Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Dr Wilfert über die Berufung der Frau Mag Sonja W gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, vom 23.10.1998, Zahl MA 67-RV-078780/8/4, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 26.3.1999 entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
Gemäß § 65 VStG hat die Berufungswerberin keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Begründung:
1. Das angefochtene Straferkenntnis hat folgenden Spruch:
"Sie haben am 2.5.1998 um 14.08 Uhr in Wien, F-Kai, als Lenkerin des Kraftfahrzeuges mit dem behördlichen Kennzeichen W-63 folgende
Verwaltungsübertretung begangen:
Abstellen des Fahrzeuges im Bereich des Vorschriftszeichens "Halten und Parken verboten".
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
§ 99 Abs 3 lit a Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) in Verbindung mit § 24 Abs 1 lit a StVO 1960.
Gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO wird gegen Sie eine Geldstrafe in der Höhe von S 700,--, im Falle der Uneinbringlichkeit 17 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt.
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) zu zahlen:
S 70,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe.
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher S 770,--."
Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die Berufung vom 10.11.1998, in welcher die Berufungswerberin das Vorliegen einer Notstandssituation behauptet.
2. In der Angelegenheit fand am 26.3.1999 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien statt.
In dieser Verhandlung wurde die Berufungswerberin als Partei einvernommen.
Im Anschluß an die Verhandlung wurde der Berufungsbescheid mündlich verkündet.
3. Die Berufung ist begründet.
Gemäß § 24 Abs 1 StVO ist das Halten und das Parken im Bereich des Vorschriftszeichens "Halten und Parken verboten" nach Maßgabe der Bestimmungen des § 52 Z 13b, verboten.
Gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu S 10.000,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu zwei Wochen, zu bestrafen, wer (ua) als Lenker eines Fahrzeuges gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs 1, 2, 2a, 2b oder 4 zu bestrafen ist.
Das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren gründet sich auf eine Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien vom 2.5.1998, wonach das verfahrensgegenständliche Fahrzeug um 14.08 Uhr in Wien, F-Kai, im Bereich der Vorschriftszeichen "Halten und Parken verboten" abgestellt gewesen sei.
Mit Einspruch gegen die Strafverfügung vom 20.8.1998, rechtfertigte sich die Berufungswerberin im wesentlichen damit, dass ihr 4 Monate alter Sohn, der am Rücksitz gesessen sei, plötzlich schrill zu schreien begann, da er den Schnuller verkehrt in den Mund gesteckt hatte, welcher dort festgesessen sei. Sie habe daher angehalten und sei sofort ausgestiegen, habe sich auf den Rücksitz des Wagens gesetzt um ihren Sohn zu beruhigen. Nach kurzer Zeit, einigen Minuten, habe sie ihre Fahrt fortsetzen können.
Die erstinstanzliche Behörde verneinte in dem nunmehr mit Berufung bekämpften Straferkenntnis vom 23.10.1998, das Vorliegen einer Notstandssituation und führt begründend dazu aus:
"Notstand kommt einem Beschuldigten nur dann zugute, wenn die Verletzung des Rechtsgutes des schuldlosen dritten Rechtsträgers das einzige zur Beseitigung der drohenden Gefahr zur Verfügung stehende Mittel ist.
Weiters ist Notstand nur dann gegeben, wenn eine Verwaltungsübertretung zur Abwendung unmittelbar drohender Gefahr erfolgt, die so groß ist, dass sich der Beschuldigte in unwiderstehlichen Zwang befindet, eher die in Betracht kommende Vorschrift zu übertreten, als das unmittelbar drohende Übel über sich ergehen zu lassen.
Schließlich kann Notstand auch nur dann angenommen werden, wenn derjenige, der gesetzwidrig handelt, nur durch das verbotswidrige Handeln das angeblich gefährdete Rechtsgut retten kann. Wird nun der gegenständliche Sachverhalt mit der obgenannten Notstandssituation verglichen, so kommt die Behörde zu der Ansicht, dass wohl in keinem Punkt Übereinstimmung herrscht."
In der öffentlichen mündlichen Verhandlung wiederholte die Berufungswerberin ihr Vorbringen und gab ergänzend an, dass der von ihr geschilderte Vorgang höchstens 5 Minuten gedauert habe. Sie habe das Fahrzeug nicht verlassen, habe niemanden behindert und unmittelbar daraufhin die Fahrt wieder fortgesetzt.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:
Gemäß § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.
Als Merkmal des Notstandes hat eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben, die Freiheit oder das Vermögen zu gelten (VwGH 19.12.1973, 319/73, 27.5.1987, 78/03/0112). Unter Notstand im Sinne des § 6 VStG kann nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht (VwGH 24.4.1974, 1999/73 ua). Dies trifft aber selbst bei Annahme einer wirtschaftlichen Schädigung, sofern sie die Lebensmöglichkeit selbst nicht unmittelbar bedroht, nicht zu (VwGH 11.6.1954, 466/52, 11.4.1986, 86/18/0051, 0052).
Die erstinstanzliche Behörde selbst hat ausgeführt, dass ein Notstand dann gegeben ist, wenn die Verwaltungsübertretung zur Abwendung unmittelbar drohender Gefahr erfolgt, die so groß ist, dass sich der Beschuldigte im unwiderstehlichem Zwang befindet, eher die in Betracht kommende Vorschrift zu übertreten als das unmittelbar drohende Übel über sich ergehen zu lassen. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien teilt jedoch die von der erstinstanzlichen Behörde (ohne weitere Begründung) vertretene Ansicht, dass der von der Berufungswerberin geschilderte Sachverhalt mit einer gesetzlichen Notstandssituation "wohl in keinem Punkt" übereinstimmt, nicht. Vielmehr hätte von der Berufungswerberin, die Richtigkeit ihrer Sachverhaltsschilderung vorausgesetzt, wohl nicht erwartet werden können, in dieser Situation, die von ihr als unmittelbare Bedrohung für das Leben oder zumindest die Gesundheit ihres Kindes empfunden werden musste, anders zu handeln.
Zu prüfen war im Berufungsfall somit, ob die von der Berufungswerberin geschilderte Situation der Wahrheit entsprach. Dazu ist festzustellen, dass die Berufungswerberin im unmittelbaren Eindruck in der öffentlichen mündlichen Verhandlung korrekt und persönlich sehr glaubwürdig wirkte. Ihre Angaben waren widerspruchsfrei, schlüssig und nachvollziehbar und boten keinen Anlaß, an deren Wahrheitsgehalt zu zweifeln.
Es war daher, nach Durchführung des Beweisverfahrens, davon auszugehen, dass sich die Berufungswerberin in dem Zeitpunkt, in dem sie die verfahrensgegenständliche Verwaltungsvorschrift verletzte, in einer, gemäß § 6 VStG einen Schuldausschließungsgrund bildenden Notstandssituation befand, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.