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27 RechtspflegeNorm
EMRK Art7Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe wegen Berufspflichtenverletzung durch einen Anwalt im Zusammenhang mit der Kündigung eines Vertretungsverhältnisses und dem Fernbleiben von einer Verhandlung infolge dieser KündigungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der beschwerdeführende Rechtsanwalt war Beklagtenvertreter in einem Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien. Im Zuge einer Tagsatzung am 15. November 1993 bot er im Namen seines anwesenden Mandanten der Gegenseite eine vergleichsweise Bereinigung der Rechtssache durch Zahlung eines Betrages von
S 16.500,- an und erklärte weiters, dieses Anbot gelte bis zur nächsten Tagsatzung am 4. Februar 1994. Der Klagsvertreter nahm dieses Anbot mit Schreiben vom 7. Dezember 1993 an, mit dem Vorschlag, nach Zahlung durch beidseitigen Nichtbesuch der nächsten Tagsatzung Ruhen des Verfahrens eintreten zu lassen. Der Beschwerdeführer übermittelte dieses Schreiben seinem Mandanten, welcher am 17. Jänner 1994 den Vergleichsbetrag in der Kanzlei des Beschwerdeführers hinterlegte, dessen Weiterleitung jedoch davon abhängig machte, daß von der Gegenseite das sogenannte "Umsatzbuch" herausgegeben werde. Der Beschwerdeführer wies seinen Mandanten sofort darauf hin, daß dies eine unzulässige Änderung des angebotenen Vergleiches und er nicht in der Lage sei, diese geänderte Absicht zu vertreten. Dennoch forderte er auftragsgemäß in einem Schreiben an den Gegenvertreter die Herausgabe des Umsatzbuches und machte die Zahlung des Vergleichsbetrages hievon abhängig.
Mit Schreiben vom 28. Jänner 1994 teilte der Gegenvertreter mit, daß der Kläger ein derartiges Umsatzbuch nicht habe, und forderte die bedingungslose Überweisung des Vergleichsbetrages.
Dieses am 31. Jänner 1994 eingelangte Schreiben übermittelte der Beschwerdeführer seinem Mandanten zur Kenntnisnahme. In der Folge wählte dieser irrtümlich die Telefonnummer des Gegenvertreters, setzte jedoch, als er den Irrtum erkannte, das Gespräch fort und forderte die Herausgabe des Umsatzbuches als Bedingung für die Zahlung des Vergleichsbetrages. Von diesem Gespräch erfuhr der Beschwerdeführer anläßlich eines Telefonates mit dem Gegenvertreter am 3. Februar 1994, in welchem er erklärte, daß der Vergleich zustande gekommen sei und es beim vereinbarten Ruhen des Verfahrens zu bleiben habe. Der Gegenvertreter erklärte hierauf, daß er die Angelegenheit noch überdenken wolle.
Mit Schreiben vom 3. Februar 1994 teilte der Beschwerdeführer seinem Mandanten mit, daß er aufgrund von dessen direkter Kontaktaufnahme mit dem Gegenvertreter das Vertretungsverhältnis als beendet betrachte und daher die Verhandlung am 4. Februar 1994 nicht besuchen werde.
2. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 13. September 1995 wurde der Beschwerdeführer in Spruchpunkt I schuldig erkannt, er habe das zu seinem Mandanten bestehende Vollmachtsverhältnis mit Schreiben vom 3. Februar 1994 aufgekündigt, ohne die für den 4. Februar 1994 vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien anberaumte Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung zu besuchen. Er habe hiedurch das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen. Hiefür wurde er gemäß §16 Abs1 Z2 Disziplinarstatut 1990 (in der Folge: DSt 1990) zu einer Geldbuße von S 5.000,- und zum Ersatz der anteiligen Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt. Im Spruchpunkt II wurde der Beschuldigte hingegen von weiteren gegen ihn erhobenen Anschuldigungen freigesprochen.
Der Disziplinarrat begründete den Schuldspruch wie folgt:
"Zum Vorwurf Punkt I. des Spruches ... muß berücksichtigt werden, daß der DB (Disziplinarbeschuldigte) erst mit Schreiben vom 3.2.1994, also einen Tag vor der Tagsatzung vom 4.2.1994, das Vollmachtsverhältnis aufkündigte und daher davon ausgehen mußte, daß sein Mandant frühestens am Tage der Tagsatzung erfahren würde, daß der DB beabsichtigte, diese Tagsatzung für ihn nicht zu verrichten, sodaß der Mandant keine Möglichkeit hatte, für eine anderweitige Vertretung zu sorgen. Der Disziplinarrat ist daher der Auffassung, daß der DB in jedem Falle noch die Verhandlung vom 4.2.1994 hätte besuchen müssen oder zumindest eine eindeutige Vereinbarung mit dem Gegenvertreter dahingehend hätte treffen müssen, daß die Verhandlung beiderseits unbesucht bleibt, wozu aber Dr. ... offensichtlich nicht bereit war.
Hinsichtlich dieses Vorwurfs liegt sohin eine Verletzung der Berufspflichten ebenso vor wie eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes, zumal das Verhalten des DB einem größeren Personenkreis (Gericht, Mitarbeiter der Rechtsschutzversicherung) bekannt geworden ist."
3. Der Berufung des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit Erkenntnis vom 3. Februar 1997 keine Folge.
Die OBDK begründete ihre Entscheidung im wesentlichen wie folgt:
"Zur Rüge einer fehlenden Konkretisierung des Vorwurfes iSd §38 Abs2 DSt ist der DB auf den Spruch des angefochtenen Erkenntnisses und die Ausführungen in dessen Begründung ... zu verweisen, wonach der Nichtbesuch der Verhandlung nach der erst am Tag zuvor ausgesprochenen Vollmachtskündigung (bei der zwangsläufigen Unmöglichkeit, zeitgerecht für eine andere Vertretung Vorsorge zu treffen) eine (potentielle) Verletzung von Klienteninteressen und damit eine Berufspflichtenverletzung und im Hinblick auf die Kenntnisnahme durch einen größeren Personenkreis eine Beeinträchtigung von Ansehen und Ehre des Standes darstellt.
Die Tatsachenfeststellungen des DR (Disziplinarrates) werden vom DB nicht angefochten. Soweit er indes eine ergänzende Feststellung aus der Aussage des Zeugen K (des seinerzeitigen Mandanten des Beschwerdeführers) begehrt, dieser sei davon ausgegangen, daß die Tagsatzung vom DB nicht verrichtet werde und auch K selbst nicht zur Verhandlung erschien, geht er am Inhalt dieser Aussage ... vorbei, in der der Zeuge erklärte, er sei davon ausgegangen, daß zur Verhandlung vom 4. Februar 1994 niemand mehr hingehen werde ..., demnach also das in Aussicht genommene Ruhen des Verfahrens eintreten werde. Daß K mit einem einseitigen Nichtbesuch der Verhandlung einverstanden gewesen sei, läßt sich daraus keinesfalls ableiten. Der DB selbst vermochte auch nur vorzubringen, er habe angenommen, daß K eine weitere Vertretung nicht mehr wünsche ..., er habe den Schluß gezogen, der Klient habe gewußt, daß er (DB) nicht hinkommen werde (wegen der divergierenden Meinung bezüglich des Umsatzbuches), er wisse nicht bzw. wahrscheinlich habe er den Klienten nicht über den Besuch der nächsten Verhandlung informiert ... . Daraus und aus dem Schreiben des DB vom 3. Februar 1994 ergibt sich, daß die Vollmachtskündigung am Vortag der Verhandlung (die dem Klienten im übrigen erst am Montag, den 7. Februar 1994, zukam) aus eigenem Entschluß des DB erfolgte und zwischen ihm und K keinerlei Absprache dahin, was hinsichtlich des Besuches der Verhandlung am 4. Februar 1994 zu geschehen habe, erfolgte und dem Klienten auch keinerlei Belehrung über mögliche Folgen einer Absenz erteilt wurde.
Diese Vorgangsweise entspricht nicht den durch Gesetz determinierten Pflichten, die ein Rechtsanwalt durch die Übernahme des Mandats seinem Mandanten gegenüber hat. Gemäß §11 Abs2 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, seinen Klienten noch durch 14 Tage, von der Zustellung der Kündigung an gerechnet, insoweit zu vertreten, als es nötig ist, um die Partei vor Rechtsnachteilen zu schützen. Selbst wenn K einseitig vom mündlichen Vergleichsanbot insoweit abgewichen ist, als er zusätzlich die Übergabe des Umsatzbuches als Voraussetzung für die Vergleichserfüllung forderte, hätte der DB bei der Verhandlung einschreiten müssen, um Säumnisfolgen abzuwenden oder bei einer Vernehmung zielgerichtete Fragen zu stellen, was keinerlei unrichtiges Prozeßvorbringen erfordert. Daß Säumnisfolgen eintraten, zeigt das ... Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4. Februar 1994 ..., das allein auf einer vom Kläger vorgelegten Aufstellung und der Parteienvernehmung des Klägers beruht ..., wobei darauf hingewiesen wurde, daß die Parteienvernehmung des Beklagten ... nicht durchführbar war, weil weder er noch sein damaliger Vertreter zur letzten Tagsatzung erschienen sind und keine Entschuldigung vorgebracht wurde ... .
Zudem erfolgte auch keine Aufklärung des Mandanten über die Folgen einer einseitigen Absenz, die jedenfalls schon deshalb geboten war, weil - auch nach dem Vorbringen des DB - der Gegenvertreter ... noch am Vortag der Verhandlung dem DB gegenüber erklärt hatte, die Angelegenheit noch zu überdenken, somit der Besuch der Verhandlung durch die Gegenseite konkret im Raum stand.
Auch das Argument des DB, dem Klienten seien durch das Nichterscheinen finanzielle Aufwendungen (Kosten) erspart geblieben, schlägt nicht durch. K wurde mit dem erwähnten Urteil zur Zahlung von 24.291,07 S sA und 11.504,28 S Kosten verurteilt. Selbst unter Berücksichtigung der vom DB in der Berufung errechneten Kosten von 'mindestens' 2.215,36 S ist die finanzielle Belastung K's gegenüber dem Vergleichsangebot erheblich höher. Daß K in Vergleichsgesprächen in einer Verhandlung auf dieses Angebot hätte zurückgeführt werden können, ist keinesfalls unrealistisch.
Dem DB fällt somit eine Berufspflichtenverletzung zur Last.
Auch eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes ist vorliegend gegeben, weil die Umstände des Falles jedenfalls in der Rechtsschutzversicherung des ... K bekannt werden mußten, wo angesichts der urteilsmäßigen Zahlungsverpflichtung K's die Frage auftauchen mußte, weshalb es nicht bei der vorgeschlagenen und von der Versicherung genehmigten Zahlungspflicht des Vergleichsanbotes geblieben war. Es bedarf damit keines Eingehens auf die Frage, ob der Nichtbesuch einer Verhandlung bei einem Richter bereits den Verdacht standeswidrigen Verhaltens eines Rechtsanwaltes auszulösen in der Lage ist.
Ein Freispruch aus dem Grund des §3 DSt ist nicht möglich. Abgesehen von den keineswegs geringen finanziellen Folgen für den Klienten ist auch das Verschulden des DB nicht als atypisch gering anzusehen, der den Klienten zu einem Zeitpunkt 'vor vollendete Tatsachen' stellte, in dem dieser keinerlei Vorsorge mehr für eine anderweitige Vertretung treffen konnte. Gerade in einem solchen Fall ist die Verpflichtung zur Weitervertretung um so nachhaltiger."
4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, auf Unverletzlichkeit des Eigentums und darauf, nur für eine Handlung oder Unterlassung verurteilt zu werden, die zur Zeit ihrer Begehung strafbar war, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor:
Die belangte Behörde sei durch eine denkunmögliche Anwendung des ASGG und der ZPO iVm der RAO auf aktenwidriger Grundlage zu seiner Verurteilung gelangt. Der belangten Behörde sei ein willkürliches Verhalten deshalb anzulasten, weil der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage im besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch stehe.
Einer disziplinarrechtlichen Verurteilung müsse, um verfassungskonform im Sinne der Art6 und 7 MRK zu sein, zugrunde liegen, daß sie wegen einer Verletzung von Berufspflichten oder wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes erfolge, die sich aus gesetzlichen Regelungen oder aus verfestigten Standesauffassungen entwickelt hätten, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststünden. Fehle es am ausreichend konkretisierten Vorwurf der Verletzung von Berufspflichten bzw. von Ehre und Ansehen des Standes, so liege mit Rücksicht auf die Bedeutung des Art7 MRK ein willkürliches Verhalten der Behörde vor.
Das Unterlassen jedweder Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt, ebenso wie ein leichtfertiges Abgehen vom Inhalt der Akten oder das Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes, reiche dann als besonders gravierender Verfahrensmangel in die Verfassungssphäre und verletze das Gleichheitsgebot.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis werde die Verhängung einer Geldstrafe bestätigt, es greife sohin in das Eigentumsrecht ein.
Der Vorwurf, der Beschwerdeführer hätte seinem Mandanten eine Belehrung über mögliche Folgen einer Absenz erteilen müssen, sei vollkommen neu und werde erstmals in der angefochtenen Entscheidung erhoben. Im gesamten Disziplinarverfahren sei nicht geprüft worden, ob und welche Rechtsbelehrungen, Auskünfte und Warnungen der Beschwerdeführer im Zuge seiner Vertretungstätigkeit seinem Mandanten erteilt habe. In diesem wesentlichen Punkt sei jedwede Ermittlungstätigkeit unterblieben. Die belangte Behörde lasse außer Acht, daß der Beschwerdeführer seinen Mandanten mit Schreiben vom 15. November 1993 aufgefordert habe, bei der nächsten Verhandlung zuverlässig anwesend zu sein.
Wenn die belangte Behörde vermeine, die Belehrung über die möglichen Folgen einer Absenz sei schon deshalb geboten gewesen, weil der Gegenvertreter noch am Vortag der Verhandlung erklärt habe, die Angelegenheit noch überdenken zu wollen, und somit der Besuch der Verhandlung durch die Gegenseite konkret im Raum gestanden sei, so lege die belangte Behörde dem Schuldspruch eine augenscheinlich weder durch konkrete Beweisergebnisse gestützte noch durch die allgemeine Lebenserfahrung gedeckte, sondern rein willkürliche Annahme zugrunde, nämlich, daß es leicht möglich gewesen wäre, den Mandanten so kurzfristig zu erreichen und über Säumnisfolgen seiner Abwesenheit aufzuklären.
Die belangte Behörde stelle zwar die Behauptung auf, der Beschwerdeführer hätte bei der Verhandlung am 4. Februar 1994 einschreiten müssen, um Säumnisfolgen abzuwenden oder bei einer Vernehmung zielgerichtete Fragen zu stellen, lasse aber offen, welche konkreten Säumnisfolgen durch das bloße Einschreiten, also die bloße Anwesenheit, abgewandt worden wären. Derartige Säumnisfolgen seien weder der ZPO noch dem ASGG zu entnehmen.
Welche zielgerichteten Fragen in der Tagsatzung hätten gestellt werden können und müssen, bleibe ebenso ungeklärt. Der Beschwerdeführer habe im Prozeß bereits ein ausführliches Vorbringen erstattet und der arbeitsrechtliche Senat sei von Gesetzes wegen gehalten, die dazu beantragten Beweismittel durchzuführen und etwa an den Kläger alle für das Verfahren relevanten Fragen zu stellen.
Hiezu komme der objektive Sinneswandel des Mandanten, der dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen habe, zur Sach- und Rechtslage Stellung zu nehmen, Fragen zu stellen oder Vorbringen zu erstatten, ohne die Interessen des Mandanten und/oder Standespflichten zu verletzen. Der Beschwerdeführer dürfe und müsse nur dann eine Streitverhandlung besuchen, wenn er in der Lage sei, dort die (geänderten) Interessen seines Mandanten wahrzunehmen. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Allein durch das Einschreiten des Beschwerdeführers hätte sich die Situation für seinen Mandanten nur verschlechtert.
Es treffe auch nicht zu, daß Säumnisfolgen eingetreten seien, weil die Parteienvernehmung des Beklagten nicht durchgeführt werden konnte, da weder der Beklagte noch der Beschwerdeführer bei der Tagsatzung anwesend gewesen seien. Diese Behauptung widerspreche, soweit sie sich auf den Beschwerdeführer beziehe, in unvertretbarer Weise der ZPO. Bei der Parteienvernehmung im Zivilprozeß könne sich niemand durch seinen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen. Wäre der Beschwerdeführer bei der Tagsatzung am 4. Februar 1994 zugegen gewesen, hätte die Vernehmung des beklagten Mandanten genauso wenig erfolgen können. Die belangte Behörde habe die Rechtslage kraß verkannt.
Die belangte Behörde, welche davon ausgehe, daß dem Mandanten ein Schaden entstanden sei, weil die finanzielle Belastung durch das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien gegenüber dem Vergleichsanbot erheblich höher sei, verlasse hier willkürlich den festgestellten Sachverhalt und ignoriere, daß der Mandant keinen Vergleich mehr wollte, sofern der Kläger nicht Zug um Zug das Umsatzbuch herausgebe. Der Kläger habe mehrfach erklärt, er besitze ein solches Buch nicht, sodaß von vornherein jeder Vergleich unmöglich geworden sei.
Die Anwesenheit des Beschwerdeführers bei der Tagsatzung hätte die finanzielle Belastung keinesfalls verringern können, sondern nur weitere Kosten verursacht. Eine erfolgreiche oder auch nur einigermaßen zielführende Vertretung sei ohne Anwesenheit des Mandanten nicht möglich gewesen.
Die Annahme der Behörde, es sei nicht ausgeschlossen gewesen, daß der Mandant in der Tagsatzung auf das ursprüngliche Vergleichsanbot hätte zurückgeführt werden können, sei vollkommen abwegig und laufe jeglicher Lebenserfahrung zuwider, ebenso, daß sich der Kläger trotz der Kosten der weiteren Tagsatzung und einer wesentlich verspäteten Zahlung mit dem ursprünglichen Vergleichsbetrag zufrieden gegeben hätte. Das Zurückführen des Mandanten auf sein altes Vergleichsanbot hätte somit für das Zustandekommen eines Vergleiches gar nicht ausgereicht. Abgesehen davon verschweige die belangte Behörde, wie es dem Beschwerdeführer hätte gelingen können, den bekanntlich bei der Verhandlung am 4. Februar 1994 abwesenden Beklagten in der Tagsatzung auf das Vergleichsanbot zurückzuführen.
Die belangte Behörde, welche davon ausgehe, der Beschwerdeführer hätte seinen Mandanten vor vollendete Tatsachen gestellt, weil dieser keinerlei Vorsorge mehr für eine anderweitige Vertretung habe treffen können, weiche zu Lasten des Beschwerdeführers vom objektiven Sachverhalt ab. Schon in der Besprechung am 17. Jänner 1994 habe er seinen Mandanten darauf hingewiesen, daß er nicht in der Lage sei, dessen geänderte Absichten weiter zu vertreten.
Zum Nachteil des Beschwerdeführers sei in diesem Zusammenhang ignoriert worden, daß das Arbeits- und Sozialgericht Wien in seiner schriftlichen Urteilsausfertigung vom 4. Februar 1994 bereits einen (anderen) Rechtsanwalt als Vertreter des Beklagten anführe.
Die Argumentation der belangten Behörde, die Umstände des Falles seien jedenfalls der Rechtsschutzversicherung des Mandanten bekannt geworden, wo angesichts der urteilsmäßigen Zahlungsverpflichtung die Frage auftauchen mußte, weshalb es nicht bei der Zahlungspflicht des Vergleichsanbotes geblieben sei, sei keineswegs schlüssig oder gar überzeugend, weil es bekanntlich häufig vorkomme, daß ein Vergleichsanbot von der Gegenseite nicht angenommen werde. Im gesamten Disziplinarverfahren sei nicht geprüft worden, welche Informationen und Bedenken die Rechtsschutzversicherung des Mandanten tatsächlich habe. Die belangte Behörde nehme abermals zu Lasten des Beschwerdeführers einen im Beweisverfahren ungeklärt gebliebenen Umstand als erwiesen an und lege dem Schuldspruch eine weder durch ein konkretes Beweisergebnis gestützte noch durch die allgemeine Lebenserfahrung gedeckte, sondern rein willkürliche Annahme zugrunde.
Das angefochtene Erkenntnis könne sich in mehreren entscheidenden Punkten auf keinerlei Ermittlungstätigkeit stützen, sondern treffe willkürlich und stets zu Lasten des Beschwerdeführers Annahmen, um zu dessen Verurteilung zu gelangen, und verletze sohin massiv seine verfassungsgesetzlich geschützte Sphäre.
5. Die OBDK als belangte Behörde hat die Akten des Disziplinarverfahrens vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften keine Bedenken vor. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalls nicht entstanden. Der Beschwerdeführer wurde somit nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.
2. Der Beschwerdeführer behauptet jedoch eine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar in den Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums und darauf, nur für eine Handlung oder Unterlassung verurteilt zu werden, die zur Zeit ihrer Begehung strafbar war.
2.1. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, den Gleichheitssatz verletzt zu haben, indem sie Willkür geübt habe.
2.1.1. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit oder überhaupt ein ordentliches Ermittlungsverfahren unterlassen hat, insbesondere iVm einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten und dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).
2.1.2. §11 Rechtsanwaltsordnung (im folgenden RAO) lautet:
"(1) Der Rechtsanwalt ist schuldig, das ihm vertraute Geschäft, solange der Auftrag besteht, zu besorgen, und ist über die Nichtvollziehung verantwortlich.
(2) Der Rechtsanwalt ist jedoch berechtigt, seiner Partei die Vertretung zu kündigen, in welchem Falle, sowie in jenem, wenn die Kündigung von der Partei erfolgt, der Rechtsanwalt gehalten ist, selbe noch durch 14 Tage, von der Zustellung der Kündigung an gerechnet, insoweit zu vertreten als nötig, um die Partei vor Rechtsnachteilen zu schützen.
(3) Diese Verpflichtung entfällt, wenn die Partei dem Rechtsanwalt das Mandat widerruft."
2.1.3. Die tragende Begründung des angefochtenen Bescheides geht dahin, daß die Vollmachtskündigung durch den Beschwerdeführer erst am Tag vor der Tagsatzung erfolgte und der Beschwerdeführer, ohne sicherzustellen, daß die Tagsatzung auch von der Gegenseite unbesucht bleibe, nicht eingeschritten ist, woraus dem Mandanten Rechtsnachteile erwachsen sind, zumal es diesem zwangsläufig schon zeitlich nicht möglich war, für seine anderweitige Vertretung zu sorgen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Mandant über die Folgen seiner Absenz belehrt wurde bzw. dies aus zeitlichen Gründen nicht möglich war. Der Hinweis des Beschwerdeführers anläßlich einer mündlichen Besprechung mit dem Mandanten Mitte Jänner 1994, daß er dessen geänderte Interessen nicht weiter vertreten könne, vermag ihn nicht zu rechtfertigen, da es damals zu keiner Kündigung der Vollmacht kam. Der Beschwerdeführer war auch weiterhin in der Causa tätig. Mag auch in der schriftlichen Urteilsausfertigung, datiert mit 4. Februar 1994, ein neuer Vertreter angeführt sein, so ergibt sich aus dem Urteil selbst, daß der Mandant in der Tagsatzung vom 4. Februar 1994 nicht durch einen anderen Anwalt vertreten war.
Die belangte Behörde geht von einer vertretbaren Rechtsansicht aus, wenn sie annimmt, daß durch das Einschreiten des Beschwerdeführers bei der Tagsatzung Rechtsnachteile für den Mandanten - gerade bei dessen Abwesenheit - hätten abgewandt werden können. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob dies gerade auf jene Weise zu bewerkstelligen gewesen wäre, die von der belangten Behörde an Beispielen dargestellt wird. Denn es ist an und für sich ein Nachteil für eine Partei, in einer Tagsatzung unvertreten zu sein; der Mandant des Beschwerdeführers war unangekündigt unvertreten (die Vollmachtskündigung ging ihm erst nach der Tagsatzung zu) und konnte daher nicht einmal theoretisch eine Notwendigkeit sehen, selbst einzuschreiten oder sich eines anderen Vertreters zu bedienen.
Der Verfassungsgerichtshof kann der belangten Behörde daher nicht entgegentreten, wenn sie das Verhalten des Beschwerdeführers als Berufspflichtenverletzung qualifizierte.
Weiters kann der OBDK nicht vorgeworfen werden, sie habe in einem entscheidenden Punkt jede Ermittlungstätigkeit unterlassen, wenn sie davon ausging, daß die Umstände des Falles der Rechtsschutzversicherung des Mandanten bekannt geworden sind, zumal diese den Vergleich genehmigt und nunmehr aufgrund des Urteils bedeutend höhere Kosten zu tragen hatte. Abgesehen davon, daß diese Annahme der Lebenserfahrung entspricht, hat jedenfalls der Mandant des Beschwerdeführers Kenntnis von dessen Verhalten bekommen, wie dies im angefochtenen Bescheid auch festgestellt wird. Unter dem vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Prüfungsmaßstab ist es nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde daher eine Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes annahm.
Der Beschwerdeführer ist daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2.2. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die Verhängung einer Geldstrafe in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
Der angefochtene Bescheid verhängt eine Geldbuße und greift somit in das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10356/1985, 10482/1985, 11650/1988) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewandt hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
Angesichts der Unbedenklichkeit der dem Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften und da der Bescheid auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruht (Pkt. II.2.1.3.), liegt dies alles nicht vor. Der Beschwerdeführer wurde sohin auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
2.3. Weiters rügt der Beschwerdeführer, in dem durch Art7 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht darauf, nur für eine Handlung oder Unterlassung verurteilt zu werden, die zur Zeit ihrer Begehung strafbar war, verletzt zu sein, da es an einem ausreichend konkretisierten Vorwurf der Verletzung von Berufspflichten bzw. von Ehre und Ansehen des Standes mangle.
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 11776/1988 ausführte, muß einer Verurteilung nach §2 Disziplinarstatut, RGBl. 40/1872, - verfassungskonform im Sinne des Art7 MRK - zugrunde liegen, daß sie wegen einer Verletzung von Berufspflichten oder wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes erfolgt, die sich aus gesetzlichen Regelungen oder aus verfestigten Standesauffassungen ergeben, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kommt die belangte Behörde diesem Erfordernis nach, indem sie das inkriminierte Verhalten als Verletzung der im §11 Abs2 RAO normierten Berufspflicht qualifiziert und dem §1 Abs1 DSt 1990 unterstellt (der dem in VfSlg. 11776/1988 angezogenen §2 Disziplinarstatut, RGBl. 40/1872, entspricht).
Eine Verletzung des aus Art7 MRK erfließenden Gebotes liegt daher nicht vor.
2.4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10659/1985, 12915/1991, 13419/1993 und 14408/1996).
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Berufsrecht, DisziplinarrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:B1267.1997Dokumentnummer
JFT_10018870_97B01267_00