Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Einzelmitglied Dr. Michael Herrmann über die Berufung des Herrn R. P., vertreten durch Rechtsanwalt Dr. H. P., L.-gasse 1, J., gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Judenburg vom 13.12.1996, GZ.: 15.1 1994/3568, wie folgt entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der belangten Behörde wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe
1.) am 10.07.1994, gegen 10.30 Uhr, als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen JU 4KWE, auf der
B 78 im Gemeindegebiet von Eppenstein, Bezirk Judenburg, auf Höhe der südlichen Ortseinfahrt nach Weißkirchen (StrKm 7,5) einen PKW überholt und dabei die auf der dortigen Fahrbahn angebrachte Abbiegespur für Linksabbieger benützt;
2.) habe er es bei diesem Überholvorgang unterlassen, einen der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechenden seitlichen Abstand vom Fahrzeug, das überholt werde einzuhalten, weil der Lenker des überholenden Fahrzeuges als er seinen PKW wieder auf den rechten Fahrstreifen gelenkt habe, eine Notbremsung habe einleiten und seinen PKW nach rechts verreißen müssen, um einen Unfall zu vermeiden.
Hiedurch habe er für 1.) eine Übertretung des § 9 Abs 6 StVO 1960 und für 2.) eine Übertretung des § 15 Abs 4 StVO 1960 begangen und wurde hiefür jeweils eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,-- (je 1 Tag 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
In seiner fristgerechten Berufung vom 13.12.1996 bestritt der Berufungswerber die ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen.
Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark stellt hiezu nachfolgendes fest:
Da bereits aus der Aktenlage ersichtlich war, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte eine öffentliche, mündliche Verhandlung im Sinne des § 51 e Abs 1 VStG entfallen.
Gemäß § 44 a Z 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Danach ist es rechtlich geboten, die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, daß die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird und die Identität der Tat (z.B. nach Ort und Zeit) unverwechselbar feststeht.
Der Spruch eines Straferkenntnisses muß also alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale oder zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen umfassen, zumal es zu den selbstverständlichen Grundsätzen eines jeden Strafverfahrens gehört, daß die Tat so eindeutig umschrieben wird, daß kein Zweifel darüber bestehen kann, wofür eine Bestrafung erfolgt ist. Daß der wahre Sachverhalt der Begründung des angefochtenen Bescheides entnommen werden kann, ändert nichts
daran. Eine Klarstellung gewisser Tatumstände in der Begründung oder aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes kann demnach die aufgezeigte Rechtswidrigkeit nicht sanieren (VwGH 14.12.1984, 84/0213/0003).
Gemäß § 9 Abs 6 StVO haben, wenn auf der Fahrbahn
für das Einordnen zur Weiterfahrt Richtungspfeile angebracht sind, die Lenker ihre Fahrzeuge je nach der beabsichtigten Weiterfahrt einzuordnen. Die Lenker von Fahrzeugen müssen jedoch auch dann im Sinne der Richtungspfeile weiterfahren, wenn sie sich nicht der beabsichtigten Weiterfahrt entsprechend eingeordnet haben. Radfahrer können durch Hinweiszeichen von der Verpflichtung des Einordnens nach Richtungspfeilen befreit werden; sie haben sich entsprechend den Hinweiszeichen zu verhalten.
Im gegenständlichen Fall wurde dem Berufungswerber
zur Last gelegt, er habe einen PKW überholt und dabei die Abbiegespur für Linksabbieger benützt, und danach wieder auf den rechten Fahrstreifen zurückgelenkt.
Diesem Tatvorwurf eines Überholvorganges fehlt das wesentliche Tatbestandsmerkmal einer Übertretung nach § 9 Abs 6 StVO, daß ein Einordnen auf die Linksabbiegespur erfolgt war. So gilt ein kurzes verkehrsbedingtes Hinüberwechseln wie das kurze Befahren eines anderen Fahrstreifens im Zuge eines Überholmanövers mit einem zweispurigen Fahrzeug nicht als Einordnen nach § 9 Abs 6 StVO.
Es war somit in Entsprechung des § 44 a VStG die Einstellung zu verfügen.
Zu Punkt 2.):
Der Niederschrift des Gendarmeriepostens Weißkirchen vom 10.07.1994 ist zu entnehmen, daß der Berufungswerber offensichtlich erst nach Abschluß des eigentlichen Überholvorganges mit dem Einordnen auf den rechten Fahrstreifen begonnen hat.
Gemäß § 15 Abs 4 StVO ist beim Überholen ein der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechender seitlicher Abstand vom Fahrzeug, das überholt wird, einzuhalten.
Richtigerweise ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, daß ein Fahrstreifenwechsel erst nach Abschluß des Überholvorganges erfolgte und wäre somit wenn überhaupt dem Berufungswerber eine Übertretung des § 11 Abs 1 bzw. 2 StVO zur Last zu legen gewesen. Es war somit auch hinsichtlich Punkt 2.) die Einstellung zu verfügen.