Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erich Kundegraber über die Berufung des Herrn Johann L, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom 22.11.1996, GZ.:
15.1-1996/9336, wie folgt entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird der Berufung Folge gegeben, der angefochtene Bescheid behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und 3 VStG zur Einstellung gebracht.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Berufungswerber vorgeworfen, er habe "am 11.6.1996
um 20.15 Uhr, in G, vor dem Haus G- Straße, Höhe
Haus Nr. 132 c, durch das Schupfen eines Jugendlichen und lautstarkes Schreien, den öffentlichen Anstand verletzt. Das angeführte Verhalten widerspricht der herrschenden Sitte und hat die allgemein anerkannten Grundsätze der Schicklichkeit in der Öffentlichkeit verletzt" und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 1 erster Fall Stmk. LGBl. 158/75 begangen. Hiefür wurde gemäß § 21 Abs 1 zweiter Satz VStG eine Ermahnung ausgesprochen.
Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Schreien und ein Schupfen an sich nicht geeignet, das Tatbild der Anstandsverletzung zu verwirklichen. Unter Zugrundelegung eines objektives Maßstabes schließt das Schreien und Schupfen, ohne Hinzutreten weiterer Umstände, nicht notwendigerweise ein Verhalten in sich, daß mit der Würde des Menschen als sittlicher Person bei einem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit unvereinbar wäre (VwGH 8.6.1983, Slg. 11077 A). Ob der Anstand durch ein Schupfen verletzt wird oder nicht, kann nicht bloß durch die Handlung des "Schupfens" geschlossen beurteilt werden, es kommt vielmehr entscheidend darauf an, unter welchen Umständen eventuelle Beteiligte das Verhalten aufnehmen. Auch hier gilt, was für den Gesamtbereich des öffentlichen Anstandes charaktaristisch ist: Daß nämlich die Erfordernisse in jeder Situation andere sind; was in der einen anstößig ist, kann in der anderen ganz natürlich sein. Diese konkreten Umstände müßten jedoch bereits im Spruch des angefochtenen Bescheides im Sinne des § 44 a Z 1 VStG ihren Niederschlag finden, um den Berufungswerber in die Lage zu versetzen, gegen das ihn zur Last gelegte inkriminierende Verhalten eine entsprechende Verantwortung abzugeben.
Da somit das vorgeworfene Verhalten des Berufungswerbers keine öffentliche Anstandsverletzung darstellt, war dem Berufungsantrag, das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren zur Einstellung zu bringen, stattzugeben. Auf die übrigen Gründe in der Berufung braucht daher nicht mehr näher eingegangen zu werden.