Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Renate Merl über den Antrag des Herrn Dr. Peter Sch, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian Scho, auf Wiederaufnahme des mit Bescheid GZ.: UVS 30.15-119/95-6, vom 06.12.1995, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens wie folgt entschieden:
Gemäß § 69 Abs 1 und 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird der Antrag als unbegründet abgewiesen.
Gemäß § 64 Abs 2 und 6 VStG hat der Wiederaufnahmswerber als Beitrag zu den Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens den Betrag von S 50,-- binnen 4 Wochen ab Zustellung dieses Bescheides bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Mit Antrag vom 21.03.1997 beantragte der Wiederaufnahmswerber die Wiederaufnahme des im Spruch zitierten Verfahrens unter Hinweis auf die Entscheidung GZ.: UVS 30.15-94/96, welche ihm am 07.03.1997 zugestellt worden sei. Aus dieser Entscheidung folge, daß für die nach 1979 in der Grazer Innenstadt und in den anschließenden Bezirken gelegenen Kurzparkzonen keine Gebührenpflicht bestehe, da es diesbezüglich einer rechtswirksamen Normierung einer Abgabepflicht fehle. Dies gelte insbesondere für den Bereich der flächendeckenden Kurzparkzonen in der Grazer Innenstadt. Es lägen daher die Wiederaufnahmsgründe des § 69 Abs 1 lit b und c VVG (gemeint wohl: § 69 Abs 1 Z 2 und 3 AVG) vor.
Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat erwogen:
Gemäß § 69 Abs 4 AVG steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein Unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem zu. Somit ergibt sich die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark für die Erlassung der gegenständlichen Entscheidung.
1.) Zur Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmeantrags:
Der Wiederaufnahmswerber verweist darauf, daß er erst mit der am 07.03.1997 zugestellten Entscheidung GZ.: UVS 30.15-94/96 Kenntnis davon erlangt habe, daß nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates seitens des Magistrates Graz in allen nach dem Inkrafttreten der Grazer ParkgebührenVO 1979 neu geschaffenen Kurzparkzonen in Ermangelung einer rechtswirksamen Einführung der Gebührenpflicht zu Unrecht Abgaben kassiert bzw. Abgabenstrafen verhängt wurden.
Hiezu ist auszuführen, daß diese Rechtsauffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark, welche unter dem Titel "Grazer Parkgebührenstreit" auch auf großes Interesse in der Öffentlichkeit stieß, zwar beginnend mit Freitag, dem 17.01.1997 in allen großen steirischen Tageszeitungen veröffentlicht wurde und es daher schwer vorstellbar erscheint, daß ein Grazer Rechtsanwalt, welcher noch dazu in dieser Materie in eigener Sache wiederholt vorstellig wurde, hievon keine Kenntnis erlangt haben soll. Dem Antragsteller ist allerdings zuzugestehen, daß es sich hiebei um eine Rechtsfrage von einiger Komplexität handelt, welche in den einschlägigen Presseberichten nur verkürzt bzw. teilweise unrichtig wiedergegeben wurde. Es erscheint daher nachvollziehbar, daß dem Wiederaufnahmswerber erst nach dem Durchlesen der umfassenden Begründung des ihm am 07.03.1997 zugestellten Bescheides bewußt wurde, daß diese Judikatur des Unabhängigen Verwaltungssenates allenfalls einen Wiederaufnahmsgrund für die beim Unabhängigen Verwaltungssenat als Berufungsbehörde rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren darstellen könnte. Es wird daher unter Bedachtnahme auf die insoferne parteienfreundliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - dieser verlangt in seiner ständigen Judikatur zu § 7 ZustellG für die Heilung eines Zustellmangels das tatsächliche nachweisliche Zukommen des Schriftstückes unbeschadet allfälliger vorangegangener Kenntnisnahme von dessen Inhalt (VwGH 29.06.1984, Slg. 11.487A u.v.a.) - im Zweifel für den Antragsteller davon ausgegangen, daß dieser erst nach Erhalt der ihn selbst betreffenden Entscheidung von dem behaupteten Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangte. Da laut Auskunft des zuständigen Sachbearbeiters, Herrn B alle mit 21.03.1997 datierten Wiederaufnahmeanträge mit einem Kuvert, welches als Datum des Poststempels den 21.03.1997 aufweist,
eingebracht wurden, sind sämtliche Wiederaufnahmeanträge jeweils gerechnet ab dem 07.03.1997 als rechtzeitig eingebracht anzusehen.
2.) Zur inhaltlichen Begründung des Wiederaufnahmeantrags:
Der Wiederaufnahmswerber begründet seinen Antrag mit der im Grazer Parkgebührenstreit
Verwaltungssenates. Zur Vermeidung von Wiederholungen sei auf die umfassende Begründung der Anlaßfallentscheidung GZ.: UVS 30.15- 93/96 vom 20.01.1997 - eine inhaltlich gleichlautende Entscheidung wurde dem Antragsteller am 07.03.1997 zu GZ.: UVS 30.15-94/96 zugestellt - verwiesen. Aus dieser Entscheidung folgt sinngemäß, daß seitens des Magistrates Graz in allen seit 1979 neu geschaffenen Kurzparkzonen, basierend auf der unrichtigen Rechtsauffassung der dortigen Behörde, daß die Grazer Parkgebührenverordnung 1979 eine taugliche Rechtsgrundlage für die Statuierung der Gebührenpflicht auch in nachträglich geschaffenen Kurzparkzonen darstelle, zu Unrecht Abgaben eingehoben wurden. Hier ist dem Antragsteller zunächst dahingehend zu folgen, daß als logische Konsequenz dieser unzulässigen und damit unwirksamen dynamischen Verweisung in weiterer Folge sämtliche Abgabenstrafen ohne gesetzliche Deckung verhängt wurden. Der Wiederaufnahmswerber irrt allerdings, wenn er darin eine "neu hervorgekommene Tatsache" im Sinne des § 69 Abs 1 Z 2 AVG bzw. eine anderslautende Vorfragenentscheidung im Sinne der Ziffer 3 leg. cit. erblickt. Gemäß § 69 Abs 1 Z 2 und Z 3 AVG, welche Bestimmung gemäß § 24 VStG auch in Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist, liegt ein Wiederaufnahmsgrund unter anderem dann vor, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 19.06.1991, 91/13/0101; 19.02.1992, 90/12/0244; 15.12.1994, 93/09/0434 u.v.a.) sind als "Tatsachen" im Sinne des erstgenannten Wiederaufnahmegrundes nur Geschehnisse im Seinsbereich, auch wenn es sich um "innere Vorgänge" handelt, zu verstehen, nicht aber Rechtsänderungen oder spätere Gutachten über die Tatsachen, ebenso nicht das nachträgliche Erkennen, daß im abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Verfahrensmängel oder eine unrichtige rechtliche Beurteilung seitens der Behörde vorgelegen sind oder Unkenntnis der Gesetzeslage. Gleiches gilt für das nachträgliche Bekanntwerden von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes aus denen sich ergibt, daß die von der Behörde im abgeschlossenen Verfahren vertretene Rechtsauffassung verfassungs- oder gesetzwidrig war (VwGH 16.03.1987, 84/10/0072 u.a.). § 69 Abs 1 Z 2 AVG bildet für die Behörde keine geeignete Grundlage dafür, im wiederaufgenommenen Verfahren ihre ursprüngliche rechtliche Beurteilung eines in Wahrheit unveränderten Sachverhaltes zu ändern (VwGH 13.09.1974, 1735/73). Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu der sinngemäß gleichlautenden Bestimmung des § 303 Abs 1 lit b BAO judiziert, daß Tatsachen im Sinne dieser Bestimmung ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände; also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften sind. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neue Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden, sind nicht "Tatsachen". Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offengelegt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlaßt - lassen sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl. VwGH 02.12.1995, 84/15/0217; sowie Stoll, Bundesabgabenordnung, Handbuch, Wien 1980, S. 723f und die dort aus der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zitierten Erkenntnisse). Diese Judikatur ist auch im Lichte des Fehlerkalküls der Rechtsordnung (vgl. dazu Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Auflage, Wien 1986, 515 ff) zu sehen, demzufolge unter Inkaufnahme menschlicher Fehlleistungen prinzipiell der Rechtssicherheit der Vorrang gegenüber der Rechtsrichtigkeit gegeben wird. Durchbrechungen der materiellen Rechtskraft, wie sie etwa die §§ 68 und 69 AVG vorsehen, sind daher nur bei bestimmten taxativ aufgezählten, vom Gesetzgeber für besonders schwer erachteten Fehlern vorgesehen und als Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Bestandssicherheit von Bescheiden prinzipiell eng auszulegen. Da nach dem klaren Wortlaut des § 69 Abs 1 Z 2 AVG und der ebenfalls eindeutigen ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes rechtliche Fehler jedweder Art, mag dies auch rechtspolitisch unbefriedigend erscheinen, keinen Wiederaufnahmsgrund darstellen, war spruchgemäß zu entscheiden. Der Wiederaufnahmeantrag läßt jegliche Ausführungen dahingehend vermissen, worin der Wiederaufnahmswerber das Vorliegen des weiters angezogenen Wiederaufnahmsgrundes des § 69 Abs 1 Z 3 AVG sieht, zumal das gesamte Vorbringen auf das Vorliegen "neuer Tatsachen" bzw. "neuer Beweismittel" im Sinne der Z 2 leg. cit. abstellt. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 05.12.1980, 1436/78; 26.02.1981, Slg. 10.383A u.a.) ist unter einer Vorfrage im Sinne der § 38 und 69 Abs 1 Z 3 AVG jedenfalls nur eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage - als Gegenstand eines rechtsfeststellenden oder rechtsgestaltedem Abspruches - von einer anderen Verwaltungsbehörde oder von einem Gericht oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren zu entscheiden ist. Die Änderung der Beurteilung einer Vorfrage durch die Behörde in derselben Sache ist jedoch kein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens (VwGH 06.07.1948, Slg. 478A). Im vorliegenden Fall hat jedoch dieselbe Behörde, nämlich der Unabhängige Verwaltungssenat selbst, angeregt durch das konkrete Vorbringen im Anlaßfall, GZ.: 30.15-93/96, die von ihm bis dahin ebenfalls als rechtlich unbedenklich beurteilte Praxis der belangten Behörde für rechtswidrig erkannt und als Konsequenz daraus alle zu diesem Zeitpunkt noch anhängigen Verwaltungsstrafverfahren eingestellt, wohingegen die bis dahin erlassenen Entscheidungen unbeschadet ihrer Fehlerhaftigkeit in formelle und materielle Rechtskraft erwachsen sind.
3.) Zur Kostenentscheidung:
Gemäß § 64 Abs 2 VStG ist der Kostenbeitrag für das Verfahren erster Instanz mit 10 % der verhängten Strafe, für das Berufungsverfahren mit weiteren 20 % der verhängten Strafe, mindestens jedoch mit je S 20,-- zu bemessen. Wird einem Antrag des Bestraften auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens nicht stattgegeben, so gelten gemäß Abs 6 leg. cit. hinsichtlich der Verpflichtung zur Tragung der Verfahrenskosten sinngemäß die vorhergehenden Bestimmungen. Mit Erkenntnis vom 06.03.1997, Zl. 95/09/0342 hat der Verwaltungsgerichtshof zu dieser Bestimmung ausgesprochen, daß dann, wenn der Unabhängige Verwaltungssenat - wie im Anlaßfall - zur Entscheidung über die Wiederaufnahme eines von ihm selbst bescheidmäßig geschlossenen Verfahrens funktionell als erste, letzte und damit einzige Instanz einschreitet, die Kosten für das Wiederaufnahmeverfahren mit 10 % der verhängten Geldstrafe und nicht mit den für das Berufungsverfahren vorgesehenen Prozentsätzen zu bemessen sind. Es war daher auch im Anlaßfall der Kostenbeitrag für das Wiederaufnahmeverfahren nur mit 10 % der seinerzeit vom Unabhängigen Verwaltungssenat festgesetzten Strafe zu bemessen.