Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erwin Ganglbauer über die Berufung des Herrn Hans-Dieter R, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Manfred R in G, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom 25.5.1998, GZ.: 15.1 1998/1295, wie folgt entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird die Berufung als unbegründet abgewiesen.
Gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG hat der Berufungswerber als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens einen Betrag von S 1.000,-- binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der belangten Behörde wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe als verantwortlicher Beauftragter gemäß § 23 ArbIG und daher als gemäß § 9 VStG Verantwortlicher der Firma F Kraftwagentransport und Speditions GesmbH, in Z, I-straße 30, insgesamt zwei Verstöße gegen die EG-Verordnung 3820/85 zu verantworten, die den Arbeitnehmer Emmerich S betroffen haben.
Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark, welcher die drei gegenwärtig anhängigen Verfahren 30.13-54/98, 30.13-55/98 und 30.13-56/98 am 22. September 1998 verhandelte, wobei der Berufungswerber und die betroffenen Fahrer Johann D und Emmerich S gehört wurden, stellt hiezu fest:
1. Sachverhalt:
Die F Kraftwagentransport und Speditions GesmbH mit Sitz in Z (früher G) ist die größte Spedition Österreichs. Sie beschäftigt im Schnitt 270 Fahrer, die jährlich insgesamt 300.000 bis 400.000 Fahrten absolvieren.
Der Berufungswerber ist Personalbereichsleiter der F Kraftwagentransport und Speditions GesmbH. Ihm unterstehen sämtliche Fahrer. Er kann Fahrer selbst verantwortlich aufnehmen und entlassen. Er teilt die einzelnen Fahrer den insgesamt neun Disponenten zu und ist auch für die Zuteilung im Fall von Krankheit, Urlaub und bei Aufträgen von besonderer Dringlichkeit verantwortlich. Die einzelnen konkreten Fahraufträge erhalten die Fahrer allerdings von den insgesamt neun Disponenten. Die Disponenten selbst unterstehen dem Prokuristen Ing. M. Der Berufungswerber hat ihnen gegenüber kein Weisungsrecht. Beim Aufnahmegespräch, welches vom Berufungswerber mit dem Fahrer persönlich geführt wird, wird diesem unter anderem eine Dienstanweisung zur Unterschrift vorgelegt, bei welcher unter anderem der Fahrer angewiesen wird, die arbeitszeitrechtlichen Vorschriften einzuhalten. Darauf wird auch in diversen Rundschreiben der Firma an die Fahrer immer wieder hingewiesen. Der Berufungswerber kontrolliert stichprobenartig ca. 30 bis 40 Tachographenscheiben (Schaublätter) im Monat. Soweit er dabei auf Verletzungen der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften stößt, wird der betreffende Fahrer im ersten Fall mündlich und im zweiten Fall schriftlich ermahnt, die diesbezüglichen Vorschriften einzuhalten. In Extremfällen ist es auch schon zu Entlassungen uneinsichtiger Fahrer gekommen bzw. ziehen es Fahrer vor, den Betrieb zu verlassen. Die Kontrolltätigkeit des Berufungswerbers läuft in dem Spannungsfeld ab, daß es Aufgabe der Disponenten ist, Aufträge durchzuführen und für Umsätze zu sorgen. Sie haben dabei auf arbeitszeitrechtliche Vorschriften Rücksicht zu nehmen, doch geht aus den Aussagen der Fahrer Johann D und Emmerich S indirekt hervor, daß derartige Überlegungen gegenüber dem eigentlichen Arbeitsgebiet der Disponenten "doch etwas in den Hintergrund traten". Es wurde jedenfalls nicht behauptet, daß die Disponenten von Prokurist Ing. M hinsichtlich der Kompatibilität von Fahrtrouteneinteilung und Arbeitszeitvorschriften überwacht wurden. Weiters bleibt als Hintergrund festzuhalten, daß selbstverständlich aus allgemein begreiflichen Gründen die Fahrer bestrebt sind, so oft und so früh wie möglich nach Hause zu kommen und daher von Natur aus geneigt sind, zur Erreichung dieses Ziels auch die Überschreitung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften in Kauf zu nehmen.
2. Beweiswürdigung:
Der als erwiesen angenommene Sachverhalt geht aus den glaubwürdigen Aussagen des Berufungswerbers in Verbindung mit den Aussagen der Fahrer Johann D und Emmerich S hervor. Der objektive Tatbestand wurde ohnehin niemals bestritten.
3. Rechtliche Beurteilung:
§ 5 VStG ("Schuld") lautet:
(1) Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, genügt zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiters anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.
(2) Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, entschuldigt nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte."
Verwaltungsübertretungen, zu deren Tatbestand der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört, werden als Ungehorsamsdelikte bezeichnet. (VwGH 5.9.1978, 2787/77). Bei diesen Delikten hat jedoch der Täter die von ihm behauptete Schuldlosigkeit glaubhaft zu machen und es obliegt ihm, alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. (s. VwSlg. 7087A/1967 und VwGH 20.5.1968, 187/67). Der Gesetzgeber belastet sohin den Täter in einem solchen Fall schon durch den objektiven Tatbestand und präsumiert die Schuld bis zur Glaubhaftmachung des Gegenteils durch den Beschuldigten. (VwGH 21.10.1977, 1793/76, ebenso VwGH 13.2.1979, 26969/77).
Bei der Annahme einer grundsätzlichen Verantwortung des Arbeitgebers für die im Zusammenhang mit dem Betrieb stehenden Verwaltungsübertretungen darf nicht übersehen werden, daß die im heutigen Wirtschaftsleben notwendige Arbeitsteilung es nicht zuläßt, daß sich der Unternehmer aller Belange und Angelegenheiten selbst persönlich annimmt. Dies führt zu der rechtlichen Konsequenz, daß dem Unternehmer zugebilligt werden muß, die Besorgung einzelner Angelegenheiten anderen Personen selbstverantwortlich zu überlassen und die eigene Tätigkeit in diesen Belangen auf eine angemessene Kontrolle zu beschränken. Ob der Unternehmer dann persönlich von der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung befreit ist, hängt im Einzelfall davon ab, ob er den Nachweis zu erbringen vermag, daß er Maßnahmen getroffen hat, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschrift mit gutem Grund erwarten lassen. Im Sinne dieser Judikatur reicht also die bloße Erteilung von Weisungen nicht aus; entscheidend ist, ob auch eine wirksame Kontrolle der vom Verantwortlichen erteilten Weisungen erfolgte. (s. VwGH 9.10.1979, 2762/78; 7.10.1980, 2608/76 und 30.6.1981, 3489/80). (VwGH 30.3.1982, 81/11/0087).
Gerade deshalb, weil in der Regel eine unmittelbare Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften durch Lenker seitens des Arbeitgebers nicht zumutbar ist, kommt der Verpflichtung des Arbeitgebers, ein dem konkreten Betrieb entsprechendes Kontrollsystem einzurichten und darüberhinaus alle sonstigen im konkreten Betrieb möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Arbeitszeit sicherzustellen - wozu es z. B. gehört, die Arbeitsbedingungen und Entlohnungsmethoden so zugestalten, daß sie keinen Anreiz zur Verletzung der Arbeitszeitvorschriften bieten - besondere Bedeutung zu. Nur wenn der Arbeitgeber in diesem Sinn glaubhaft macht, daß ein Verstoß gegen Arbeitszeitvorschriften durch einen Lenker trotz Bestehens und Funktionierens eines solchen, von ihm im einzelnen darzulegenden Systems ohne sein Wissen und ohne seinen Willen erfolgt ist, kann ihm der Verstoß in verwaltungsstrafrechtlicher Hinsicht nicht zugerechnet werden. Die bloße Belehrung der Arbeitnehmer, die Bestimmungen des AZG und des ARG einzuhalten, wenn dies auch in Form einer Dienstanweisung erfolgte, sowie die stichprobenartige, regelmäßig durchgeführte Überwachung reichen jedoch nicht aus. (VwGH 27.9.1988, 87/08/0026). Es ist offenkundig, daß das gegenständliche Kontrollsystem der Firma F Kraftwagentransport und Speditions GmbH vor dem Hintergrund eines beinharten europaweiten Wettbewerbs im Transportgewerbe, der jedenfalls auch auf den Disponenten der einzelnen Unternehmungen lastet und in Verbindung mit dem verständlichen Wunsch der Fahrer, möglichst viel Zeit zu Hause zu verbringen, nicht ausreicht, um Übertretungen der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften zu verhindern. Ein wirksames Kontrollsystem wäre nämlich nur dann denkbar, wenn ein und dieselbe Person sowohl gegenüber den Disponenten, die die Fahrtrouten einteilen, als auch die über den Fahrern, die die Aufträge erfüllen, kontroll- und weisungsbefugt wäre. Weiters ist im Unternehmen die Wahrscheinlichkeit, daß Verstöße gegen arbeitszeitrechtliche Bestimmungen überhaupt entdeckt werden und die vorgesehenen Sanktionsmaßnahmen gesetzt werden können, denkbar gering. Der Berufungswerber wertet im Monat dreißig bis vierzig Schaublätter aus, was im Rahmen seines umfassenden Aufgabengebietes seine diesbezügliche Kapazität begreiflicherweise erschöpft. Das heißt, daß der Berufungswerber pro Kalenderjahr zwischen 360 und 480 Schaublätter kontrollieren kann. Hält man sich andererseits vor Augen, daß im Unternehmen pro Kalenderjahr zwischen 300.000 und 400.000 Fahrten durchgeführt werden und nimmt man an, daß pro Fahrt ein Tag zu veranschlagen ist, so bedeutet dies nichts anderes, als daß im Unternehmen gerade ein Promille der Schaublätter kontrolliert wird. Die statistische Wahrscheinlichkeit, daß ein Verstoß vom Unternehmen bemerkt wird, ist somit minimal, was selbstverständlich den Fahrern nicht verborgen bleibt. Bei einer derartigen Unternehmensgröße kann von vornherein jedenfalls davon ausgegangen werden, daß eine Kontrolle der Schaublätter durch bloß eine einzige Person nicht ausreichend ist, um die Gefahr von Verstößen gegen arbeitszeitrechtliche Vorschriften ausreichend gering zu halten.
Dem Berufungswerber ist daher der ihm obliegende Unschuldsbeweis mißlungen. Er wird darauf hingewiesen, daß er es jederzeit in der Hand hat, sich durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung von der ihn treffenden verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung zu entledigen. Der Berufungswerber hat daher die ihm zur Last gelegten Taten in objektiver und subjektiver Hinsicht zu verantworten.
4. Strafbemessung:
§ 19 Abs 1 VStG enthält jene objektiven Kriterien, die Grundlage für jede Strafbemessung sind. Demnach ist bei der Wertung der Tat innerhalb der Grenzen des gesetzten Strafrahmens (hier S 1.000,-- bis S 25.000,--) insbesondere davon auszugehen, in welchem Ausmaß diejenigen Interessen gefährdet worden sind, deren Schutz die Strafdrohung dient. Der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat, ist ebenso bei der Strafbemessung zu berücksichtigen.
Die einschlägigen Bestimmungen des AZG, deren Verstoß der Berufungswerber zu verantworten hat, sollen sicherstellen, daß das Grundrisiko der Teilnahme im Straßenverkehr durch übermüdete Lenker nicht erhöht wird. Übermüdete Lenker gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch in unverantwortlicher Weise die übrigen Verkehrsteilnehmer. Die von einem übermüdeten LKW-Lenker ausgehende Bedrohung schwächerer Verkehrsteilnehmer (das sind insbesondere Fußgänger, Einspurige und PKW), endet für letztere meist tödlich (vgl. Unabhängiger Verwaltungssenat für die Stmk vom 6.9.1992, GZ.: UVS 30.8-45/92; 17.11.1993, 30.13-142/93; 2.3.1994, 30.13-208/93; 19.4.1994, 30.13-39/94).
Die Bestimmungen des AZG in Verbindung mit der Verordnung EG-VO 3820/85 sollen allgemein bewerkstelligen, daß unselbständig Erwerbstätige über die gesamte Dauer ihrer Lebensarbeitszeit bei größtmöglicher Schonung ihrer Gesundheit ihren Dienstverpflichtungen nachkommen können. Gesundheitliche Folgeschäden durch Überbelastung von Arbeitnehmern sollen verhindert werden. Bei Berufskraftfahrern dient die Limitierung der zulässigen Einsatzzeiten, Lenkzeiten, Arbeitszeiten sowie die Einhaltung der Ruhepausen und Ruhezeiten dazu, die Kraftfahrer zunächst vor eigener psychischer und physischer Ermüdung zu bewahren. Ruhezeiten und Ruhepausen haben zudem den Sinn, dem Fahrer die Möglichkeit zu gewähren, sich soweit zu regenerieren, daß sie ihre Tätigkeit konzentriert durchführen können und somit eine Übermüdung und damit Gefahr von Unfällen, die aus Übermüdungen entstehen können, zu verhindern. Daneben kommt den Sonderbestimmungen für Lenker von Schwerkraft-fahrzeugen auch schon aus Gründen des Schutzes der Allgemeinheit vor Unfällen durch eine Ermüdung der Lenker besondere Aufmerksamkeit zu. Die Verstöße gegen den Schutzzweck der Norm sind als zumindest durchschnittlich zu bezeichnen.
Neben den objektiven Kriterien des Unrechtsgehaltes der Tat kommt im ordentlichen Verfahren als Strafbemessungsgrundlage die Prüfung der subjektiven Kriterien des Schuldgehaltes der Tat, somit auch die in der Person des Beschuldigten gelegenen Umstände, hinzu. Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) daher die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Bei der Strafbemessung ist als mildernd nichts zu berücksichtigen. Der Berufungswerber ist, abgesehen von Verstößen gegen arbeitszeitrechtliche Vorschriften, auch sonst verwaltungsstrafrechtlich nicht unbescholten. Als erschwerend sind insgesamt 61 Verstöße gegen die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes bzw. gegen die Bestimmungen der Verordnung EWG 3821/85 zu werten. Dem Berufungswerber ist zumindest fahrlässiges Verhalten zur Last zu legen, da er erkennen hätte müssen, daß er bei der gegebenen Betriebsstruktur nicht in der Lage ist, für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu sorgen. Bei der Strafbemessung ist weiters ein monatliches Einkommen in Höhe von S 18.000,-- netto, kein Vermögen sowie Sorgepflichten für einen studierenden Sohn zu berücksichtigen.
Bei einem Strafrahmen von S 1.000,-- bis S 25.000,-- pro Delikt sind die verhängten Strafen, die jeweils weniger als ein Achtel der Höchststrafe betragen, als angemessen zu bezeichnen. Weitere Strafsenkungen können im Hinblick auf die nicht unbeträchtliche Anzahl der einschlägigen Vorstrafen nicht vertreten werden, genauso wenig wie die Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes gemäß § 20 VStG oder die Verhängung einer bloßen Ermahnung gemäß § 21 VStG.