TE UVS Steiermark 1998/08/03 30.13-45/98

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Veröffentlicht am 03.08.1998
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erwin Ganglbauer über die Berufung der Frau Irmgard K, geb. am 15.09.1929, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Josef F, in G, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Graz, Baurechtsamt, Europaplatz 20, 8020 Graz vom 17.03.1998, GZ.: A 17-St-72/1996-4, folgt entschieden:

Der Berufung wird gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Berufungswerberin zur Last gelegt, sie habe veranlaßt, daß vom 20.11.1995 bis 23.11.1995 in Graz, KG Wetzelsdorf, sechs an der nördlichen Grundgrenze des Grundstückes Nr. 404/3, stockende Birken in jenem Bereich gekappt wurden, der über die Grundgrenze ragte, dabei habe sie von zwei Birken neben der Kappung des Leittriebes auch alle Seitenäste entfernen lassen, sodaß nur mehr der Stamm verblieben sei, was einem Totalschaden bzw. Vernichtung der Bäume gleichkomme, ohne hiefür im Besitz einer behördlichen Bewilligung gewesen zu sein.

Sie habe dadurch gegen § 6 Pkt 3 i.V.m. § 3 Abs 3 lit a des Steiermärkischen Baumschutzgesetzes 1989 idgF und § 1 der Grazer Baumschutzverordnung 1995 und § 7 VStG 1991 idgF verstoßen. Über sie wurde wegen der Verwaltungsübertretung eine Geldstrafe in Höhe von S 3.000,-- (3 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. In der Berufung vom 30. April 1998 wurde vorgebracht, die Berufungswerberin habe lediglich ihr Nachbarrecht gemäß § 422 ABGB ausgeübt. Bei der Ausführung desselben habe sie weder eine Zerstörung noch eine Vernichtung der Bäume herbeigeführt. Im erstinstanzlichen Verfahren wurde von dem Berufungswerber ein Gutachten von Herrn Ing. Hermann Kern als Sachverständigen für Garten- und Landschaftsarchitektur vom 18.01.1996 vorgelegt. Diesem Sachverständigen wurde mit 09.06.1998 ein Auftrag zur Durchführung eines ergänzenden Gutachtens durch den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark erteilt, dem der Sachverständige mit Erstellung von Befund und Gutachten vom 30.07.1998 nachkam.

Der Befund lautet auszugsweise:

Die Bäume, es handelt sich um eine Reihe von sechs Birken, welche untereinander einen unterschiedlichen Abstand haben und so knapp an der Grenze gepflanzt wurden, daß die Stämme bereits jetzt bis zum Zaun reichen. Diese Birken sind 20 bis 25 Jahre alt, 10 bis 18 Meter hoch und wachsen auf dem Grundstück von Frau S (Nachbarin). Infolge der Schräge der Stämme reichen alle Bäume mehr oder weniger stark über die Grenze in das Grundstück von Frau Irmingard K hinein. Die halben Äste von vier Birken (Nr. 3 und 5) wuchsen über die Grenze.

Im Auftrag von Frau K wurde am 25.11.1995 der Überhang durch Abschneiden entfernt, auch die Stämme wurden gekappt (gekürzt). Am 05.09.1996 wurden die verbleibenden Aststummeln von der Baumschule "L" fachgerecht nachgeschnitten und die Wunden mit Künstlicher Rinde

Das Gutachten des Sachverständigen lautet:

Wie zu erwarten war, begann ein kräftiger verstärkter Austrieb, besonders an Stellen, wo Äste entfernt wurden. Die arg zugerichteten Bäume sind in voller Kraft ihrer Wüchsigkeit und Birken vertragen eher solche Mißhandlungen. Ganz sicher gehen diese Bäume nicht ein, sie sind also weder zerstört noch vernichtet. Die Bäume 1,2,4 und 6 werden nach 7 bis 10 Jahren sich soweit ausgewachsen haben, daß von diesem "Kappschnitt" kaum etwas zu bemerken sein wird, sie werden dann wieder ein charakteristisches Aussehen erhalten. Möglicherweise kann zur Erreichung dieses Zieles in einigen Jahres ein Ausschneiden, also eine Entfernung einiger dicht stehender Äste erforderlich sein. Der Baum Nr. 3, dessen Stamm in Höhe von 3,5 m über dem Boden abgeschnitten wurde, bildet schon jetzt einen "Ersatzgipfeltrieb" aus. Er war schon vorher kleiner als die anderen Bäume, trotzdem wird aus ihm ein normaler Birkenbaum entstehen können, was wahrscheinlich aber 10 bis 15 Jahre dauern kann. Auch hier muß ein Kronenerziehungsschnitt erfolgen, wenn ein arttypischer Baum entstehen soll.

Der Baum Nr. 5 wird auch nicht eingehen, er zeigt einen kräftigen Neuaustrieb, als Ausgleich der entfernten Äste. Aus diesem Baum wird erst in etwa 10 bis 15 Jahren eine "lockere, typische Birke" entstehen. Auf jeden Fall ist die befindliche Krone durch ein fachgerechtes Ausschneiden zu dicht wachsender Äste zu formieren. Starke Beschädigungen wurden den Bäumen beim Abschneiden von größeren Ästen und der Gipfeltriebe (Stämme) zugefügt. Wo Wunden über 8 bis 10 cm Durchmesser dabei entstanden sind, werden diese nicht mehr ganz verheilen. Bei jedem Baum entstanden so 1 bis 4 Wunden zwischen 8 bis 15 cm Durchmesser. In diese Wunden gelangen Fäulepilze, der Anstrich mit "Künstlicher Rinde" verzögert nur den Befall um einige Jahre. Ein Nachanstrich bringt nichts. So kann durch die Tätigkeit der Pilze die Festigkeit des Stammes vermindert werden. Im Extremfall kann der Stamm an dieser Stelle abbrechen. Bei Birken kann diese Fall ab 10 Jahren eintreten. Der Sachverständige nimmt an, daß im gegenständlichen Fall die Gefahr gering, aber vorhanden ist. Als Prognose könnte ein Stammbruch (in der restlichen Lebenserwartung) für alle sechs Bäume zusammen geschätzt werden".

Zusammenfassung des Gutachtens:

Bei allen Bäumen wurde der Gipfeltrieb so stark abgeschnitten, daß Wunden von 8 bis 15 cm Durchmesser entstanden sind. Bei vier Bäumen wurden zusätzlich etwa die halben Äste (Überhang) entfernt, bei zwei Bäumen wurden beinahe alle vorhandenen Äste entfernt. Birken sind austriebsfähig, es zeigte sich ein verstärkter Austrieb, besonders im Bereich der Schnitte. Es entstand also keine Zerstörung oder Vernichtung. Aber auf eine gewisse Zeit wurde dabei das charakteristische Aussehen schwerst beeinträchtigt (Krüppelschnitt), auch die dabei entstandenen Schnittwunden sind für den Baum nicht gut. Vermindert wurde dieser Schaden durch eine fachgerechte Behandlung neun Monate nach dem ersten Schnitt. Es kann zum Erreichen einer charakteristischen Birkenkrone nach einigen Jahren ein Kronenerziehungsschnitt erforderlich sein."

Das Stadtgartenamt Graz, welches vom Baurechtsamt mit einer Stellungnahme zum vorstehenden Gutachten beauftragt wurde, wies in seiner Äußerung vom 17.07.1998 darauf hin, daß laut Gutachten größere Wunden nicht mehr ganz verheilen werden und die eindringenden Fäulpilze die Festigkeit des Stammes verringern, sodaß die Gefahr des Abbrechens an den angegriffenen Stellen besteht. Weiters wurde darauf hingewiesen, daß durch Entfernung des Leittriebes bzw. von Starkästen gleichzeitig das natürliche Erscheinungsbild und der vor der Schnittmaßnahme vorhandene gute Gesundeszustand zerstört wurde. Die Birkenreihe sei durch die unsachgemäßen Schnittmaßnahmen zu einem in der Lebenserwartung eingeschränkten Pflegefall geworden.

Das Stadtgartenamt führt weiter aus:

Nur der Vollständigkeit halber sei festgehalten, daß lediglich aus dem Umstand, daß sich noch Leben in den Bäumen befindet und diese daher Nottriebe bilden, nicht darauf geschlossen werden kann, daß diese nicht zerstört wurden. Zum besseren Verständnis seien in der Folge auf die Vorgänge bei der Kappung für den Baum beschrieben. Der natürlich wachsende Baum (auch in der Stadt) hat sich in die in seiner Umwelt vorhandenen Gegebenheiten (Standorteinschränkung, Wind, Gebäude, andere Bäume etc.) angepaßt und

dementsprechend diese Bedingung eine, wie aus Untersuchungen von C. Mattheck bekannt ist, wuchsoptimierte Wurzel und Kronenform gebildet. Bei einer Kappung werden vom fachunkundigen Personal wesentliche Teile der Krone und des Stammes ohne Rücksicht auf die Baumart, Symmetrie, Statik bzw. Dynamik des Baumes abgetrennt. Dies hat Auswirkungen unterschiedlicher Art auf den Baum.

Bruchsicherheit: Durch einseitige Entnahme von Kronenteilen entsteht ein Ungleichgewicht über dem Stamm. Gleichzeitig kann dadurch besonders bei Schnittmaßnahmen an der Grenze eine größere, flache Anprallfläche für den Wind geschaffen werden (Segel), welcher bei natürlich gewachsenen Bäumen durch die im Grundriß runde Kronenform abgeleitet wird.

Standsicherheit: In Folge der Unterversorgung der Wurzeln kommt es nach 2 - 3 Jahren zum Absterben von Starkwurzelbereichen. Da die Wurzeln jedoch für die Verankerung des Baumes im Boden verantwortlich sind, wird dadurch die Standsicherheit wesentlich eingeschränkt.

Kronenentwicklung: An den Schnittstellen entstehen zahlreiche Ausschläge aus den schlafenden Knospen. Diese Ausschläge weisen ein besonders intensives Wachstum auf, da unmittelbar nach der Kappung ein grobes Mißverhältnis zwischen Kronenvolumen und Wurzelmasse besteht. Diese Ausschläge rund um die Schnittstellen bedrängen sich durch ihr jährliches Dickenwachstum und das daraus resultierende voneinander Wegpressen nach einigen Jahren gegenseitig. Die Folge ist das Ausbrechen der Äste. Ein Teil der Ausschläge stirbt ca. im dritten Jahr nach der Kappung infolge von Unterversorgung wieder ab.

Wundreaktion: Kleinere Schnittstellen bis ca. 3 cm überwallen in den nächsten beiden Jahren, im Holzkörper entstehen nur geringe Verfärbungen. Bei größeren Schnittstellen ist die Chance einer kompletten Überwallung und damit einer Abschottung nur sehr gering. Der Holzkörper wird von Pilzen besiedelt, welche im Zuge von Fäuleprozessen denselben abbauen. Durch eine Verringerung der Restwandstärke von Starkästen oder Stammteilen erhöht sich die Bruchgefahr wesentlich. Dieser Umstand wurde in Feldversuchen nachgewiesen und die Ergebnisse in einem Diagramm dokumentiert". Unbestritten ist und wird von der Berufungswerberin auch zugegeben, daß die Schnittmaßnahmen durch die Malerfirma M erfolgt sind und völlig unsachgemäß vorgenommen wurden.

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark stellt hiezu fest:

§ 3 Abs 3 und 4 Stmk. BaumschutzGes. 1989 idgF lauten:

Abs 3: In einem gemäß § 2 Abs 1 geschützten Gebiet ist es verboten

a) unter Schutz gestellte Bäume durch chemische, mechanische oder andere Einwirkungen zu beschädigen, im Wuchs zu hemmen oder zum Absterben zu bringen; b) unter Schutz gestellte Bäume so zu schneiden (stutzen), daß sie in ihrem Bestand oder weiteren Wachstum gefährdet oder in ihrem charakteristischen Aussehen wesentlich verändert werden (z.B. Krüppelschnitt).

Abs 4: Nicht verboten ist das Schneiden (Stutzen) von unter Schutz gestellten Bäumen, das ohne Gefährdung des Bestandes, ledilich der Verschönerung, Veredelung, Auslichtung und der Pflege dient oder aus zwingenden öffentlichen Interessen bzw. aufgrund anderer gesetzlichen Vorschriften notwendig ist. Die Befugnisse der Nachbarn gemäß § 422 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) bleiben insofern unberührt, als dies nicht zu einer Zerstörung oder Vernichtung unter Schutz gestellte Bäume führt.

§ 422 ABGB lautet:

Jeder Grundeigentümer kann die Wurzeln eines fremden Baumes aus seinem Boden reißen und die über seinem Luftraum hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen".

Festzuhalten ist, daß auf den im Akt befindlichen Fotos eindeutig hervorgeht, daß die Berufungswerberin nur die Äste und Leittriebe (Stämme) abschneiden hat lassen, die sich in ihrem Luftraum befunden haben. Sie hat sich bei den von ihnen veranlaßten Maßnahmen somit innerhalb des Rahmens von § 422 ABGB bewegt. Aus dem klaren Wortlaut dieses Paragraphen sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung ergibt sich eindeutig, daß die Inanspruchnahme dieses Nachbarschaftsrechts ohne Rücksicht auf das Leben und die Gesundheit des betroffenen Baumes ausgeübt werden darf.

§ 3 Abs 4 Stmk. BaumschutzGes. schränkt dieses umfassende Recht insoweit ein, daß (immerhin, aber nicht mehr) "Zerstörung und Vernichtung" unter Schutz gestellter Bäume verboten ist. Sehrwohl dürfen z.B. vom Nachbarn Maßnahmen ergriffen werden, die die unter Schutz gestellten Bäume im Wuchs hemmen oder die Bäume in ihrem charakteristischen Aussehen wesentlich verändern. Was zu der einigermaßen paradoxen Situation führt, daß ein Grundeigentümer über das Leben der auf seinem Grund stockenden Bäume durch das Stmk. BaumschutzGes. weniger Verfügungsgewalt zugeschrieben erhalten hat als sein Grundnachbar.

Daß im gegenständlichen Fall die verfahrensgegenständlichen Birken arg verstümmelt und malträtiert wurden und ihnen ein geradezu klassischer "Krüppelschnitt" verpaßt wurde, ist erwiesen. Fraglich ist, ob die durchgeführten Maßnahmen zu einer "Zerstörung" der Bäume geführt haben. "Zerstörung" liegt nicht bloß dann vor, wenn der Baum zeitnahe zu den durchgeführten Maßnahmen stirbt, sondern auch dann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein umkehrbarer Prozeß in Gang gesetzt wurde, der zu einer deutlichen Verringerung der Lebensdauer des Baumes führt.

Sowohl aus dem Gutachten des Sachverständigen Ing. Kern als auch aus der Stellungnahme des Stadtgartenamtes geht hervor, daß aufgrund der Schnittwunden von 8 bis 15 cm Durchmesser Fäulnispilze mit Sicherheit eindringen werden, welche die Standfestigkeit verringern und die Bruchgefahr erhöhen werden. Der Sachverständige setzt im Gegensatz zum Stadtgartenamt die Gefahr des Bruchs und die Verringerung der Lebensdauer als eher gering ein. Unbestritten ist, daß eine genaue Aussage erst nach einigen Jahren getroffen werden kann, insbesondere, in welchem Ausmaß die Änderung der Statik zu einem teilweisen Absterben von Starkwurzeln geführt hat.

Auf eine derartige Problemstellung ist das Verwaltungsstrafgesetz 1991, welches bei der Durchführung dieses Strafverfahrens anzuwenden ist, jedoch nicht vorbereitet. Eine Bestrafung kann nur innerhalb einer Frist von drei Jahren, hier somit bis zum 23.08.1998 erfolgen, wenn es der Behörde innerhalb dieser Zeit gelungen ist, dem potentiellen Täter die Begehung der Verwaltungsstraftat mit der nötigen Sicherheit nachzuweisen. Dies ist im gegenständlichen Fall jedoch unmöglich, nicht zuletzt aufgrund der sowohl vom Sachverständigen als auch vom Stadtgartenamt bestätigten Tatsache, daß es sich bei Birken um äußerst anspruchslose und widerstandsfähige Bäume handelt. Es besteht somit noch eine gewisse nicht zu ignorierende Möglichkeit, daß die Birken sich einigermaßen "erfangen".

Im Zweifelsfall ist daher davon auszugehen, daß die Berufungswerberin lediglich die Durchführung eines in Ausübung des Nachbarschaftsrechtes erlaubten "Krüppelschnittes" veranlaßt hat, nicht jedoch die Zerstörung der Birken, sodaß die ihr zur Last gelegte Tat nicht hinlänglich erwiesen wurde. Es war daher das Verfahren einzustellen.

Schlagworte
Nachbarrecht Baumschnitt Krüppelschnitt Baumzerstörung Gutachten Beweiswürdigung
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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