TE UVS Wien 1996/10/25 07/08/510/95

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Veröffentlicht am 25.10.1996
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Pipal über die Berufung des Herrn Werner D, vertreten durch RA, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 18. Bezirk, vom 6.6.1995, Zl MBA 18-S 2950/94, wegen zwei Verwaltungsübertretungen gemäß ad 1) § 74 Abs 2 Z 1 iVm § 7 Abs 1 lit b und § 8 lit g und ad 2) § 74 Abs 2 Z 1 iVm § 7 Abs 1 lit c und § 8 lit f des Lebensmittelgesetzes 1975, BGBl Nr 86/1975, idgF iVm den Richtlinien des österreichischen Lebensmittelbuches, II. Auflage, Kap B 18. Lieferung Abschnitt D (Beurteilung) Abs 5 lit h, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 19.9.1996 entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

Gemäß § 65 VStG wird daher kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens vorgeschrieben.

Text

Begründung:

I. Der Berufung liegt folgendes Verfahren in der ersten Instanz zugrunde:

1. Der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses lautet:

"Sie sind als Filialleiter der Filiale Wien, G-Straße und somit als verantwortlich Beauftragter gemäß § 9 VStG der J-AG dafür verantwortlich, daß diese Gesellschaft bei Betrieb des Kleinhandelsfilialbetriebes in Wien, G-Straße am 18. Okt. 1993 25 Stück Tiroler Knödel in der Kühlvitrine der Feinkostabteilung zum Verkauf bereitgehalten haben, obwohl diese Knödel a) bakteriell verunreinigt abwegige Geruchs- und Geschmackseigenschaften aufwiesen und daher wertgemindert waren und dieser Umstand nicht deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht worden war und b) da Tiroler Knödel unter Verwendung von Selchfleisch hergestellt werden, bei diesen Knödeln jedoch Würste verarbeitet worden sind, falsch bezeichnet waren.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§ 74 Abs 2 Z 1 im Fall a) in Verbindung mit § 7 Abs 1 lit b und § 8 lit g und im Fall b) in Verbindung mit § 7 Abs 1 lit c und § 8 lit f des Lebensmittelgesetzes - LMG 1975, BGBl Nr 86/1975 in der geltenden Fassung in Verbindung mit den Richtlinien des österreichischen Lebensmittelbuches III. Auflage, Kap B 18. Lieferung Abschnitt D (Beurteilung) Abs 5 lit h

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

ad a) 1 mal Schilling 2.000,-- oder Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen und ad b) 1 mal Schilling 1.300,-- oder Ersatzfreiheitsstrafe von 36 Stunden. Gesamt Schilling 3.300,--, Summe der Ersatzfreiheitsstrafen 36 Stunden und 2 Tage. Gemäß § 74 Abs 2 Lebensmittelgesetz

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

330,-- Schilling als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, ds 10% der Strafe.

1.771,-- Schilling als Ersatz der Barauslagen für ein amtliches Untersuchungszeugnis.

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher 5.401,-- Schilling.

Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen."

2. Dieser Vorwurf ergab sich aus einer Anzeige der Magistratsabteilung 59 - Markt- und Veterinäramt vom 15.3.1994 aufgrund des folgenden Gutachtens der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung: "Die vorliegende Probe ist nach obigem Befund hygienisch beeinträchtigt. Ihre Genußtauglichkeit liegt daher an der Grenze. Davon abgesehen weist die Probe folgende Mängel auf: Üblicherweise werden Tirolerknödel unter Verwendung von Selchfleisch hergestellt. Nach obigem Befund und laut Probenbegleitschreiben wurden bei der vorliegenden Probe jedoch Würste verarbeitet."

Aus dem Befund ergibt sich folgende Beschaffenheit:

"3 Knödel aus angefeuchteten Weißgebäckstücken und gepökelten, umgeröteten, offensichtlich durcherhitzten Fleischgewebsstücken sowie Teilen von Fleischwürsten."

Nach einer Aufforderung zur Rechtfertigung brachte der Beschuldigte mit Schreiben vom 30.9.1994 vor, der Vorwurf der Wertminderung finde keine Deckung in dem Gutachten. Zur Falschbezeichnung werde darauf verwiesen, daß es sich um ein Firmenrezept handle, auf das er sich verlassen habe.

3. In der rechtzeitigen Berufung wurde das bisherige Vorbringen wiederholt.

II. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:

1. Zuerst war die Schuldfrage zu überprüfen:

1.1. Der objektive Tatbestand war folgendermaßen zubeurteilen:

1.1.1. Die verletzte Verwaltungsvorschrift lautet:

Gemäß § 7 Abs 1 lit b LMG 1975 ist es verboten, Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe in Verkehr zu bringen, die verdorben, unreif, nachgemacht, verfälscht oder wertgemindert sind, ohne daß dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist.

Gemäß § 8 lit g dieses Gesetzes sind Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe wertgemindert, wenn sie nach der Herstellung, ohne daß eine weitere Behandlung erfolgt ist, eine erhebliche Minderung an wertbestimmenden Bestandteilen oder ihrer spezifischen, wertbestimmenden Wirkung oder Eigenschaft erfahren haben, soweit nicht Verdorbenheit vorliegt.

Nach § 74 Abs 2 Z 1 dieses Gesetztes macht sich, sofern die Tat nicht nach den §§ 56 bis 64 oder nach anderen Bestimmungen einer strengeren Strafe unterliegt, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu S 50.000,-- zu bestrafen, wer Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe, die unreif oder wertgemindert sind, wenn dieser Umstand nicht deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist oder wenn sie auch mit einer solchen Kenntlichmachung nicht in Verkehr gebracht werden dürfen (§ 7 Abs 2), in Verkehr bringt.

Gemäß § 7 Abs 1 lit c LMG 1975 ist es verboten, Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe in Verkehr zu bringen, die falsch bezeichnet sind.

Nach § 8 lit f des angeführten Gesetzes sind Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe falsch bezeichnet, wenn sie mit zur Irreführung geeigneten Angaben über Umstände, die nach der Verkehrsauffassung, insbesondere nach der Verbrauchererwartung, wesentlich sind, wie über Art, Herkunft, Verwendbarkeit, Haltbarkeit, Zeitpunkt der Herstellung, Beschaffenheit, Gehalt an wertbestimmenden Bestandteilen, Menge, Maß, Zahl oder Gewicht, oder in solcher Form oder Aufmachung oder mit verbotenen gesundheitsbezogenen Angaben (§ 9) in Verkehr gebracht werden. Gemäß § 74 Abs 1 dieses Gesetzes macht sich, sofern die Tat nicht nach § 63 Abs 2 Z 1 einer strengeren Strafe unterliegt, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu S 50.000,-- zu bestrafen, wer Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzsstoffe, kosmetische Mittel oder Gebrauchsgegenstände der im § 6 lit a, b oder e bezeichneten Art falsch bezeichnet, oder Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe, kosmetische Mittel, die falsch bezeichnet sind, oder solche falsch bezeichneten Gebrauchsgegenstände in Verkehr bringt.

1.1.2. Der Sachverhalt wurde auf folgende Weise festgestellt:

Da eine Wertminderung nicht aktenkundig war, holte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien ein Ergänzungsgutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung Wien ein, worin es heißt:

"Die Probe "Tiroler Knödel", UZ 22879/93, wies bei der Untersuchung an der ho Anstalt leichte Geschmacksmängel und erhöhte Keimzahlen auf. Die Knödel waren diesbezüglich jedoch noch nicht zu beanstanden. Eine Wertminderung im Sinne des § 8 LMG lag nicht vor.

Den alleinigen Beanstandungsgrund stellte die Verarbeitung von Würsten dar, da Tiroler Knödel üblicherweise mit Selchfleisch hergestellt werden. Aus diesem Grund wurde die Probe als falsch bezeichnet beurteilt."

Sodann stellte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien die Verbrauchererwartung hinsichtlich der Zutaten von "Tirolerknödel" fest, indem in sämtliche in Österreich weit verbreiteten Kochbücher Einsicht genommen wurde. Die Rezepte für "Tirolerknödel" enthalten zum Großteil, vor allem was die traditionelle Küche betrifft, "Selchfleisch", zB Hess (Deuticke-Verlag), Maier-Bruck: "Sacherkochbuch", "Kronen-Zeitung-Kochbuch". Die Kochbücher der neueren österreichischen Küche verwenden allerdings statt des Selchfleisches vielfach "Speck" oder "Wurst", so empfiehlt beispielsweise das am meisten verbreitete Standardwerk der neueren österreichischen Küche (Plachutta-Wagner, ORAC-Verlag) "Speck", eventuell "Selchfleisch", und als besonderen Tip "Wurst (Dürre)". Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere des Ergänzungsgutachtens und der Einsichtnahme in sämtliche in Österreich weit verbreiteten Kochbücher, nimmt der Unabhängige Verwaltungssenat Wien den Sachverhalt als erwiesen an, daß die beanstandeten Tirolerknödel keine Hinweise auf eine Wertminderung lieferten, daß sie Stücke von Fleisch und Fleischwürsten enthielten und daß nach berechtigter Verbrauchererwartung "Tirolerknödel" wahrscheinlich "Selchfleisch", eventuell auch "Speck" oder "Wurst" enthalten.

1.1.3. Die Beurteilung der Rechtsfrage ergab, daß der als erwiesen angenommene Sachverhalt den objektiven Tatbestand der verletzten Verwaltungsvorschrift nicht erfüllt.

Die Falschbezeichnung (§ 8 lit f LMG 1975) setzt nach der Rechtsprechung des VwGH voraus, daß eine Eignung zur Irreführung eines nicht unerheblichen Teiles der angesprochenen Verkehrskreise gegeben ist. Da die Verbrauchererwartung bei "Tirolerknödeln" nicht ausschließlich auf die Verwendung von Selchfleisch gerichtet ist, sondern auch auf die eventuelle Verwendung von Speck oder Wurst, ist diese Bezeichnung bei Knödeln, die Fleisch und Fleischwürste enthalten, nicht zur Irreführung geeignet. Daher war der Berufung Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verfahren nach § 45 Abs 1 VStG einzustellen.

2. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 65 VStG.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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