TE UVS Steiermark 1998/11/30 30.3-93/97

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Veröffentlicht am 30.11.1998
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erich Kundegraber über die Berufung des Herrn Josef J, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 18. November 1997, GZ.: III/S 20.945/97, wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 VStG eingestellt.

Text

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Berufungswerber vorgeworfen, er habe "am 17.6.1997, um 07.00 Uhr, in G, P-R-Straße Nr. 60 (S H) 1.) durch Beschimpfung des Angestellten der Firma S H als 'die Scheiß Kravoten sollten ihre Fahrzeuge woanders abstellen', den öffentlichen Anstand verletzt, 2.) durch lautstarkes Schreien obangeführter Worte, ungebührlicherweise störenden Lärm erregt" und dadurch Verwaltungsübertretungen nach § 1 erster und zweiter Fall Stmk. LGBl. Nr. 158/1975 begangen. Hiefür wurde gemäß § 3 Abs 1 leg. cit. jeweils eine Geldstrafe von S 300,-- (im Uneinbringlichkeitsfall je 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt und gemäß § 64 VStG die Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 29. August 1997, GZ.: 10 EVr 2077/97-290/97, wurden Herr Josef J gegen die wider ihn mit Strafantrag vom 15. Juli 1997 erhobenen Anklage "3. am 17.06.1997 Admir M, Risto N und Bernhard K durch die Äußerung, er werde die Reifen ihrer Fahrzeuge durchstechen, wenn sie ihre Fahrzeuge weiterhin auf der J-B-Gasse zum Parken abstellen, gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen". Die unter 3. im Strafantrag der Staatsanwaltschaft Graz vorgeworfene deliktische Handlung gründet sich auf die Strafanzeige der Bundespolizeidirektion Graz, Kriminalpolizeiliche Abteilung, vom 27. Juni 1997, Zl.: II-5603/1- 97/Zwei, wonach der Berufungswerber verdächtigt wurde, dem Vergehen der Nötigung im Sinne des § 105 Abs 1 StGB begangen zu haben und wurde ihm unter "Darstellung der Tat" vorgeworfen, er habe am 17.6.1997, um 7.00 Uhr, in G, P-R-Straße Nr. 60 mehrere Arbeiter im Gelände der Firma H mit den Worten genötigt wenn Eure Arbeiter weiterhin ihre Fahrzeuge auf der J-B-Gasse zum Parken abstellen, dann steche ich einmal die Reifen dieser Fahrzeuge durch!" und in weiterer Folge geschrien: "Die scheiß Ausländer sollen ihre Fahrzeuge woanders abstellen". Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 23.10.1995, Nr. 33/1994/480/562, im Fall Gradinger gegen Österreich

Verfassungsgerichtshofes vom 05.12.1996, G 9/96, G 83/96, G 86/96, G 110/96, G 136/96, G 143/96, G 148/96, G 159/96 und G 197/96 geht hervor, daß eine Bestrafung der damaligen Beschwerdeführer für das "gleiche Verhalten" sowohl durch das Gericht als auch durch die Verwaltungsbehörde eine Verletzung des Artikel 4 des 7. Zusatzprotokolls der EMRK nach sich zog. Dieselben Überlegungen sind nach Artikel 4 des 7. ZP der EMRK auch auf einen rechtskräftigen Freispruch anzuwenden.

Artikel 4 Abs 1 des 7. Zusatzprotokolls der EMRK lautet (in seiner deutschen Übersetzung):

Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden."

Die Republik Österreich hat zwar dazu die als Vorbehalt gemäß Artikel 64 EMRK zu verstehende "Erklärung" abgegeben, daß sich

Artikel 4 "nur auf Strafverfahren im Sinne der Österreichischen Strafprozeßordnung" bezieht, der Verfassungsgerichtshof sah sich jedoch bereits in seinem Erkenntnis vom 05.12.1996, G 9/96, veranlaßt, dem EGMR im bereits oben zitierten Urteil zum Fall Gradinger gegen Österreich

Österreichs zu Artikel 4 des 7. ZP EMRK zu folgen, wonach diese Erklärung

entspräche, weil es an einer erschöpfenden Beschreibung der Gesetze fehle, von denen gesagt werden solle, daß sie mit

Artikel 4 des 7. ZP EMRK nicht im Einklang stünden. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem jüngsten Erkenntnis vom 11.03.1998, G 262/97 und G 328/97, ausführte, widerspricht eine Regelung, wonach durch eine Tat mehrere Delikte verwirklicht werden (Idealkonkurrenz), noch nicht von vornherein dem Doppelbestrafungsverbot des Artikel 4 Abs 1 des 7 ZP EMRK. Die verfassungsrechtliche Grenze, die diese Bestimmung einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, sieht der Verfassungsgerichtshof jedoch darin, daß eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodaß ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfaßt (Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts, 6. Aufl., 1996, 245). Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein- und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird (vgl. zur Annahme bloßer Scheinkonkurrenzen, um dem Vorwurf der Doppelbestrafung zu entgehen, OGH - verst. Senat - 21. November 1991, 14 Os 127/90 = RZ 1993/47, unter Berufung auf Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, S 393 ff., 459 ff"). Das vorhin erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11.03.1998 führt weiters aus, daß nach dem bereits zitierten Urteil des EGMR vom 23.10.1995 eine gesetzliche Strafdrohung dann dem Artikel 4 des 7 ZP EMRK widerspräche, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörden unterwirft (vgl. auch den Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 9.4.1997, Beschwerde 22541/93, Bernhard Marte und Walter Achberger gegen Österreich, Newsletter 1997, 211f, wonach eine Verletzung von Artikel 4 des 7 ZP EMRK bejaht wurde, weil "den strafrechtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilungen ... ein weitgehend identer Sachverhalt zugrunde lag, sodaß die Beschwerdeführer - in Bezug auf das Verwaltungsstrafverfahren - wegen einer strafbaren Handlung, wegen der sie bereits rechtskräftig verurteilt worden waren, erneut bestraft wurden"). Nach Ansicht der Berufungsbehörde würde im vorliegenden Fall auf Grund der Tatsache, daß der Berufungswerber vom Landesgericht für Strafsachen Graz wegen Verdacht der Nötigung gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen wurde, eine Bestrafung wegen desselben Verhaltens nach § 1 erster und zweiter Fall LGBl. Nr. 159/1975, eine verpönte kumulative Verantwortlichkeit des Berufungswerbers zur Folge haben und daher eine Verletzung des Artikel 4 des 7. ZP EMRK nach sich ziehen, sodaß das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen war. Ausdrücklich wird ausgeführt, daß der Berufungswerber zwar wegen Nötigung von der Staatsanwaltschaft angeklagt wurde und in concreto die verwaltungsstrafrechtlichen Vorwürfe die Lärmerregung als auch einen anderen Wortlaut der Anstandsverletzung beinhalten. Jedoch würde sich die verwaltungsstraf-rechtliche Verurteilung auf ein Verhalten des Berufungswerbers bei Begehung des Nötigungsdeliktes beziehen. Somit liegen bei dem Berufungswerber vorgeworfenen strafrechtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Tatbeständen ein weitgehender identer Sachverhalt zugrunde, sodaß er - im Bezug auf das Verwaltungsstrafverfahren - wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits gerichtlich rechtskräftig freigesprochen worden ist, erneut bestraft werde. Dies ist eine Verletzung des Artikel 4 7. ZP EMRK und würde dem Grundsatz "ne bis in idem" widersprechen (Bericht der Europäischen Kommission vom 9. April 1997, NL 97/5/1).

Abschließend sei noch bemerkt, daß die dem Berufungswerber vorgeworfenen inkriminierenden Worte in der Anzeige der Bundespolizeidirektion Graz vom 20. Juni 1997, Nr. 5.845, im Schreiben der S H vom 2. September 1997, in der Stellungnahme des Berufungswerbers vom 23. Oktober 1997, als auch im Straferkenntnis vom 18. November 1997 jeweils anders lauten, wobei zwar der Sinngehalt in etwa gleichbleibt, jedoch im Hinblick auf dem im Spruch gestalteten Tatbestand, insbesondere Spruchteil 1, keinesfalls genügt (im Spruch ist die direkte Rede angeführt).

Schlagworte
Anstandsverletzung Lärmerregung Nötigung Gerichtsdelikt Kumulation
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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