Zeichen haben die Lenker herannahender Fahrzeuge unbeschadet der Bestimmungen des Abs 7 anzuhalten:

a)

wenn eine Haltelinie vorhanden ist, vor der Haltelinie;

b)

wenn ein Schutzweg oder eine Radfahrerüberfahrt ohne Haltelinie vorhanden ist, vor der ersten Querungshilfe (Schutzweg, Radfahrerüberfahrt) aus der Sicht des ankommenden Verkehrs;

 c) wenn eine Kreuzung ohne Schutzweg und ohne Haltelinie vorhanden ist, vor der Kreuzung,

 d) ansonsten vor dem Lichtzeichen.

(2) Fahrzeuglenker, die sich bei gelbem nicht blinkendem Licht bereits auf der Kreuzung befinden, haben diese so rasch wie ihnen dies möglich und erlaubt ist zu verlassen. Fahrzeuglenker, denen ein sicheres Anhalten nach Abs 1 nicht mehr möglich ist, haben weiterzufahren. Beim Einbiegen nach links ist den entgegenkommenden nach rechts einbiegenden Fahrzeugen der Vorrang zu geben. Fahrzeuge, die von Hauptfahrbahnen kommen, haben den Vorrang gegenüber Fahrzeugen, die aus Nebenfahrbahnen kommen."

§ 38 Abs 5 StVO lautet:

"Rotes Licht gilt als Zeichen für "Halt". Bei diesem Zeichen haben die Lenker von Fahrzeugen unbeschadet der Bestimmungen des Abs 7 und des § 53 Z 10a an den im Abs 1 bezeichneten Stellen anzuhalten."

§ 38 Abs 8 StVO lautet:

"Zur gesonderten Regelung des Verkehrs auf einzelnen Fahrstreifen oder für bestimmte Gruppen von Straßenbenützern, wie etwa Fußgänger, Radfahrer oder Fahrzeuge des Kraftfahrlinienverkehrs, dürfen auch andere leicht erkennbare Lichtzeichen verwendet werden, wobei hinsichtlich des grünen Lichtes die Bestimmung des Abs 6 erster Satz anzuwenden ist. Hinsichtlich der Bedeutung solcher Lichtzeichen und des Verhaltens der betroffenen Straßenbenützer gelten die Bestimmungen der Abs 1 bis 7 sinngemäß."

Gemäß Dienstvorschrift für den Fahrdienst der Straßenbahnen sind Straßenbahnlenker zur Beachtung der für die Straßenbahnen vorgesehenen Lichtsignale verpflichtet. Diese Lichtsignale wurden mit Bescheid des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 23.11.1984, Zl: EB 6792/2-II/61-1984, gemäß § 21 Abs 3 Eisenbahngesetz für den Straßenbahnbetrieb genehmigt. Die für Straßenbahnen zu beachtenden Verkehrslichtsignalanlagen sind als Verkehrslichtsignalanlagen im Sinne des § 38 Abs 8 StVO zu qualifizieren und genießen in Falle ihrer "Genehmigung" durch die zuständige Behörde Verordnungsqualität.

Verkehrslichtsignalanlagen im Sinne des § 38 Abs 5 StVO richten sich prinzipiell an alle Fahrzeuglenker.

Verkehrslichtsignalanlagen im Sinne des § 38 Abs 8 StVO dienen entweder der Regelung des Verkehrs auf einzelnen Fahrstreifen oder für bestimmte Gruppen von Straßenbenützern, wie insbesonders Fahrzeugen des Kraftfahrlinienverkehrs. Hinsichtlich dieser Verkehrslichtsignalanlagen gelten die Bestimmungen des § 38 Abs 1 bis 7 sinngemäß. Da die von den Absätzen 1 bis 7 abweichenden Regelungen des Absatz 8 den erstgenannten Regelungen vorgehen, ist

§ 38 Abs 8 StVO als lex specialis zu den subsidiär anzuwendenden Bestimmungen des § 38 Abs 1 bis 7 StVO zu qualifizieren. Insoweit

§ 38 Abs 8 StVO Regelungen für einen bestimmten Adressatenkreis vorsieht, gehen diese somit den (hinsichtlich des Adressatenkreises nicht beschränkten) Bestimmungen des § 38 Abs 1 bis 7 StVO vor.

Da sich eine Verkehrslichtsignalanlagen für Straßenbahnen nur an Straßenbahnlenker richtet, sie sohin nur von einem bestimmten Teil der Lenker von Fahrzeugen zu beachten ist, ist eine denselben Straßenabschnitt regelnde Verkehrslichtssignalanlage im Sinne des § 38 Abs 5 StVO für Straßenbahnlenker sohin nicht beachtlich. Diesfalls ist es folglich auch nicht denkbar, daß ein Lenker einer Straßenbahn gegen die Vorschrift des § 38 Abs 5 StVO verstößt. Es war sohin der erstinstanzliche Spruch zu beheben und das Verfahren einzustellen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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