Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Christoph Lehne über die Berufung des Herrn Mag. P. F., vertreten durch RA Dr. P., 6600 Reutte gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 06.03.2000, Zahl III-St-1219/7 wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz) iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG (Verwaltungsstrafgesetz) wird die Berufung als unbegründet abgewiesen.
Gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG hat der Berufungswerber einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in Höhe von 20 % der verhängten Geldstrafe, das sind S 60,-- (EUR 4,36), zu bezahlen.
Der Spruch des angefochtenen Straferkenntnis wird dahingehend ergänzt, dass folgender Satz eingefügt wird: ?Im Hinblick auf die Geschwindigkeitsreduzierung des vor Ihnen fahrenden Motorradfahrers hätten Sie eine größeren Abstand zu diesem wahren müssen und war ein Abstand von maximal 30 m zu gering.?
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Berufungswerber für schuldig erkannt, er habe am 18.7.1999 um 13.10 Uhr als Lenker des Pkws mit dem Kennzeichen RE-1 auf der B 198 Lechtaler Straße in Obergiblen, Gemeindegebiet Elbigenalp, bei km 39,060 zu dem vor ihm fahrenden Motorradfahrer P. H., Motorrad Kennzeichen SG (CH) keinen solchen Abstand eingehalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich gewesen wäre, wobei er bei km 39,060 auf das vor ihm fahrende, die Geschwindigkeit auf Schritttempo vermindernde Motorrad aufgefahren sei, wodurch der Motorradfahrer zu Sturz gekommen sei und sich leichte Verletzungen zugezogen habe.
Dadurch habe er eine Verwaltungsübertretung gem. § 18 Abs 1 StVO begangen und wurde über ihn gem. § 99 Abs 3 lit a StVO eine Geldstrafe von S 300,-- unter gleichzeitiger Festsetzung einer Ersatzarreststrafe von 18 Stunden und der Verfahrenskosten verhängt.
Dagegen erhob der Beschuldigte durch seinen Rechtsvertreter fristgerecht Berufung, welche im wesentlichen damit begründet wird, dass ein gerichtlicher Straftatbestand vorliege, weshalb gemäß § 99 Abs 6 lit c StVO keine Verwaltungsübertretung vorliege. Zunächst sei seitens des BG Reutte ein Strafverfahren wegen des Verdachtes des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 StGB eingeleitet, dies jedoch dann gem. § 90 StPO eingestellt worden, da wegen des Vorliegens des Tatbestandes des § 88 Abs 2 Z 4 StGB der Bezirksanwalt keinen Grund zur weiteren Verfolgung gefunden habe.
Selbst wenn ein gerichtlicher Straftatbestand bzw. dessen Erfolgsqualifikation andordne, dass der Täter bei Verwirklichung dieses Tatbestandes nicht zu bestrafen sei, sei deswegen doch der Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung verwirklicht worden.
In diese Richtung weise auch die Entscheidung des VwGH vom 30.3.1984, ZfVB 1984/2400, wonach auch dann, wenn es im gerichtlichen Strafverfahren zu keiner Bestrafung komme, weil zB vom Gericht wegen Vorliegen des besonderen Strafauschließungsgrundes des § 42 StGB mit einer Beschlussfassung im Sinne des § 90 Abs 2 StPO vorgegangen worden sei, keine von der Verwaltungsbehörde zu ahndende Verwaltungsübertretung vorliege.
Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hat erwogen wie folgt:
Da die Voraussetzungen des § 51e Abs 3 Z 3 VStG vorliegen, konnte von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Akt.
Aufgrund des Beweisverfahrens steht der dem angefochtenen Straferkenntnis zugrundegelegte Sachverhalt als erwiesen fest.
§ 99 Abs 6 lit c StVO besagt, dass eine Verwaltungsübertretung nicht vorliegt, wenn eine Tat nach diesem Bundesgesetz oder nach den §§ 37 und 37a FSG den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht.
In seiner Entscheidung vom 29.10.1980, 2979/78 vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsansicht, dass, falls das gerichtliche Strafverfahren gem. § 90 StPO eingestellt wird, es der Verwaltungsbehörde zur Beurteilung obliegt, ob die Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Nach § 88 Abs 2 StGB ist nicht zu bestrafen, wer die Tat unter den dort angeführten Voraussetzungen begeht. Unter diesen Voraussetzungen ist die fahrlässige leichte Körperverletzung überhaupt straflos und es wird das Entstehen einer gerichtlichen strafbaren Handlung von vornherein - in diesem Sinn ist die Regelung des § 88 Abs 2 StGB ein Strafausschließungsgrund - verhindert.
Sind die Voraussetzungen des § 88 Abs 2 StGB gegeben, so kann nicht gesagt werden, dass die Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.
Im konkreten Fall wurde vom Bezirksanwalt beim BG Reutte am 9.11.1999 auf dessen Antrag gem. § 90 StPO die Einstellung des Strafverfahrens verfügt, da die Voraussetzungen des § 88 Abs 2 Z 4 StGB gegeben waren und kein Grund zur weiteren Verfolgung des Beschuldigten gefunden wurde.
Unter Zugrundelegung der oa Entscheidung des VwGH ist sohin der Rechtsmeinung der Erstbehörde beizupflichten, dass die vom Beschuldigten gesetzte Tat keine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung darstellt, sondern die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde zu bejahen ist.
Gemäß § 18 Abs 1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.
In der Regel wird ein solcher Mindestabstand für ausreichend erachtet, der etwa der Länge des Reaktionsweges entspricht. Dieser Grundsatz erfährt aber überall dort eine Ausnahme, wo besondere Umstände darauf hinweisen, dass besondere Gefahrenmomente vorliegen. In solchen Situationen gilt als Faustregel ein Mindestabstand im Ausmaß des doppelten Reaktionsweges (in Metern sechs Zehntel der Höhe der Geschwindigkeit).
Besonderen Umstände sind laut OGH ua dann gegeben, wenn der Hintermann mit einer wesentlich höheren Geschwindigkeit fährt, als der Vordermann (OGH 19.11.1987, 8 Ob 42/87).
Der Berufungswerber gab in der Niederschrift des GP Elbigenalp vom 18.07.1999 an, dass er mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h gefahren sei und der Abstand zu dem vor ihm fahrenden Motorradfahrer noch ca. 20 - 30 m betragen habe.
Aus der Aussage des unfallbeteiligten Motorradfahrers Patrick H. vor dem Bezirksamt Unterrheintal ergibt sich, dass dieser ?auf einer langen Strecke die Geschwindigkeit auf Schritttempo verringert? hat?, sodass ein gravierender Geschwindigkeitsunterschied vorlag.
Geht man aber von der oa Regel aus, dass in einem solchen Fall der Mindestabstand dem doppelten Reaktionsweg entsprechen muss, so wäre ein Abstand von 48 m erforderlich gewesen. Laut eigenen Angaben des Beschuldigten betrug der Abstand aber lediglich 20 - 30 m, und war daher jedenfalls zu gering iSd § 18 Abs 1 StVO.
Aus diesem Grund ist die Verwaltungsübertretung dem Berufungswerber in objektiver Hinsicht jedenfalls zurechenbar.
In subjektiver Hinsicht ist von Fahrlässigkeit auszugehen. Beim vorliegenden Delikt handelt es sich um ein sog. Ungehorsamsdelikt iSd § 5 VStG, da das Tatbild in einem bloßen Verhalten ohne Merkmal eines Erfolges besteht. In einem solchen Fall ist Fahrlässigkeit dann ohne weiteres anzunehmen, wenn der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschriften kein Verschulden trifft.
Eine dahingehende Argumentation bzw. Glaubhaftmachung wurde aber vom Berufungswerber gar nicht getätigt und ist sohin von Fahrlässigkeit auszugehen.
Hinsichtlich der Strafhöhe ist auszuführen, dass nach § 19 Abs 1 VStG Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen ist, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.
Nach § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Die übertretene Norm dient in erster Linie der Aufrechterhaltung einer größtmöglichen Sicherheit im Straßenverkehr. Diesem Schutzzweck hat der Berufungswerber in zweifellos nicht unerheblichem Ausmaß zuwidergehandelt.
Als mildernd war die bisherige Unbescholtenheit des Berufungswerbers zu werten, als erschwerend hingegen nichts. Da der Berufungswerber keinerlei Angaben hinsichtlich seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse gemacht hat, war von durchschnittlichen Werten auszugehen. Da der Strafrahmen des § 99 Abs 3 lit a StVO aber bis zu S 10.000,-- reicht, ist die verhängte Strafe von S 300,-- aber ohnehin am untersten Rand angesiedelt und daher jedenfalls schuld- und tatangemessen.
Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.