Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Herbert Thaller über die Berufung des Herrn Peter K, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Edwin Anton P, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom 12.12.1996, GZ.: 15.1-1995/10876, wie folgt entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde über den Berufungswerber wegen der Übertretung des § 1 LGBl. 158/1975 eine Geldstrafe von S 500,--, im Uneinbringlichkeitsfall 1 Tag Ersatzarrest, verhängt. Ihm wurde vorgeworfen, am 14.05.1995, in der Zeit von 03.30 Uhr bis 03.45 Uhr, in Gratkorn, im Lokal "S", an einer tätlichen Auseinandersetzung teilgenommen und dadurch den öffentlichen Anstand verletzt zu haben. Begründend führte das Straferkenntnis aus, daß der strafbare Tatbestand durch das durchgeführte Ermittlungsverfahren und durch die Zeugenaussagen als erwiesen angenommen worden sei, bei der Strafbemessung sei als mildernd nichts und als erschwerend ebenso nichts gewertet worden.
Mit der durch den ausgewiesenen Rechtsanwalt eingebrachten rechtzeitigen Berufung wird im wesentlichen ausgeführt, daß der Berufungswerber nicht an einer tätlichen Auseinandersetzung teilgenommen habe, sondern daß der Berufungswerber Opfer einer tätlichen Auseinandersetzung geworden sei. Aus diesem Grunde beantragte der Berufungswerber, der Berufung Folge zu geben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
Der Unabhängige Verwaltungssenat, das ist die gemäß § 51 Abs 1 VStG sachlich und örtlich zuständige Berufungsbehörde, ist bei ihrer Entscheidung von folgendem, in der mündlichen Verhandlung vom 15.07.1997 ermittelten, Sachverhalt ausgegangen:
Der Berufungswerber war in der Nacht vom 13. auf den 14.05.1995, in der Diskothek "S " in Gratkorn, als Discjockey beschäftigt. Um ca. 03.00 Uhr des 14.05.1995 beendete er seine Tätigkeit und ging, nachdem er die technischen Anlagen außer Betrieb gesetzt hatte, auf Aufforderung der Roswitha G an deren Tisch. In der Folge forderte sie ihn auf, von ihrem Getränk zu konsumieren, was der Berufungswerber aber ablehnte. Die Aufforderung der Roswitha G veranlaßte deren Schwester Petra G dazu, über den Berufungswerber abfällige Bemerkungen zu machen, woraufhin der Berufungswerber Petra G als "Schlapfen" beschimpfte. Der ebenfalls am Tisch anwesende Robert K regte sich als Freund der Petra G über die abfälligen Äußerungen des Berufungswerbers auf, sodaß die Situation zu eskalieren drohte. Daraufhin forderte die Lokalbesitzerin den Berufungswerber auf, den Tisch zu verlassen, welcher Aufforderung der Berufungswerber auch nachkam. Als der Berufungswerber in der Folge dann das WC aufsuchen mußte und bei dieser Gelegenheit beim Tisch, bei welchem er vorher gesessen war, vorbeiging, wurde er von Robert K tätlich angegriffen, indem dieser den Berufungswerber in den sogenannten "Schwitzkasten" nahm. Der Berufungswerber, der von dieser Aktion überrascht wurde, hatte überhaupt keine Reaktion vorerst gesetzt, zumal er aufgrund des absperrenden Griffes nach Luft rang. Die Frau des Berufungswerbers kam dem Berufungswerber zu Hilfe und versuchte, durch Zerren an der Hand des Robert K dessen Griff zu lösen. Infolge des weiteren Eingreifens der Schwestern G gelang es dem Berufungswerber, sich loszureißen, indem er den Angreifer Robert K gegen den Türstock drückte und ihn in der Folge auf einen Sessel setzte. Damit war die gesamte Angelegenheit erledigt und widmeten alle ihre Aufmerksamkeit der am Boden liegenden Frau des Berufungswerbers.
Der somit festgestellte Sachverhalt ergibt sich aufgrund der Aussage des Berufungswerbers, dessen Gattin sowie der Aussage der Claudia H. Die Aussage der Andrea K, welche angegeben hat, dabei keine eigenen Beobachtungen von dem Vorfall gemacht zu haben, war nicht brauchbar. Die Aussagen der Schwestern G, welche angaben, überhaupt nicht in das Geschehen eingegriffen zu haben, waren nicht glaubhaft. Dies deshalb, da sie eindeutig der Aussage der Claudia H widersprachen und sich die einvernommene Zeugin Petra G nicht mehr an den Vorfall erinnern wollte. Die Aussage der Roswitha G war in sich widersprechend, zumal sie zwar angab, den Vorfall beobachtet zu haben, um in der Folge dem ganzen Geschehen nicht mehr gefolgt zu haben. Es war insbesondere nicht glaubhaft, daß sich die Zeugin infolge der aufgetretenen Ordnungswidrigkeit einer solchen, entgegen der an sich üblichen Reaktion, nicht mehr gewidmet haben soll.
Die Rechtsbeurteilung ergibt:
Gemäß § 1 1. Fall des Landesgesetzes vom 25.06.1975, LGBl. 158/1975, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu S 3.000,-- zu bestrafen, wer den öffentlichen Anstand verletzt. Diese Verwaltungsübertretung erfordert zwei Tatbestandselemente: Erstens das Element der Öffentlichkeit, was im vorliegenden Fall jedenfalls gegeben ist, zumal es sich bei einem Tanzcafe um einen öffentlich begehbaren Ort handelt. Zweitens ist gefordert, daß der Anstand verletzt wurde. Unter Anstand versteht man jene ungeschriebenen Regeln der Sitte und Moral, deren Einhaltung im Umgang und Leben miteinander gefordert werden muß. Grundsätzlich ist auszuführen, daß die Begehung von Tätlichkeiten jedenfalls eine Anstandsverletzung darstellt.
Gemäß § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.
Unter Notstand ist ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten zu verstehen, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein durch Begehung einer im allgemeinen strafbaren Handlung retten kann. Weiters gehört es zum Wesen des Notstandes, daß die Gefahr zumutbarerweise nicht anders als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben und die Zwangslage nicht selbst verschuldet ist (siehe VwGH vom 17.06.1987, Zl. 85/01/0172, vom 17.09.1992, Zl. 90/19/0463 u. a.). Ein strafbefreiender Notstand ist nur gegeben, wenn eine Verwaltungsübertretung zur Abwendung einer dem Beschuldigten unmittelbar drohenden Gefahr erfolgt, die so groß ist, daß er sich in unwiderstehlichem Zwang befindet, eher die in Betracht kommende Vorschrift zu übertreten, als das unmittelbar drohende Übel über sich ergehen zu lassen (siehe VwGH 11.12.1952, Slg. 2783 A, u.a.). Im vorliegenden Fall bestand infolge des Angriffs des Robert K gegenüber dem Berufungswerber unmittelbar drohende Gefahr für Leib und Leben, sodaß für den Berufungswerber nur als einziger Ausweg blieb, durch Tätlichwerden dem Angreifer gegenüber sich aus dem "Schwitzkasten" zu befreien. Dies geschah dadurch, daß der Berufungswerber den Angreifer an den Türstock drückte, was in Verbindung mit den Abwehrhandlungen der Gattin des Berufungswerbers dazu führte, daß der Angreifer Robert K seinen Haltegriff löste, was dem Berufungswerber wiederum ermöglichte, den Angreifer auf einen nebenstehenden Sessel zu setzen. Dies bedeutet aber, daß der Berufungswerber damit zwar den Tatbestand der Verwaltungsübertretung der Verletzung des öffentlichen Anstandes begangen hat, ihm aber diese Notstandssituation erlaubte, sich aus dieser von ihm nicht selbst verschuldeten Zwangslage zu befreien. Diese vom Berufungswerber gesetzte Handlung war im Augenblick des bestehenden Angriffes durch Robert K auch die einzige Möglichkeit, sich von der Umklammerung, die dem Berufungswerber das Atmen nahezu unmöglich machte, zu befreien. Es sind somit alle Voraussetzungen erfüllt, hier von entschuldigendem Notstand zu sprechen. Dies bedeutet aber auch, daß gemäß § 6 VStG die vom Berufungswerber gesetzte Tat nicht strafbar ist. Gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG ist das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen, wenn Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen. Da im vorliegenden Fall infolge des bestehenden Notstandes die Strafbarkeit des Täters ausgeschlossen ist, war das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Berufungswerber zur Einstellung zu bringen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.