Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch die Vorsitzende Mag Engelhart und die Mitglieder Dr Wilfert als Berichter und Dr Wintersberger als Beisitzerin über die Berufung des Herrn Dipl Ing Werner G, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 13./14. Bezirk, vom 13.1.1995, MBA 13/14 - S 9957/94, entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
Gemäß § 65 VStG hat der Berufungswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Begründung:
1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wird dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe es als verantwortlicher Beauftragter der U-AG zu verantworten, daß diese als Arbeitgeberin zwei Arbeitnehmer am 14.6.1994 auf der Baustelle in S, S-straße, bei Künettengrabearbeiten im Zuge der unterirdischen Verlegung von Postkabeln beschäftigt hat und dabei die Bestimmungen des § 17 Abs 1 und Abs 2 Bauarbeiterschutzverordnung und § 61 Abs 6 AAV in Verbindung mit § 31 Abs 2 lit p Arbeitnehmerschutzgesetz nicht eingehalten wurden.
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wurde über den Berufungswerber eine einheitliche Geldstrafe in der Höhe von S 13.000,--, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 13 Tagen, gemäß § 31 Abs 2 Arbeitnehmerschutzgesetz verhängt.
Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die Berufung vom 22.2.1995, in welcher der Berufungswerber seine Verantwortlichkeit bestreitet und ausführt, es habe sich bei der Baustelle um eine solche des Bereiches Straßenbau Wien, Niederösterreich und Burgenland Nord der U gehandelt, für welchen Herr Ing Friedrich St vom Vorstand der U zum verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs 2 VStG bestellt worden sei. Er selbst sei lediglich verantwortlicher Beauftragter für den Bereich Tiefbau für Wien, Niederösterreich und Burgenland (inkl U-Bahn-Bau und Donaukraftwerke).
Mit Schriftsatz vom 28.9.1995 erstattete das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten eine Stellungnahme und führte im wesentlichen aus, die verfahrensgegenständlichen Arbeiten seien nach Auffassung des Arbeitsinspektorates als Tiefbauarbeiten zu qualifizieren. Die von der U-AG übersandten Bestellungen von verantwortlich Beauftragten seien hinsichtlich des sachlichen Zuständigkeitsbereiches dahingehend ausgelegt worden, daß die dort angegebenen Bereiche nach der Art der durchgeführten Arbeit zuzuordnen seien, die Herstellung von Kabelkünetten gehöre demnach zum Bereich Tiefbau. Nach Ansicht des Berufungswerbers sei als angegebener Bereich nicht der Bereich der Art der Arbeiten, sondern der Unternehmensbereich Tiefbau gemeint. Sollte die Ansicht des Arbeitsinspektorates zutreffend sein, wäre der Strafantrag aufrecht zu erhalten. Sollte die Auffassung des Berufungswerbers die Richtige sein, wäre noch zu ermitteln, welchem Unternehmensbereich die beiden Arbeitnehmer F und B, die mit den gegenständlichen Arbeiten beauftragt gewesen sind, angehört haben. Sollten beide tatsächlich nicht dem Unternehmensbereich Tiefbau zugeordnet gewesen sein, wäre das Strafverfahren einzustellen. Nach fernmündlicher Auskunft des Lohnbüros der U-AG vom 19.8.1996 scheint Herr Karl F im Bereich Straßenbau auf, Herr B ist im Lohnbüro nicht erfaßt.
2. In der Angelegenheit fand am 11.9.1996 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien statt.
Zu dieser Verhandlung ist der Berufungswerber trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen.
In der Verhandlung wurden Herr Dipl Ing Be und Herr Ing St zeugenschaftlich einvernommen.
Im Anschluß an die Verhandlung wurde der Berufungsbescheid mündlich verkündet.
3. Die Berufung ist begründet.
Strittig ist im Berufungsfall die Frage, ob der Berufungswerber als verantwortlicher Beauftragter der U-AG im Sinne des § 9 Abs 2 und 4 VStG für die verfahrensgegenständlichen Verwaltungsübertretungen strafrechtlich verantwortlich war. Gemäß § 9 Abs 1 VStG ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder Personengemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist. Gemäß Abs 2 leg cit sind die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden. Gemäß Abs 4 leg cit kann verantwortlicher Beauftragter nur eine Person mit Wohnsitz im Inland sein, die strafrechtlich verfolgt werden kann, ihrer Bestellung nachweislich zugestimmt hat und der für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen ist. Gemäß § 23 Abs 1 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 - ArbIG ist die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs 2 und 3 VStG für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes erst rechtswirksam, nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/der Bestellten eingelangt ist. Dies gilt nicht für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten auf Verlangen der Behörde gemäß § 9 Abs 2 VStG.
Gemäß Abs 2 leg cit können Arbeitnehmer/innen für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes zu verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs 2 und 3 VStG rechtswirksam nur bestellt werden, wenn sie leitende Angestellte sind, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind.
Der räumliche oder sachliche Bereich des Unternehmens, für den ein verantwortlicher Beauftragter mit dessen Zustimmung bestellt wird, ist "klar abzugrenzen". Erfolgt eine solche klare Abgrenzung nicht, so liegt keine wirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten vor. Die Verwaltungsstrafbehörden sollen nicht in die Lage versetzt werden, Ermittlungen über den jeweiligen Betrieb und seine Gliederung in räumlicher und sachlicher Hinsicht anstellen zu müssen. Sie sollen auch der Aufgabe enthoben sein, die Bestellung, ihren Nachweis einer (nur unter Zuhilfenahme weiterer Beweise möglichen) Interpretation unterziehen zu müssen, um zu klären, welcher Inhalt einer diesbezüglichen nicht eindeutigen Erklärung beizumessen ist (vgl VwGH vom 23.2.1993, 92/11/0258). Dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien liegen zwei, im wesentlichen gleichlautende Bestellungsurkunden zum verantwortlichen Beauftragten vor. Mit der Urkunde vom 1.4.1993 bestellte der Vorstand der U-AG den Berufungswerber zum verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs 2 VStG für die Einhaltung sämtlicher Gesetze und Verwaltungsvorschriften, wobei der sachliche und örtliche Bereich der Verantwortlichkeit mit "Bereich Tiefbau für Wien, NÖ und Burgenland, inkl U-Bahn-Bau und Donaukraftwerke" umschrieben ist. Mit Urkunde vom 2.10.1991 wurde in gleicher Weise Herr Ing St zum verantwortlichen, Beauftragten jedoch für den "Bereich Straßenbau in Wien, NÖ und Burgenland Nord" bestellt.
Sowohl der Berufungswerber als auch Herr Ing St haben der Übertragung der Verantwortlichkeit in dem beschriebenen Umfang zugestimmt.
Herr Ing St gab im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Einvernahme vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien an, er sei Direktor der U-AG für den Bereich Straßenbau. Bauleiter der verfahrensgegenständlichen Arbeiten sei Herr Ga gewesen, der schon damals zum Bereich Straßenbau gehört habe. Ihm vorgesetzt sei als Gruppenleiter Herr Ing M gewesen, ebenfalls vom Bereich Straßenbau. Der Berufungswerber sei Prokurist und für den Bereich Tiefbau inkl U-Bahn-Bau zuständig gewesen. Zum Bereich Tiefbau gehöre im Unternehmen der U-AG der U-Bahn-Bau, der Brückenbau, Tunnelbau und Kraftwerke. Diese Bereiche seien den Leitern der Abteilungen zugeteilt worden bzw sei diese Aufgabenverteilung im Unternehmen traditionsgemäß gewachsen. Wenn etwa die Abteilung Tiefbau ein Kraftwerk errichte, würde sie auch die erforderlichen Zufahrtsstraßen einfacherer Art bauen, wenn etwa die Abteilung Straßenbau eine Straße errichte, müsse sie auch die erforderlichen einfachen Tiefbauarbeiten verrichten. Die Abteilungen hätten aber die Möglichkeit, jeweils die Fachabteilung mit diesen Teilarbeiten zu betrauen. Es komme dabei darauf an, ob die einzelnen Abteilungen das erforderliche Fachpersonal bzw die erforderliche Geräteausstattung für die Arbeiten haben.
Im verfahrensgegenständlichen Fall sei keine Betrauung der Abteilung Tiefbau erfolgt, weil es sich beim Graben einer Künette um einfache Arbeiten handle, die von der Abteilung Straßenbau durchgeführt werden konnten. Auch Herr F habe personell zum Bereich Straßenbau gehört und seit ca 25 Jahren in diesem Bereich gearbeitet. Der Berufungswerber hätte keine Möglichkeit gehabt im Bereich, in dem von der Abteilung Straßenbau solche Tiefbauarbeiten durchgeführt werden, an die Arbeiter Anweisungen zu erteilen. Er selbst habe eine Bestellurkunde für den Bereich Straßenbau unterschrieben und sei dabei davon ausgegangen, daß damit jener Bereich umfaßt sei, der in der U-AG von der Abteilung Straßenbau, der er vorstehe, mit deren Personal und Geräten durchgeführt wird. Der Übertragung der Verantwortlichkeit für diesen Bereich habe er zugestimmt. Fachlich könne man das Ausheben einer Künette dem Bereich Tiefbau zuordnen.
Dipl Ing Be, Beamter des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten, wurde zu den von ihm auf der Baustelle festgestellten Mängeln befragt.
Nach Durchführung des Beweisverfahrens ist auf Grund der Berufungsausführungen im Zusammenhang mit der Aussage des Zeugen Ing St, der im unmittelbaren persönlichen Eindruck korrekt und glaubwürdig wirkte, und an deren Richtigkeit zu zweifeln der Unabhängige Verwaltungssenat Wien keinen Anlaß fand, als erwiesen anzusehen, daß die U-AG (soweit es für dieses Verfahren wesentlich ist) in zwei Bereiche, nämlich die Abteilung Tiefbau und die Abteilung Straßenbau gegliedert war, für welche einerseits der Berufungswerber, andererseits Ing St zum verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichen bestellt waren und für diese Bereiche auch der Übertragung der Verantwortlichkeit zugestimmt haben.
Weiters ist als erwiesen anzusehen, daß die verfahrensgegenständlichen Arbeiten von der Abteilung Straßenbau unter der Leitung des Ing St, des ebenfalls dem Bereich Straßenbau zugehörigen Gruppenleiters Ing M und des Bauleiters Ga durchgeführt worden sind und die ausführenden Arbeiter, insbesondere Herr F und Herr B, ebenfalls dem Bereich Straßenbau zugehörig waren.
Aus dem Berufungsvorbringen im Zusammenhang mit der Aussage des Zeugen St ergibt sich letztlich, daß die sachliche Abgrenzung der Bereiche des Unternehmens, die mit "Bereich Tiefbau" bzw "Bereich Straßenbau" umschrieben sind und für welche die verantwortlichen Beauftragten mit ihrer Zustimmung bestellt worden sind, erst nach Ermittlung der (historisch gewachsenen) firmeninternen Aufgabenteilung zwischen diesen Bereichen möglich ist, weshalb eine klare Abgrenzung der Verantwortungsbereiche im Sinne der oben wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht gegeben ist.
Eine wirksame Bestellung des Berufungswerbers zum verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs 2 VStG liegt daher schon aus diesem Grund nicht vor. Darüber hinaus wäre, wie das Ermittlungsverfahren weiters ergeben hat, dem Berufungswerber auch nicht die zur Einhaltung der verfahrensgegenständlichen Bestimmungen erforderliche Anordnungsbefugnis zugekommen, da, wie der Zeuge St glaubwürdig ausgesagt hat, der Berufungswerber keine Möglichkeit hatte, für Arbeiten, die von der Abteilung Straßenbau durchgeführt wurden, Anweisungen zu erteilen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.