Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Hrdliczka über die Berufung des Herrn Joseph R vom 17.4.1996 gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Favoriten, vom 22.3.1996, Zahl Cst 32710/F/94, wegen Übertretung des § 20 Abs 2 StVO, entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt.
Der Berufungswerber hat gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in der Höhe von S 200,--, das sind 20 % der verhängten Geldstrafe, zu bezahlen.
Begründung:
Im angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe am 9.2.1994 um 20.45 Uhr in Wien, E-straße, Richtung A-Straße, als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen W 60 die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 30 km/h, somit erheblich, überschritten. Wegen Übertretung des § 20 Abs 2 StVO wurde gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO eine Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 60 Stunden) verhängt und gemäß § 64 VStG ein Verfahrenskostenbeitrag von S 100,-- (= 10 % der verhängten Geldstrafe) vorgeschrieben. Auf Grund der dagegen fristgerecht eingebrachten Berufung hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Dem Vorbringen des Berufungswerbers, es sei Verfolgungsverjährung eingetreten, weil das Verlassen der behördlichen Sphäre durch Absendung (der Strafverfügung) an eine nicht existente Adresse selbst im Sinne der (im Straferkenntnis) zitierten VwGH-Entscheidungen nicht ausreichend zu sein scheine, ist nicht beizupflichten.
Gemäß § 31 Abs 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs 2) vorgenommen worden ist. Nach § 31 Abs 2 VStG beträgt die Verjährungsfrist bei den Verwaltungsübertretungen der Gefährdung, Verkürzung oder Hinterziehung von Landes- und Gemeindeabgaben ein Jahr, bei allen anderen Verwaltungsübertretungen sechs Monate. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt. Gemäß § 32 Abs 2 VStG ist Verfolgungshandlung jede von der Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung udgl), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.
Als verjährungsunterbrechende Verfolgungsschritte gelten alle Handlungen der Behörde, die nach Art und Bedeutung die Absicht der Behörde zum Ausdruck bringen, den gegen eine bestimmte Person wegen einer bestimmten Tat bestehenden Verdacht auf eine im Verwaltungsstrafgesetz vorgeschriebene Weise zu prüfen, sohin den behördlichen Verfolgungswillen in Richtung einer bestimmten strafbaren Handlung zu verwirklichen (VwGH 25.6.1986, 84/03/0240; 12.5.1989, 87/17/0152).
Eine Verfolgungshandlung muß demnach, damit sie den Eintritt der Verfolgungsverjährung ausschließt (§ 31 Abs 1 VStG), von einer Behörde (welche das VStG anzuwenden hat, aber nicht zuständig sein muß) ausgehen, gegen eine individuell bestimmte Person als Beschuldigten (also nicht bloß zur Ermittlung des noch unbekannten Täters; anders zur Ausforschung des bekannten) gerichtet, innerhalb der Verjährungsfrist nach außen in Erscheinung getreten sein und wegen eines bestimmten (strafbaren) Sachverhaltes erfolgen. Dies erfordert, daß sie sich auf alle die Tat betreffenden Sachverhaltselemente zu beziehen hat.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17.1.1991, Zahl 90/09/0089, dargetan hat, genügt für die Qualifikation als Verfolgungshandlung nicht das Vorliegen eines behördeninternen Vorganges, sondern es muß dieser noch innerhalb der - vorliegend gemäß § 31 Abs 2 VStG sechsmonatigen - Verjährungsfrist in irgendeiner Weise nach außen hin in Erscheinung getreten sein. Eine Verfolgungshandlung schließt somit die Verfolgungsverjährung schon dann aus, wenn sie innerhalb der Verjährungsfrist abgefertigt (zB zur Post gegeben) worden ist (vgl VwGH 27.3.1979, 3271/1978; 25.7.1990, 90/17/0221; 22.12.1992, 91/04/0199). Nach der Aktenlage stellt die von der Strafbehörde erster Instanz an den Berufungswerber (Joseph R) gerichtete und in ihrer Tatumschreibung mit dem Straferkenntnis vom 22.3.1996 gleichlautende Strafverfügung vom 4.3.1994, die ihrem Inhalt und ihrer Form nach den Anforderungen des VStG an eine Verfolgungshandlung entspricht, eine taugliche Verfolgungshandlung innerhalb der sechsmonatigen Verjährungsfrist dar, weil dieser behördliche Akt durch die erstmalige Postaufgabe (an Joseph R) am 11.3.1994 (siehe Poststempel auf Bl 2 des erstbehördlichen Aktes) nach außen in Erscheinung getreten ist (Tattag war der 9.2.1994). Dies führt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausschluß der Verfolgungsverjährung, selbst wenn eine rechtswirksame Zustellung nicht innerhalb der Verjährungsfrist erfolgt bzw nicht möglich ist (im konkreten Fall wurde die Strafverfügung an die in der Anzeige angeführte, jedoch tatsächlich nicht existente Adresse Wien, W-gasse gerichtet und von der Post in der Folge mit dem Vermerk "Straßenbezeichnung unrichtig" an die Erstbehörde retourniert), weil es nicht auf die Zustellung ankommt, sondern darauf, daß der behördliche Akt aus dem Bereich der Behörde herausgetreten ist (vgl dazu WALTER-MAYER, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes, 4. Auflage, Rz 862, Seite 309, und die dort zitierte Judikatur). Die Adressierung der Strafverfügung kann allenfalls für die (im vorliegenden Fall nicht zu prüfende) Frage ihrer rechtswirksamen Zustellung von Bedeutung sein, nicht jedoch dafür, wem die Übertretung angelastet wird und wer daher Beschuldigter ist. Letzteres ergibt sich aus dem Spruch der Strafverfügung (vgl VwGH 21.10.1994, 94/11/0206).
Daß demnach Beschuldigter einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs 2 StVO Joseph R als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen W 60 am 9.2.1994 um 20.45 Uhr in Wien, E-straße, 157 Meter vor ONr 46-48 Richtung A-Straße, ist, läßt sich der gegenständlichen Strafverfügung vom 4.3.1994 ohne jeden Zweifel entnehmen.
Die behauptete Rechtswidrigkeit liegt daher nicht vor. Der Berufung war somit in der Schuldfrage keine Folge zu geben, zumal der Berufungswerber die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung als solche in seiner Berufung unbestritten ließ.
Zur Strafbemessung ist auszuführen:
Das der Bestrafung zugrundeliegende Verhalten gefährdete in bedeutendem Maße das durch die Strafdrohung geschützte Interesse an der Verkehrssicherheit, weshalb der objektive Unrechtsgehalt der Tat auch bei Fehlen sonstiger nachteiliger Folgen erheblich war, wurde doch die nur unter den günstigsten Verhältnissen im Ortsgebiet erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in der Nacht (20.45 Uhr), wo selbst bei vorhandener Straßenbeleuchtung die Sichtverhältnisse nicht als optimal zu bezeichnen sind, um mehr als das Doppelte überschritten, weil der Berufungswerber laut Laserverkehrsgeschwindigkeitsmessung 105 km/h fuhr, wobei die Geschwindigkeitsüberschreitung selbst nach Abzug einer üblichen Meßtoleranz noch als erheblich anzusehen ist.
Bei einer derartigen Geschwindigkeitsüberschreitung muß schon von grob fahrlässigem Verhalten ausgegangen werden, weshalb dem Berufungswerber ein gravierendes Verschulden zur Last zu legen ist.
Außerdem war eine zum Tatzeitpunkt bereits rechtskräftige einschlägige Verwaltungsvorstrafe als erschwerend zu werten. Besondere Milderungsgründe sind keine hervorgekommen. Im Hinblick auf diese Strafzumessungsgründe und den bis S 10.000,-- reichenden Strafsatz ist die verhängte Strafe auch unter Berücksichtigung der aktenkundigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Berufungswerbers (Monatsnettoeinkommen von S 7.500,--, Vermögenslosigkeit, Fehlen gesetzlicher Sorgepflichten) durchaus angemessen und keineswegs zu hoch, zumal Geschwindigkeitsübertretungen keine Bagatelldelikte sind und der Berufungswerber möglichst wirksam von einer Tatwiederholung abgehalten werden soll.
Eine Herabsetzung der Strafe kam daher nicht in Betracht. Die Auferlegung des Beitrages zu den Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf die zwingende Vorschrift des § 64 Abs 1 und 2 VStG.