Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Alfred Stöbich über die Berufung des Herrn R., vertreten durch Frau Dr. U., Verein für Sachwalterschaft, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 15.06.2000, Zl. St-V- 12.699/99, wie folgt:
Gemäß § 66 Abs4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs1 Z2 VStG eingestellt;
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber vorgeworfen, er habe am 05.11.1999 um 21.45 Uhr als Lenker des Motorfahrrades I. in I., Parkplatz, das Mofa gelenkt, obwohl die angebrachte Begutachtungsplakette derart beschädigt war, dass nur mehr das Kennzeichen abgelesen werden konnte,
obwohl nur ein nachgemachtes Kennzeichen angebracht war, geschrien und dadurch ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt, welcher vermeidbar gewesen wäre,
unmittelbar danach trotz vorausgegangener Abmahnung weiter herumgeschrien und sich dadurch gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht aggressiv verhalten und dadurch eine Amtshandlung behindert und
die Sicherheitswachebeamten mit Ausdrücken wie ?Arschlöcher und Trotteln? betitelt und dadurch den öffentlichen Anstand auf das Empfindlichste verletzt.
Dadurch habe der Berufungswerber folgende Rechtsvorschriften verletzt:
§ 102 Abs1 iVm § 36 lite KFG
§ 102 Abs1 iVm § 36 litb KFG
§ 1 Abs1 TLPG
§ 82 Abs1 SPG
§ 11 TLPG
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wurden über den Berufungswerber Strafen in der Höhe von 1) S 1.000,-- 2) S 3.000,-- 3) S 3.000,-- 4) S 3.000,-- 5) S 3.000,-- verhängt. Gleichzeitig wurden die entsprechenden Ersatzfreiheitsstrafen und ein Verfahrenskostenbeitrag vorgeschrieben, sowie die erlittene Vorhaft von 1 Std angerechnet.
Dagegen wurde innerhalb offener Frist berufen. In dieser führt die Sachwalterin des Berufungswerbers, Frau Dr. U., aus, dass Herr S. bezüglich sämtlicher ihm vorgeworfener Delikte deliktsunfähig sei, da er sich zu der Zeit in einer psychischen Krise befand und mache es ihm diese unmöglich, sein Verhalten zu kontrollieren.
Schon aus dem Verfahren St-70/88 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol sei festgestellt worden, dass Herr S. eine intellektuelle Minderbegabung und erregbare Persönlichkeitsstörung aufweise, und sein Moped gleichsam als Heiligtum betrachte. Bei jeder Konfrontation mit Sicherheitsorganen im Zusammenhang mit seinem Moped verliere er jede emotionale Kontrolle, reagiere überschießend und zeige extreme Neigung zu Primitivreaktionen und Ausfälligkeiten, die aufgrund seiner intellektuellen Minderbegabung nicht mehr gesteuert werden könnten.
Herr S. sei daher für Übertretungen, die er in unmittelbarem Anschluss an polizeiliche Betretungen in krankhaftem Zustand der unkontrollierten Erregbarkeit gesetzt habe, nicht verantwortlich. Dies gehe nicht nur aus dem Verfahren St- 70/88, sondern auch aus dem Verfahren und den darin angeschlossenen Gutachten vor dem UVS, Zl: 17/135-4/94 hervor.
Auf die Einholung eines eigenen medizinischen Sachverständigengutachtens kann verzichtet werden, da in dem bereits anhängigen offenen Parallelverfahren gegen S. Zl:
uvs-1999/17/126 und 1999/17/127 bereits eine fachärztliche Stellungnahme eingeholt wurde, die im wesentlichen bereits vorhandene, ältere Gutachten bestätigt und diese daher gegenständlichem Verfahren zugrundegelegt werden kann. OA Dr. R. gibt in seiner fachärztlichen Stellungnahme folgendes an:
?Herr S. befindet sich seit dem Jahre 1984 bei uns immer wieder in ambulante psychiatrischer Behandlung an der Allgemeinen Ambulanz der Univ.-Klinik für Psychiatrie. Diagnostisch liegt eine Grenzbegabung und eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vor, wobei sich die Behandlung als äußerst schwierig herausstellt, da der Patient völlig krankheitsuneinsichtig ist und eine mangelhafte Compliance aufweist. Meist ist er chronisch-produktiv psychotisch, sodaß er immer wieder in Konfliktsituation gerät auf Grund seiner paranoiden Reaktionsbereitschaft.
Am 28.04.1999 erfolgte eine stationäre Aufnahme an unserer Klinik, nach dem Herr S., bei dem seit 1983 eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis bekannt ist, mit einem Stein die Glasscheibe einer Straßenbahn eingeschlagen hatte und dabei ein Kind leicht verletzte, nachdem er akustisch halluziniert hatte. angeblich ist er vom Straßenbahnfahrer als ?schwule Sau? bezeichnet worden, wobei diese Problematik einer ihm angeblich nachgesagten Homosexualität bereits seit Beginn der schizophrenen Erkrankung besteht. Er gab damals an, daß er ein juckendes, brennendes Gefühl im Kopf habe, wobei es sich um irgendwelche pathologischen Flüssigkeiten handle, die sich sammelten und einen äußerst unangenehmen Geruch provozierten, sodaß dadurch verschiedene Insekten angelockt würden, die anschließend über Nase und Ohren in seinen Kopf gelangen würden. Diese Insekten würden dann wiederum ihrerseits das unangenehme Gefühl im Kopf verstärken, etc. Des weiteren wird festgehalten, daß die Therapie sich als etwas schwierig herausstellte, da Herr S. gegenüber mehrere antipsychotisch wirksamen Medikamente Einwände äußerte, sodaß letztendlich eine Leponex-Medikation mittels 100 mg abendlich eingeleitet wurde. Eine höhere Dosis, die unumgänglich erschien, wurde vom Patienten abgelehnt, sodaß festgehalten wird, daß zumindest keine Verschlechterung des psychopathologischen Zustandsbildes erfolgte und der Patient auf eigenen Wunsch entlassen wurde. Für 17.06.1999 wurde ein ambulanter Kontrolltermin bei mir vereinbart. Herr S. hatte sich bei mir eingefunden und über starke Müdigkeit und Gewichtszunahme berichtet, sodaß ein nochmaliger Therapieversuch mit einem anderen Antipsychotikum erfolgte, der jedoch scheiterte, sodaß man letztendlich wieder auf Leponex einstellen mußte.
Soweit ich Herrn S. kenne, kann er als chronisch produktive Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis eingestuft werden, sodaß mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt der Tat im März 1999 sowohl die Diskretions- als auch die Dispositionsfähigkeit nicht gegeben war.?
Gemäß § 3 Abs1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.
Die Frage, ob der Täter zur Zeit der Tat zurechnungsfähig war oder seine Zurechnungsfähigkeit in hohem Grad vermindert war, ist eine Rechtsfrage.
Gegenständliche ärztliche Stellungnahme vom 06.07.00 beurteilt die Zurechnungsfähigkeit für eine andere Tat im März 1999. Gegenständlicher Tatzeitpunkt ist der 05.11.99. Da jedoch der psychische Zustand des Berufungswerbers nach den Ausführungen in der oben angeführten Stellungnahme seit Jahren gleichbleibend schlecht ist (chronisch produktive Psychose aus dem schizophrenen Formenkereis), kann diese Stellungnahme und auch vorangehende Gutachten unbedenklich als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden. Die gegenständliche Stellungnahme ist schlüssig und in sich widerspruchsfrei.
Ebenso geht in Übereinstimmung mit den Vorakten uvs- 1994/17/135, uvs-1999/17/126 und 127 und Akt St-70/88 deutlich hervor, dass Herr S. gerade in Konfliktsituationen aufgrund seiner paranoiden Reaktionsbreitschaft und seiner intellektuellen Minderbegabung überreagiert, und das Unerlaubte seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln nicht im Stande ist. Dies trifft vor allem auf die Fakten 3), 4) und 5) des Straferkenntnisses zu.
Aber ebenso krankhaft uneinsichtig ist der Berufungswerber bezüglich seines Fehlverhaltens bezüglich den Fakten 1) und 2). Wie in der Berufung ausgeführt, sieht Herr S. sein Fahrzeug als ?Heiligtum? an, und ist krankheitsbedingt nicht fähig, das Unrecht seines Verhaltens einzusehen.
Der Berufung war daher wegen des Vorliegens des Schuldausschließungsgrundes des § 3 Abs1 VStG Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.