Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Dr Fenzl über die auf Art 129a B-VG und § 88 Abs 2 SPG gestützte Beschwerde des Herrn Mohamed A, vertreten durch RA, wegen behaupteter Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wie folgt entschieden:
Gemäß § 67a Abs 1 Z 2 iVm § 67c Abs 4 AVG wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gemäß § 79a AVG hat der Beschwerdeführer dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.365,-- binnen 14 Tagen ab Zustellung der schriftlichen Ausfertigung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung:
Mit Schreiben vom 26.7.1996 erstattete der Beschwerdeführer folgende Beschwerde:
A.
"Ich bin am 12.6.1996 von Organen der Bezirkshauptmannschaft N unter Berufung auf das Fremdengesetz angehalten worden und befinde mich seither in Schubhaft.
Am 12.6.1996 wurde von der BH N ein Schubhaftbescheid gemäß § 41 FrG ausgestellt.
Ab dem 24.6.1996 verweigerte ich die Nahrungsaufnahme. Am 26.6.1996 stellte ich beim Bundesasylamt den Asylantrag. Am 27. oder 28.6.1996 schluckte ich einen etwa 6 cm großen Löffelstiel. Ich wurde daraufhin in den Bereich der belangten Behörde überstellt und im PGH in Einzelhaft verbracht. Als ich erklärte, der Löffelstiel habe meinen Körper wieder verlassen, wurde ich wieder in die Gemeinschaftszelle verbracht. Am 4.7.1996 bekam ich starke Schmerzen und verlangte ich dem Sanitäter die Untersuchung durch einen Arzt, da ich diesen brauchte. Am 5.7.1996 erneuerte ich dieses Verlangen vier Mal, dies jedoch ohne Erfolg. Auch am 6.7.1996 wurde ich von keinem Arzt aufgesucht, obschon den Sanitätern klar sein mußte, daß ich mich in einem lebensbedrohenden Zustand befinden könne. Am 7.7.1996 suchte mich ein Amtsarzt auf, der mich jedoch nicht untersuchte, sondern meine Abgabe in Einzelhaft bewirkte. Ich schluckte hierauf einen weiteren Löffel.
Unter starken Schmerzen wurde ich dem Bundesasylamt am 8.7.1996 zur Einvernahme vorgeführt. Aufgrund der Aufforderung durch meinen Rechtsfreund Mag Christoph R wurde ich in das Krankenhaus B verbracht, wo festgestellt wurde, daß sich beide Löffel im Magen befanden. Hierauf wurde ich wiederum in Einzelhaft gebracht. Am 9.7.1996 stellte ich durch meinen Rechtsfreund Mag R den Antrag auf Durchführung einer psychiatrischen Untersuchung und Behandlung sowie weiters auf Untersuchung hinsichtlich meiner Haftfähigkeit, da ich diese für nicht mehr gegeben erachtete.
Hierauf wurde ich in das psychiatrische Krankenhaus H überstellt und erfolgte dort eine psychiatrische Untersuchung. Am 10.7.1996 erfolgte eine amtsärztliche Untersuchung und wurde die Einzelhaft aufgehoben.
B.
Ich wurde folglich seit dem 24.6.1996 bis 10.7.1996 niemals durch einen Amtsarzt und bis zum 8.7.1996 auch nicht durch einen anderen Arzt untersucht, obschon ich wegen der Verweigerung der Nahrungsaufnahme und den verschluckten Fremdkörpern akute medizinische Kontrolle und Behandlung benötigte.
Wegen der unterlassenen Nahrungsaufnahme und dem Verschlucken von Fremdkörpern war ich spätestens seit dem 8.7.1996 nicht mehr haftfähig.
Beweis: meine PV
Mag Christoph R, c/o Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, S-gasse
Einholung eines medizinischen Gutachtens
C.
Ich bin der Auffassung, daß der Unabhängige Verwaltungssenat zur Behandlung der gegenständlichen Beschwerde ungeachtet der Bestimmung des § 23 PGHO zuständig ist.
Die Bestimmung des § 53c VStG erlaubt meiner Auffassung nach nicht die Einrichtung eines eigenen Instanzenzuges. Gem § 88 SPG ist daher der UVS zur Entscheidung berufen. Ich rege aber an, die Bestimmung des § 23 PGHO auf ihre Verfassungsmäßigkeit durch Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof zu prüfen.
Ich stelle daher die Anträge:
Der Unabhängige Verwaltungssenat wolle meine Anhaltung in Schubhaft seit dem 8.7.1996;
die Unterlassung der ärztlichen Haftfähigkeitsuntersuchung innerhalb von 24 Stunden nach meiner Aufnahme;
die Unterlassung der Vorführung zu einem Arzt nach dem 24.6.1996;
die Unterlassung der ärztlichen Aufsicht und der Einholung einer ärztlichen Äußerung über meinen Gesundheitszustand nach dem 24.6.1996;
die Unterlassung der Leistung erster Hilfe nach dem Schlucken der Fremdkörper (Löffel);
meine Anhaltung in Einzelhaft nach dem 28.6.1996 sowie nach dem 7.7.1996
für rechtswidrig erklären und der belangten Behörde den Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens auftragen.
Über diese Beschwerde ist eine öffentliche mündliche Verhandlung abzuhalten, in welcher ich als Partei und weitere Personen als Zeugen einzuvernehmen sein werden. Zur Wahrung meiner Rechte ist erforderlich, mich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Ich bin nicht in der Lage, die Kosten der Vertretung durch einen Rechtsanwalt und die Kosten für die Barauslagen dieser Beschwerde zu tragen.
Aus diesem Grund beantrage ich, mir die Verfahrenshilfe gem §§ 64 ff ZPO im Umfang der unentgeltlichen Beigebung eines Rechtsanwaltes und der Befreiung von den Gebühren zu gewähren."
Mit Schreiben vom 9.8.1996 erstattete die Bundespolizeidirektion Wien folgende Gegenschrift:
"I. Sachverhalt
Der Beschwerdeführer (Bf) wurde von der Bezirkshauptmannschaft N in Schubhaft verwahrt. Die Anhaltung fand seit dem 12.6.1996 in den Räumen des Polizeigefangenenhauses Wien - zeitweise in einer Einzelzelle - statt. Der Bf wurde nicht am 27., 28.6.1996 oder danach in den Bereich der Bundespolizeidirektion Wien überstellt. Der Bf wurde mehrfach amtsärztlich untersucht. Weiters fanden Untersuchungen des Bf im A-Krankenhaus (Abteilung für Notfallmedizin, Universitätsklinik für Radiodiagnostik), im Krankenhaus B und im Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien statt.
Beweis: vorgelegter Verwaltungsakt
II. Rechtslage
1.) der Bf erachtet seine Anhaltung in Schubhaft seit dem 8.7.1996 für rechtswidrig. Weiters beantragt er, die nachfolgenden, behaupteten Umstände für rechtswidrig zu erklären:
-
Unterlassung der ärztlichen Haftfähigkeitsuntersuchung innerhalb von 24 Stunden nach seiner Aufnahme
-
Unterlassung der Vorführung zu einem Arzt nach dem 24.6.1996
-
Unterlassung der ärztlichen Aufsicht unter Einholung einer ärztlichen Äußerung über seinen Gesundheitszustand nach dem 24.6.1996
-
Unterlassung der Leistung Erster Hilfe nach dem Schlucken von Löffeln
-
Anhaltung in Einzelhaft nach dem 28.6.1996 und nach dem 7.7.1996
2.) Wie sich aus der Beschwerde ergibt, befindet sich der Bf über Veranlassung der Bezirkshauptmannschaft N in Schubhaft. Die im Polizeigefangenenhaus tätigen Sicherheitswachebeamten sind daher im Beschwerdezusammenhang für diese Behörde eingeschritten. Die Bundespolizeidirektion Wien ist sohin nicht als belangte Behörde anzusehen (vgl UVS Wien, UVS-02/11/00025/95 01.08.1995 sowie UVS-02/11/00116/94 23.01.1995).
3.) Wie der UVS Wien in seinem Bescheid vom 31.3.1995, GZ UVS-02/41/00057/94 ausgeführt hat, dienen die Regelungen über die sogenannte Maßnahmenbeschwerde - wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont (vgl zB VwGH 29.6.1992, 91/15/0147, und die dort zitierte Vorjudikatur) - nur der Schließung einer Lücke im Rechtsschutzsystem, nicht aber der Eröffnung einer Zweigleisigkeit für die Verfolgung ein- und desselben Rechtes. Was in einem Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kann daher nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein (vgl auch VwSlg 9461 A/1977). Im Beschwerdefall habe der Bf hinsichtlich der behaupteten Vorkommnisse während der Anhaltung die Möglichkeit einer Austragung im Verwaltungsverfahren gemäß § 23 (iVm § 24 Abs 3) der Polizeigefangenenhaus-Hausordnung, BGBl Nr 66/1988 zur Verfügung gehabt. Für die erhobene Maßnahmenbeschwerde habe daher von vornherein kein Raum bestanden (siehe hiezu insbesondere VwGH 16.9.1992, 92/01/0713, betreffend einen insofern vergleichbaren Fall während eines Strafvollzugs).
Der UVS Wien hat diese Rechtsauffassung überdies in seinem, einem ähnlich gelagerten Fall betreffenden, bereits oben zitierten Bescheid vom 1.8.1995, GZ UVS-02/11/00025/95, vertreten.
4.) Unter Hinweis auf die bisherigen Ausführungen erübrigt es sich für die Bundespolizeidirektion Wien, auf die inhaltliche Unrichtigkeit der in der Beschwerde aufgestellten Behauptungen näher einzugehen.
Die Bundespolizeidirektion Wien stellt daher den Antrag die Einholung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde zu veranlassen bzw die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen."
Diese Gegenschrift wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 30.8.1996 zur Kenntnis gebracht und gab dieser am 19.9.1996 folgende Stellungnahme dazu ab:
"Ich halte meine Beschwerdeausführungen voll aufrecht. Soferne die belangte Behörde die Verneinung der Zurechenbarkeit des Beschwerdesachverhaltes an diese dadurch anstrebt, daß diese insistiert, ich sei von der BH N verwahrt worden, geht die Behörde insoferne fehl, da die belangte Behörde die Schubhaftverwahrung (wenn auch über Ersuchen einer anderen Behörde) übernommen hat und deshalb die Rechtsverletzung im Gefolge der Schubhaft zu vertreten hat.
Die Bestimmung des § 23 PolGfHO ist - mit Ausnahme der Beschwerde gegen das (persönliche) Verhalten von Aufsichtsorganen - eine bloße Ordnungsvorschrift, welche weder eine behördliche Zuständigkeit regelt noch die durch andere Vorschriften bestehende Rechtsinstitute beschneidet.
Ein gegenläufiges Verständnis dieser Bestimmung beizulegen würde bedeuten, die verfassungswidrige Schaffung einer (noch dazu vagen) Behördenzuständigkeit im Verordnungsweg zuzulassen. Bei richtigem Verständnis regelt § 23 Abs 1 PolGfHo lediglich die Begleitumstände der Anhaltung, nicht aber den Rechtsbereich, von welchem jedermann unabhängig von der Konfinierung Gebrauch zu machen berechtigt ist. Eine andere Bedeutung wäre der Bestimmung des § 53 c Abs 6 VStG nicht subsumierbar.
Mit dem SPG wurde jedenfalls eben für die dahin bestehende unbefriedigende Rechtsschutzmöglichkeit Abhilfe geschaffen und ist der UVS jedenfalls zur Entscheidung über die hier geltend gemachten Rechtsverletzungen zuständig."
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:
§ 67c AVG lautet:
"(1) Beschwerden nach § 67a Abs 1 Z 2 sind innerhalb von sechs Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kenntnis erlangt hat, sofern er aber durch sie behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, ab dem Wegfall dieser Behinderung, bei dem unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen, in dessen Sprengel dieser Verwaltungsakt gesetzt wurde.
(2) Die Beschwerde hat zu enthalten:
1.
die Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes,
2.
soweit dies zumutbar ist, eine Angabe darüber, welches Organ den angefochtenen Verwaltungsakt gesetzt hat und welcher Behörde er zuzurechnen ist (belangte Behörde),
3.
den Sachverhalt,
4.
die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,
5. das Begehren, den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären,
6. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist..."
Gemäß Abs 3 der zitierten Gesetzesbestimmung sind Beschwerden, die den Anforderungen des Abs 2 nicht entsprechen, unter Anberaumung einer kurzen Frist zur Behebung der Mängel zurückzustellen. In der verfahrensgegenständlichen Beschwerde hat der im Namen des Beschwerdeführers einschreitende Rechtsanwalt als belangte Behörde die Bundespolizeidirektion Wien angegeben. Wie sich jedoch aus der Gegenschrift der Bundespolizeidirektion Wien sowie aus den beigeschafften Akten ergibt, war der Beschwerdeführer auf Veranlassung der Bezirkshauptmannschaft N in Schubhaft im Polizeigefangenenhaus Wien. Die im Polizeigefangenenhaus tätigen Sicherheitswachebeamten sind daher im Beschwerdezusammenhang für diese Behörde - nämlich der Bezirkshauptmannschaft N - eingeschritten, weshalb - wie die Bundespolizeidirektion Wien in ihrer Gegenschrift zutreffend ausführt - die Bundespolizeidirektion Wien nicht als belangte Behörde des gegenständlichen Verfahrens anzusehen ist.
Im Hinblick auf die oben getätigten Aussagen wurde sohin vom einschreitenden Rechtsanwalt in der gegenständlichen Beschwerde die falsche Behörde als belangte Behörde bezeichnet. Gemäß § 67c Abs 2 Z 2 AVG ist jedoch formvorgeschrieben, in dem Beschwerdeschriftsatz anzugeben, welches Organ den angefochtenen Verwaltungsakt gesetzt hat und welcher Behörde dieser zuzurechnen ist. Die Bestimmung des § 67c Abs 2 Z 2 AVG fordert die Bezeichnung dann, wenn dies "zumutbar" ist. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien als erkennende Behörde geht nun davon aus, daß in dem Fall, in dem eine private Person eine selbstverfaßte Beschwerde einbringt, an das Zumutbarkeitskriterium kein allzu strenger Maßstab anzulegen ist. Eine fehlerhafte Bezeichnung der belangten Behörde wäre somit diesfalls nicht von allzu großer Bedeutung. Anders scheint dies zu sein, wenn der Beschwerdeschriftsatz von einem Rechtsanwalt verfaßt und eingebracht wird. Diesfalls erscheint es absolut zumutbar zu sein, an die Erfüllung der formellen Voraussetzung höhere Maßstäbe zu setzen. So geht der Unabhängige Verwaltungssenat Wien auch im gegenständlichen Fall davon aus, daß es dem einschreitenden Rechtsanwalt zumutbar gewesen wäre, die belangte Behörde korrekt zu bezeichnen.
Obwohl § 67c Abs 3 AVG davon spricht, daß im Falle des Fehlens formeller Formerfordernisse mittels Mängelbehebungsauftrag eine Behebung dieser Formgebrechen vorzunehmen ist, geht der Unabhängige Verwaltungssenat Wien davon aus, daß ein Mängelbehebungsauftrag nur dann durchzuführen ist, wenn eines der Formerfordernisse vollkommen fehlt. Im Falle unkorrekter Angaben kommen Mängelbehebungen nicht in Betracht und ist eine damit behaftete Beschwerde wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen. Da der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall seine Beschwerde durch die unkorrekte Angabe der belangten Behörde mit Fehlerhaftigkeit belastet hat, da er eine Behörde eines fehlerhaften Verwaltungsaktes beschuldigt hat, welcher dieser Behörde nicht zuzurechnen war, war die vorliegende Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.