TE UVS Steiermark 1998/05/29 30.14-106/97

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.05.1998
beobachten
merken
Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Monika Gasser-Steiner über die Berufung des Herrn Friedrich St, geb. am 14.10.1961, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans E, F-gasse 1, J, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Judenburg vom 12.06.1997, GZ.: 15.1 1996/4922, wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

Text

I.) Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe am 18.09.1996 um 06.45 Uhr das Fahrzeug mit dem Kennzeichen JU-2HYG (LKW) auf der L 514a, auf Höhe StrKm 0,100, Gemeindegebiet Oberzeiring, Bezirk Judenburg, in Fahrtrichtung Möderbrugg gelenkt und dabei die Fahrgeschwindigkeit nicht den gegebenen Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sichtverhältnissen angepaßt, wodurch der Berufungswerber die Herrschaft über sein Fahrzeug verloren und einen Verkehrsunfall verursacht habe.

Wegen Übertretung der Rechtsvorschrift des § 20 Abs 1 StVO verhängte die belangte Behörde über den Berufungswerber gemäß § 99 Abs 3 lit.a StVO eine Geldstrafe von S 3.000,--, im Uneinbringlichkeitsfalle 4 Tage Ersatzfreiheitsstrafe. Dagegen erhob der Berufungswerber rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung, in der er an sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren anknüpfte: Die belangte Behörde habe gegen die gesetzliche Bestimmung des § 99 Abs 6 lit.c StVO verstoßen. Bei dem gegenständlichen Verkehrsunfall seien auch Personen verletzt worden, weshalb gegen den Zweitbeteiligten Sergios B beim Bezirksgericht 8750 Judenburg ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 88 Abs 1 StGB geführt worden sei. Gegen den Berufungswerber sei ebenfalls Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet worden. Der zuständige Bezirksanwalt Josef F habe aber gemäß § 90 Abs 1 StPO die Einstellung des Strafverfahrens verfügt. Die belangte Behörde habe es unterlassen, nachzuprüfen, welche Umstände den Bezirksanwalt veranlaßt haben, die gegen den Berufungswerber erhobene Strafanzeige zurückzulegen. Bei näherer Erhebung der Hintergründe wäre die belangte Behörde zum Ergebnis gelangt, daß die Anklagebehörde von einer Bestrafung des Berufungswerbers deshalb Abstand genommen habe, weil sie der Meinung gewesen sei, daß seinerseits ein Verschulden nicht vorliege. Zum Beweise seines Vorbringens stellte der Berufungswerber den Antrag, die Akte 3 U 303/96 des BG Judenburg, bzw. 72 BAZ 1227/96 des Bezirksanwaltes Josef F beim Bezirksgericht Judenburg beizuschaffen, sowie eine Anfrage an den Bezirksanwalt Josef F zu richten, um seine Überlegungen zur Einstellung des Strafverfahrens in Erfahrung zu bringen.

Abschließend beantragte der Berufungswerber, seiner Berufung gegen das angefochtene Straferkenntnis Folge zu geben und das Strafverfahren einzustellen.

II.) Dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsstrafaktes der Bezirkshauptmannschaft Judenburg sind nachstehende Umstände und Verfahrensschritte zu entnehmen:

Am 18. September 1996 um ca. 06.45 Uhr ereignete sich auf der Landesstraße 514a, bei StrKm 0,100 im Gemeindegebiet 8762 Oberzeiring ein Verkehrsunfall mit Personenschaden, an dem der Berufungswerber als Lenker des PKW mit dem Kennzeichen JU- 2HYG sowie Herr B Sergios als Lenker des PKW mit dem Kennzeichen LI-9MJD beteiligt waren. Die Fahrzeuge begegneten sich in einer unübersichtlichen Linkskurve; Sergios B bremste seinen PKW stark ab, worauf sich das Heck seines Fahrzeuges quer stellte. Der Berufungswerber konnte seinen LKW nicht mehr rechtzeitig anhalten und stieß mit der linken Vorderecke gegen die linke Heckseite des von B gelenkten Fahrzeuges. Sowohl der Zweitbeteiligte B als auch der Beifahrer des Berufungswerbers, Drago I, erlitten bei dem Zusammenstoß der Fahrzeuge Verletzungen am Körper. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden.

Gegen beide Unfallslenker wurde vom Gendarmerieposten Oberzeiring am 02.10.1996 unter GZ.: P 654/96 Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung bei der Staatsanwaltschaft Leoben erstattet. Seitens der Bezirkshauptmannschaft Judenburg wurde die Verkehrsunfallsanzeige bis zum Einlangen der Mitteilung des öffentlichen Anklägers gemäß Art. IV des Verkehrsrechtsanpassungsgesetzes über den Ausgang des gerichtlichen Verfahrens laut Aktenvermerk vom 14. Oktober 1996 zurückgelegt. Am 12. März 1997 langte die bezughabende Mitteilung der Staatsanwaltschaft Leoben ein, aus der hervorgeht, daß die gegen Friedrich St wegen § 88 Abs 1 StGB erstattete Anzeige gemäß § 90 Abs 1 StPO vom Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Judenburg zurückgelegt wurde. Unmittelbar darauf erließ die Bezirkshauptmannschaft Judenburg die Strafverfügung vom 17.03.1997, in der sie dem Berufungswerber den im späteren Straferkenntnis wiederholten Tatvorwurf vorhielt.

In seinem Einspruch rechtfertigte sich der Berufungswerber im wesentlichen damit, am gegenständlichen Verkehrsunfall treffe ihn kein Verschulden, weil er bei der Begegnung auf der schmalen Landesstraße eine mäßige Geschwindigkeit eingehalten habe, die dem Gebot des Fahrens auf halbe Sicht entsprochen habe. Unter Verweis auf das gegen ihn eingestellte Strafverfahren ersuchte er um die Anwendung der Bestimmung des § 99 Abs 6 lit.c StVO. Im ergänzenden Schriftsatz vom 18.04.1997 gab der Berufungswerber der Behörde bekannt, daß der Zweitbeteiligte, Sergios B, von der Haftpflichtversicherung seines Arbeitgebers Nikolaus St unter anderem ein Schmerzensgeld von S 30.000,-- eingefordert habe, welches ihm im Rahmen der Haftungsteilung nach dem EKHG auch bezahlt worden sei. Hingegen habe sein Arbeitgeber 100 % seiner Ansprüche bei der Haftpflichtversicherung des Zweitbeteiligten geltend gemacht und diese auch bezahlt erhalten. Ein allfälliges Fehlverhalten des Berufungswerbers wäre ausschließlich vom Bezirksgericht Judenburg zu beurteilen gewesen. Die Einstellung des Strafverfahrens begründe noch keineswegs einen Wegfall der Strafkompetenz des Bezirksgerichtes.

Im nunmehr bekämpften Straferkenntnis begründet die belangte Behörde die Bestrafung des Berufungswerbers wegen der Übertretung des § 20 Abs 1 StVO im wesentlichen damit, bei der Übertretung handle es sich um ein sogenanntes Ungehorsamsdelikt, bei dem gemäß § 5 Abs 1 VStG die Behörde dem Beschuldigten das Verschulden nicht nachweisen müsse. Der Beschuldigte habe glaubhaft zu machen, daß ihn kein Verschulden treffe. Die Haftpflichtversicherung des Arbeitgebers des Beschuldigten habe gegen die beim BG Judenburg, Aktenzahl 2 C 4152/96g vom Unfallsgegner geltend gemachten Forderung keinen Einspruch erhoben. Da man davon ausgehen müsse, daß von der Haftpflichtversicherung nur Forderungen anerkannt werden, wenn ein Verschulden vorliegt, stehe für die Behörde fest, daß der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung begangen habe. Die Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft Judenburg für die Verfolgung der Verwaltungsübertretung sei darin gelegen, daß mit der Zurücklegung der Anzeige gemäß § 90 Abs 1 StPO durch den Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Judenburg klargelegt worden sei, daß die Übertretung nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung verwirkliche.

III.) Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes 8750 Judenburg zu Aktenzeichen 3 U 303/96 wurde der Zweitbeteiligte Sergios B für schuldig erkannt, am 18.09.1996 gegen 06.45 Uhr an der schon näher beschriebenen Unfallsörtlichkeit durch Außerachtlassung der im Straßenverkehr gebotenen Aufmerksamkeit als Lenker des PKWs mit dem amtlichen Kennzeichen LI-9MJD durch Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit - wodurch er bei der Begegnung mit dem LKW des Friedrich St in einer unübersichtlichen Rechtskurve sein Fahrzeug so stark abbremste, daß sich dieses querstellte und der LKW des Friedrich St gegen das Heck des PKWs stieß, wobei der im LKW mitfahrende Drago I leicht im Sinne des Gesetzes verletzt wurde - diesen fahrlässig am Körper verletzt zu haben. Mit dem Schreiben der Berufungsbehörde vom 15. Mai 1998 wurde der Bezirksanwalt Josef F ersucht, dem Senat mitzuteilen, welche Gründe zur Zurücklegung der gegenständlichen Strafanzeige gegen Herrn Friedrich St geführt haben. Das Anwortschreiben der Staatsanwaltschaft Leoben hat folgenden Inhalt: Zu dortiger GZ.: UVS 30.14-106/97 ergeht die Mitteilung, daß das Verfahren gegen Friedrich St deshalb gemäß § 90 Abs 1 StPO zurückgelegt wurde, da aus dem Akteninhalt kein strafrechtliches Verschulden des St abgeleitet werden kann. Der entgegenkommende PKW-Lenker B bremste sein Fahrzeug ab, kam ins Schleudern und stieß gegen den vorschriftsmäßig auf seiner Fahrbahn fahrenden LKW des St. B wurde vom Ba Judenburg mit Urteil vom 12.06.1997 rechtskräftig verurteilt.

IV.) Der Unabhängige Verwaltungssenat ist bei seiner Entscheidung von folgenden rechtlichen Überlegungen ausgegangen:

Gemäß § 99 Abs 6 lit.c StVO liegt eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn eine Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde - gestützt auf die Mitteilung der Staatsanwaltschaft von der Zurücklegung der Anzeige gemäß § 90 Abs 1 StPO - ein Verwaltungsstrafverfahren gegen den Berufungswerber geführt, in dem sie die Zurücklegungsmitteilung dahingehend interpretiert hat, daß kein Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung im Sinne des § 99 Abs 6 lit.c StVO vorliegt.

Dieser Rechtsansicht kann aus nachstehenden Gründen nicht gefolgt werden:

Die Zurücklegung der Strafanzeige durch den öffentlichen Ankläger gemäß § 90 StPO kann aus unterschiedlichen Gründen erfolgen, weshalb eine Zurücklegung durch die Staatsanwaltschaft nicht gleichzusetzen ist mit der Feststellung, daß die Tat keine den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht hat. Diese Frage hat die Behörde aus eigenem zu beurteilen. Unter Einbezug des Verfassungsgerichtshoferkenntnisses vom 05.12.1996, G 9/96ff, hat die Behörde insbesondere der Frage nachzugehen, ob die Einstellung auch den Verdacht einer etwaigen Übertretung der StVO (hier § 20 Abs 1) umschließt. Bejahendenfalls ist die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde zur eigenständigen Verfolgung der von ihr zu ahndenden Verwaltungsübertretung nicht mehr gegeben. Im vorliegenden Fall wurden beide Unfallsbeteiligte wegen des Verdachtes der Übertretung gemäß § 88 Abs 1 StGB der Staatsanwaltschaft Leoben zur Anzeige gebracht, weil sie am Unfallsort nicht die den Straßenverhältnissen entsprechende Geschwindigkeit - Fahren auf halbe Sicht - eingehalten und damit die schon Genannten fahrlässig am Körper verletzt hätten. Andere Beweggründe für die Strafanzeige sind der Aktenlage nicht zu entnehmen. Die unfallskausale Außerachtlassung der Vorschrift des § 20 Abs 1 StVO durch den Berufungswerber und den Zweitbeteiligten bildete unter anderem ein wesentliches Sachverhaltselement des Tatbestandes einer gerichtlichen strafbaren Handlung nach § 88 Abs 1 StGB. Im Falle des Zweitbeteiligten B stellte die Staatsanwaltschaft den Strafantrag, der in der Folge zu einer rechtskräftigen Verurteilung durch das Bezirksgericht Judenburg führte. Die Strafanzeige gegen den Berufungswerber legte der öffentliche Ankläger gemäß § 90 Abs 1 StPO deshalb zurück, weil er aus den ihm vorgelegten Akten kein strafrechtliches Verschulden des Herrn St ableiten konnte, zumal dieser vorschriftsmäßig auf seiner Fahrbahn gefahren sei. Dieser Einstellungsgrund kann - und hier wird auf die Feststellungen verwiesen - nur so verstanden werden, daß sich der Bezirksanwalt mit der Verschuldensfrage (überhöhte Geschwindigkeit) auseinandergesetzt und sie im Falle des Berufungswerbers verneint hat. Eine neuerliche Beurteilung ein und desselben Aspektes der Handlung als selbständige Übertretung nach der StVO durch die Verwaltungsbehörde - sie hat im Gegensatz zum Gerichtsorgan eine (schuldhafte) Übertretung des § 20 Abs 1 StVO angenommen - widerspricht dem Doppelbestrafungsverbot des Art. 4 Abs 1 des 7. Zusatzprotokolles zur EMRK und ist daher nicht mehr zulässig. Die zitierte Verfassungsnorm soll gerade garantieren, daß eine freigesprochene Person nicht auf Grundlage eines geringfügig anders zugeschnittenen zweiten Strafbestandes wegen derselben Fakten ein weiteres Mal verfolgt wird.

Schon aus diesem Grunde war dem Berufungsantrag zu folgen. Auf die weiteren Ausführungen - sowohl im Rechtsmittel als auch in der Begründung des Strafbescheides - war vor diesem Entscheidungshintergrund nicht mehr näher einzugehen und spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Strafverfahren Strafanzeige Zurücklegung Verwaltungsübertretung Geschwindigkeitsüberschreitung Doppelbestrafung
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten