TE UVS Steiermark 1998/05/18 30.13-7/98

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Veröffentlicht am 18.05.1998
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erwin Ganglbauer über die Berufung des Herrn DI W Walther, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Gerhard R und Dr. Rudolf Z, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Graz, Gewerbeamt, vom 21.10.1997, GZ.: A 4 - St 883/1996/1012, wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird die Berufung abgewiesen.

Gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG hat der Berufungswerber als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens einen Betrag von S 400,-- zu entrichten. Die Geldstrafe sowie die Beiträge zu den Verfahrenskosten sind binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.

Der Spruch des Straferkenntnisses wird präzisiert und neu gefaßt:

Sie haben es laut Strafantrag des Arbeitsinspektorates Graz vom 27.11.1996 als verantwortlicher Beauftragter des Arbeitgebers der F. R BaugesmbH.

anläßlich einer am 25.09.1996, um ca. 12.15 Uhr, durch das Arbeitsinspektionsorgan auf der Baustelle G, F-straße 36, durchgeführten Kontrolle festgestellt worden ist (anläßlich einer Unfallerhebung), Gerüstbauteile verwendet wurden, nämlich sämtliche zwei-Meter-Pfosten, welche nicht durch eine fachkundige Person auf offensichtliche Mängel überprüft worden waren. Es wurde ein Gerüstbauteil, nämlich der zerbrochene Pfosten, der die Unfallursache dargestellt hat, trotz seiner offensichtlichen Mängel verwendet, obwohl Gerüstbauteile mit offensichtlichen Mängeln nicht verwendet werden dürfen. Die Offensichtlichkeit bestand im Unterlassen der Wippprobe in Verbindung mit einem langen Altriß und der nicht parallel zum Saum verlaufenden Holzfaserung."

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe es laut Strafantrag des Arbeitsinspektorates Graz vom 27.11.1996 als verantwortlicher Beauftragter des Arbeitgebers, der "F. R BaugesmbH." mit dem Sitz in G, zu verantworten, daß, wie anläßlich einer am 25.09.1996 um ca. 12.15 Uhr (Unfallerhebung) durch das Arbeitsinspektionsorgan auf der Baustelle G, F-straße 36 durchgeführten Kontrolle festgestellt worden sei, der zerbrochene Pfosten (die Unfallursache), welcher auf dem Baugerüst Verwendung gefunden habe, alte Risse und einen Ast

aufgewiesen habe, sowie weitere Pfosten auf der Gerüstlage angemorscht gewesen seien und alte Risse aufgewiesen haben, obwohl beim Aufstellen von Gerüsten alle zur Verwendung kommenden Gerüstbauteile durch eine fachkundige Person auf offensichtliche Mängel zu prüfen seien und Gerüstbauteile mit offensichtlichen Mängeln nicht verwendet werden dürfen. Er habe dadurch gegen § 60 Abs 2 Bauarbeiterschutzverordnung BGBl. Nr. 340/1994 und § 118 Abs 3, § 130 Abs 5 Z 1 Arbeitnehmerschutzgesetz BGBl. Nr. 450/1994 idgF und § 9 Abs 2 VStG 1991 verstoßen. Über ihn wurde eine Geldstrafe in Höhe von S 2.000,-- (12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. In der Berufung vom 24. November 1997 wurde ausgeführt, daß die Mängel der Pfosten keineswegs "offensichtlich" gewesen seien und daß es unzulässig sei, aus dem nachträglichen Wissen um die Mangelhaftigkeit des Pfostens auf die Offensichtlichkeit des Mangels zu schließen.

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark stellt aufgrund der am 14. April 1998 und 14. Mai 1998 durchgeführten mündlichen Verhandlung, bei welcher der Berufungswerber sowie die Zeugen Dr. Hans K (Arbeitsinspektorat Graz), Ing. Robert R (Bauleiter bei der Firma F. R BaugesmbH.), Ing. Walter G (Sicherheitsvertrauensperson für den Hochbau bei der F. R BaugesmbH), Karl K (Vorarbeiter der F. R BaugesmbH) und Stjepan S (ebenfalls Vorarbeiter der F. R BaugesmbH) gehört wurden, fest:

1.) Sachverhalt

Am 25. September 1996 ereignete sich auf der Baustelle F-straße 36 in Graz der F. R BaugesmbH. ein schwerer Arbeitsunfall, bei dem der Arbeitnehmer Stjepan S Wirbelbrüche erlitt und seither berufsunfähig ist. Der Unfall war passiert, als S einen Schritt auf einen ca. 60 cm tiefer stehenden Balken machte. Dieser Balken brach durch, als der Arbeiter lediglich mit einem Fuß auf dem Balken aufgetreten war.

Die Baustelle stand unter Leitung des Vorarbeiters Karl K, unter dessen Verantwortung unter anderem auch der Verunfallte den Gerüstaufbau in den Vortagen durchgeführt hatte. Am Tag des Unfalls war K nicht auf der Baustelle. S hatte den Auftrag, Brust- und Fußwehr sowie ein Staubnetz auf dem Gerüst anzubringen. Sowohl bei K als auch bei S handelte es sich um langjährige Mitarbeiter der F. R BaugesmbH., die ohne weiteres befähigt sind, ein Baugerüst eigenverantwortlich aufzustellen. Derartige Baugerüste werden nach Aufstellung von der Sicherheitsvertrauensperson Ing. Walter G überprüft und abgenommen.

Grundsätzlich werden Balken im Bauhof überprüft. Sie werden dort von einem Arbeiter in Augenschein genommen. Bei größeren Altrissen oder einem Faserverlauf der Maserung, der nicht parallel zum Saum des Pfostens ist, wird die Wippprobe gemacht:

Der Pfosten wird in der Mitte frei aufgelegt, ein Arbeiter steigt darauf, tritt dagegen und testet so die Stabilität des Pfostens. Auf der Baustelle wird die Verwendungsfähigkeit von Pfosten durch den Vorarbeiter bzw. unter seiner Anleitung ebenfalls durch die Wippprobe überprüft, jedoch trifft dies nur auf Pfosten von drei bzw. vier Meter Länge zu. Pfosten von zwei Meter Länge wurden bis zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Baustelle niemals überprüft. Eine etwaige optische Überprüfung der zwei-Meter-Pfosten erfolgte nur äußerst oberflächlich, d.h. daß nicht einmal jeder zwei-Meter-Pfosten vor dem Einbau auf dem Gerüst von beiden Seiten auf größere Altrisse untersucht wurde. Die unterschiedliche Vorgangsweise hinsichtlich der Überprüfung von drei- und vier-Meter-Pfosten und zwei-Meter-Pfosten andererseits fand bis zum Zeitpunkt des Unfalls ihre Begründung darin, daß die Vorarbeiter der Firma F. R BaugesmbH. davon ausgingen, daß bei den kürzeren Pfosten aufgrund der geringen Spannweite eine geringere Holzspannung gegeben ist. Bei zwei-Meter-Pfosten wurde es als Tatsache betrachtet, daß diese die Belastung durch eine Person ohne weiteres aushalten. Der durchbrochene Pfosten hatte bereits vor dem Unfall einen längeren Altriß. Eine Weisung zur Überprüfung von zwei-Meter-Pfosten wurde den Vorarbeitern innerhalb der Unternehmenshierarchie von niemandem erteilt.

2.) Beweiswürdigung

Der vorstehende Sachverhalt geht aus den glaubwürdigen Angaben des Berufungswerbers sowie der Zeugen hervor. Der Berufungswerber selbst behauptet nicht in irgendeiner Form überprüft zu haben, ob sämtliche Pfosten auf der Baustelle auf offenkundige Mängel untersucht worden sind. Er behauptet auch nicht, eine derartige Weisung erteilt zu haben. Daß im Bauhof Pfosten, die wegen Altrissen oder Faserung verdächtig waren, mittels Wippprobe überprüft wurden, geht aus der glaubwürdigen Aussage der Sicherheitsvertrauensperson Ing. Walter G hervor. Daß auf der Baustelle vor Ort die drei- und vier-Meter-Pfosten lückenlos der Wipprobe unterzogen wurden, die zwei-Meter-Pfosten im Vertrauen auf deren grundsätzliche Sicherheit der Wippprobe jedoch niemals unterzogen wurden, geht aus den übereinstimmenden Aussagen der beiden Vorarbeiter, Karl K und Stjepan S, hervor. Daß bei den zwei-Meter-Pfosten in Wirklichkeit auch keine optische Kontrolle, die den Namen "Kontrolle" verdient hätte, durchgeführt wurde, geht aus der Aussage des Zeugen Karl K zweifelsfrei hervor.

3.) Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 60 Abs 2 BauV sind beim Aufstellen von Gerüsten alle zur Verwendung kommenden Gerüstbauteile durch eine

fachkundige Person auf offensichtliche Mängel zu prüfen. Gerüstbauteile mit offensichtlichen Mängeln dürfen nicht verwendet werden.

Aus dieser Bestimmung geht zweifelsfrei hervor, daß nicht bloß etwa "die meisten" oder "die mit dem größten Risiko" behafteten Gerüstbauteile, sondern schlechthin "alle" durch eine fachkundige Person auf offensichtliche Mängel zu prüfen sind. Die Überprüfung hat "beim Aufstellen von Gerüsten", d.h. also auf der Baustelle zu erfolgen. Vorprüfungen auf einem Bauhof erhöhen zwar die Sicherheit, sind jedoch kein Ersatz für die vom Gesetz geforderte Überprüfung auf der Baustelle. Tatsache ist jedoch, daß die zwei-Meter-Pfosten auf der Baustelle überhaupt nicht überprüft wurden. Die Tat ist somit in objektiver Hinsicht verwirklicht worden. Am Tatbild ändert sich auch dadurch nichts, daß dem Berufungswerber beizupflichten ist, daß das Risiko des Durchbrechens von Pfosten aufgrund der Spannung umso größer ist, je länger der entsprechende Pfosten ist. Aus der übereinstimmenden Aussage der Zeugen, Ing. Walter G und Karl K, ist jedoch zweifelsfrei zu schließen, daß nicht allein die Länge, sondern auch die Faserung des Holzes bei der Belastbarkeit eines Pfostens eine bedeutende Rolle spielen. Es mußte sämtliche mit der Aufstellung von Gerüsten verantwortlich befaßte Personen daher klar sein, daß die Eignung eines Pfostens nicht nur schematisch aufgrund der Länge bzw. Kürze beurteilt werden kann.

Was nun die Offensichtlichkeit der Mängel betrifft, so liegen offensichtliche Mängel dann vor, wenn sie bei einer branchenüblichen geeigneten und zumutbaren Überprüfung zutage treten. Eine solche geeignete Überprüfung stellt die im Unternehmen praktizierte sogenannte Wippprobe dar. Auf ein Freisein von offensichtlichen Mängeln kann sich jedoch niemand berufen, der diese Probe an bestimmten Gerüstteilen von vornherein nicht durchgeführt hat.

Bei dieser Sach- und Rechtslage war es nicht notwendig zu entscheiden, ob nicht bereits der vorhandene Altriß zumindest im durchgebrochenen Pfosten Anlaß hätte sein müssen, diesen Pfosten vom Gerüstbau auszuscheiden, wie dies die Ansicht der Sicherheitsvertrauensperson, Ing. Walter G, war. Der Bauleiter, Ing. Robert R, war der Meinung, daß der Altriß zumindest zur Durchführung der Wippprobe Anlaß hätte sein müssen. Beiden Herren kann man aufgrund ihrer Funktion eine diesbezügliche Sachkenntnis wohl nicht absprechen. Der gegenteiligen Auffassung der beiden Vorarbeiter Karl K und Stjepan S ist in dieser Hinsicht nicht unbedingt zu folgen, da sie im Vertrauen auf die bisherigen langjährigen beruflichen Erfahrungen die Problematik der Überprüfungswürdigkeit von zwei-Meter-Pfosten gar nicht richtig gesehen haben.

4.) Strafbemessung

§ 19 Abs 1 VStG enthält jene objektiven Kriterien, die Grundlage für jede Strafbemessung sind. Demnach ist bei der Wertung der Tat innerhalb der Grenzen des gesetzten Strafrahmens insbesondere davon auszugehen, in welchem Ausmaß diejenigen Interessen gefährdet worden sind, deren Schutz die Strafdrohung dient. Der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat, ist ebenso bei der Strafbemessung zu berücksichtigen.

Zweck der verletzten Bestimmung ist es, für eine größtmögliche Sicherheit der Gerüste zu sorgen. Das Gefahrenpotential schadhafter Gerüstbauteile ist gerade im vorliegenden Fall zutage getreten, bei welchem die Schadhaftigkeit zu lebenslanger Berufsunfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers geführt hat. Der Verstoß gegen den Schutzzweck der Norm ist daher als bedeutend anzusehen.

Neben den objektiven Kriterien des Unrechtsgehaltes der Tat kommt im ordentlichen Verfahren als Strafbemessungsgrundlage die Prüfung der subjektiven Kriterien des Schuldgehaltes der Tat, somit auch die in der Person des Beschuldigten gelegenen Umstände, hinzu. Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) daher die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Bei der Strafbemessung war als mildernd die bisheriges verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit, als erschwerend ist nichts zu werten. Dem Berufungswerber ist zumindest leichte Fahrlässigkeit zu Last zu legen, da im Betrieb zwar durchaus ein System eingerichtet ist, das sicherstellt, daß der Großteil der zur Verwendung kommenden Gerüstbauteile auf offensichtliche Mängel überprüft wird, das System jedoch deutliche Lücken hinsichtlich der Erfassung "aller" zur Verwendung kommender Gerüstbauteile aufweist.

Bei der Strafbemessung ist weiters ein monatliches Einkommen von S 40.000,-- Geschäftsführerbezug, ein Einfamilienhaus im Werte von S 5 Mio., keine Schulden sowie Sorgepflichten für ein Kind und die Gattin zu berücksichtigen.

Gemäß § 130 Abs 1 ASchG ist die Geldstrafe in einem Bereich von S 2.000,-- bis S 100.000,-- auszumessen. Schon aufgrund der Schwere des Verstoßes gegen den Schutzzweck der Norm sowie aufgrund der guten persönlichen Verhältnisse ist es trotz der bloß leichten Fahrlässigkeit geboten, zumindest die Mindestgeldstrafe zu verhängen. Dies auch dann, wenn der Berufungswerber nunmehr Weisung gegeben hat, sämtliche im Gerüstbau verwendete Pfosten der Wippprobe zu unterziehen und spezialpräventive Erwägungen in Zukunft dadurch in den Hintergrund treten. Die Anwendung der §§ 20 oder 21 VStG ist schon im Hinblick auf die Folgen des Verstoßes nicht gerechtfertigt.

Schlagworte
Gerüstbauteile Mängel Prüfung Wippprobe aufstellen
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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