TE UVS Steiermark 1999/07/16 30.11-19/99

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Veröffentlicht am 16.07.1999
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Gerhard Wittmann über die Berufung des Arbeitsinspektorates Leoben, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag vom 18.1.1999, GZ.: 15.1- 1997/4023, worin das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschuldigten E H wegen des Verdachtes einer Übertretung des § 9 Z 7 zweiter Satz der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung und für Handel, Gewerbe und Industrie vom 2.10.1981 über die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche in der Fassung BGBl. Nr. 173/1997 eingestellt wurde, wie folgt entschieden:

Der Berufung wird gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im Folgenden VStG) Folge gegeben, und festgestellt, dass der Beschuldigte E H folgende Verwaltungsübertretung begangen hat:

Sie sind als handelsrechtlicher Geschäftsführer der H & Co Baugesellschaft mbH mit Sitz in M dafür verantwortlich, dass der Lehrling dieses Unternehmens, M G, am 20.8.1997, gegen 16.00 Uhr, auf der Baustelle N, S-weg 5, auf einem Fassadengerüst auf der dritten Gerüstlage in einer Höhe von zirka sechs Meter eingesetzt werden sollte und am Weg dorthin aus einer Höhe von zirka sieben Meter vom Gerüst abstürzte.

Dadurch haben sie eine Verwaltungsübertretung gemäß § 9 Z 7 zweiter Satz der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung und für Handel, Gewerbe und Industrie vom 2.10.1981 über die Beschäftigungsverbote- und Beschränkungen für Jugendliche in der Fassung BGBl. Nr. 173/1997 in Verbindung mit § 2 Abs 2 leg cit begangen.

Über Sie wird wegen der oben angeführten Verwaltungsübertretung gemäß § 30 des Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetzes eine Geldstrafe von S 10.000,-- (im Uneinbring-lichkeitsfall zehn Tage Ersatzarrest) verhängt."

Die Geldstrafe ist binnen vier Wochen ab Zustellung dieses Bescheides bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Text

Am 21.10.1997 zeigte das Arbeitsinspektorat Leoben bei der Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag an, dass am 20.8.1997 sich auf der Baustelle in N, S-weg 5, ein schwerer Arbeitsunfall ereignet habe. Der Lehrling der Firma H & Co, M G sei zur Mithilfe beim Aufstellen eines Fassadengerüstes auf einer Gerüstlagenhöhe von mehr als vier Meter herangezogen worden und sei schließlich aus einer Höhe von zirka sieben Meter abgestürzt.

Wegen einer Übertretung des § 9 Z 7 zweiter Satz der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung und für Handel, Gewerbe und Industrie vom 2.10.1981 über die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche (im Folgenden VO) wurde beantragt über den verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichen der Firma H & Co eine Geldstrafe von S 10.000,-- zu verhängen.

In weiterer Folge führte die Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag ein Ermittlungsverfahren durch. Mit Bescheid vom 18.1.1999 stellte die Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschuldigten E H gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG ein. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der Lehrling M G am 20.8.1997, gegen zirka 16.00 Uhr nicht unbeaufsichtigt Arbeiten an dem Gerüst auf der Baustelle in N, S-weg 5 durchgeführt habe. Die Behörde komme zur Überzeugung, dass die Möglichkeit bestanden habe, dass der Lehrling M G eine Anweisung des P M auf Grund eigener Unachtsamkeit falsch interpretiert habe und in einem kurzen unbeaufsichtigten Moment vom zweiten Stock des Wohnhauses auf das Gerüst gestiegen und in weiterer Folge von dort zu Boden gestürzt sei. Es habe nicht erwiesen werden können, dass der gegenständliche Unfall durch die Nichteinhaltung von arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften verursacht worden sei, bzw. dass der gegenständliche Unfall durch das Bestehen eines geeigneten Kontrollsystems betreffend die Einhaltung dieser Bestimmungen verhindert hätte werden können.

Gegen diesen Einstellungsbescheid erhob das Arbeitsinspektorat Leoben als mitbeteiligte Partei fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung und führte aus, dass es sich eindeutig bei dem zur Anzeige gelegten Tatbestand um eine Verwaltungsübertretung handle. Auf Grund der Missachtung der Arbeitnehmerschutzvorschrift habe es zu einem Arbeitsunfall kommen können, bei welchem der jugendliche Lehrling M G schwer verletzt worden sei. Aus der Sicht des Arbeitsinspektorates hätte diese Verwaltungsübertretung bei Existieren eines funktionierenden Kontrollsystems durchaus vermieden werden können. Es wurde daher der Antrag gestellt, den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag vom 18.1.1999 aufzuheben und im Sinne des Strafantrages des Arbeitsinspektorates vom 21.10.1997 (in diesem wurde eine Geldstrafe von S 10.000,-- beantragt) zu entscheiden.

Am 26.5.1999, 15.6.1999 sowie 5.7.1999 fanden vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark Berufungsverhandlungen statt, in deren Verlauf neben dem Beschuldigten E H, noch die Zeugen M G (verunfallter Lehrling), B J (zum Tatzeitpunkt Hilfsarbeiter der Firma H auf der Baustelle), P M (zum Tatzeitpunkt Geselle der Firma H), F R (zum Tatzeitpunkt zuständiger Polier auf der Baustelle), Ing. C G (unfallerhebender Arbeitsinspektor) sowie Ing. A H (zum Tatzeitpunkt technische Angestellte der Firma H) einvernommen wurden. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens geht die Berufungsbehörde von folgendem Sachverhalt aus:

Der Beschuldigte E H ist handelsrechtlicher Geschäftsführer der H & Co Baugesellschaft mbH mit Sitz in M. Dieses Unternehmen hatte im Jahre 1997 zirka 30 Arbeitnehmer. Auf der Baustelle in N, S-weg 5, hatte die H & Co Baugesellschaft mbH den Auftrag das Gebäude general zu sanieren. Die Arbeiten dauerten zirka fünf bis sechs Monate und war man im August 1997 mitten in den Arbeiten.

Am 18.8.1997 begann M G bei der H & Co Baugesellschaft mbH seine Maurerlehre. Die ersten beiden Tage - also Montag, den

18.8 und Dienstag, den 19.8.1997 - verbrachte der Lehrling damit, dass er zusammen mit einem ausländischen Hilfsarbeiter am Dachboden auf der Baustelle S-weg 5 Schotter schaufelte, den Boden ausfüllte und zusammenräumte. In der Früh des 20.8.1997 gab der für die Baustelle zuständige Polier der Firma H, F R, dem Gesellen P M, dem Hilfsarbeit H und dem Lehrling M G den Auftrag bei einer Fassade ein Gerüst aufzustellen. Am Vormittag stand der Lehrling am Boden und reichte Pfosten für den Gerüstaufbau weiter. Der Polier R schaute ab und zu vorbei. Im Laufe des Vormittags fuhr der Lehrling G mit dem Gesellen M ins Lager und holte Gerüstmaterial. Nach der Mittagspause wurde das Gerüst fertig aufgebaut. Dabei stand der Lehrling G auf der zweiten Gerüstlage (Höhe zirka vier Meter). Der Geselle M reichte dem Lehrling G Pfosten, der sie an den Hilfsarbeiter H weiterreichte, der auf der dritten Gerüstlage (zirka sechs Meter Höhe) stand. In weiterer Folge gab der Geselle M dem Lehrling G den Auftrag dem Hilfsarbeiter beim Montieren der Rohre auf der dritten Gerüstlage zu helfen. Zum damaligen Zeitpunkt hatte das Gerüst keine Aufstiegsmöglichkeit. Die zweite Gerüstlage befand sich auf Höhe des ersten Stockwerkes des Hauses und die vierte Gerüstlage auf Höhe des zweiten Stockes. Um auf die dritte Gerüstlage zu kommen, musste der Lehrling entweder von der zweiten Gerüstlage auf die dritte hinaufsteigen oder von der vierten Gerüstlage auf die dritte hinuntersteigen. Der Lehrling G ging zunächst im Inneren des Hauses hinauf und blickte von einem Fenster im zweiten Stock des Gebäudes heraus. Der Geselle M, der sich am Boden befand, teilte dem Lehrling mit, dass er einen Stock zu hoch gegangen sei. Daraufhin drehte sich der Geselle M weg, weil er sich eine Zigarette anzündete. In diesem Moment stieg der Lehrling G aus einem Fenster des zweiten Stockes auf die vierte Gerüstlage (zirka acht Meter Höhe) und wollte von dieser auf die dritte Gerüstlage hinuntersteigen. Dabei löste sich eine Querverstrebung und der Lehrling G stürzte aus einer Höhe von zirka sieben Meter ab. Dabei zog er sich einen Wadenbeinbruch, Abschürfungen im Gesicht und Prellungen der Wirbelsäule und der Schulter zu. Das Lehrverhältnis mit M G wurde innerhalb der zweimonatigen Probezeit gelöst. Der Lehrling G erhielt keine Sicherheitsbelehrungen, bevor er die Gerüstarbeiten durchführte.

Die Feststellungen über die H & Co Baugesellschaft mbH und die Arbeiten auf der Baustelle in N, S-weg 5, konnten auf Grund der Aussagen des Berufungswerbers und des Poliers R getroffen werden. Die Feststellungen, über die Arbeiten des Lehrlings G an den ersten beiden Tagen seines Lehrverhältnisses konnten auf Grund der Aussagen des Poliers R und des Lehrlings G getroffen werden. Hinsichtlich der Arbeiten des Lehrlings G am dritten Tag - das war der Unfalltag am 20.8.1997 - folgte die Berufungsbehörde den Aussagen des Lehrlings M G. Dieser machte bei seiner Einvernahme einen glaubwürdigen Eindruck. Im Übrigen ist auch darauf zu verweisen, dass der Lehrling G bereits anlässlich der Unfallaufnahme durch den Arbeitsinspektor Ing. G eingehend am 15.10.1997 befragt wurde und auch dort angab, dass ihm mit Sicherheit niemand gesagt habe, worauf er beim Aufstellen des Gerüstes zu achten hätte. Er sei auch nicht besonders eingewiesen worden und hätte ihm auch niemand gesagt, dass er nicht an der Außenseite des Gerüstes heruntersteigen dürfe. Er habe dem Hilfsarbeiter bei der Montage der waagrechten Streben, die zirka sechs Meter lang gewesen seien, helfen wollen und sein Arbeitsplatz hätte auf der dritten Gerüstlage in einer Höhe von zirka sechs Meter sein sollen. Dort habe der Hilfsarbeiter auf ihn gewartet. Es ist auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Lehrling G unrichtige Angaben machen und den Beschuldigten ungerechtfertigterweise belasten sollte. Der Beschuldigte verantwortete sich dahingehend, dass er am ersten Tag des Lehrverhältnisses am 18.8.1997 eine besondere Belehrung hinsichtlich des Lehrlings G durchgeführt hätte. Er habe den Lehrling dann dem überaus erfahrenen Polier R beigegeben und den Polier belehrt, dass der Lehrling nicht auf das Gerüst dürfe. Beweiswürdigend folgt die Berufungsbehörde den Angaben des Zeugen G, wonach er keinerlei Belehrungen seitens des Beschuldigten erhalten habe, sondern diesen lediglich am zweiten Tag in der Früh am Lagerplatz in der Firma gesehen habe und der Beschuldigte ihn gefragt habe, wie es ihm gefalle. Der Lehrling G stand bei seiner Aussage als Zeuge unter Wahrheitspflicht, während dies beim Berufungswerber nicht der Fall war. Die Angaben des Beschuldigten über die Belehrung des Lehrlings werden als Schutzbehauptung angesehen.

Der Polier R gab bei seiner Zeugeneinvernahme an, dass er in der Früh des 20.8.1997 dem Gesellen P M, dem Hilfsarbeiter H und dem Lehrling G den Auftrag gegeben habe, bei einer Fassade ein Gerüst aufzustellen. Er habe dabei betont, dass der Lehrling das Gerüst nicht zu betreten habe und nur vom Boden zugreifen dürfe. An diesem Tag sei er zwei bis dreimal an der Fassade vorbeigekommen und habe feststellen können, dass sich der Lehrling am Boden aufgehalten habe. Die Angabe des Zeugen R, wonach der Lehrling G nur vom Boden zureichen hätte dürfen, wurden weder vom Lehrling G noch vom Gesellen M bestätigt. Vielmehr gaben die Zeugen G und M übereinstimmend an, dass der Lehrling G am Nachmittag des 20.8.1997 auf der zweiten Gerüstlage gestanden sei und von dort dem Hilfsarbeiter Pfosten zugereicht habe. Da der Lehrling diese Zureichtätigkeiten nicht nur kurzfristig ausübte (der Lehrling selbst sprach von zirka einer halben Stunde) dürfte der Polier R offensichtlich nur am Vormittag beim Fassadengerüst vorbeigekommen sein.

Die Berufungsbehörde geht davon aus, dass zum Unfallzeitpunkt auf der Längsseite des Gebäudes vier Gerüstlagen vorhanden waren, wobei jede Gerüstlage eine Höhe von zirka zwei Meter aufwies. Dies ergibt sich einerseits daraus, dass der Lehrling G aus einem Fenster des zweiten Stockes stieg und somit eine vierte Gerüstlage vorhanden gewesen sein muss, andererseits sprach auch die Zeugin Ing. H davon, dass "meiner Erinnerung nach die letzte Etage (fünfte Gerüstlage) nicht vorhanden war". Dabei bezog sich die Zeugin Ing. H auf Kopien von Lichtbildern, die sich im erstinstanzlichen Verwaltungsstrafakt befinden, wobei ein Lichtbild vom 27.8.1997 und das zweite vom 12.9.1997 stammt und auf beiden Bildern fünf Gerüstlagen auf der Längsseite ersichtlich sind. Die zweite Gerüstlage auf der Längsseite befindet sich ungefähr auf Höhe des ersten Stockes und die vierte Gerüstlage ungefähr auf Höhe des zweiten Stockes des Gebäudes. Aus den dargelegten Überlegungen schenkt die Berufungsbehörde den Angaben des Zeugen R, wonach zum Unfallszeitpunkt glaublich drei Gerüstlagen vorhanden gewesen seien, keinen Glauben.

Der Geselle M erwähnte bei seiner Zeugeneinvernahme nichts davon, dass der Polier R die Anweisung gegeben habe, dass der Lehrling nur vom Boden aus Pfosten zureichen dürfe. Vielmehr sprach der Zeuge M davon, dass der Lehrling G zeitweise am Gerüst auf der zweiten Etage auf der Längsseite gearbeitet habe. Er habe den Lehrling auch nicht über Sicherheitsvorschriften belehrt, da dies nicht seine Aufgabe sei. Er habe dem Lehrling und Hilfsarbeiter gesagt, dass der Lehrling höchstens auf die erste Gerüstetage steigen dürfe. Der Zeuge M bestritt auch, dass er dem Lehrling G die Anweisung gegeben habe, dass er dem Hilfsarbeiter auf der dritten Gerüstetage beim Montieren der Rohre helfen solle. Er habe dem Lehrling lediglich die Anweisung gegeben, im Inneren des Hauses hinauf zu gehen und eine Schelle, die sich auf der dritten Gerüstetage befunden habe, zu nehmen und dem Hilfsarbeiter zu reichen. Der Lehrling sei aber einen Stock zu hoch gegangen und habe er dies dem Lehrling mitgeteilt. Er habe sich dann weggedreht, sich eine Zigarette angezündet und sei der Meinung gewesen, dass der Lehrling im Inneren des Hauses einen Stock tiefer gehen würde.

Die Angaben des Zeugen M scheinen der Berufungsbehörde aus folgenden Gründen nicht überzeugend: Wenn der Lehrling G tatsächlich auf der zweiten Gerüstlage war und von dort aus dem Hilfsarbeiter, der sich auf der nächsthöheren Gerüstlage befunden hat, Pfosten zureichte, so wäre der Hilfsarbeiter ja selbst auf der dritten Gerüstlage gestanden und hätte sich die Schelle selbst holen können. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum extra der Lehrling diese Schelle holen hätte sollen. Der Lehrling G gab bei seiner Einvernahme an, dass er sich daran erinnern könne, dass er vom Gesellen M den Auftrag hatte, dem Hilfsarbeiter auf der dritten Gerüstlage zu helfen. Dass er diesem auch eine Schelle bringen hätte sollen, sei möglich, daran könne er sich aber nicht mehr erinnern, sehrwohl aber an die Anweisung des Gesellen M zur Mithilfe auf der dritten Gerüstlage. Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist auch, dass der Lehrling G am 20.8.1997 den ersten Tag bei Gerüstarbeiten mit dabei war und bei diesen Arbeiten schon in großem Ausmaß beigezogen wurde. Im Gegensatz dazu befand sich der Ranghöchste der Arbeitspartie, nämlich der Geselle M offensichtlich des Öfteren am Boden, weil übereinstimmend davon die Rede war, dass der Lehrling dem Hilfsarbeiter die Pfosten reichte. Jedenfalls gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass am 20.8.1997 der Arbeitseinsatz des Lehrlings zwischen dem Polier R und dem Gesellen M in irgend einer Form abgesprochen worden sei.

Hinsichtlich der Verwendung des Lehrlings an den ersten drei Tagen seiner Lehrzeit konnte die Zeugin Ing. H keine Angaben machen, weil sie sich in der Woche vor Beginn der Lehrzeit bis zum Unfallstag auf Urlaub befunden hat. Sie gab unter anderem an, dass hinsichtlich der Lehrlinge sie und Herr Ing. S keine speziellen Unterweisungen durchgeführt hätten, sondern für die Ausbildung der Lehrlinge grundsätzlich der Firmenchef (der Beschuldigte E H) verantwortlich sei und es üblich gewesen sei, dass ein Lehrling zunächst dem erfahrenen Polier R beigegeben werde. Dies wurde im Wesentlichen auch vom Beschuldigten und vom Zeugen R bestätigt. Daher wurde von der Einvernahme des Zeugen Ing. S, der an einer schweren Erkrankung leidet und daher zu keinem der drei Verhandlungsterminen erscheinen konnte, abgesehen. Bei der Berufungsverhandlung am 26.5.1999 wurde auch B J als Zeuge einvernommen. Er konnte zur Aufklärung des Sachverhaltes aber nicht beitragen, da er zum Unfallszeitpunkt in einem anderen Bereich der Baustelle arbeitete und von den Vorgängen im Unfallsbereich nichts mitbekam. Der ausländische Hilfsarbeiter, S H, der zur Arbeitspartie des Gesellen M und des Lehrlings G gehörte, konnte nicht einvernommen werden, da er nicht mehr bei der Firma H beschäftigt ist und keine ladungsfähige Anschrift bekannt ist. In diesem Zusammenhang darf noch darauf verwiesen werden, dass der Polier R als Beschuldigter vor dem Bezirksgericht Mürzzuschlag bei der Hauptverhandlung am 11.5.1998 angab, dass seines Wissens nach H nach Amerika ausgewandert sei.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 2 Abs 2 VO dürfen Jugendliche in den in § 3 genannten Betrieben und mit den oder bei den in den §§ 4 bis 9 angeführten Arbeiten nicht beschäftigt werden, sofern nicht anderes bestimmt wird. Wenn Arbeiten unter Aufsicht erlaubt werden, ist unter Aufsicht die Überwachung durch eine geeignete fachkundige Person, die jederzeit unverzüglich zum Eingreifen bereit stehen muss, zu verstehen.

§ 9 Z 7 VO in der Fassung BGBl. Nr. 173/97 lautet:

Arbeiten nach § 2 sind, unbeschadet der §§ 4 bis 8 und einer allfälligen bescheidmäßigen Verfügung gemäß § 10 Abs 1 dieser Verordnung, schließlich

7. Arbeiten beim Aufstellen und Abtragen von Gerüsten sowie bei der Instandhaltung von aufgestellten Gerüsten aller Art, erlaubt ist die Beschäftigung mit solchen Arbeiten bei einfachen Bockgerüsten; Jugendliche, die in einem Lehr- oder gesetzlich anerkannten Ausbildungsverhältnis stehen, dürfen zur Mithilfe beim Aufstellen oder Abtragen von Gerüsten sowie bei der Instandhaltung von aufgestellten Gerüsten bis zu einer Gerüstlage von vier Meter Höhe unter Aufsicht herangezogen werden, wenn diese Arbeiten im Zusammenhang mit der Ausbildung erforderlich sind."

§ 30 KJBG lautet:

Wer diesem Bundesgesetz oder einer auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnung zuwiderhandelt, ist, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde (Berghauptmannschaft) mit Geldstrafen von S 1.000,-- bis S 15.000,--, im Wiederholungsfall von S 3.000,-- bis S 30.000,-- oder mit Arrest von drei Tagen bis zu sechs Wochen zu bestrafen. Beide Strafen können auch nebeneinander verhängt werden."

Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes ist davon auszugehen, dass der Lehrling G den Auftrag erhielt, sich auf die dritte Gerüstlage (Höhe zirka sechs Meter) zu begeben und dem Hilfsarbeiter bei den Gerüstarbeiten zu helfen. Da es beim Gerüst noch keinen Aufstieg gab, musste der Lehrling entweder aus einem Fenster im zweiten Stock hinaussteigen und von der vierten Gerüstlage auf die dritte Gerüstlage hinuntersteigen oder aus einem Fenster des ersten Stockes auf die zweite Gerüstlage hinaussteigen um auf die dritte Gerüstlage hinaufzusteigen. Der Lehrling wählte den Weg über die vierte Gerüstlage und als er von dieser auf die dritte Gerüstlage heruntersteigen wollte, stürzte er ab. Für die Berufungsbehörde ist es daher erwiesen, dass der Lehrling auf der dritten Gerüstlage (sechs Meter Höhe) eingesetzt werden sollte und auf dem Weg dorthin aus sieben Metern abstürzte. Aus diesem Grund liegt eine Übertretung des § 9 Z 7 VO vor, weil der Lehrling zur Mithilfe beim Aufstellen von Gerüsten nur bis zu einer Gerüstlage von vier Meter Höhe unter Aufsicht herangezogen hätte werden dürfen.

Verwaltungsübertretungen, zu deren Tatbestand der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört, werden als Ungehorsamsdelikte bezeichnet. (VwGH 5.9.1978, 2787/77). Bei diesen Delikten hat jedoch der Täter die von ihm behauptete Schuldlosigkeit glaubhaft zu machen und es obliegt ihm, alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. (s. VwSlg. 7087A/1967 und VwGH 20.5.1968, 187/67). Der Gesetzgeber belastet sohin den Täter in einem solchen Fall schon durch den objektiven Tatbestand und präsumiert die Schuld bis zur Glaubhaftmachung des Gegenteils durch den Beschuldigten. (VwGH 21.10.1977, 1793/76, ebenso VwGH 13.2.1979, 26969/77).

Bei der Annahme einer grundsätzlichen Verantwortung des Arbeitgebers für die im Zusammenhang mit dem Betrieb stehenden Verwaltungsübertretungen darf nicht übersehen werden, dass die im heutigen Wirtschaftsleben notwendige Arbeitsteilung es nicht zulässt, dass sich der Unternehmer aller Belange und Angelegenheiten selbst persönlich annimmt. Dies führt zu der rechtlichen Konsequenz, dass dem Unternehmer zugebilligt werden muss, die Besorgung einzelner Angelegenheiten anderen Personen selbstverantwortlich zu überlassen und die eigene Tätigkeit in diesen Belangen auf eine angemessene Kontrolle zu beschränken. Ob der Unternehmer dann persönlich von der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung befreit ist, hängt im Einzelfall davon ab, ob er den Nachweis zu erbringen vermag, dass er Maßnahmen getroffen hat, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschrift mit gutem Grund erwarten lassen. Im Sinne dieser Judikatur reicht also die bloße Erteilung von Weisungen nicht aus; entscheidend ist, ob auch eine wirksame Kontrolle der vom Verantwortlichen erteilten Weisungen erfolgte. (s. VwGH 9.10.1979, 2762/78; 7.10.1980, 2608/76; 30.6.1981, 3489/80; 30.3.1982, 81/11/0087).

Hinsichtlich des Verschuldens ist zunächst darauf zu verweisen, dass nach der für glaubwürdig befundenen Aussage des Lehrlings G der Beschuldigte dem Lehrling gegenüber keine besonderen Sicherheitsbelehrungen direkt durchführte. Wenn der Beschuldigte darauf verweist, dass er dem Polier R die Weisung erteilt habe, dass der Lehrling nicht auf das Gerüst dürfe, so wurde diese Anweisung offensichtlich nicht an den Ranghöchsten der Arbeitspartie (Geselle M) weitergegeben, da dieser den Lehrling zunächst einige Zeit auf der zweiten Gerüstlage einsetzte und der Lehrling von dort aus dem Hilfsarbeiter Pfosten zureichte. Der Beschuldigte hat sich offensichtlich auf seinen erfahrenen Polier R verlassen. Dieser hat aber offensichtlich nicht einmal dem Gesellen M entsprechende Anweisungen über den Arbeitseinsatz des Lehrlings gegeben, geschweige denn selbst in

ausreichendem Maße kontrolliert, dass der Lehrling tatsächlich nur am Boden eingesetzt wird. Es ist auch zu bedenken, dass der Lehrling erst den dritten Tag in der Firma beschäftigt war und der Unfallstag der erste Tag war, an dem der Lehrling bei Gerüstarbeiten eingesetzt wurde. Bereits dies hätte eine besondere Aufmerksamkeit der Verantwortlichen erfordert, da bei Unerfahrenen und mit den Gefahren noch nicht so vertrauten Arbeitnehmern - insbesondere bei jugendlichen Lehrlingen - grundlegende Kenntnisse noch nicht vorausgesetzt werden können. Da somit ein funktionierendes Kontrollsystem seitens des Unternehmens nicht vorlag, ist dem Beschuldigten hinsichtlich der subjektiven Tatseite fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Bei der Festsetzung der Geldstrafe ging die Berufungsbehörde von folgenden Überlegungen aus:

Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Der Schutzzweck der übertretenen Bestimmung liegt darin, dass Lehrlinge schrittweise und mit entsprechender Begleitung in die Arbeitswelt eingeführt werden und vor den besonderen Gefahren, die auf Baustellen vorhanden sind, geschützt werden. Dazu ist vorgesehen, dass Lehrlinge beim Aufstellen von Gerüsten einerseits nur bis zu einer gewissen Höhe beschäftigt werden dürfen und andererseits eine besondere Aufsicht gegebenen sein soll. Dieser Schutzzweck wurde im gegenständlichen Fall massiv verletzt, da der Lehrling einerseits auf einer Gerüstlage in zirka sechs Meter Höhe eingesetzt werden sollte und überdies erst drei Tage als Lehrling beschäftigt war und am Tattag den ersten Tag mit Gerüstarbeiten beschäftigt war. Hinzu kommt noch, dass die Tätigkeit des Lehrlings nicht nur zu einer abstrakten Gefahr geführt hat, sondern der Lehrling aus einer Höhe von zirka sieben Meter abstürzte und schwer verletzt wurde.

Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Milderungsgründe liegen nicht vor, als erschwerend ist zu werten, dass es zu einem schweren Arbeitsunfall kam und der Lehrling schwer verletzt wurde.

Wie bereits ausgeführt ist dem Berufungswerber fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen.

Der Strafrahmen beträgt gemäß § 30 KJGB S 1.000,-- bis S 15.000,--.

Der Beschuldigte hat ein monatliches Nettoeinkommen von zirka S 20.000,-- als Geschäftsführerbezug. Er ist Gesellschafter der H & Co BaugesmbH mit einer Stammeinlage von S 125.000,--. Die geleistete Einlage beträgt S 62.500,--. Er hat kein sonstiges Vermögen und keine Sorgepflichten.

Auf Grund der eben aufgelisteten Strafzumessungskriterien, insbesondere auf Grund des Erschwerungsgrundes des Arbeitsunfalles, der zu schweren Verletzungen des Lehrlings führte, und auf Grund des nicht nur geringfügigen Verschuldens (der Lehrling war erst den dritten Tag im Betrieb beschäftigt und den ersten Tag mit Gerüstarbeiten betraut) erscheint die vom Arbeitsinspektorat beantragte Strafhöhe von S 10.000,-- als durchaus gerechtfertigt und angemessen.

Schlagworte
Jugendlicher Beschäftigungsverbot Gerüst Kontrollsystem
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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