Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch die Kammermitglieder Dr. Erwin Ganglbauer, Dr. Wigbert Hütter und Dr. Renate Merl über die Berufung des Herrn Ing. J. Z., G., J.-weg 35b, gegen Punkt 1.) des Straferkenntnisses des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 22.4.1996, GZ.: A4-St 399/1- 1995/106, wie folgt entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird die Berufung dem Grunde nach abgewiesen.
Hinsichtlich der Strafhöhe wird der Berufung dahin Folge gegeben, daß über den Berufungswerber eine Geldstrafe von S 7.000,-- (Ersatzarreststrafe 2 Tage) verhängt wird. Der Spruch des Straferkenntnisses wird
1. wie folgt präzisiert:
in der Sachverhaltsumschreibung des Punktes 1.) wird das Wort "Gerüst" durch das Wort "Arbeitsgerüst" ersetzt;
2. insofern korrigiert, als
a) bei den verletzten Rechtsvorschriften die Zeichenfolge "§ 130 Abs 1 Z 15" durch die Zeichenfolge "§ 130 Abs 5 Z 1" ersetzt wird,
b) ausgesprochen wird, daß die Verhängung der Geldstrafe nach § 130 Abs 5 Arbeitnehmerschutzgesetz - ASchG - erfolgte.
Der Bürgermeister der Stadt Graz bestrafte Herrn Ing. J. Z. als handelsrechtlichen Geschäftsführer der Ing. J. Z. GesmbH. mit Sitz in G., nach § 130 Abs 1 ASchG zu Punkt 1.) mit Geldstrafe von S 20.000,-- (Ersatzarrest 3 Tage) und warf ihm die Verletzung folgender Rechtsvorschriften vor: § 58 Abs 3 i.V.m. § 8 Abs 1 Z 2 und § 7 Abs 2 Z 4 Bauarbeiterschutzverordnung (Bau-V) und § 118 Abs 3, § 130 Abs 1 Z 15 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG).
Er habe es in der angeführten Funktion zu verantworten, daß am 11.5.1995 auf der Baustelle G., K.-straße (Volksschule), am Gerüst auf der 2. Gerüstetage, von der die Absturzhöhe mehr als 2 m betragen habe, die Fuß- und Mittelwehren gefehlt hätten, obwohl die Gerüstlagen, wenn die Absturzhöhe mehr als 2 m betrage, mit Brust-, Mittel- und Fußwehren nach § 8 Bauarbeiterschutzverordnung versehen sein müßten (Punkt 1.) des Straferkenntnisses).
Von der belangten Behörde wurden am 4.9.1995 der nunmehrige Berufungswerber (Bw) als Partei und am 9.10.1995 die beiden Arbeitnehmer Herr J. G. und Herr S. P. sowie am 15.11.1995 der Arbeitsinspektor Herr Ing. R. Z. als Zeugen vernommen.
Nunmehr berief der Bw mit folgender Begründung: "Es wird beantragt, der Berufung stattzugeben, da die Beschuldigungen in der vorgebrachten Form nicht zutreffen, wie aus den Zeugenaussagen von Herrn G.
und Herrn P. hervorgeht, hat während der Unvollständigkeit des Gerüstes, nie eine Tätigkeit stattgefunden, daher war auch keine Gefährdung von Dienstnehmern gegeben. Eine Tätigkeit konnte auch vom Arbeitsinspektor nicht nachgewiesen werden, denn die angefertigten Fotos zeigen keinerlei Tätigkeiten auf dem Gerüst. Ebenso verhält es sich mit dem Aufstieg. Wie auch aus den Zeugenaussagen hervorgeht, wurde durch das abschnittsweise Arbeiten das Gerüst und seine Teile mehrmals verwendet und laufend auf- und abgebaut.
Weiters wurden bei der Strafbemessung die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht
entsprechend berücksichtigt."
Da mit den vorliegenden Berufungsargumenten in erster Linie die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes angesprochen ist, gelangt der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark nach Überprüfung der Berufungssache aufgrund der Aktenlage zu folgendem Ergebnis:
Der Bw ist handelsrechtlicher Geschäftsführer der Ing. J. Z. GesmbH. mit Sitz in politischer Gemeinde G. Diese Gesellschaft führte am 11.5.1995 auf der Baustelle G. - K.-straße (Volksschule) Bauarbeiten durch. Auf der 2. Gerüstetage des Arbeitsgerüstes, von der die Absturzhöhe mehr als 2 m betrug, waren keine Fuß- und Mittelwehren angebracht.
Der objektive Tatbestand wurde vom Bw nicht bestritten, er stützt sich auf die Strafanzeige des Arbeitsinspektorates Graz vom 21. Juni 1995 und die vier vom Arbeitsinspektor bei seiner Kontrolle aufgenommenen Fotos, die dem Bw bei seiner
Vernehmung von der belangten Behörde am 4.9.1995 vorgehalten wurden.
Nach § 58 Abs 3 Bau-V, der sich auf Arbeitsgerüste bezieht, müssen die Gerüstlagen mit Wehren nach § 8 versehen sein. Nach § 8 Abs 1 Z 2 Bau-V sind Umwehrungen (Geländer) an den Absturzkanten, die aus Brust-, Mittel- und Fußwehren bestehen, geeignete Absturzsicherungen. Nach § 7 Abs 2 Z 4 Bau-V liegt Absturzgefahr vor an sonstigen Arbeitsplätzen, Standplätzen und Verkehrswegen bei mehr als 2 m Absturzhöhe.
Da es sich im vorliegenden Fall um ein Arbeitsgerüst handelte, somit um ein Gerüst, von dem aus oder auf dem Arbeiten ausgeführt wurden und in der 2.
Gerüstetage die Fuß- und Mittelwehren fehlten, liegt ein Verstoß gegen die angeführten Bestimmungen vor.
Der Bw bestritt, daß während der Unvollständigkeit des Gerüstes eine Tätigkeit darauf stattgefunden habe und daher auch keine Gefährdung von Dienstnehmern
gegeben gewesen sei. Der Arbeitsinspektor habe keine Tätigkeit nachweisen können, denn die angefertigten Fotos zeigten keinerlei Tätigkeiten auf dem Gerüst. Durch das abschnittsweise Arbeiten seien das Gerüst und seine Teile mehrmals verwendet und laufend auf- und abgebaut worden.
Diesem Vorbringen ist folgendes entgegenzuhalten: Nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15.4.1991, 90/19/0501, kommt es nicht darauf an, daß auf einem Gerüst dauernd oder zu einem bestimmten Zeitpunkt gearbeitet wird. Das Gerüst muß den Sicherheitsvorschriften jedenfalls dann entsprechen, wenn es zur Durchführung von Arbeiten durch die Arbeitnehmer an der betreffenden Baustelle zu dienen bestimmt ist und der Aufenthalt von Arbeitnehmern auf dem Gerüst zur Vornahme von Arbeiten demnach nicht ausgeschlossen werden kann.
Weiters führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis Zl. 90/19/0079 vom 23.4.1990 folgendes aus: "Der Auffassung des Beschwerdeführers, daß dem § 46 Abs 6 AAV genüge getan sei, wenn ein Gerüst an den Stellen, wo sich Arbeitnehmer befänden und wo das Gerüst begangen werde, über die vorgeschriebenen Mittel- und Fußwehren verfüge, kann nicht beigetreten werden.
Gerüste müssen vielmehr unabhängig davon, auf
welchen Stellen gerade gearbeitet wird, in ihrer Gesamtheit mit den vorschriftsmäßigen Sicherungen ausgestattet sein. Daß die Verpflichtung zur vorschriftsmäßigen Ausstattung von Gerüsten nicht bloß auf die jeweils konkret benützten Teile eines Gerüstes abgestellt ist, folgt aus § 46 Abs 9 letzter Satz AAV, wonach Gerüste erst nach Fertigstellung und Prüfung in Verwendung genommen werden dürfen, kann doch der Begriff 'Fertigstellung' schon rein sprachlich nicht auf einzelne Teile, sondern nur auf ein Gerüst als Ganzes bezogen werden".
Der in diesem Erkenntnis genannten Bestimmung des § 46 Abs 9 letzter Satz AAV entspricht die nunmehr geltende Bestimmung des § 62 Abs 1 Bau-V, wonach Gerüste erst verwendet werden dürfen nach 1. ihrer Fertigstellung, 2. den Prüfungen gemäß § 61 Abs 1 bis 4 und 3. Beseitigung der bei diesen Prüfungen festgestellten Mängel.
Dem vom Bw vorgebrachten Umstand, daß zum Kontrollzeitpunkt auf dem mangelhaften Gerüst keine Arbeitnehmer beschäftigt waren, kommt daher keine Bedeutung zu. Daß das Gerüst jedoch dazu bestimmt war, weiterhin der Durchführung von Arbeiten zu dienen, ergibt sich einerseits aus den Fotos, die den unfertigen Zustand des Verputzes zeigen, andererseits aber auch aus den Aussagen der beiden Arbeitnehmer G. und P., wonach die Mittel- und Fußwehren bei Bedarf wieder angebracht werden sollten.
Da die Argumentation des Bw somit zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes führt, liegt ein Verstoß gegen § 58 Abs 3 Bau-V i.V.m. § 7 Abs 2 Z 4 und § 8 Abs 1 Z 2 Bau-V vor.
Diese Übertretung hat der Bw in seiner Eigenschaft als
handelsrechtlicher Geschäftsführer der Ing. J. Z. GesmbH. zu verantworten.
Das Verschulden ist wie folgt zu beurteilen: Bei den verletzten Bestimmungen handelt es sich um Ungehorsamsdelikte, somit um
Verwaltungsübertretungen, zu deren Tatbestand der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört. Zur Strafbarkeit genügt fahrlässiges Verhalten (§ 5 Abs 1 VStG). Bei diesen Delikten hat der Täter die von ihm behauptete Schuldlosigkeit glaubhaft zu machen und es obliegt ihm, alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Der Gesetzgeber belastet sohin den Täter in einem solchen Fall schon durch den objektiven Tatbestand und präsumiert die Schuld bis zur Glaubhaftmachung des Gegenteils durch den Beschuldigten (VwGH 21.10.1977, 1793/76). Von seiten des Bw wurden keine Maßnahmen geltend gemacht, die von ihm zur Einhaltung der gegenständlichen Verwaltungsvorschriften unternommen wurden. Er hat daher Fahrlässigkeit zu verantworten.
Nach § 130 Abs 5 ASchG begeht unter anderem eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von S 2.000,-- bis S 100.000,--, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von S 4.000,-- bis S 200.000,-- zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber 1. den nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt.
Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.
Durch das Fehlen der Fuß- und Mittelwehren wurde für die Arbeitnehmer eine abstrakte Gefährdung geschaffen, deren Unrechtsgehalt allerdings insofern begrenzt ist, als, wie sich dies aus den Fotos ergibt, es sich bei der Volksschule K.-straße um ein ebenerdiges Gebäude handelt und die Absturzhöhe von der 2. Gerüstetage nicht wesentlich über 2 Meter gelegen war.
Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen.
Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Anders als die belangte Behörde dies in der Begründung des Straferkenntnisses festhielt, war der Bw zur Tatzeit nicht unbescholten, da eine (nicht einschlägige) Verwaltungsvorstrafe aufgrund des Straferkenntnisses vom 19.4.1995 (Verletzung des § 103 Abs 1 Z 3 KFG, Geldstrafe S 2.000,--) vorliegt. Es liegt daher auch der von der belangten Behörde genannte Milderungsgrund nicht vor. Erschwerungsgründe sind nicht gegeben. Der Aufforderung, seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse bekanntzugeben, kam der Bw nicht nach. Vor der belangten Behörde gab er am 4.9.1995 diesbezüglich folgendes an: Einkommen
ca. S 25.000,-- netto, Sorgepflichten für ein Kind. Aus dem Firmenbuchauszug ergibt sich, daß der Bw einziger Gesellschafter der Ing. J. Z. GesmbH. mit einer voll eingezahlten Stammeinlage von ATS 500.000,-- ist.
Das Arbeitsinspektorat brachte das Fehlen der Mittelwehren und das Fehlen der Fußwehren in zwei getrennten Punkten zur Anzeige und beantragte die Verhängung einer Strafe von jeweils S 10.000,-- hiefür. Die belangte Behörde faßte das Fehlen der genannten Wehren zu Recht in einem Delikt zusammen und verhängte eine Geldstrafe von S 20.000,--. Diese Strafe erscheint insofern als zu hoch bemessen, als, wie angeführt, der Unrechtsgehalt durch keine besonders ausgeprägte Absturzgefahr gekennzeichnet ist und der Bw bisher einschlägig nicht in Erscheinung getreten ist. Auch wenn sich die Unbescholtenheit als unrichtig herausgestellt hat und der Milderungsgrund demgemäß entfällt, erscheint die Verhängung einer Geldstrafe von S 7.000,-- ausreichend, um dem Strafzweck zu genügen und insbesondere den Bw davon abzuhalten, in Zukunft neuerlich dieselben Bestimmungen zu verletzen.
Dementsprechend war die Ersatzarreststrafe auf 2 Tage herabzusetzen (§ 16 Abs 1 und 2 VStG).
Der Spruch des Straferkenntnisses war zu präzisieren, da Punkt 1.) in der Sachverhaltsumschreibung nur von einem Gerüst spricht, während richtig ein Arbeitsgerüst vorlag. Weiters waren auch die verletzte Rechtsvorschrift und die bei Verhängung der Geldstrafe angewendete Gesetzesbestimmung insofern zu korrigieren, als zum Ausdruck zu bringen war, daß Abs 5 Z 1 des § 130 ASchG statt § 130 Abs 1 Z 15 heranzuziehen war, da die Bau-V BGBl. Nr. 340/1994 nach der zum 9. Abschnitt gehörenden Bestimmung des § 118 Abs 3 als Verordnung nach diesem Bundesgesetz gilt und Zuwiderhandlungen gegen die nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen wie bereits ausgeführt nach § 130 Abs 5 Z 1 ASchG zu bestrafen sind.
Die Berufung war daher dem Grunde nach abzuweisen, während ihr bezüglich der Strafhöhe im angeführten Ausmaß stattzugeben war.
Wegen Herabsetzung der Strafe entfällt ein Kostenbeitrag für das Berufungsverfahren (§ 65 VStG).
Über die Berufung gegen Punkt 2.) des Straferkenntnisses entscheidet das nach der Geschäftsverteilung des Unabhängigen Verwaltungssenates zuständige Einzelmitglied.
Da in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht und die Durchführung einer Verhandlung nicht ausdrücklich verlangt wurde, konnte diese Entscheidung ohne Verhandlung getroffen werden.