Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erich Kundegraber über die am 29. Dezember 1995 eingelangte Beschwerde des Herrn A. F. Th. G., wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß § 67 c Abs 1 und Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG), § 46 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz (im folgenden SPG) und § 9 Unterbringungsgesetz (im folgenden UBG), wie folgt entschieden:
Die Vorführung des Beschwerdeführers zu einem Distriktsarzt durch Beamte des Gendarmeriepostens W. am 16. November 1995 von 9.30 Uhr bis 11.25 Uhr war rechtswidrig.
Die Bezirkshauptmannschaft Weiz als belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer gemäß § 79 a Abs 1, Abs 2 und Abs 4 AVG einen mit S 19.044,-- bestimmten Kostenaufwand, sowie die erwachsenen Barauslagen mit S 4.806,-- binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
I. 1. In der Beschwerde vom 28. Dezember 1995 wurde nachfolgendes vorgebracht:
"Belangte Partei" Rev.Insp. W. K. des GP W., Bezirksgendarmeriekommando W.als Leiter der Amtshandlung Zeit und Ort der Amtshandlung Donnerstag, 16. November 1995, 09.30 Uhr bis 11.25 Uhr in W., H.-gasse; BH W., Gendarmeriepostenkdo. W. und anderen Orten
Darstellung des Sachverhalts
Am 16.11.1995 um 9.25 Uhr schob ich mein KFZ, beh. Kennzeichen X (KRad) auf dem Radweg in der Neugasse im Gemeindegebiet von W. in Richtung Osten zur Anton-Lanner-Gasse. Ich wollte gerade das Fahrzeug in Betrieb nehmen, als ich den mir bekannten Gendarmeriebeamten K. in seinem Privatfahrzeug (PKW Renault Laguna) vorbeifahren sah. Er fuhr auf der Anton-Lanner-Gasse von Süden kommend in Richtung Birkfelderstraße. Als ich K. erkannte, dachte ich mir gleich, daß ich beobachtet werden würde. Ich schob daher das Motorrad weiter über die Neugasse in die Josef-Schaffer-Gasse und dann in die Hanuschgasse. Dort setzte ich mich auf das Fahrzeug und ließ es abwärts rollen. Den Motor nahm ich dabei nicht in Betrieb. An der Kreuzung Heinrich-Heine-Gasse/Hanuschgasse kam plötzlich K. mit seinem PKW von rechts entgegen, hielt vor mir an und sprang aus dem Wagen. In der Hand hielt er ein Funkgerät, mit welchem er offenbar Kontakt zu seinen Kollegen von der Gendarmerie aufnahm, denn innerhalb kurzer Zeit kamen von allen Seiten Streifenfahrzeuge der Gendarmerie W. anher. Ohne weitere Aufforderung packte mich K. an der Jacke, riß meinen Sturzhelm herunter, versuchte mir Handschellen anzulegen und zerrte mich gemeinsam mit Insp. Kr. in einen Streifenwagen.
Mit dem Dienstfahrzeug wurde ich zum Amtsgebäude der Bezirkshauptmannschaft W. gebracht. Über die Funksprechanlage im Fahrzeug konnte ich vernehmen, wie K. die Leitstelle des Gendarmeriepostens aufforderte, den Leiter des Referats für Polizei- und Verkehrswesen an der BH W., ORR Dr. St., zu verständigen wegen einer Vorführung mit mir. Im Amt stellte sich heraus, daß Dr. St. nicht anwesend war, und sohin begaben sich die Beamten mit mir zu dessen Stellvertreter, Dr. Sch.
Dieser weigerte sich, eine Amtshandlung vorzunehmen und verwies die Gendarmen an den Bezirkshauptmann. Während dieses Vorfalles wurde ich von den Beamten über die Stiegen hinauf- und hinuntergestoßen; überhaupt war ein normales Gespräch mit K. nicht möglich und wurde ich auch nicht über die Gründe der Festnahme belehrt und ob eine solche überhaupt vorliege. Dr. Sch. und K. begaben sich in die Kanzlei des Bezirkshauptmannes Hofrat Dr. H., ich selbst wurde nicht vorgelassen bzw. aus der Kanzlei gewiesen. Die anderen verbliebenen Beamten Insp. Kr. und RevInsp. H. gestatteten mir, die öffentliche Fernsprechstelle im Erdgeschoß aufzusuchen. Da ich hiebei nicht begleitet wurde und auch eine Festnahme nicht dezidiert ausgesprochen worden war, vermute ich, daß zu diesem Zeitpunkt die Vorführung zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt noch nicht beabsichtigt war. Dieses dürfte sich erst aus dem Gespräch mit dem Bezirkshauptmann ergeben haben. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, einen Rechtsanwalt fernmündlich zu verständigen, kamen die Gendarmeriebeamten und Dr. Sch. ins Erdgeschoß zur Telefonzelle nach, und Dr. Sch. erklärte mir, zu einem Arzt mitfahren zu müssen. K. behauptete, der Bezirkshauptmann habe dies angeordnet und ich würde nun wohl in eine psychiatrische Abteilung zwangseingewiesen werden, zumal ich eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellte.
Die Beamten brachten mich zum nahegelegenen Gendarmerieposten behufs Verständigung eines Distriktsarztes, da der Amtsarzt der BH W. wegen Abwesenheit nicht verfügbar war. Nachdem auch der Distriktsarzt nicht erreichbar war, wurde ich um ca. 11.00 Uhr mit einem Dienstfahrzeug von K. und zwei weiteren Gendarmen zu Dr. M., prakt. Arzt in W., gebracht. Dr. M. fragte mich, ob ich mein falsches Verhalten einsähe und belehrte mich über allfällige unmoralische Aspekte in bezug auf das Nichteinhalten von Verwaltungsvorschriften. Einen Grund für eine Unterbringung konnte er jedoch nicht erkennen, zumal auch keine einschlägigen Krankheitssymptome erhebbar waren.
Anschließend wurde ich noch zum Gendarmerieposten mitgenommen und um 11.30 Uhr entlassen. Die Amtshandlung aus der Sicht der Beamten ist im wesentlichen in der beiliegenden Niederschrift der Anzeige an die BH W. dargelegt. Bezirkshauptmann Dr. H. bestritt über meinen Vorhalt, die inkriminierte Amtshandlung angeordnet oder gebilligt zu haben. Vielmehr habe er K. ausschließlich informativ und unverbindlich belehrt. Eine Vorsprache meinerseits beim Bezirksgendarmeriekommandanten Mjr. L. verlief ergebnislos. Er erhob zwar die näheren Umstände, erkannte jedoch in einem Aktenvermerk, daß aus seiner Sicht kein rechtswidriges Verhalten erkennbar sei und er auch die Angelegenheit nicht der Disziplinarbehörde zur Kenntnis bringen werde.
Es wird nunmehr an den Unabhängigen Verwaltungssenat gestellt der Antrag auf
1.
Kenntnisnahme und Erhebung der Fakten
2.
Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch ein Mitglied des UVS
3. Entscheidung, die angefochtene Amtshandlung für rechtswidrig zu erklären, sowie im Falle einer positiven Erledigung im Sinne dieses Begehrens der Betreibenden Partei den Ersatz von Kosten und allfällige Rechte auf Schadenersatz zuzusprechen.
Begründung
Ein Ordnungsprinzip, das dem Gedanken eines liberalen Rechtsstaates Rechnung tragen soll, muß sich aus der Freiheitssicherung begründen. Daher sind Maßnahmen, die im Sinne dieser Rechtsordnung im Interesse des öffentlichen Wohles und damit letztendlich im Interesse des einzelnen Bürgers die Freiheit von Personen in einem bestimmten Bereich beschneiden, auf das unerläßliche Ausmaß zu reduzieren.
Das Unterbringungsgesetz bestimmt die Voraussetzung für solche Maßnahmen einen bestimmten Bereich betreffend und definiert explizit die Grenzen eines diesbezüglichen Ermessensspielraumes. Es soll einerseits allgemeine Interessen schützen, andererseits Leid und Unbill abwenden, welche durch ungerechtfertigte Unterbringung einzelnen Personen erwachsen können. Im gegenständlichen Fall wäre es sehr verwegen, ja geradezu grotesk, aus einer bloßen Verwaltungsübertretung eine latente Selbst- oder Gemeingefährlichkeit abzuleiten. Durch die angefochtene Amtshandlung wurde ich, wie ich meine, durch Anwendung verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt in meinen Rechten verletzt und überdies zwei Stunden lang in Furcht und Unruhe versetzt. Somit war antragsgemäß vorzugehen.
Abschließend wäre noch anzumerken, daß für eine Festnahme auch keine der unter § 35 VStG aufgeführten Gründe in Betracht gekommen wären." Beigelegt wurde die Anzeige des Gendarmeriepostens W. vom 16.11.1995, GZ.: P-2723-95, wegen des Verdachtes der Übertretung gemäß § 76 Abs 5 Kraftfahrgesetz 1967. Im daraufhin gemäß § 67 c Abs 3 AVG ergangenen Mängelbehebungsauftrag gab der Beschwerdeführer binnen offener Frist hinsichtlich des Beschwerdeinhaltes gemäß § 67 c Abs 2 Z 5 AVG nachfolgende Stellungnahme ab:
"Gemäß § 67c Abs 2 Z 5 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz - AVG wird begehrt, die im Schreiben vom 28.12.1995 beschriebene Amtshandlung für rechtswidrig zu erklären. Das bezieht sich sowohl auf die Festnahme um 09.30 Uhr, als auch auf die neuerliche Festnahme um 10.10 Uhr und die anschließende Vorführung zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt."
In der öffentlichen, mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeantrag insofern richtiggestellt, als es sich um eine Festnahme des Beschwerdeführers, nämlich um 9.30 Uhr und der anschließenden Anhaltung bis 11.25 Uhr gehandelt hat, da die Anhaltung während dieses Zeitraumes nie unterbrochen war und somit es zu keiner "neuerlichen Festnahme um 10.10 Uhr" gekommen ist.
2. Die Bezirkshauptmannschaft W. gab am 18. März 1996 nachfolgende Stellungnahme ab:
"Zur Beschwerde von Herrn A. F. Th. G. selbst werden nun in der Beilage folgende Unterlagen vorgelegt:
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Bericht/Stellungnahme des Bezirksgendarmeriekommandos W.;
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Fallausdrucke bezüglich zurückliegender Strafverfahren;
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div. Anzeigen in Kopie;
-
Antrag auf Sachwalterbestellung an das Bezirksgericht W. Herr A. G. ist der Bezirkshauptmannschaft W. fast schon seit seiner Kindheit bekannt. Ursprünglich wurde das Sicherheitsreferat wiederholt und jahrelang durch Mitbewohner um Intervention gebeten, da G. das ganze Haus gestört haben soll. In diesem Zusammenhang wurden z. B. einmal sämtliche Hausparteien einvernommen - das Ergebnis dieser Beweisaufnahme war erschütternd. G. hat nun angeblich Hausverbot. Außer seiner Mutter und seiner über 90-jährigen Großmutter dürfte er keine Angehörigen haben; beide leben in W. Es liegt auf der Hand, daß sich G. auch in W. aufhält. Seine Schwierigkeiten mit der Unterkunftsbeschaffung kommen auch aus seinen Meldedaten zum Ausdruck - erhoben bei der Bundespolizeidirektion G.:
Vom 13.11.1989 bis 31.7.1992 war er mit Nebenwohnsitz in der R.-straße 41 in G. gemeldet, vom 11.4.1991 bis 31.9.1992 mit ordentlichem Wohnsitz in der M.-straße 29a, vom 13.10.1992 bis 13.1.1995 mit ordentlichem Wohnsitz am F.-weg 21 in G. und vom 8.1.1996 bis 20.2.1996 war er wieder mit Hauptwohnsitz in der R.- straße 41 polizeilich gemeldet. Zuletzt hatte er vom 31.1.1996 bis 11.3.1996 bei der Bundespolizeidirektion G. ein Motorrad angemeldet.
Ausdrücklich hingewiesen wird auf die Anzeige vom 30.10.1995. Zur damaligen Amtshandlung ist es gekommen, weil G. den PKW vom Beifahrersitz aus gelenkt hatte. Er war damals der Behörde vorgeführt worden; der Amtsarzt erstattete damals ein Gutachten, nach dem G. zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht geeignet sei. Ihm wurde die Lenkerberechtigung damals mit sofortiger Wirkung entzogen; über die Berufung gegen diesen Bescheid liegt noch keine Entscheidung vor - der Akt liegt nach einem Devolutionsantrag beim Bundesministerium für öffentliche Wirtschaft und Verkehr. Ungeachtet dieser Beurteilung weist der Amtsarzt in den diversen Strafverfahren gegen A. G. immer darauf hin, daß G. im strafrechtlichen Sinn durchaus zurechnungsfähig sei. A. G. ist im übrigen durchaus und offensichtlich in der Lage, sich kurzzeitig zu beherrschen; er wird erst nach einiger Zeit und vor allem dann, wenn er sich unbeobachtet fühlt, 'unrund': Auf der Straße fällt er z. B. durch eigenartige, zwanghaft wirkende Bewegungen auf (Steigen über ein imaginäres Hindernis, zuckende Bewegungen ...). Es macht ihm offensichtlich Freude, gegen die Fenster der Bezirkshauptmannschaft Schneebälle zu werfen und die Bediensteten des Hauses mit Vornamen und einem freundlichen 'Du' anzusprechen. In dieser Situation ist ein Exekutivorgan, das tageweise ständig mit Anrufen/Anzeigen/Beschwerden über A. G. konfrontiert ist, nicht in der Lage, womöglich eine fundierte medizinische Beurteilung vorzunehmen, womöglich klar in dem Sinn, daß ausgeschlossen werden kann, daß die Voraussetzung nach § 46 Abs 1 SPG bzw. § 9 des Unterbringungsgesetzes vorliegen. Es wird daher beantragt, die an der Amtshandlung vom 16.11.1995 beteiligten Gendarmeriebeamten und weiters einen ärztlichen Sachverständigen zu einer mündlichen Verhandlung zu laden. Auch Herr G. sollte der gesamten Verhandlung beiwohnen. Die Behörde ist überzeugt, daß die Vorgangsweise anläßlich der in Beschwerde gezogenen Amtshandlung durch beide genannten Gesetzesstellen (u. zw. unabhängig voneinander) gesetzlich gedeckt war und beantragt aus diesem Grunde schon jetzt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde samt Zuerkennung des Schriftsatzaufwandes."
Die in der Gegenschrift erwähnten Beilagen wurden vorgelegt.
II. 1. Nach Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung am 7. Mai 1996, wobei die Zeugen RI K., RI H. und Insp. Kr. einvernommen wurden, als auch unter Heranziehung des Akteninhaltes, der Zeugenaussage von RI K. vor der belangten Behörde am 30.1.1996 (GZ.: 15.1 1995/6867), dem Ergebnis der verkehrspsychologischen Untersuchung des Beschwerdeführers vom 22. März 1996, sowie unter Zugrundelegung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, erstellt von Dr. Egon Skalka, gerichtlich beeideter Sachverständiger, wird nachfolgender, entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt:
Der Beschwerdeführer lenkte am 16. November 1995 um ca. 9.30 Uhr das Motorrad mit dem Kennzeichen X im Ortsgebiet von W. auf der Hanuschgasse in Richtung Heinrich-Heine-Gasse. Hiebei hielt er eine Geschwindigkeit von ca. 10 bis 15 km/h ein, hatte den Sturzhelm auf und saß am Motorrad. Eine Lenkerberechtigung besaß der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt nicht, da im laufenden Verfahren zum Entzug der Lenkerberechtigung die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels ausgeschlossen war. Auf Höhe des Hauses Heinrich-Heine-Gasse 16 wurde der Beschwerdeführer von RI K. angehalten. Ein Motorengeräusch bei der Fahrt konnte RI K. nicht wahrnehmen, schloß jedoch aufgrund der erhöhten Temperatur des Auspuffkrümmers, daß der Motor zuvor in Betrieb gewesen sei. Der Beschwerdeführer wurde an Ort und Stelle laut Angaben des Zeugen RI K. aufgrund einer vorliegenden Selbst- und Gemeingefährdung festgenommen und forderte dieser mittels Funk Unterstützung an. Das Verhalten des Beschwerdeführers war zum Zeitpunkt der Anhaltung normal. Der Zeuge RI K. konnte jedoch ca. 15 Minuten vor der Anhaltung aus einer Entfernung von ca. 50 m bis 70 m feststellen, daß der Beschwerdeführer neben seinem Motorrad stand, sich hiebei bückte und dabei seinen ganzen Körper durchgeschüttelt hat. Innerhalb kürzester Zeit, ca. 1 Minute nach der Festnahme, wurde der Beschwerdeführer mit dem Streifenwagen von Insp. H. und Insp. Kr. in die Bezirkshauptmannschaft W. zwecks Untersuchung durch den Amtsarzt gebracht. Der Beschwerdeführer kam ohne Widerstand mit und zeigte hiebei kein auffälliges Verhalten. Da der Amtsarzt bei der Bezirkshauptmannschaft W. nicht anwesend war, wurde der Beschwerdeführer - nachdem man ihm erlaubte zu telefonieren - auf den Gendarmerieposten W. gebracht und sodann zum Distriktsarzt Dr. M. Der Distriktsarzt führte ein Gespräch mit dem Beschwerdeführer und entließ diesen sodann ohne eine Bescheinigung gemäß § 8 UBG auszustellen. Die ganze Amtshandlung dauerte von 9.30 Uhr bis 11.25 Uhr des 16. November 1995.
2. Die getroffenen Feststellungen gründen sich auf die im wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der einvernommenen Zeugen sowie des Beschwerdeführers. Soweit der Zeuge RI H. feststellte, daß sich der Beschwerdeführer am Festnahmeort geschüttelt habe, kann dem nicht gefolgt werden, da aus den Zeugenaussagen von Herrn RI K., als auch Insp. Kr. Gegenteiliges - nämlich normale Verhaltensweise des Beschwerdeführers - hervorgeht. Hiebei kommt insbesondere den Beobachtungen von RI K. besondere Bedeutung zu, da er als federführender Beamter bei der Amtshandlung, derjenige war, der die Festnahme vornahm und hiebei keine abnormale Verhaltensweise feststellte.
III. Die Rechtsbeurteilung ergibt folgendes:
1. Die Beschwerde über die Festnahme und Anhaltung am 16. November 1995 langte beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark am 29. Dezember 1995 (Postaufgabestempel 28. Dezember 1995) ein, wodurch die sechswöchige Beschwerdefrist gemäß § 67 c Abs 1 AVG gewahrt wurde. Auch die örtliche Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark ist gegeben, da die von den Beamten des Gendarmeriepostens W. vorgenommene Handlung im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark durchgeführt wurde.
2. Gemäß § 46 Abs 1 SPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, Menschen, von denen sie aus besonderen Gründen annehmen, daß sie an einer psychischen Krankheit leiden und im Zusammenhang damit ihr Leben oder ihre Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährden, einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt oder einem Polizeiarzt vorzuführen, sofern dies notwendig ist, um eine Untersuchung des Betroffenen durch diesen Arzt zu ermöglichen. Weiters sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, solche Menschen einer Krankenanstalt (Abteilung) für Psychiatrie vorzuführen, sofern der Arzt die Voraussetzungen für eine Unterbringung bescheinigt.
Gemäß § 9 Abs 1 UBG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes berechtigt und verpflichtet, eine Person, bei der sie aus besonderen Gründen die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachten, zur Untersuchung zum Arzt (§ 8) zu bringen und diesen beizuziehen. Bescheinigt der Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung, so haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine Anstalt zu bringen oder dies zu veranlassen. Wird eine solche Bescheinigung nicht ausgestellt, so darf die betroffene Person nicht länger angehalten werden. Der § 3 Z 1 UBG legt als Voraussetzung der Unterbringung fest, daß nur derjenige in einer Anstalt untergebracht werden darf, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet.
Die Vorgangsweise der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes hat sich sowohl am § 9 i.V.m. § 3 Z 1 UBG, als auch dem § 46 Abs 1 SPG zu orientieren, wobei die herangezogenen Gesetzesstellen im wesentlichen den gleichen Regelungsgehalt aufweisen. Laut ständiger Rechtssprechung ist eine Vorführung zum Arzt als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren (VfSlg. 4924; VwSlg. 12302A).
Als Prämisse einer Vorführung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sieht das Gesetz die Annahme "aus besonderen Gründen" vor. Es sind somit ganz konkrete Anhaltspunkte im Verhalten des Betroffenen gefordert, aus denen sich der Schluß auf das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen im Sinne des § 3 UBG ergibt. Eine qualifizierte fachmedizinische Beurteilung der Unterbringungsvoraussetzungen, insbesondere des psychischen Zustandes einer Person, ist jedoch hiebei nicht verlangt. Diesen Zweck dient erst die an der Vorführung anschließende ärztliche Untersuchung. Für die Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Sicherheitsorgane kann es daher auch nicht darauf ankommen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen - ex post betrachtet - richtigerweise angenommen wurden, sondern darauf, ob das Organ ihr Vorliegen aus seiner Sicht (ex ante) vertretbar annehmen durfte (Christian Kopetzki, Unterbringungsrecht II, Seite 532). In concreto hat das einschreitende Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den Verdacht einer Verwaltungsübertretung nach dem Kraftfahrgesetz 1967 gehabt, welcher auch in eine Anzeige mündete. Andere Auffälligkeiten, die eine unterschiedliche Behandlung, nämlich die Vorführung zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt, rechtfertigen würden, konnten vom einschreitenden Sicherheitsorgan nicht wahrgenommen werden und unterschied sich der Beschwerdeführer von keinem anderen Menschen, der in Verdacht steht, eine Verwaltungsübertretung begangen zu haben. Keine wie immer geartete erhebliche Selbst- oder Gemeingefährdung konnte auch der beigezogene medizinische Sachverständige in seinem Gutachten feststellen, wobei noch ausgeführt wird, daß "die beschriebene auffallende Bewegungsstörung, offenbar ein jahrelanges, der Behörde bekanntes eingeschliffenes spontanes Verhaltensmuster (unkoordinierte Bewegungen, Schütteln etc.), welches sich angeblich ca. 15 Minuten vor der Anhaltung manifestierte, keinen Voraussetzungsgrund zur Beiziehung eines Arztes darstellt". Des weiteren führt der Sachverständige aus, daß "der Tathergang keine relevanten manifesten psychopathologisch faßbaren Beeinträchtigungen zeigt, die eine ärztliche Untersuchung nach dem UBG rechtfertigen würden und ist seines Erachtens für eine solche Schlußfolgerung - infolge des eindeutigen Sachverhaltes - eine medizinische Ausbildung nicht notwendig".
Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes fehlt es somit dem einschreitenden Sicherheitsorgan an "besonderen Gründen" im Sinne des § 9 UBG bzw. § 46 Abs 1 SPG, die eine sofortige Vorführung zum Arzt rechtfertigen würden. Alleine der Verdacht der Begehung einer Verwaltungsübertretung - das Lenken eines Fahrzeuges ohne Lenkerberechtigung - rechtfertigt keinesfalls die Vorführung zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt und ist eine derartige Vorgangsweise in einem mit Grundrechten ausgestatteten Rechtsstaat unvereinbar. Die Überschreitung der vorgesehenen Handlungsermächtigung in den zitierten Gesetzesstellen wird auch nicht dadurch gerechtfertigt, wenn - wie die belangte Behörde vermeint - eine bereits Jahre zurückreichende Vorgeschichte über Verhaltensauffälligkeiten des Beschwerdeführers gegenüber der Bevölkerung besteht. Die von der belangten Behörde geäußerte Rechtsansicht, daß die Vorgeschichte des Beschwerdeführers (mehrere Verwaltungsübertretungen und Provokationen gegenüber der Behörde) im Anlaßfall miteinzubeziehen gewesen wären, findet in den einschlägigen Gesetzen keine Deckung und schießt somit über den Zweck der einschlägigen Gesetzesbestimmungen - das Hintanhalten einer Selbst- bzw. Gemeingefährdung psychisch Kranker - weit hinaus. Ebenso verfehlt ist die Begründung "einer fehlenden Einsichtsfähigkeit" bezüglich der Verwaltungsübertretung und damit der Rechtfertigung zur Vorführung, wobei hiezu aus dem medizinischen Gutachten zu entnehmen ist: "Ob wissenschaftlich begründete Aussagen zu einer solchen 'Fähigkeit' überhaupt möglich sind, ist umstritten. Die Fähigkeit, das Unrecht einer strafbaren Handlung nicht einzusehen bzw. nicht einsehen zu wollen, ist jedenfalls in aller Regel für eine psychische Krankheit nicht pathognomonisch". Die "fehlende Einsichtsfähigkeit" als Begründung der Handlungsermächtigung im Sinne des § 9 UBG bzw. § 46 Abs 1 SPG würde einer willkürlichen Vorführung zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt Tür und Tor öffnen. Offensichtlich hat sich der beigezogene Distriktsarzt gesetzeskonform verhalten und den Beschwerdeführer nach kurzem Gespräch - eine Untersuchung fand nach Erachten des Zeugen RI K. nicht statt - entlassen. Die somit durchgeführte Vorführung des Beschwerdeführers am 16.11.1995 zu einem Distriktsarzt durch Organe des Gendarmeriepostens W. aufgrund des Verdachtes der Begehung einer Verwaltungsübertretung nach dem KFG war somit rechtswidrig, da kein wie immer gearteter konkreter Anhaltspunkt ex ante im Sinne der gesetzlichen Grundlagen vorlag.
III. Als Kosten wurde gemäß § 79 a AVG i.V.m. der Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl. 855/1995 dem Beschwerdeführer ein Betrag in Höhe von S 19.044,-- zugesprochen. Dem Beschwerdeführer gebührt S 8.400,-- an Schriftsatzaufwand,
S 10.400,-- an Verhandlungsaufwand, S 120,-- an Stempelgebührenersatz (S 120,-- für Beschwerdeschriftsatz) und
S 124,-- Fahrtkostenaufwand (W. - G. - W. gemäß § 79 a Abs 4 Z 2 AVG). Die Kosten des amtsärztlichen Sachverständigen wurden gemäß § 79 a Abs 4 Z 1 AVG vorgeschrieben und entsprechen dem Gebührenanspruchsgesetz.