Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Monika Gasser-Steiner über die Berufung des Herrn P. F., wohnhaft in G., gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 18.9.1995, GZ.: III/St- 15.311/94, wie folgt entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird die Berufung abgewiesen.
Gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG hat der Berufungswerber als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens einen Betrag von S 100,-- binnen vier Wochen ab Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.
Mit dem bekämpften Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe am 24.7.1994 um 14.31 Uhr als Lenker des PKW mit dem Kennzeichen G-44GJB (Mazda 626) auf der öffentlichen Interessentenstraße Hirschegg - Winkl, vom Salzstiegl kommend in Richtung Hirschegg fahrend, ca. 70 m vor der Hauseinfahrt Hirschegg Nr. 233, Bezirk Voitsberg, sein Fahrzeug nicht angehalten, als er den PKW mit dem Kennzeichen VO-1AVC begegnete, und er daher nicht ausreichend ausweichen konnte, wodurch es zu einem Verkehrsunfall gekommen sei.
Wegen Übertretung der Rechtsvorschrift des § 10 Abs 2 StVO wurde über den Berufungswerber gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO eine Geldstrafe von S 500,-- (bei deren Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 18 Stunden) verhängt und als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens der Betrag von S 50,-- vorgeschrieben. Gegen diese Entscheidung richtete sich die rechtzeitig eingebrachte Berufung, in der der Berufungswerber drei Punkte auflistete: 1.) Es habe kein Verkehrsunfall stattgefunden. 2.) An seinem Auto, insbesondere an dem betreffenden Außenspiegel seien keine Spuren einer Kollision oder dergleichen vorhanden. 3.) Die erwähnte Verkehrspassage in Hirschegg könne ohne weiteres und ohne Anhaltemanöver von zwei PKW's durchfahren werden.
Der Berufungswerber stellte den Antrag, das Verfahren einzustellen.
Die Berufungsbehörde ist bei ihrer Entscheidung von folgenden Überlegungen ausgegangen:
Eine mündliche Verhandlung konnte unterbleiben, da sie weder vom Berufungswerber beantragt noch zur Entscheidung in der Sache erforderlich gewesen ist. Aufgrund der unbestritten gebliebenen Aktenlage, den Ermittlungen der Berufungsbehörde unter Einbezug der Stellungnahmen des Berufungswerbers, werden folgende Feststellungen getroffen:
Am 24.7.1994 gegen 14.31 Uhr begegneten sich auf der öffentlichen Interessentenstraße Hirschegg - Winkl, etwa 70 m vor der Hauseinfahrt Hirschegg 233 ein PKW der Type Mazda 626, Baujahr 1992, Fahrzeugbreite 1,75
m, gelenkt vom Berufungswerber und ein Fahrzeug der Marke Opel Astra, Baujahr 1991, Fahrzeugbreite 1,795 m, gelenkt von Herrn R. Sch. An der Begegnungsstelle hatte die Fahrbahn eine Gesamtbreite von etwa 3,5 m. Rechts und links der Fahrbahn schloß jeweils ein etwa 50 cm breites unbefestigtes Bankett an.
Der in Richtung Salzstiegl fahrende R. Sch. hielt sein Fahrzeug kurz vor der Begegnung am rechten Fahrbahnrand an. Der in Richtung Hirschegg fahrende Berufungswerber passierte die Engstelle ohne anzuhalten und beschädigte dabei den linken Außenrückspiegel des Opel Astra. Da er die Streifung nicht bemerkte, fuhr der Berufungswerber ohne anzuhalten weiter. Dies veranlaßte den geschädigten Fahrzeuglenker R. Sch., Anzeige beim Gendarmerieposten Edelschrott zu erstatten. Aufgrund der bekanntgegebenen Fahrzeugkennzeichen konnte der Berufungswerber als Lenker ausgeforscht werden. Bei einer Überprüfung seines Fahrzeuges nach möglichen Schäden stellten Beamte der Bundespolizeidirektion Graz eine ca. 1 x 2 cm große, leichte Abriebspur am linken Außenrückspiegel fest. Nachdem der Berufungswerber bestritt, einen Verkehrsunfall wahrgenommen zu haben, die festgestellten Unfallspuren für die belangte Behörde nicht ausreichend waren, um von Umständen
auszugehen, unter denen der Beschuldigte einen Verkehrsunfall wahrnehmen hätte müssen, wurde von einer Verfolgung wegen Übertretung der Bestimmungen des § 4 StVO behördlicherseits Abstand genommen.
Die Feststellungen zu den Fahrzeugbreiten stützen sich auf Erhebungen bei den entsprechenden Autohäusern.
Die Anfrage zur Fahrbahnbreite der öffentlichen Interessentenstraße Hirschegg - Winkl beim Gendarmerieposten Edelschrott wurde dahingehend beantwortet, daß die Fahrbahnbreite zur Tatzeit nicht mehr als 3 m bis 3,10 m und inklusive Bankett nicht mehr als 3,50 m betragen hat. Diese Angaben wurden vom Berufungswerber angezweifelt. Eine zweite Anfrage beim Gemeindeamt Hirschegg ergab, daß die Interessentenstraße im maßgeblichen Teilstück vor dem Ausbau im Herbst 1994 eine Fahrbahnbreite von ca. 3,5 m aufwies. Diese, für den Berufungswerber günstigeren Angaben wurden auch der Entscheidung zugrundegelegt. Ein Ortsaugenschein mußte unterbleiben, da sich, wie oben schon erwähnt, die örtlichen Gegebenheiten durch Bauarbeiten verändert haben.
Die rechtliche Beurteilung ergibt folgendes:
§ 10 Abs 2 StVO enthält die Grundregel, daß auf engen Straßenstellen, wo nicht oder nicht ausreichend ausgewichen werden kann, die einander begegnenden Fahrzeuge anzuhalten sind. In einem solchen Fall muß jenes Fahrzeug zurückgefahren werden, mit dem dies wegen seiner Art und wegen der örtlichen Verhältnisse leichter möglich ist.
Nach dieser Vorschrift besteht demnach für beide einander begegnenden Fahrzeuglenker dann eine Anhalteverpflichtung, wenn die objektiven Umstände, wie die Fahrbahnbreite und die Breite der einander sich begegnenden Fahrzeuge ein ausreichendes Ausweichen nicht gewährleisten können. Eine Verpflichtung, anzuhalten, besteht jedenfalls dann, wenn die Summe der Breiten der beiden Fahrzeuge größer ist als die Breite der Fahrbahn selbst. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß Straßenbankette, die nicht zur Fahrbahn gehören, bei Ausweichmanövern im Begegnungsverkehr von den Fahrzeuglenkern
ebensowenig befahren werden müssen, wie andere an
die Straße angrenzende sonstige Landflächen. Dies bedeutet, daß bei der Beurteilung der Rechtsfrage, ob in einer bestimmten Verkehrssituation eine Anhalteverpflichtung bestanden hat, die Breite der Straßenbankette nicht in die Fahrbahnbreite einzubeziehen ist.
Im vorliegenden Fall war eine Fahrbahnbreite von etwa 3,5 m der Summe der beiden Fahrzeugbreiten (Mazda 626 1,75 m, Opel Astra 1,795 m) von 3,545 m gegenüberzustellen. Ergibt dieser Vergleich - wie hier - daß die Summe der Fahrzeugbreiten die Fahrbahnbreite überschreitet, so sind die Fahrzeuglenker schon aufgrund dieser objektiven Umstände zum Anhalten verpflichtet. Der mehrmals in seinen Schriftsätzen geäußerte Einwand des Berufungswerbers, die verfahrensgegenständliche Straßenstelle sei eng, aber doch so breit, daß ein Reisebus und ein PKW aneinander vorbeifahren hätten können, mag unter Ausnützung des Straßenbankettes möglich gewesen sein; dieser Umstand kann aber auf die vorliegende Entscheidung keinen Einfluß haben, weil, wie schon angeführt, für keinen Fahrzeuglenker die Verpflichtung besteht, in der Begegnungssituation auf ein unbefestigtes Straßenbankett auszuweichen. Deshalb konnte der Berufungswerber auch nicht damit rechnen, daß der Entgegenkommende auf das Bankett ausweichen wird. In der konkreten Situation hätte der Berufungswerber daher der Anhaltepflicht nachkommen und prüfen müssen, ob ein Vorbeifahren ohne Gefährdung des zweiten Beteiligten unter Ausnützung "seines" Straßenbankettes möglich ist oder ob die Situation ein Zurückfahren erfordert. Einem vorsichtig fahrenden Autolenker, der seinen Fähigkeiten entsprechend an einer engen Straßenstelle das Fahrzeug auf der Fahrbahn anhält und nicht, wie es unter Umständen auch möglich wäre, unter Ausnützung der Straßenbankette die Stelle passiert, ist situationsadäquat zu begegnen. Da der Berufungswerber ohne stehenbleiben die Engstelle passierte, ohne die erforderliche Prüfung durchzuführen, hat er die ihm zur Last gelegte Übertretung des § 10 Abs 2 StVO zu verantworten.
Zur Strafbemessung:
Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.
Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen.
Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß
anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Im Sinne dieser Strafzumessungskriterien wurde von der Berufungsbehörde weder Erschwerungs- noch Milderungsgründe angenommen. Die Strafzumessung der belangten Behörde erscheint sowohl objektiv gerechtfertigt als auch subjektiv tatangemessen. Die aus dem Akt ersichtlichen Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Berufungswerbers (monatliches Einkommen von ca. S 28.000,--, Sorgepflichten für die Gattin, kein Vermögen) waren nicht geeignet eine neue Festsetzung der Strafe zu bewirken.
Es war daher dem Berufungsantrag kein Erfolg beschieden und spruchgemäß zu entscheiden.