TE UVS Steiermark 1999/07/26 30.15-1/99

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Veröffentlicht am 26.07.1999
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Einzelmitglied Dr. Renate Merl über die Berufung des Herrn M S, vertreten durch Frau Rechtsanwältin Dr. U S, H-E-Gasse, B, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Leoben vom 01.12.1998, GZ.: 15.1 97/6260, wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber als Inhaber der Firma S M Innenausbau, etabliert in K, zur Last gelegt, dass, wie anlässlich einer Kontrolle des Arbeitsinspektorates am 22.11.1997 festgestellt wurde, das auf der Baustelle St. M aufgestellte verfahrbare Stadtgerüst in insgesamt vier Punkten nicht den Bestimmungen der Bauverordnung entsprochen habe.

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe von insgesamt S 14.000,-- verhängt.

In seiner dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung wandte der Berufungswerber ein, er sei wegen der mangelhaften Gerüstaufstellung, welche auch einen Arbeitsunfall seines Mitarbeiters P S zur Folge hatte, in dem beim Bezirksgericht Bruck an der Mur zur GZ.: 4 U 44/98 w eingeleiteten Gerichtsverfahren mit Protokolls- und Urteilsvermerk vom 25.11.1998 freigesprochen worden. Es sei daher gemäß Artikel 4 Absatz 1 des 7. ZP EMRK der Freispruch im Gerichtsverfahren auch für die Verwaltungsstrafbehörde bindend. Im Übrigen sei Unfallsursache ausschließlich eine Schlamperei der Mitarbeiter des Berufungswerbers gewesen, welche eigenmächtig auf die Idee verfielen, das nur 1-etagige Standgerüst durch Übereinanderstapeln von zwei Unterteilen provisorisch zu einem 2-etagigen Gerüst "umzurüsten". Unfallsursächlich für den Arbeitsunfall des P S sei somit der für den Berufungswerber nicht vorhersehbare unsachgemäße Aufbau eines an und für sich einwandfreien Gerüstes gewesen.

Gemäß § 51 Abs 1 VStG steht dem Beschuldigten stets das Recht der Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat jenes Landes zu, in dem die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ihren Sitz hat; somit ergibt sich die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark für die Erlassung der gegenständlichen Entscheidung. Da im angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine S 10.000,-- übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war gemäß § 51 c VStG die Zuständigkeit des Einzelmitgliedes gegeben.

Nach Durchführung zweier öffentlicher, mündlicher Berufungsverhandlungen am 11.03.1999 und am 07.07.1999, in welchen neben dem Berufungswerber die sämtlich auch im Gerichtsverfahren bereits befragten Zeugen H M, A J, K F, P S sowie weiters der meldungslegende Arbeitsinspektor Ing. H H einvernommen wurden, wird nachstehender Sachverhalt als erwiesen angenommen:

Der Berufungswerber betreibt als Einzelunternehmen eine Firma mit dem Gegenstand Trockenbau und Raumausstattung schon seit 33 Jahren und war dies der erste Arbeitsunfall, welcher sich in dieser langen Zeit ereignet hat. Beim gegenständlichen Auftrag handelt es sich um die Aufstellung von Hallenzwischenwänden im Glasereibetrieb der Firma M. Dieser Auftrag wurde mit Unterbrechungen (der ursprüngliche Auftrag wurde in mehreren Etappen erweitert) in einem Zeitraum von ca. 2 Monaten durchgeführt. Der Unfall ereignete sich am letzten Arbeitstag, als nur mehr Verspachtelungsarbeiten als Abschlussarbeiten durchzuführen waren. Seitens der Firma des Berufungswerbers waren auf dieser Baustelle 2 bis 4 Arbeitnehmer, nämlich F, S, J und Herr L, eingesetzt. Von den angeführten Arbeitnehmern hatte Herr F, welcher schon seit 20 Jahren beim Berufungswerber beschäftigt ist, die Funktion eines Vorarbeiters. Der Verunfallte, Herr S, war zum Unfallszeitpunkt mit Unterbrechungen auch schon ca. 3 bis 4 Jahre im Betrieb beschäftigt und hat nach dem verfahrensgegenständlichen Vorfall von sich aus gekündigt. Hinsichtlich der auf der Baustelle verwendeten Gerüste wurde mit dem Firmenchef der Firma M, Herrn H M, mündlich vereinbart, dass zur Reduktion der Kosten ein 3-stufiges, fahrbares Alu-Gerüst der Firma M, welches bereits in der Halle bereitstand, von den Mitarbeitern der Firma S mitbenützt werden darf. Dies wurde in den Wochen vor dem Unfall auch so gehandhabt. 2 Tage vor dem Unfall wurden allerdings die Räder des Gerüstes der Firma M, da diese auf einer anderen Baustelle benötigt wurden, abmontiert. Das Gerüst konnte zwar auch ohne Räder von einer Stelle der Halle zur anderen getragen werden, jedoch war das Arbeiten darauf wegen des damit verbundenen Transportaufwandes nicht mehr so komfortabel wie zuvor. Herr M hatte weder den Berufungswerber noch dessen Arbeitnehmer ausdrücklich über diese geänderten Verwendungsmöglichkeiten des Gerüstes informiert. Zusätzlich zu diesem Gerüst der Firma M wurde einige Tage vor dem Unfall von Herrn J, welcher zum Tatzeitpunkt als Hilfsarbeiter in der Firma des Berufungswerbers beschäftigt war, das verfahrensgegenständliche Gerüst auf die Baustelle mitgebracht. Dieses Gerüst war als Ergänzung für Arbeiten in niedrigerer Höhe gedacht und wurde auf der Baustelle als 1-etagiges Gerüst aufgebaut, indem zwei Untergestelle nebeneinander gestellt und verbunden wurden. Die Absturzhöhe von diesem Gerüst beträgt bei 1-etagiger Ausführung jedenfalls nicht mehr als 2 m. Das beanstandete Gerüst besitzt in der Form, in welcher es von Herrn J auf die Baustelle gebracht wurde, zwar eine in verschiedener Höhe einhängbare Brustwehr, jedoch keine Fußwehr. Vor dem verfahrensgegenständlichen Unfall wurde das Gerüst der Firma S von Herrn J mehrfach in der 1-etagigen Ausführung benutzt, was auch von dem praktisch täglich vor Ort befindlichen Firmenchef der Firma M beobachtet wurde. Am Unfallstag befanden sich nur mehr der Verunfallte, Herr S, sowie dessen Vorgesetzter, Herr F, Letzterer zum ersten Mal, auf der verfahrensgegenständlichen Baustelle. Es waren nur mehr Abschlussarbeiten in Gestalt von Verspachtelungsarbeiten durchzuführen. Hiebei war es den beiden Männern zu mühsam, für Verspachtelungsarbeiten im oberen Teil einer Mauer das dafür an und für sich vorgesehene Gerüst der Firma M, welches zum damaligen Zeitpunkt, wie bereits ausgeführt, in Ermangelung der Räder nicht mehr fahrbar war, abzubauen, unter der in der Halle befindlichen Kranbahn durchzuschieben und auf der anderen Seite wieder aufzubauen. Aus diesem Grund verfielen die beiden Männer auf die Idee, das Gerüst der Firma S zu verwenden, welches sich am Unfallstag bereits in der unfallsursächlichen Aufstellung in der Halle befand, das heißt, ohne Verankerung am einzurüstenden Objekt bzw. standsichere Aufstellung, ohne Wehren auf der zweiten Gerüstetage und durch provisorisches Übereinanderstapeln von zwei Gerüstunterbauteilen, welche nicht fest miteinander verbunden waren. Im Zuge des Verfahrens konnte nicht mehr geklärt werden, von wem und wann genau das Gerüst der Firma S in der beschriebenen Weise montiert wurde. Jedenfalls fassten die beiden Männer den gemeinsamen Entschluss, das Gerüst in dieser Aufstellung zu benützen. Hiebei fiel Herrn F gar nicht auf, dass die zwei Gerüstunterbauteile lediglich provisorisch zusammengesteckt waren. Wohl jedoch bemerkte er die fehlende Verankerung des Gerüstes sowie die fehlenden Wehren auf der oberen Gerüstetage, entschloss sich jedoch dennoch, aus Zeitersparnisgründen das Gerüst in dieser Weise zu benützen. In weiterer Folge stürzte das Gerüst um, was für den Arbeitnehmer P S den Bruch zweier Wirbel und einen 4- monatigen Krankenstand zur Folge hatte.

Hinsichtlich der im Unternehmen des Berufungswerbers verwendeten Gerüste sowie des Kontrollsystems im Allgemeinen und insbesondere im Zusammenhang mit der Verwendung von Gerüsten hat das Verfahren Nachstehendes ergeben:

Das verfahrensgegenständliche verfahrbare Standgerüst besitzt der Berufungswerber seit ca. 1980. Es handelt sich um ein einfach aufzubauendes Systemgerüst, welches überdies mit einer aufgeklebten Montageanleitung in Gestalt eines Pickerls ausgestattet ist. Es handelt sich um ein schmales, nur ca. 75 cm breites und 2,5 m langes Gerüst, welches für Arbeiten in niedrigen Räumen bis zu einer Arbeitshöhe von maximal 3 m geeignet ist. Der am Unfallstag anwesende Vorarbeiter K F, welcher schon seit 1976 in der Firma des Berufungswerbers beschäftigt ist, war seinerzeit beim Kauf des verfahrensgegenständlichen Gerüstes anwesend und wurde von der Herstellerfirma hinsichtlich des Gerüstaufbaues eingeschult. Insgesamt gibt es in der Firma des Berufungswerbers drei verschiedene Gerüsttypen, davon auch ein mehretagiges Gerüst, wobei alle Gerüste einfach aufzubauende Systemgerüste sind. Herr F hat das verfahrensgegenständliche Standgerüst vor dem Unfall schon ein- oder zweimal bei Arbeiten im Stiegenhausbereich zum Ausgleich des Höhenunterschiedes zwischen den Stufen in 2-etagiger Ausführung verwendet, jedoch mit fest zusammengesteckten Verbindungsteilen, sodass es hiebei zu keinem Unfall kam. Der Berufungswerber bespricht morgens in der Firma im Zusammenhang mit der Beschickung der zu den einzelnen Baustellen startenden LKWs mit dem jeweiligen Vorarbeiter auch die auf den Baustellen jeweils zu verwendeten Gerüste. Abnahmeprüfungen von Gerüsten führt der Berufungswerber selbst durch, führt jedoch diesbezüglich keine schriftlichen Vormerke. In diesem Sinne wurde auch das in den Wochen vor dem Unfall von den Arbeitern der Firma S mitbenützte Gerüst der Firma M vom Berufungswerber am ersten Arbeitstag überprüft und nicht beanstandet. Vor dem Unfallstag wurde das beanstandete Gerüst weder vom Berufungswerber noch von seinen Mitarbeiten noch vom Firmenchef der Firma M jemals in der unfallsursächlichen 2-etagigen Aufstellung gesehen. Baustellenkontrollen führt der Berufungswerber selbst durch, wobei seine Firma im Durchschnitt zwischen 25 und 30 Baustellen gleichzeitig über die gesamte Steiermark verstreut in Betrieb hat. Der Berufungswerber versucht, unter Berücksichtigung anderer Termine zumindest ein- bis zweimal wöchentlich auf eine Baustelle zu kommen. Im Bedarfsfall auch öfter. Die verfahrensgegenständliche Baustelle wurde ca. 7 bis 8 Mal kontrolliert, nicht jedoch am Unfallstag, weil dies der Berufungswerber wegen der lediglich noch durchzuführenden Abschlussarbeiten nicht für erforderlich hielt. Im Zuge von Baustellenkontrollen wird vom Berufungswerber auch der Aufbau der eingesetzten Gerüste, insbesondere deren Standsicherheit, überprüft, wobei sich die Zeugen F und J an keine vorangehende Beanstandung durch den Berufungswerber erinnern konnten.

Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen gründen sich auf die glaubwürdigen Aussagen des Berufungswerbers, welche sich in allen wesentlichen Punkten mit denen der einvernommenen Zeugen deckten. Hiebei ist zu bemerken, dass insbesondere der Aussage des Firmenchefs der Firma M besondere

Glaubwürdigkeit zukommt, da dieser kein Mitarbeiter des Berufungswerbers ist und daher keinen erkennbaren Grund hätte, diesen zu decken. Nicht gefolgt werden konnte hingegen in weiten Teilen den belastenden Angaben des Zeugen P S, welcher, wie schon im Gerichtsverfahren, auch nochmals im Verwaltungsstrafverfahren aussagte, er habe das beanstandete Gerüst auch schon vor dem Unfallstag mehrmals mit Wissen des Berufungswerbers in der unfallsursächlichen Aufstellung verwendet. Diese Angaben des P S wurden von keinem anderen Zeugen bestätigt, ebensowenig seine weiteren belastenden Angaben, wonach der Berufungswerber Gerüste in sehr schlechter Ausführung verwende und überdies ausländische Schwarzarbeiter beschäftige. Dieser Zeuge, welcher sich im Übrigen nach dem verfahrensgegenständlichen Vorfall im Unfrieden von seinem Arbeitgeber trennte, machte auch im Berufungsverfahren insgesamt einen unglaubwürdigen Eindruck. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass

möglicherweise der verunglückte P S selbst derjenige war, welcher das Gerüst in der beanstandeten Ausführung aufbaute und danach im Hinblick auf seine Schmerzensgeldforderungen möglicherweise darauf bedacht war, seinen ehemaligen Arbeitgeber "anzuschwärzen". Es konnten daher diese massiv belastenden Angaben des Herrn S, welche im krassen

Widerspruch zu den Aussagen sämtlicher anderer

einvernommener Zeugen standen, in diesem Verfahren nicht

verwertet werden.

Hinsichtlich der strittigen Absturzhöhe wurde als erwiesen angenommen, dass das verfahrbare Standgerüst bei 1-etagiger Aufstellung eine Absturzhöhe von nicht mehr als 2 m aufwies, da die entgegenstehende Aussage des meldungslegenden Arbeitsinspektors von allen anderen einvernommenen Zeugen widerlegt wurde. Im Übrigen sei bemerkt, dass selbst bei einer Absturzhöhe von mehr als 2 m, wie sich aus der folgenden rechtlichen Beurteilung ergibt, das Verfahren ebenso einzustellen gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung:

Im Hinblick auf den im Gerichtsverfahren zwischenzeitig bereits erfolgten Freispruch des Berufungswerbers war zunächst zu prüfen, ob eine allfällige Bestrafung des Berufungswerbers durch die Verwaltungsstrafbehörde nicht dem Doppelbestrafungsverbot des Artikel 4 Absatz 1 des 7. ZP EMRK widersprechen würde. Diese Bestimmung hat in ihrer deutschen Übersetzung folgenden Wortlaut:

Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden."

Hiezu hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 07.10.1998, G 51/97-7 und G 26/98-10, grundsätzlich judiziert, dass die auch im Anlassfall anzuwendende Strafbestimmung des § 130 ASchG, welche keine Subsidiaritätsklausel zugunsten einer Gerichtszuständigkeit enthält, nicht ex lege gegen das Doppelbestrafungsverbot des 7. ZP EMRK verstößt. Es ist vielmehr von der Verwaltungsbehörde in Entsprechung des Grundsatzes einer - so weit möglichen - verfassungskonformen Interpretation in jedem Einzelfall zu prüfen, ob wirklich dasselbe Verhalten Gegenstand des gerichtlichen Strafverfahrens und des anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens war. Hiebei ist insbesondere hinsichtlich der in der Praxis häufig vorkommenden Kombination eines Verwaltungsstrafverfahrens wegen Übertretung des § 130 ASchG und eines gerichtlichen Strafverfahrens wegen Verdachtes der Übertretung nach § 80 bzw. 88 StGB in jedem Einzelfall zu prüfen, ob im Zuge eines strafgerichtlichen Verfahrens gleichzeitig auch über alle Elemente der verletzten Arbeitnehmerschutzvorschriften entschieden wurde oder nicht (Seite 20 ff. des zitierten Erkenntnisses).

Im Anlassfall wurde das Gerichtsverfahren mit einem Protokolls- und Urteilsvermerk und somit nur mit einer Kurzbegründung ("kein Schuldbeweis") abgeschlossen. Es kann somit bei der Prüfung der Bindungswirkung dieses gerichtlichen Freispruchs nur auf den Spruch des Gerichtsurteils zurückgegriffen werden, welcher folgenden Wortlaut hat:

Der Beschuldigte M S in K a. d. M, Österreicher, Unternehmer, whft. in K/M, L-straße 2 wird von der wider ihn mit Strafantrag vom 19.5.1998 erhobenen Anklage, er habe als Verantwortlicher der Firma S dadurch, daß er seinen Arbeitern ein Gerüst ausgegeben hat, das nicht den erforderlichen Sicherheitsbestimmungen entsprach, sodaß dieses während der Arbeiten umfiel, wodurch P S abstürzte und einen Deckplatteneinbruch erlitt, diesen am Körper schwer verletzt, gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen." (Hervorhebungen durch den UVS)

Nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark ist aufgrund der in diesem Verfahren getroffenen Feststellungen davon auszugehen, dass Unfallsursache nicht die Zurverfügungstellung eines in abstracto mangelhaften Gerüstes durch den Berufungswerber an seine Mitarbeiter war, sondern mehrere Montagefehler aufgrund der eigenmächtigen Vorgangsweise der vor Ort tätigen Arbeitnehmer. Es war sohin im Sinne der oben wiedergegebenen Prüfkriterien des Verfassungsgerichtshofes mit dem gerichtlichen Freispruch nicht der volle Unrechts- und Schuldgehalt der in Rede stehenden Straftatbestände des § 130 ASchG umfasst, da unbeschadet vom Freispruch des Vorwurfs der Ausgabe eines mangelhaften Gerüstes in diesem Verwaltungsverfahren zu prüfen ist, ob der Berufungswerber bei Anwendung eines ordnungsgemäßen Kontrollsystems die eigenmächtige Vorgangsweise seiner Arbeitnehmer hätte verhindern können.

Lediglich im Punkt 4.) des Straferkenntnisses (fehlende Wehren) hätte man unter Zugrundelegung einer Absturzhöhe von mehr als 2 m zur Annahme eines Materialmangels gelangen können, da in diesem Fall das Gerüst auch bei 1-etagiger Aufstellung mit Brust-, Mittel- und Fußwehren auszustatten gewesen wäre. In diesem Fall wäre die Verwaltungsbehörde jedoch an den gerichtlichen Freispruch gebunden gewesen und das Verfahren dennoch einzustellen gewesen.

Zusammenfassend kommt die Berufungsbehörde daher zum Ergebnis, dass unbeschadet des gerichtlichen Freispruchs keine Bindungswirkung für das Verwaltungsstrafverfahren besteht, und der Unabhängige Verwaltungssenat daher selbständig prüfen kann, ob den Berufungswerber hinsichtlich der in objektiver Hinsicht unbestritten gebliebenen Gerüstmängel ein Verschulden im Sinne eines mangelnden Kontrollsystems trifft.

Hiezu ist nach den getroffenen Feststellungen allerdings davon auszugehen, dass der Berufungswerber die ihm nach der strengen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes obliegenden Sorgfaltspflichten als Firmeninhaber nicht in einem Ausmaß verletzt hat, welches eine Bestrafung rechtfertigen würde. Er hat in ausreichendem Ausmaß Baustellenkontrollen durchgeführt und hiebei sowohl das von seinen Arbeitern mitverwendete Gerüst der Firma M als auch das verfahrensgegenständliche Standgerüst - freilich nur in 1-etagiger Aufstellung - überprüft und hiebei nichts zu beanstanden gefunden. Ebenso kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Unternehmen des Berufungswerbers die Verwendung schad- oder mangelhafter Gerüste bzw. solcher Gerüste, welche unsachgemäß aufgebaut sind, geradezu Methode hat. Die diesbezüglichen belastenden Aussagen des Zeugen S haben sich als unhaltbar erwiesen. Dass der Berufungswerber auch bei häufigeren Baustellenkontrollen den verfahrensgegenständlichen Unfall nicht hätte verhindern können, wird auch durch die übereinstimmenden Aussagen sämtlicher Zeugen belegt, denen zufolge das beanstandete Gerüst in der gedoppelten

Baustelle zu sehen war. Bei dem am Unfallstag eingesetzten Vorarbeiter F handelt es sich um einen Mitarbeiter, welcher seit mehr als 20 Jahren im Betrieb beschäftigt ist und sich bisher immer als verlässlich erwiesen hat. Dieser Mitarbeiter war überdies beim Kauf des gegenständlichen Gerüstes seinerzeit anwesend und wurde vom Gerüsthersteller hinsichtlich der fachgerechten Aufstellung eingeschult. Dass gerade eine solche jahrzehntelang als verlässlich bekannte Arbeitskraft auf die geradezu aberwitzige Idee verfällt, das gegenständliche Gerüst trotz offensichtlicher schwerer Montagefehler nicht nur selbst in Verwendung zu nehmen, sondern auch den ihm unterstellten Kollegen S nicht an der Mitbenützung zu hindern, war für den Berufungswerber wirklich in keinster Weise vorhersehbar. Eine Zurechnung dieses Verhaltens des Herrn F würde de facto tatsächlich auf die Annahme einer Erfolgshaftung hinauslaufen. Für den Berufungswerber spricht weiters, dass er trotz seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Firmenchef keine einzige einschlägige Vorstrafe aufweist (eine nicht unmittelbar einschlägige Übertretung des § 86 Abs 1 AAV aus dem Jahr 1993 ist zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung bereits als getilgt anzusehen). Mit gutem Grund verlangt sogar die diesbezüglich äußerst strenge Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Arbeitgeber Maßnahmen getroffen hat, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten lassen (VwGH 13.12.1990, 90/09/0141 u.v.a.). Im Anlassfall mangelt es nach Auffassung der erkennenden Behörde jedoch an einer Vorhersehbarkeit des vorschriftswidrigen Verhaltens der das Gerüst benützenden Arbeitnehmer. Dass ein lang gedienter Mitarbeiter aus eigenem Antrieb ohne Rücksprache mit dem Chef auf die Idee verfällt, ein Gerüst in einer derart gefährlichen Aufstellung zu benützen, war für den Berufungswerber eben nicht vorhersehbar. Es sei ihm jedoch angeraten, den Arbeitnehmer F künftig häufiger zu kontrollieren, zumal dieser zugegeben hat, dass er schon ein- oder zweimal vor dem verfahrensgegenständlichen Unfall das gegenständliche Gerüst in der provisorischen 2-etagigen Ausführung verwendet hat. Es war daher das Verfahren im Ergebnis mangels Erfüllung der subjektiven Tatseite einzustellen.

Schlagworte
Kumulation Doppelbestrafungsverbot Freispruch Gericht Menschenrechtskonvention Körperverletzung Gerüst Kontrollsystem
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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