Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Hollinger über die Berufung der Frau Mag Susanne P, vertreten durch Rechtsanwalt, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den
19. Bezirk, vom 18.3.1999, Zl MBA 19 S 7984/98, wegen Übertretung des § 367 Ziffer 25 iVm § 370 Abs 5 GewO 1994 idgF iZm 1) Auflage 1, 2) Auflage 8, 3) Auflage 15, 4) Auflage 23, 5) Auflage 28, 6) Auflage 29, 7) Auflage 47, 8) Auflage 50 und 9) Auflage 51 des Bescheides vom 7.11.1988, Zl MBA 19 - Ba 19352/1/88, entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung, welche sich ausschließlich gegen die Punkte 1) und 2) und 6) bis 9) des angefochtenen Straferkenntnisses richtet, Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Ziffer 1 VStG (Punkt 9), § 45 Abs 1 Ziffer 2 (Punkt 2) und § 45 Abs 1 Ziffer 3 (Punkte 1), 6), 7) und 8) eingestellt
Die Berufungswerberin hat daher gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Das angefochtene Straferkenntnis enthält folgenden Spruch:
"Sie haben es als Filialgeschäftsführerin im Sinne des § 370 Abs 5 GewO der B-Aktiengesellschaft mit Sitz in N zu verantworten, dass diese Gesellschaft am 30.11.1998 beim Betrieb ihrer Betriebsanlage in Wien, S-gasse, den zum Schutz der Kunden und Nachbarn mit rechtskräftigem Bescheid des MBA 19 vom 07.11.1988, Zahl MBA 19 - BA 19352/1/88
vorgeschriebenen Auflagen insofern zuwider gehandelt hat, als
1) entgegen Auflage Punkt 1 des zit Bescheides, ("Die elektrischen Anlagen und die verwendeten elektrischen Betriebsmittel müssen den in der Elektrotechnikverordnung 1987 - ETV 1987 angeführten Österreichischen Vorschriften und Bestimmungen für die Elektrotechnik (ÖVE) entsprechen."), die Zugänglichkeit zum Elektroverteiler nicht gegeben war sowie beim Lieferanteneingang (Lastenaufzug) sich ein Schlüsselschalter befand, welcher technisch beschädigt war;
2) entgegen Auflage Punkt 8 des zit Bescheides ("Die Sicherheitsbeleuchtung ist in betriebssicherem Zustand zu erhalten und wenigstens einmal monatlich durch eine von der Betriebsleitung bestimmte Person nachweislich einer Funktionskontrolle zu unterziehen. Über diese Kontrollen sind Aufzeichnungen zu führen, die in der Betriebsanlage zur Einsichtnahme durch behördliche Organe stets bereit zu halten sind."), die Filialleiterin Frau W, welche lt vorgelegtem Prüfblatt die monatliche Funktionskontrolle der Sicherheitsbeleuchtung durchführt und für diese auch gegenzeichnet, auf Befragen des Vertreters der MA 36-B nicht wusste, wie die Funktionskontrolle der Sicherheitsbeleuchtung durchzuführen ist;
3) entgegen Auflage Punkt 15 des zit Bescheides ("Folgende Türen sind brandhemmend (T 30) gemäß ÖNORM B 3850
(Ausgabe 1. Oktober 1986) auszuführen: sämtliche im Plan mit
"T 30" bezeichneten Türen.") die Türen im Keller vom Gang zum Maschinenraum und vom Gang zum Heizraum nicht selbsttätig ins Schloss fiel. Diese Türen somit nicht brandhemmend gemäß ÖNORM B 3850 ausgeführt waren;
4) entgegen Auflage Punkt 23 des zit Bescheides ("In sämtlichen Räumen mit Ausnahme des Sozialraumes und der Sanitärräume ist das Rauchen und die Verwendung von offenen Flammen verboten. Dieses Verbot ist durch auffallende Anschläge in jedem der Räume ersichtlich zu machen.") im Lager und im Papierlager das Verbot des Rauchens und die Verwendung von offenen Flammen nicht durch Anschläge ersichtlich gemacht war;
5) entgegen Auflage Punkt 28, 29 des zit Bescheides ("Im Verkaufsraum müssen die Hauptverkehrswege mindestens 1,80 m und die Nebenverkehrswege mindestens 1,20 m breit sein. Eine Teilung von Hauptverkehrswegen (zB durch Aufstellen von Verkaufsständern, Warenkörben, Paletten und dgl.) ist verboten. Hauptverkehrswege, Ausgänge und Fluchtwege dürfen nicht eingeengt oder verstellt werden. Als Begrenzung der Hauptverkehrswege und Fluchtwege dürfen nur standfeste und nicht leicht verrückbare Einrichtungsgegenstände verwendet werden.") die Breite des Hauptverkehrsweges durch Einkaufswagen, Warenkörbe und abgestellte Getränkekisten von 1,80 m auf teilweise bis etwa 1,40 m bei Warenkörben und 0,9 m bei Nebenverkehrswege durch abgestellte Warenkörbe von 1,20 m auf bis zu 0,70 m eingeengt waren;
6) entgegen Auflage Punkt 29 iVm 32 des zit Bescheides ("Im Verkaufsraum müssen die Hauptverkehrswege mindestens 1,80 m und die Nebenverkehrswege mindestens 1,20 m breit sein. Eine Teilung von Hauptverkehrswegen (z. B. durch Aufstellen von Verkaufsständern, Warenkörben, Paletten und dgl) ist verboten. Der Durchgang aus dem Stauraum vor den Kassen zum Ausgang muss mindestens 1,80 m breit sein.") der Fluchtweg aus dem Kassenbereich zur Ausgangstüre war durch Einkaufswagen und durch eine Diebstahlsicherungsanlage stark eingeengt;
7) entgegen Auflage Punkt 47 des zit Bescheides ("Im Verkaufsraum dürfen sämtliche Druckgaspackungen nur in Regalen und/oder Regalfächern, die gemäß den Bestimmungen der §§ 29 und 30 der Verordnung über die Lagerung von Druckgaspackungen in gewerblichen Betriebsanlagen (BGBl Nr 435/1982) und der zugehörigen Änderung (BGBl Nr 503/1986) ausgebildet sein müssen, vorrätig gehalten werden.") im Bereich der Regale für Druckgaspackungen auch Druckgaspackungen in Warenkörben vorrätig gehalten wurden;
8) entgegen Auflage Punkt 50 des zit Bescheides ("In Verkaufsregalen hat die Bereithaltung von Druckgaspackungen so zu erfolgen, dass sie nicht herabfallen bzw herabrollen können;
Druckgaspackungen dürfen nicht übereinander gestapelt werden.") Druckgaspackungen in Warenkörben auf anderen Waren (teilweise brennbaren) derart gelagert wurden, dass ein Herabfallen leicht möglich war;
9) entgegen Auflage Punkt 51 des zit Bescheides ("Der oberste Fachboden von Lagerregalen für Druckgaspackungen darf nicht höher als 2,0 m über dem Fußbodenniveau eingerichtet werden.") der oberste Fachboden auf Lagerregalen, auf dem Druckgaspackungen gelagert werden, etwa 2,20 m über dem Fußbodenniveau war.
Sie haben dadurch folgende Rechtvorschriften verletzt:
§ 367 Ziffer 25 iVm § 370 Abs 5 GewO 1994 idgF iZm den zitierten Auflagen des obgenannten Bescheides.
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie folgende Strafen verhängt:
1 Geldstrafe zu ATS 900,-- (ad Pkt 4 der AzR) sowie 8 Geldstrafen zu je ATS 2.500,-- (Pkt 1-3, 5-9 der AzR); insgesamt sohin ATS 20.900,--, falls diese uneinbringlich sind, Ersatzfreiheitsstrafe von 18 Stunden 2 Tage und 1 Woche, gemäß § 367 Ziffer 25 iVm § 370 Abs 5 GewO 1994 idgF iZm den zitierten Auflagen des obgenannten Bescheides. Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:
ATS 840,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe.
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe, Kosten) beträgt daher ATS 9.240,-- (entspricht 671,50 EUR). Ausserdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen."
Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die fristgerechte Berufung der Beschuldigten.
Antragsgemäß führte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien am 20.09.1999 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher eine rechtsfreundliche Vertreterin für die Berufungswerberin erschien und in welcher der Zeuge Dipl-Ing Dr R einvernommen wurde. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde seitens der Beschuldigten die Berufung zu den Punkten 3),
4) und 5) des angefochtenen Straferkenntnisses zurückgezogen. Der Berufung ist - zu den Punkten 1) und 2) und 6) bis 9) des angefochtenen Straferkenntnisses - aus folgenden Gründen Erfolg beschieden:
Gemäß § 44a Ziffer 1 VStG bestimmt, dass der "Spruch" (§ 44 Abs 1 Ziffer 6 VStG), wenn er nicht auf Einstellung lautet, "die als erwiesen angenommene Tat" zu enthalten hat. Das heißt, dass jene Tat im Spruch so eindeutig umschrieben sein muss, dass kein Zweifel darüber besteht, wofür der Täter bestraft worden ist. Der Vorschrift des § 44a Ziffer 1 VStG ist dann entsprochen, wenn
a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage
versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um diesen Tatvorwurf zu widerlegen und
b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Danach ist in jedem einzelnen Fall zu beurteilen, ob die im Spruch eines Straferkenntnisses enthaltene Identifizierung der nach Ort und Zeit dem § 44a Ziffer 1 VStG genügt oder nicht genügt (vgl ua VwGH verst Senat 13.06.1984, VwSlg 11.466/A).
Zu Punkt 1)
Im Sinne des oben wiedergegebenen § 44a Ziffer 1 VStG entspricht die Tatanlastung nicht den gesetzlichen Vorschriften, da nicht näher ausgeführt wird, inwiefern der Umstand, dass die Zugänglichkeit zum Elektroverteiler nicht gegeben war sowie beim Lieferanteneingang (Lastenaufzug) sich ein Schlüsselschalter befand, welcher technisch beschädigt war, den in der ETV 1987 angeführten österreichischen Vorschriften und Bestimmungen für die Elektrotechnik (ÖVE) widerspricht. Das heißt mit anderen Worten, bei dem Umfang, den die in der ETV 1987 angeführten österreichischen Vorschriften und Bestimmungen für die Elektrotechnik (ÖVE) einnehmen, wäre es erforderlich gewesen, im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses näher darzulegen, gegen welche konkrete in der ETV 1987 angeführten Bestimmung verstoßen wurde und ferner wodurch welche Bestimmung nicht eingehalten wurde. Eine entsprechende Tatanlastung findet sich im Akt nicht und weist der Revisionsbericht vom 30.11.1998 eine nähere Konkretisierung nicht auf.
Zu Punkt 2)
Auf Grund des vorgelegten Prüfblattes erweist sich, dass die monatliche Funktionskontrolle der Sicherheitsbeleuchtung nachweislich durchgeführt wurde. Der Umstand, dass die Filialleiterin Frau W auf die Fragen des Vertreters der MA 36/B nicht wusste, wie die Funktionskontrolle der Sicherheitsbeleuchtung durchzuführen ist, widerspricht nicht Auflagepunkt 8) des zitierten Bescheides und kann somit nicht tatbildlich wirken. Wenn man auf Grund der Äusserung der Filialleiterin Frau W die Meinung gehegt hätte, es seien entgegen dem vorgelegten Funktionskontrollprüfblatt keine monatlichen Funktionskontrollen durchgeführt worden, hätte es der Berufungswerberin in diesem Umfang zur Last gelegt werden müssen, was jedoch innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist nicht geschehen ist.
Zu Punkt 6)
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt (vgl ua 19.06.1990, 89/04/0249), dass ein Bescheid, der hinsichtlich der einen Teil des Straftatbestandes bildenden Auflagen des Betriebsanlagengenehmigungsbescheides keine wörtliche Anführung enthält, durch die schon aus dem Spruch die Zuordnung des Tatverhaltens zu der Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird, nicht dem Sprucherfordernis des § 44a Ziffer 1 VStG entspricht. Der bloße Hinweis auf ziffernmäßig bezeichnete Auflagen des Betriebsanlagengenehmigungsbescheides ist nicht als ausreichend anzusehen.
Da der Fluchtweg aus dem Kassenbereich zur Ausgangstüre mit Einkaufswagen und durch eine Diebstahlsicherung stark eingeengt war, wurde - wie von der Erstbehörde zutreffend zitiert - gegen Auflagepunkt 29) und Auflagepunkt 32) des Bescheides vom 07.11.1988 verstoßen. Auflagepunkt 29), welcher wie folgt lautet: "Hauptverkehrswege, Ausgänge und Fluchtwege dürfen nicht eingeengt oder verstellt werden. Als für Begrenzung der Hauptverkehrswege und Fluchtwege dürfen nur standfeste und nicht leicht verrückbare Einrichtungsgegenstände verwendet werden.", wurde jedoch im Spruch nicht wörtlich wiedergegeben, sondern wurde vielmehr Auflagepunkt 28) zitiert, welcher aber hier nicht Platz greift. Vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist daher davon auszugehen, dass die im Spruchpunkt 6) enthaltene Tatanlastung nicht dem Erfordernis des § 44a Ziffer 1 VStG entspricht. Zu den Punkten 7) und 8)
Ein wesentliches Tatbestandselement ist darin zu erblicken, dass die Druckgaspackungen im Verkaufsraum vorrätig gehalten wurden (Punkt 7) bzw auf Verkaufsregalen (Punkt 8). Weder im Punkt 7) noch im Punkt 8) wird jedoch in der Tatumschreibung darauf Bedacht genommen, dass die Druckgaspackungen in Warenkörben im Verkaufsraum bereit gehalten wurden, weshalb auch in diesem Fall auf Grund eines Verstoßes gegen § 44a Ziffer 1 VStG der Berufung Folge zu geben war.
Zu Punkt 9)
Hiezu führt der Zeuge Dr R in der mündlichen Verhandlung vom 20.09.1999 Folgendes aus:
"Zu Punkt 9): Mir fiel besonders auf, dass auf dem obersten Regalfachboden DGP "auf Vorrat" übereinander gestapelt waren. Der oberste Fachboden war etwa 2,20 m über dem Fußbodenniveau. Ich habe den Fachboden nicht mit einem Maßband abgemessen, sondern an Hand meiner Körpergröße geschätzt.
Über Befragen der BV gebe ich an, dass ich den Arm ausstreckte und konnte ich die obersten DGP nicht mehr oder gerade noch erreichen. Ich kann mit ausgestrecktem Arm auf 2,00 m hinauf reichen, ich bin mir dabei aber nicht ganz sicher. Die "regulären DGP auf dem Regal" konnte ich meiner Erinnerung nach gerade noch erreichen. Die oben "auf Vorrat übereinander gestapelten DGP" jedoch nicht mehr."
Der Zeuge Dr R hat den obersten Fachboden nicht mit einem Maßband abgemessen, sondern an Hand seiner Körpergröße geschätzt, was an und für sich eine durchaus zulässige Methode darstellt. In der mündlichen Verhandlung sind nun aber Zweifel aufgekommen, ob der oberste Fachboden des Regales tatsächlich etwa 2,20 m über dem Fußbodenniveau eingerichtet war, da der Zeuge R anschaulich geschildert hat, dass er mit ausgestrecktem Arm auf 2 m hinauf reichen kann, dabei aber die obersten Druckgaspackungen gerade noch erreichen konnte, die darüber aber "auf Vorrat übereinander gestapelten Druckgaspackungen" jedoch nicht mehr. Es eröffnet sich nun die Möglichkeit, dass der Zeuge Dr R zwar die oberste gestapelte Druckgaspackung nicht mehr erreichen konnte, was aber bedeuten würde, dass bei der Größe und Höhe der Druckgaspackungen der Fachboden durchaus auf 2 m über dem Fußbodenniveau eingerichtet war, was auch dafür spricht, dass der Zeuge die "obersten Druckgaspackungen" gerade noch erreichen konnte. Die für ein Strafverfahren erforderliche Sicherheit ist somit in diesem Punkt nicht gegeben und war daher das Verfahren "in dubio pro reo" einzustellen.