Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied r. Karl-Heinz Liebenwein über die Berufung des Herrn Ing. L P, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. E J, G, H-Platz , gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 10.9.1998, GZ.: III/S-7807/98, wie folgt entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) wird die Berufung dem Grunde nach abgewiesen. Hinsichtlich der verhängten Strafe wird der Berufung dahingehend Folge gegeben, daß über den Berufungswerber gemäß § 19 VStG eine Strafe von S 700,--, im Uneinbringlichkeitsfall 25 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, welche binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu leisten ist, verhängt wird.
Dadurch vermindert sich der Kostenbeitrag für das Verwaltungsstrafverfahren erster Instanz auf den Betrag von S 70,--; dieser ist binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu leisten.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der belangten Behörde wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe am 13.1.1998 um ca. 11.30 Uhr in Graz 1., Joaneumring-Neutorgasse-Radetzkystraße-Wielandgasse, als Lenker des Kombis GU-LP103 die Fahrgeschwindigkeit nicht den gegebenen Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen angepaßt, da er auf den vor ihm angehaltenen Kombi auffuhr und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs 1 StVO begangen.
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über ihn gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,--, im Falle deren Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 36 Stunden, verhängt.
Gegen dieses Straferkenntnis wurde fristgerecht Berufung erhoben und in dieser unter Hinweis auf ein beigeschlossenes Gutachten des Dipl.-Ing. Dr. P sinngemäß ausgeführt, daß die Schilderung des Unfallbeteiligten A N offensichtlich nur darauf ausgerichtet gewesen sei, aus dem verfahrensgegenständlichen Unfall einen größtmöglichen finanziellen Vorteil zu erzielen. So sei dem Gutachten folgend durch die Kollision das Fahrzeug des A lediglich um höchstens 7,5 km/h beschleunigt worden. Es ergebe sich somit, daß aufgrund der seitens des Sachverständigen gewissenhaft erfolgten Ermittlung der Anstoßgeschwindigkeit, der dem Berufungswerber angelastete Tatbestand nicht vorliegen könne.
Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat erwogen:
Gemäß § 51 Abs 1 VStG steht dem Beschuldigten stets das Recht der Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat jenes Landes zu, in dem die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ihren Sitz hat. Somit ergibt sich die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark für die Erlassung der gegenständlichen Entscheidung. Da im angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine S 10.000,-- übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war gemäß § 51 c VStG die Zuständigkeit des Einzelmitgliedes gegeben.
Gemäß § 66 Abs 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht wegen Unzulässigkeit oder Verspätung zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, ihre Anschauung sowohl hinsichtlich des Spruches als auch hinsichtlich der Begründung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Von der Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Berufungsverhandlung konnte unter Hinweis auf § 51 e Abs 3 Z 3 VStG abgesehen werden, da im angefochtenen Bescheid eine S 3.000,-- nicht übersteigende Geldstrafe verhängt und die Durchführung einer Verhandlung nicht beantragt wurde. Aufgrund des dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark vorliegenden erstinstanzlichen Verwaltungsstrafaktes der Bundespolizeidirektion Graz ergibt sich folgender, für diese Entscheidung maßgebliche Sachverhalt:
Am 13.1.1998 hielt der Berufungswerber, wie auch der zunächst unmittelbar vor diesem in gleicher Fahrtrichtung unterwegs gewesene, spätere Unfallbeteiligte N A sein Fahrzeug an der Kreuzung Joaneumring-Neutorgasse-Radetzkystraße-Wielandgasse in Graz auf dem für Rechtsabbieger vorgesehenen Fahrstreifen zufolge des von der vor der erwähnten Kreuzung befindlichen Verkehrslichtsignalanlage ausgestrahlten Rotlichtes für Rechtsabbieger an.
In der Folge fuhr der Berufungswerber auf das vor ihm angehaltene Fahrzeug des Zeugen A auf, wobei es nach Ansicht der Berufungsbehörde nicht verfahrensrelevant ist, daß der Berufungswerber sich damit rechtfertigte, daß die Verkehrssignalanlage bereits grünes Licht angezeigt hätte, während der Zeuge A sich zu erinnern glaubte, daß diese noch immer rotes Licht ausstrahlte.
Der im versicherungsrechtlichen Verfahren beigezogene, allgemein beeidete gerichtliche Sachverständige für das Kraftfahrwesen kommt in seinem diesbezüglichen Gutachten vom 17.4.1998, auf welches der Berufungswerber im Rahmen seiner Berufung ausdrücklich mehrfach verwies, zum Ergebnis, daß, angenommen einen Abstand von 1,2 Meter vom Fahrzeug des Zeugen A unter Berücksichtigung der festgestellten Schäden, davon ausgegangen werden kann, daß der Berufungswerber vor dem Unfall eine Anfahrtsgeschwindigkeit von 8 bis maximal 10 km/h haben konnte.
Der Sachverständige hat dieser Berechnung einen Beschleunigungswert von 2,0 m/sec., was einem "zügigen Anfahrmanöver" entspricht, zugrundegelegt und ist im grundsätzlichen zum Ergebnis gekommen, daß die Kollisionsgeschwindigkeit des Berufungswerbers nur gering gewesen sein kann.
Unwidersprochen blieb, daß der Berufungswerber jedenfalls auf das vor ihm angehaltene Fahrzeug des Zeugen A aufgefahren ist, wobei es zu einem Verkehrsunfall mit Personen- und Sachschaden gekommen ist.
In rechtlicher Hinsicht ist somit auszuführen:
Gemäß § 20 Abs 1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen oder durch Straßenverkehrszeichen angekündigten Umständen,
insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen sowie den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Aus der genannten Bestimmung ergibt sich, daß die Geschwindigkeit so einzurichten ist, daß ein Fahrzeuglenker bei Auftauchen eines Hindernisses innerhalb seiner Sichtweite sein Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen bringen oder zumindest das Hindernis umfahren kann (ZVR 1967/208). Dies bedeutet aber auch, daß er jeweils in der Lage sein muß, das Fahrzeug insoferne zu beherrschen, um einer allenfalls drohenden Unfallgefahr entsprechend begegnen zu können (ZVR 1968/183). Im Anlaßfall ist der Berufungswerber unbestrittenermaßen auf das Fahrzeug des A aufgefahren, wodurch es zum verfahrensgegenständlichen Verkehrsunfall kam. Es kann allerdings von einem geringfügigen Verschulden des Berufungswerbers insoferne ausgegangen werden, spricht doch das zitierte Sachverständigen-Gutachten unmißverständlich davon, daß sich der Berufungswerber (erst) in einer Anfahrtsphase befand.
Da der Berufungswerber seinen eigenen Angaben nach wahrgenommen hatte, daß der vor ihm befindliche Lenker nicht sofort bei Grünlicht losgefahren war, hätte er sich angesichts dieser unklaren Verkehrslage geschwindigkeitsmäßig nur vortasten
rechtzeitig anhalten zu können.
Die auch vom Sachverständigen errechnete Fahrgeschwindigkeit von 8 bis 10 km/h stellt bei einem Abstand von 1,2 Meter zum vorderen Fahrzeug kein "Vortasten" und somit eine nicht angepaßte Geschwindigkeit dar.
Für die erkennende Behörde steht somit zweifelsfrei fest, daß der Berufungswerber die ihm angelastete Verwaltungsübertretung in subjektiver wie auch in objektiver Hinsicht begangen bzw. zu verantworten hat, weshalb die Bestrafung hiefür seitens der belangten Behörde dem Grunde nach zu Recht erfolgte.
Zur Strafbemessung ist auszuführen:
Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.
Die übertretene Norm des § 20 Abs 1 StVO zielt wie nahezu alle Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung darauf ab, die mit dem Straßenverkehr naturgemäß verbundenen Gefahren und Gefährdungsmomente auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Gegen den Schutzzweck der übertretenen Norm hat der Berufungswerber jedenfalls verstoßen, war es ihm doch zufolge der von ihm eingehaltenen, wenngleich auch äußerst geringen Fahrgeschwindigkeit nicht mehr möglich, auf das vor seinem Fahrzeug angehaltene Fahrzeug des A insoweit zu reagieren, als eine Kollision mit diesem Fahrzeug verhindert hätte werden können.
Neben den objektiven Kriterien des Unrechtsgehaltes der Tat kommt im ordentlichen Verfahren als Strafbemessungsgrundlage die Prüfung der subjektiven Kriterien des Schuldgehaltes der Tat, somit auch die in der Person des Beschuldigten gelegenen Umstände, hinzu. Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) daher die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Als erschwerend bei der Strafbemessung war nichts, als mildernd die bisherige Unbescholtenheit des Berufungswerbers zu werten. Angesichts des geringen Verschuldens, betrachtet man die gerade im städtischen Bereich häufig vorkommende Verkehrssituation bei ampelgeregelten Kreuzungen, wonach bei Grünlicht nicht immer - wie nach der Version des Berufungswerbers von diesem eigentlich erwartet - alle Fahrzeuge unmittelbar losfahren, weshalb durchaus nachvollzogen werden kann, daß der Berufungswerber mit einem solchen Anfahren des Zeugen A gerechnet hat, ja eigentlich rechnen mußte, konnte die seitens der belangten Behörde verhängte Geldstrafe auf die nunmehrige Strafhöhe herabgesetzt werden.
Die verbleibende Strafhöhe erscheint durchaus ausreichend, um den Berufungswerber in Hinkunft von der Begehung einer gleichartigen Übertretung entsprechend abzuhalten. Hinzuweisen ist abschließend, daß infolge Nichtbeantwortung des diesbezüglichen Ersuchens vom 10.3.1999 das monatliche Nettoeinkommen des Berufungswerbers mit S 25.000,-- eingeschätzt wurde.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.