TE UVS Steiermark 1996/10/21 20.3-7/96

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Veröffentlicht am 21.10.1996
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erich Kundegraber über die am 25.4.1996 eingelangte Beschwerde des Herrn J. E., vertreten durch Herrn Mag. Ch. N., Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, Geschäftsstelle LNKH - Graz (gemäß § 14 Abs 1 Unterbringungs-gesetz im folgenden UbG), wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, gemäß § 67 c Abs 1 und Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) und §§ 3, 8 und 9 Abs 1 UbG, wie folgt entschieden:

Die Verbringung des Beschwerdeführers in der Nacht vom 21. auf dem 22. März 1996 vom Landesaltenpflegeheim Bad Radkersburg in das Landesnervenkrankenhaus Graz auf Grund der Veranlassung des Distriktsarztes von Bad Radkersburg war rechtswidrig.

Die Bezirkshauptmannschaft Radkersburg als belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer gemäß § 79 a Abs 1, Abs 2 und Abs 4 AVG in Verbindung mit Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl. Nr. 855/1995, eine mit S 19.505,-- bestimmten Kostenaufwand sowie dem Unabhängigen Verwaltungssenat die erwachsenen Barauslagen mit S 8.630,-- binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

I. 1. In der Beschwerde vom 24.4.1996 wurde nachfolgendes vorgebracht:

"Zuständigkeit:

a) sachliche

Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Einlieferung einer Person gegen oder ohne deren Willen in ein psychiatrisches Krankenhaus fällt in den Zuständigkeitsbereich der Unabhängigen Verwaltungssenate (§ 88 Abs 1 iVm § 46 SPG; Erkenntnis des UVS des Landes Oberösterreich

vom 05.07.1993, VwSen-420028/29/Gf/La; Erkenntnis

des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.01.1994,

93/11/0035-10, 93/11/0036-9).

Bei der ausgestellten Bescheinigung nach § 8 UbG handelt es sich um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Die Rechtswirkung einer solchen Bescheinigung besteht darin, daß die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine Anstalt zu bringen oder dies zu veranlassen haben. Die Bescheinigung hat also die Verbringung in eine Anstalt zwingend nach sich zu ziehen. Der Arzt entscheidet somit de jure über die Anstaltseinlieferung. Eine Deutung der Bescheinigung als bloßes - unverbindliches - Sachverständigengutachten scheidet damit aus.

Die Qualifizierung der Bescheinigung als Bescheid ist ebenfalls ausgeschlossen, zumal dies der Intention des Gesetzgebers widerspricht und die Bescheinigung auch nicht die Merkmale des verfassungsrechtlichen Bescheidbegriffs iSd Art 144 B-VG erfüllt (Kopetzki, Unterbringungsrecht II, 541 ff).

Im übrigen hängt die Kontrollbefugnis der Unabhängigen Verwaltungssenate in Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung seit Inkrafttreten des SPG nicht mehr von der Rechtsnatur des bekämpften Verwaltungsaktes ab. Gemäß § 88 Abs 2 SPG erkennen

die Unabhängigen Verwaltungssenate nunmehr auch über Rechtsverletzungen, die auf andere Weise als durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgt sind.

Dem Beschwerderecht unterliegen sämtliche Kriterien des § 8 UbG, wie die Einschaltung eines im öffentlichen Sanitätsdienstes stehenden Arztes oder Polizeiarztes, die Untersuchung durch diesen und die begründete Bescheinigung des Arztes (Hopf-Aigner, UbG § 9 Anm 7).

Zur Zurechnung:

Im gegenständlichen Fall ist die Bescheinigung nach § 8 UbG mit der Unterschrift des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Radkersburg versehen. Somit ist dessen Amtshandlung dieser Behörde zuzurechnen.

b) örtliche

Beschwerden nach § 67a Abs 1 Z2 sind gemäß § 67c Abs 1 letzter HS AVG bei demjenigen Unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen, in dessen Sprengel der Verwaltungsakt gesetzt wurde.

Sachverhalt:

In der Nach vom 21. auf den 22.03.1996 wurde Herr J. E. vom Landesaltenpflegeheim (LAPH) Bad Radkersburg in das LNKH Graz überstellt. Die Aufnahme von Herrn E. im LNKH erfolgte am 22.03.1996 um 1.10 Uhr. Die für die Einweisung notwendige Bescheinigung nach § 8 UbG ist mit der Unterschrift und dem Namensstempel des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Radkersburg,

Dr. G. P. versehen.

In der Begründung wird ausgeführt, daß bei Herrn E. ein chronischer Alkoholabusus bestünde, es mehrmals wöchentlich zu Rauschzuständen und in diesem Zusammenhang zu Stürzen mit seinem Rollstuhl

gekommen und deshalb ein weiterer Aufenthalt im LAPH Bad Radkersburg nicht mehr möglich sei. Auf den auslösenden Faktor dafür, daß Herr E. mitten in der Nacht vom 21. auf den 22.03.1996 ins LNKH überstellt wurde, wird in der § 8-Bescheinigung nicht eingegangen. Außerdem ist diese weder mit einem Datum noch mit einer Uhrzeit versehen.

Beweise: Aufnahmemeldung des LNKH Graz, Beilage 1, Bescheinigung nach § 8 UbG, Beilage 2

In der Zeit der Einweisung ist Dr. P. auf Urlaub gewesen und ist diese in Anwesenheit des Distriktsarztes Dr. G. G. aus Bad Radkersburg durchgeführt worden. Für die Einweisung wurde eine von Dr. P. aufgrund von zeitweilig im Anstaltsbetrieb des LAPH Bad Radkersburg mit Herrn E. aufgetretenen Problemen ge- und unterschriebene 'Blanko'-Bescheinigung herangezogen, welche von Dr. P. im LAPH bereitgelegt wurde, damit bei einem entsprechenden Anlaßfall darauf zurückgegriffen werden kann.

Beweis: Schreiben des Amtsarztes Dr. P., Beilage 3

Die Unterbringung des Herrn E. wurde anläßlich der

gerichtlichen Erstanhörung am 28.03.1996 für unzulässig

erklärt.

Beweis: Gerichtsprotokoll, Beilage 4

Somit wurde Herr E. insofern rechtswidrig in die Anstalt eingeliefert, als die Einweisung mittels einer Bescheinigung nach § 8 UbG durchgeführt wurde, die bereits vor dem Einweisungstag vom Amtsarzt als 'Blanko' ver- und unterfertigt worden ist und er am Einweisungstag von diesem Arzt nicht persönlich untersucht worden ist. Dadurch wurde Herr E. in seinem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit sowie in den aus den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 3 und 8 UbG sowie §§ 22 Abs 1 und 2 und 28 ÄrzteG abgeleiteten Rechten verletzt.

Begründung:

Gemäß § 8 UbG darf eine Person gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine Anstalt gebracht werden, wenn ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt oder ein Polizeiarzt sie untersucht und bescheinigt, daß die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen.

Im gegenständlichen Fall wurde Herr E. mittels einer Bescheinigung, die vom zuständigen Amtsarzt Dr. P.

bereits vor dem Einweisungstag als undatiertes 'Blanko'- Einweisungsschreiben ge- und unterschrieben und für einen entsprechenden Anlaßfall im LAPH Bad

Radkersburg bereitgelegt wurde, in das LNKH Graz eingeliefert. Eine persönliche Untersuchung von Herrn E. durch Dr. P. erfolgt am Einweisungstag nicht.

Damit ist die Einweisung von Herrn E. aus mehrerlei Hinsicht auf rechtswidrige Art und Weise erfolgt:

Die Ausstellung von 'Blanko'-Bescheinigungen durch Amtsärzte ist rechtswidrig (Kopetzki, Unterbringungsrecht II, 537 Fußn 3417).

§ 8 UbG enthält zwar keine ausdrüchliche Reglung dafür, wie alt die Bescheinigung sein darf, um Grundlage der Überstellung des Kranken in eine Anstalt zu sein. Aus den §§ 8 und 9 ergibt sich jedoch, daß Beiziehung des Arztes, Untersuchung, Ausstellung der Bescheinigung und Überstellung ein Vorgang sind, der sich gleichsam in einem Zug abwickelt. Untersuchung des Betroffenen und Ausstellung der Bescheinigung haben daher der Überstellung grundsätzlich unmittelbar voranzugehen (Hopf-Aigner, UbG § 8 Anm 12).

Die Bescheinigung kann nicht als Grundlage einer Einlieferung zu einem späteren Zeitpunkt dienen, da sich die bescheinigten Voraussetzungen auf eine ganz konkrete Gefährdungssituation beziehen müssen. Die Ausstellung von Bescheinigungen auf Vorrat ist daher ebenso unzulässig wie eine neuerliche Überstellung aufgrund einer im Zuge einer früheren Amtshandlung ausgestellten Bescheinigung (Kopetzki, Unterbringungsrecht II, 538f; UVS Tirol 12.09.1994, 15/82-5/1994).

Im übrigen kann von einer Untersuchung iSd § 8 UbG nicht gesprochen werden, wenn auf eine Exploration des Patienten durch jenen Arzt, mittels dessen Bescheinigung eine Einweisung durchgeführt wird, aus welchen Gründen immer verzichtet wird (dahingehend VwGH 19.11.1986, VwSlg NF 12.302A).

Die Vorgangsweise von Dr. P. widerspricht dem aus § 22 Abs 1 ÄrzteG ableitbaren Sorgfaltsprinzip und der in Abs 2 begründeten Verpflichtung des Arztes, seinen Beruf persönlich und unmittelbar auszuüben. Auch mit der Bestimmung des § 28 ÄrzteG, wonach ein Arzt ärztliche Zeugnisse nur nach gewissenhafter ärztlicher Untersuchung und nach genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen nach seinem besten Wissen und Gewissen ausstellen darf, ist sein Vorgehen nicht in Einklang zu bringen."

Beigelegt wurde die Aufnahmemeldung des Landesnervenkrankenhauses Graz sowie in Beilage 3 ein Schreiben des Amtsarztes der belangten Behörde vom 3.4.1996 an die Patientenanwaltschaft Graz betreffend Überstellung des Beschwerdeführers vom Landesaltenpflegeheim Bad Radkersburg in das LNKH

Graz und ein Teil des Beschlusses des Unterbringungsgerichtes GZ.: 19 Ub 213/96p, wonach

die Unterbringung des Beschwerdeführers im geschlossenen Bereich des LNKH Graz unzulässig ist. Es wurde gemäß § 67c Abs 2 Z 5 AVG das Begehren gestellt, daß die gegen den Willen des Beschwerdeführers vorgenommene Einweisung in das LNKH Graz in der Nacht vom 21. auf den 22. März 1996 rechtswidrig erfolgte und daher in das verfassungsmäßig gewährleistete Recht auf persönlicher Freiheit eingegriffen wurde, sowie der belangten Behörde den Kostenersatz gemäß § 79a AVG aufzuerlegen.

2. Die Bezirkshauptmannschaft Radkersburg gab am 19.6.1996 nachfolgende Stellungnahme ab:

"Zum oa. Bezug wird auf das in der Beschwerde als Beilage 3 zitierte Schreiben des Amtsarztes Dr. P.r hingewiesen. Ausdrücklich wird bestätigt, daß Herr E. J. sehr wohl von dem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Distriktsarzt Dr. G. G. vor der Einweisung untersucht worden ist, lediglich als Bescheinigung nach § 8 UbG ein vom Amtsarzt - nicht datiertes - vorbereitetes Schriftstück zur Einweisung verwendet wurde.

Richtig ist, daß Dr. G. das Ergebnis seiner Untersuchung selbst in einer Bescheinigung gem. § 8 leg. cit. festhalten hätte müssen, auch wenn die Merkmale wie im vorgelegten Schreiben die gleichen waren.

Als Beweis wolle die Einvernahme des Distriktsarztes erwogen werden."

II.1. Nach Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung am 4.9.1996, wobei der Zeuge Dr. G. G., Distriktsarzt in Bad Radkersburg und der Beschwerdeführer einvernommen wurden, als auch unter Einbeziehung des medizinischen

Sachverständigengutachtens, erstellt von Dr. Egon Skalka, gerichtlich beeideter Sachverständiger, wurde nachfolgender, entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt:

In der Nacht vom 21. auf 22. März 1996 wurde der Distriktsarzt Dr. G. G. um ca. 22.00 Uhr in das Landesaltenpflegeheim Bad Radkersburg gerufen, da ein alkoholisierter Patient (der Beschwerdeführer) randaliere und keine Ruhe gebe. Bei seinem Eintreffen hörte er bereits ein "Rumoren" im ersten Stock. Als er mit dem Beschwerdeführer Kontakt aufnahm, beschwerte sich dieser sofort über die Pfleger und die Behandlung. Auch beklagte sich der Beschwerdeführer, daß er kein Bier bekomme und seine Sachen durchsucht würden. Von den Pflegern erfuhr der Distriktsarzt, daß sich der Beschwerdeführer eine nicht besorgniserregende Verletzung am Beinstumpf zugezogen habe, als er einen Toillettgang gemacht habe und dort liegend neben der WC-Muschel aufgefunden wurde.

Zu diesem Zeitpunkt war der Beschwerdeführer stark alkoholisiert, brüllte lautstark im Bett, machte auffahrende schnelle Bewegungen mit den Händen und warf mit Gegenständen, die er von seinem Bett aus erreichen konnte, ziellos im Zimmer umher. Der beidseits beinamputierte Beschwerdeführer wurde sodann untersucht und gab an, einen Alkoholentzug im LNKH Graz machen zu wollen. Bei der Unterhaltung war der Beschwerdeführer trotz der starken Alkoholisierung diskretions- und dispositionsfähig. Dem Beschwerdeführer wurden sodann vom Distriktsarzt zwei Möglichkeiten zur Auswahl gestellt, nämlich erstens sich sofort freiwillig mit dem ÖRK in das LNKH Graz bringen zu lassen oder zweitens würde eine Einweisung ohne Verlangen mit einer § 8 Bescheinigung durchgeführt werden. Hierauf wählte der Berufungswerber die erste Variante und wurde ohne Gegenwehr in das LNKH Graz verbracht. Eine § 8 UbG-Bescheinigung wurde nicht ausgestellt.

Der an der öffentlichen, mündlichen Verhandlung beigezogene medizinische Sachverständige gab auf die Fragen, ob der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Einweisung dispositions- und diskretionsfähig war, als auch ob beim Beschwerdeführer eine psychische Krankheit und damit im Zusammenhang eine erhebliche ernstliche Selbst- oder Gemeingefährdung vorlag, nachfolgendes Gutachten ab:

"1.) Zur Frage psychische Krankheit:

Analysiert man die psychische bzw. psychopathologische Befindlichkeit des Beschwerdeführers zur Vorfallszeit, so finden sich eindeutige Hinweise für das Vorliegen einer akuten Alkoholisierung bei einem chronisch alkoholkrankem Menschen, wobei eine mögliche Interaktion mit Medikamenten (Potenzierungseffekt durch Psychopharmaka) nicht auszuschließen ist.

Allerdings ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen einer alkoholischen Psychose, also einer akuten psychotischen Störung bei Alkoholabhängigkeit. So läßt sich nicht die typische Klinik für ein drohendes oder manifestes Delirium tremens, eines alkoholischen Dämmerzustandes, einer Alkoholhalluzinose, eines alkoholischen Eifersuchtswahns oder eines Wernicke-Korsakoff-Syndroms verifzieren.

Vielmehr imponiert das psychische Erscheinungsbild - nach der konventionellen Einteilung - wie ein mittelschwerer, teilweise dysphorisch gefärberter Rauschzustand bzw. - nach der neuen Einteilung nach Athen (D. Athen, Syndrome der akuten Alkoholintoxikation und ihre forensische Bedeutung, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg, New York, Tokyo, 1986, S. 59) - wie ein gereizt aggressives Syndrom unter Alkoholeinfluß.

Somit handelte es sich um einen normalen alkoholischen Rauschzustand und um keine akute psychische Erkrankung.

2.) Zur Frage ernstliche und erhebliche Gefährdung:

Von der objektiven Betrachtung aus finden sich retrospektiv aus medizinischer Sicht beim beschriebenen Zustandsbild des Beschwerdeführers zur Vorfallszeit keine aktuellen konkreten Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, daß eine ernstliche oder erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung vorgelegen hat. In diesem Zusammenhang muß auch berücksichtigt werden, daß ja schon a priori die schwere körperliche Behinderung des Beschwerdeführers das Risiko einer Gefährdung hochgradig minimiert.

3.) Zu Unterbringungsalternativen:

Bei entsprechender Kalmierung und Geduld wäre das anfänglich auffällige psychische Zustandsbild mit Gewißheit zu kupieren gewesen (der Beschwerdeführer beruhigte sich ja auch im Laufe des Gespräches) und der Beschwerdeführer hätte in weiterer Folge seinen Rausch ausgeschlafen.

4.) Zur Frage der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit:

Bei Analyse des Gesamtverhaltens und der Tatsituation läßt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit attestieren, daß nach Abklingen des anfänglich teilweise expansiven Erregungszustandes beim Beschwerdeführer ein durchaus planvolles und zielgerichtetes Verhalten vorlag, sodaß eine rationelle Steuerung des Verhaltens bei ausreichenden kognitiven Funktionen angenommen werden kann und somit kein die Zurechnungsfähigkeit ausschließender Rauschzustand vorgelegen haben dürfte."

2. Die getroffenen Feststellungen gründen sich auf die im wesentlichen übereinstimmenden Aussagen des einvernommenen Zeugen sowie des Beschwerdeführers.

III. Die Rechtsbeurteilung ergibt folgendes:

1. Die Beschwerde über die durch den Distriktsarzt von Bad Radkersburg veranlaßten Einweisung in das Landesnervenkrankenhaus Graz wurde am 25.4.1996 (Postaufgabestempel 24.4.1996) beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark eingebracht, wodurch die 6-wöchige Beschwerdefrist gemäß § 67c Abs 1 AVG gewahrt wurde. Auch die örtliche Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark ist gegeben, da die Einweisung des Beschwerdeführers in das Landesnervenkrankenhaus

Graz im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark durchgeführt wurde.

2. Gemäß § 3 UbG darf in eine Anstalt nur untergebracht werden, wer

1. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder die Gesundheit

oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und

2. nicht in anderer Weise insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.

Gemäß § 8 UbG darf eine Person gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine Anstalt gebracht werden, wenn ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt oder ein Polizeiarzt sie untersucht und bescheinigt, daß die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im einzelnen die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzung der Unterbringung für gegeben erachtet.

Vorerst war die Frage zu klären, ob die Verbringung des Beschwerdeführers in die Anstalt auf Verlangen oder ohne Verlangen geschehen ist. Der Gesetzgeber hat die Unterbringung auf Verlangen im § 4 UbG geregelt, wonach gemäß Absatz 1 eine Person, bei der die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, auf eigenes Verlangen untergebracht werden darf, wenn sie den Grund und die Bedeutung der Unterbringung einzusehen und ihren Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen vermag. Gemäß Absatz 2 leg. cit. muß das Verlangen vor der Aufnahme eigenhändig schriftlich gestellt werden. Dies hat in Gegenwart des mit der Führung der Abteilung betrauten Arztes oder seines Vertreters (im folgenden Abteilungsleiter) sowie eines weiteren Facharztes für Psychiatrie und Neurologie oder für Neurologie und Psychiatrie (im folgenden Facharzt) zu geschehen. Im Absatz 3 wird normiert, daß das Verlangen jederzeit, auch schlüssig, widerrufen werden kann. Auf dieses Recht hat der Abteilungsleiter den Aufnahmewerber vor der Aufnahme hinzuweisen. Ein Verzicht auf das Recht des Widerrufes ist unwirksam. Somit ist das entscheidende Begriffsmerkmal der Unterbringung auf Verlangen zunächst, daß ihr ein wirksames Aufnahmeverlangen des Patienten zugrunde liegt. Fehlt ein solches oder ist es, aus welchen Gründen immer, rechtlich unwirksam, dann liegt definitionsgemäß keine Unterbringung "auf Verlangen", sondern eine Unterbringung "ohne Verlangen" vor (Kopetzki, Unterbringungsrecht II, S 587 letzer Absatz). Unterzieht man somit die für den Beschwerdeführer vorgelegene Situation einer rechtlichen Beurteilung nach § 4 UbG, so kann keinesfalls im Hinblick auf die angedrohte zwangsweise Einweisung von einer Unterbringung "auf Verlangen" ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer gab hiezu in verständlicher Weise an, daß er nur deshalb "freiwillig mitgekommen sei", weil er ansonsten ohnedies unter Anwendung von Gewalt in das LNKH gebracht

worden wäre. Unter diesem Gesichtspunkt kann keinesfalls von einem "wirksamen Aufnahmeverlangen" gesprochen werden und hätte somit der beigezogene Distriktsarzt bei Vorliegen der Voraussetzungen eine § 8 Bescheinigung auszustellen gehabt. Schon aus diesem Grund erweist sich die Beschwerde als berechtigt.

Zudem ergibt sich aus dem ärztlichen Gutachten, daß die beim Beschwerdeführer im § 3 UbG genannten Voraussetzungen der Unterbringung nicht gegeben

waren. In dem Gutachten wird in nachvollziehbarer Weise festgestellt, daß der Beschwerdeführer in einem "mittelschweren, teilweise sphorisch gefärbten Rauschzustand" war und daher keine "akute psychische Krankheit" vorlag. Völlig in Abrede gestellt wird die ernstliche und erhebliche Selbstgefährdung bei dem schwer körperbehinderten Beschwerdeführer, wodurch

die in § 3 Z 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen somit nicht gegeben waren. Zu dem wird ausdrücklich festgestellt, daß die im § 3 Z 2 UbG aufgezeigte alternative Vorgangsweise opportun gewesen wäre, um eine Unterbringung in einer Anstalt hintanzuhalten. Umsomehr sich der Beschwerdeführer im Laufe des Gespräches mit den Distriktsarzt beruhigte und bei entsprechender "Kalmierung und Geduld" das Zustandsbild des Beschwerdeführers sich mit Gewißheit zum positiven gewandt hätte.

Da somit beim Beschwerdeführer zum Vorfallszeitpunkt keine psychische Krankheit vorlag und umsoweniger daher die Kausalität einer ernstlichen und erheblichen Selbst- bzw. Fremdgefährdung bestand, lag für die Einweisung in das Landesnervenkrankenhaus Graz keine gesetzliche Grundlage vor und war die - ohne § 8 UbG-Bescheinigung - veranlaßte Einweisung rechtswidrig.

3. Als Kosten wurde gemäß § 79 a AVG in Verbindung

mit der Aufwandersatzverordnung UVS BGBl. Nr. 855/1995 dem Beschwerdeführer ein Betrag von S 19.505,-- zugesprochen. Dem Beschwerdeführer gebührt S 8.400,-- an Schriftsatzaufwand, S 10.400,-- an Verhandlungsaufwand, S 150,-- an Stempelgebührenersatz (S 120,-- für Beschwerdeschrift und S 60,-- für die Beschwerdebeilagen) sowie S 525,-- an Fahrtkosten (Graz - Pflegeheim Köstenbauer, 8530 Deutschlandsberg - Graz). Die Kosten des ärztlichen Sachverständigen wurden gemäß § 79 a Abs 4 Z 1 AVG vorgeschrieben und entsprechend dem Gebührenanspruchsgesetz.

Schlagworte
Unterbringung Unterbringung auf Verlangen akute psychische Krankheit Alkoholismus Selbstgefährdung
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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