Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Monika Gasser Steiner über die Berufung der Frau Edith R, geb. am 21.11.1963, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt F, G, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 14.2.1997, Zl.: III/S-13.702/96, wie folgt entschieden:
Der Berufung wird gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der belangten Behörde wurde der Berufungswerberin zur Last gelegt, sie habe am 15.3.1996, um
12.23 Uhr, in Graz, Mandellstraße-Haydngasse, in Richtung Norden als Lenkerin des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen G-CBS 444 einem Fußgänger, der sich auf einem Schutzweg befand bzw. diesen erkennbar überqueren wollte, nicht das ungehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn ermöglicht.
Wegen Übertretung der Rechtsvorschrift des § 9 Abs 2 StVO wurde über die Berufungswerberin gemäß § 99 Abs 3 lit. a StVO eine Geldstrafe von S 1.000,--, im Uneinbringlichkeitsfalle 36 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt sowie als Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens der Betrag von S 100,-- vorgeschrieben. In der fristgerecht erhobenen Berufung führte die Berufungswerberin im wesentlichen aus, die belangte Behörde habe den vorliegenden Sachverhalt unrichtigerweise unter die Bestimmung des § 9 Abs 2 StVO subsumiert. Das abgeführte Beweisverfahren, insbesondere auch die vom Meldungsleger vorgelegten Lichtbilder seien keinesfalls in der Lage nachzuweisen, daß die Beschuldigte der auf dem Lichtbild ersichtlichen Person das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn nicht ermöglicht hätte. Im Gegenteil, die Beschuldigte habe der Verpflichtung des § 9 Abs 2 StVO voll und ganz entsprochen. Sie habe sich dem Schutzweg mit einer Fahrgeschwindigkeit von 10 bis 20 km/h genähert. Aus den Lichtbildern sei eindeutig zu ersehen, daß die Beschuldigte, als sie mit ihrem Fahrzeug den Schutzweg befahren habe, sich zumindest 4 bis 5 m von der Fußgängerin entfernt befunden habe. Als der PKW der Beschuldigten den Schutzweg bereits zur Gänze verlassen habe, habe die Fußgängerin noch nicht einmal die Mitte der Fahrbahn erreicht. Ein Sachverständigen-Gutachten könnte unter Anstellung einer Zeit/Weg-Relation beweisen, daß unter diesen Voraussetzungen eine Gefährdung der Fußgängerin durch die Beschuldigte in keinster Weise gegeben gewesen sei. Abschließend beantragte die Berufungswerberin, das Verfahren gegen sie einzustellen.
Die Berufungsbehörde ist von nachstehenden Überlegungen ausgegangen:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht wegen Unzulässigkeit oder Verspätung zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Eine öffentliche, mündliche Verhandlung konnte unter Hinweis auf § 51 e Abs 2 VStG entfallen, nachdem im bekämpften Bescheid eine S 3.000,-- übersteigende Geldstrafe nicht verhängt worden ist und die Durchführung einer Verhandlung weder zur Beurteilung der gegenständlichen Verwaltungsübertretung erforderlich, noch vom Berufungswerber beantragt worden ist.
Nachstehender Sachverhalt wird anhand der unbestrittenen Aktenlage der Entscheidung zugrundelegt:
Im Strafakt der Erstbehörde befinden sich zwei Lichtbilder, angefertigt von einem Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Graz im Rahmen der fotografischen Verkehrsüberwachung. Der abgebildete Fußgängerübergang in Graz ermöglicht die Querung der Mandellstraße auf Höhe der Kreuzung mit der Haydngasse. Auf dem Lichtbild 1 ist ersichtlich, wie eine Fußgängerin von der Kaiser-Josef-Platz-Seite her den Zebrastreifen auf der ihr näherliegenden Fahrbahnhälfte zu benützen beginnt, während ein PKW mit dem Kennzeichen G-CBS 444 gerade auf der anderen Fahrbahnhälfte den Zebrastreifen überfährt. Das Lichtbild 2 zeigt die fortgesetzte Situation: Mittlerweile hat die Fußgängerin bereits etwa die Fahrbahnmitte erreicht; das schon näher bezeichnete Fahrzeug befindet sich zu diesem Zeitpunkt schon nach dem Zebrastreifen, der somit für die Fußgängerin ungehindert begehbar ist.
Diese Beweislage führte in der Folge zur Bestrafung der Berufungswerberin, die zum Aufnahmezeitpunkt, am 15.3.1996, um
12.23 Uhr, Lenkerin des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen G-CBS 444 war. Die belangte Behörde stützte ihren Strafbescheid auf die Aussagen des Meldungslegers, nach dessen Ansicht die Beschuldigte "eindeutig eine Verwaltungsübertretung nach § 9 Abs 2 StVO begangen hat, zumal sich die Fußgängerin bereits am Schutzweg befand und denselben auch betrat. Die Beschuldigte hätte ihr Fahrzeug leicht anhalten können und zwar vor dem Schutzweg. Außerdem ist sie sogar verpflichtet, das Fahrzeug anzuhalten, wenn Fußgänger bereits beabsichtigen, den Schutzweg zu betreten oder diese sich bereits auf einem solchen befinden."
Die rechtliche Beurteilung ergibt folgendes:
Der Berufungswerberin wurde die Übertretung der Bestimmung des § 9 Abs 2 StVO vorgehalten, die den Lenker eines Fahrzeuges, das kein Schienenfahrzeug ist, verpflichtet, einem Fußgänger, der sich auf einem Schutzweg befindet oder diesen erkennbar benützen will, das ungehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Zu diesem Zweck darf sich der Lenker eines Fahrzeuges einem Schutzweg nur mit einer solchen Geschwindigkeit nähern, daß er das Fahrzeug vor dem Schutzweg anhalten kann, und er hat - falls erforderlich - vor dem Schutzweg anzuhalten. Diese Bestimmung bezieht sich auf ungeregelte Schutzwege und soll den Fußgängern ein "Vorrecht" gegenüber den Fahrzeuglenkern einräumen.
Die zwei Lichtbilder im Akt, die in Verbindung mit der Zeugenaussage des Meldungslegers eine Übertretung des § 9 Abs 2 StVO beweisen sollen, veranschaulichen vielmehr, daß die von der Behörde angenommene Verwaltungsübertretung nicht vorliegt. Wie schon oben dargelegt, ist auf den Lichtbildern ersichtlich, daß eine Fußgängerin den gegenständlichen Zebrastreifen auf der in Blickrichtung der Berufungswerberin linken Fahrbahnseite betreten hat, während die Berufungswerberin mit ihrem Fahrzeug, die rechte Fahrbahnseite benützend, den Zebrastreifen passiert, ohne daß die Fußgängerin von diesem Fahrmanöver tangiert wird. Dieses Fahrverhalten ist nicht strafbar.
Die belangte Behörde hat den durch die 19. StVO-Novelle eingefügten Satzteil "oder diesen erkennbar benützen will" sinnwidrig interpretiert. Vor dem Hintergrund des Schutzzweckes der Norm - nämlich den Fußgängern das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen - kann die Vorschrift des § 9 Abs 2 StVO in der Zusammenschau nicht so ausgelegt werden, einen Fahrzeuglenker schon dann zu einem Anhalten vor dem Zebrastreifen zu verpflichten, wenn ein Fußgänger sich anschickt, auf der vom Fahrzeuglenker nicht benützten Fahrbahnseite den Zebrastreifen zu betreten. Eine gegenteilige Auffassung würde nicht nur unnötigerweise in den fließenden Verkehr eingreifen; vor allem bedürfen Fußgänger dieser Form des Schutzes nicht, nachdem ein unbehindertes und ungefährdetes Überqueren der Fahrbahn durch Fahrzeug-Lenker, die den Zebrastreifen auf der von den Fußgängern (noch) nicht benützten Fahrbahnseite befahren, nicht beeinträchtigt wird. Die Neuregelung kann demnach nur so verstanden werden, daß Fahrzeuglenker in Annäherung an einen Zebrastreifen Fußgängern, die auf der vom PKW-Lenker benützten Fahrbahnseite erkennbar den Zebrastreifen benützen wollen, ein unbehindertes und ungefährdetes Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen haben. Dies hat die Berufungswerberin erwiesenermaßen getan.
Es war daher das gegenständliche Strafverfahren unter Verweis auf die Bestimmung des § 45 Abs 1 Z 2 VStG dem Berufungsantrag folgend einzustellen und wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.