Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch den Stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Siegfried Denk über die Beschwerde des Herrn M. W., XY, vertreten durch Dr. P. H., Dr. H. P. S., Dr. M. F. S., Rechtsanwälte in XY, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck wie folgt:
I.
Gemäß § 67c Abs 3 AVG iVm Artikel 129a Abs 1 Z 2 B-VG wird der Antrag des Beschwerdeführers ?die der belangten Behörde zuzurechnende Vollstreckungsankündigung des Zentralfinanzamtes München vom 22.03.2000, VO 12.15.1VE-W-15/00C, in eventu die genannte Vollstreckungsankündigung und das zugrunde liegende Vollstreckungsersuchen der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 14.03.2000, für rechtswidrig zu erklären? als unbegründet abgewiesen.
II.
Gemäß § 79a AVG iVm der Aufwandersatzverordnung UVS,BGBl Nr 855/1995, wird der Antrag des Beschwerdeführers, ihm Kostenersatz zu leisten, als unbegründet abgewiesen.
III.
Gemäß § 79a AVG iVm der Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl. Nr 855/1995, wird dem Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz in folgendem Umfang stattgegeben:
Vorlageaufwand:Schilling: 565,00
Schriftsatzaufwand:Schilling: 2.800,00 zusammen:Schilling: 3.365,00 (EURO 244,54)
Der Beschwerdeführer hat den ihm auferlegten Geldbetrag im Gesamtbetrag von Schilling 3.365,00 (EURO 244,54) innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung dieses Bescheides an die belangte Behörde (Bezirkshauptmannschaft Innsbruck) bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Mit Beschwerde vom 03.05.2000 brachte Herr M. W. Folgendes vor:
?I. Sachverhalt:
Dem Beschwerdeführer (in der Folge BF) ging am 04.11.1999 eine Mahnung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 27.10.1999 wegen einer angeblich vollstreckbaren Verwaltungsstrafe zu; daraufhin beauftragte der BF die gefertigte Kanzlei mit der Feststellung der näheren Umstände und hat die Rechtsvertretung des BF in der Folge Akteneinsicht in den Verwaltungsstrafakt zu VST-108566/99, S060555, k-21024 der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck beantragt.
Am 24.03.2000 wurde dem BF eine Vollstreckungsankündigung des Zentralfinanzamtes München vom 22.03.2000, AZ: VO 12.15.1-VE-W-15/00C, zugestellt, welcher ein Vollstreckungsersuchen der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 14.03.2000 zugrunde liegt.
Aufgrund der Akteneinsicht vom 27.03.2000 konnte der Sachverhalt rekonstruiert werden wie folgt:
Am 22.04.1999 erstattete das Landesgendarmeriekommando für Tirol, Verkehrsabteilung, an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck Anzeige, dass der Lenker des PKW?s mit Kennzeichen XY, am 03.04.1999 um 07.45 Uhr auf der Brenner Autobahn A 13, km 33,6, im Gemeindegebiet von Gries am Brenner mit einer Geschwindigkeit von 106 km/h in Richtung Brenner gefahren sei, wodurch dieser die gemäß § 52 lit a Z 10a StVO 1960 erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 46 km/h überschritten habe. Die Geschwindigkeitungsüberschreitung sei durch Messung mit einem stationären Radargerät festgestellt und fotografiert worden.
Es erfolgte eine Halteranfrage mit der vom Verkehrsamt Flensburg am 25.05.1999 erteilten Halterauskunft, wonach das angefragte Fahrzeug auf Herrn M. W., XY, zugelassen ist.
Am 16.06.1999 fertigte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck die in Kopie beiliegende Strafverfügung ab. Die Zustellung wurde im Rechtshilfeweg verfügt und teilte die Regierung der Oberpfalz mit Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 14.09.1999 mit, dass sie dem ?Amts- und Rechtshilfeersuchen entsprochen habe und das Ergebnis der Bemühungen den Anlagen zu entnehmen sei?.
Aus den Anlagen ist ersichtlich, dass ein erster Zustellversuch im Rechtshilfeweg am 09.08.1999 an der Adresse XY, laut der von der Rechtshilfebehörde der ersuchenden Behörde übermittelten Zustellungsurkunde erfolglos geblieben war; am 10.09.1999 erfolgte ein weiterer Zustellversuch unter der Anschrift XY, mit nachfolgender Niederlegung am selben Tage.
Zum Zeitpunkt des Zustellversuches bzw der Niederlegung sowie in der Zeit danach hielt sich der Antragsteller in Freiburg auf und absolvierte dort ein Studiensemester, sodass die Niederlegung keine rechtswirksame Zustellung zu begründen vermochte.
Beweis:
-beizuschaffender Verwaltungsstrafakt zu Zl VST-108566/99 der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck;
-Vernehmung des Beschwerdeführers im Rechtshilfeweg
II. Zur Beschwerdelegitimation
1. Der BF hat von der gegenständlich angefochtenen Vollstreckungsankündigung des Zentralfinanzamtes München vom 22.03.2000 anlässlich ihrer Zustellung am 24.03.2000 Kenntnis erlangt; die Beschwerde ist daher rechtzeitig.
Beweis:
-beiliegende Vollstreckungsankündigung d. Zentralfinanzamtes München vom 22.03.2000 samt Eingangsvermerk
2. Das Vollstreckungsersuchen vom 14.03.2000 ist von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck ausgegangen und wurde somit im Sprengel des UVS-Tirol gesetzt; das Zentralfinanzamt München wurde aufgrund des Vollstreckungsersuchens durch die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck im Rahmen des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom 31.05.1988 tätig. Die Vollstreckungsankündigung des Zentralfinanzamtes München ist daher so zu beurteilen, als wäre sie von der ersuchenden Behörde gesetzt worden; sie ist sohin der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck zuzurechnen.
Die Vollstreckungshandlungen der ersuchten Behörde bilden mit den vorangegangenen Maßnahmen der ersuchenden Behörde, auf welchen sie beruhen, eine Einheit (vgl VfSlg 3648).
Es ist somit auch die auf dem Vollstreckungsersuchen der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck beruhende Vollstreckungsankündigung als im Sprengel des UVS-Tirol gesetzt anzusehen. Andernfalls läge hinsichtlich der Frage der Zuständigkeit des UVS-Tirol eine echte Lücke des § 67c Abs 1 AVG vor, die durch Analogie zu schließen ist. Dies ist auch im Bereich behördlicher Zuständigkeiten zulässig (vgl Machacek, Verfahren vor dem VfGH und vor dem UVS,S 147, unter Hinweis auf VfGH 16.10.1991, G 187/91 und G 269/91).
Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber nur gegen im Bundesgebiet gesetzte Vollstreckungsakte eine Beschwerdemöglichkeit eröffnen wollte, während gegen Vollstreckungsakte, die aufgrund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung über Ersuchen einer inländischen Behörde im Ausland gesetzt werden - und die somit der inländischen Behörde zuzurechnen sind - dieser Rechtsschutz nicht bestehen soll.
3. Durch den gegenständlich angefochtenen Verwaltungsakt wird der Beschwerdeführer jedenfalls auch in seinem Recht, dass eine Vollstreckungshandlung gegen ihn nur auf der Grundlage einer rechtskräftigen und vollstreckbaren Strafverfügung gesetzt werde, verletzt.
III. Beschwerdegründe:
Die Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 16.06.1999, Zl VST-108566/99, S060555, k-21024, wurde dem BF niemals rechtswirksam zugestellt.
Mangels rechtswirksamer Zustellung der Strafverfügung konnte diese somit keinerlei Rechtswirkungen - insbesondere auch nicht den lauf der Einspruchsfrist - auslösen und daher auch nicht in Rechtskraft erwachsen.
Voraussetzung der Vollstreckbarkeit einer Strafverfügung ist jedenfalls deren Rechtskraft; Voraussetzung der Leistung von Vollstreckungshilfe nach Art 9 Abs 1 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom 31.05.1988 ist eine in einer Strafverfügung rechtskräftig verhängte Geldstrafe.
Dem Vollstreckungsersuchen der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 14.03.2000 sowie der hierauf beruhenden Vollstreckungsankündigung des Zentralfinanzamtes München, AZ VO 12.15.1VE-W-15/00C vom 22.03.2000 fehlt es sohin mangels Existenz einer rechtskräftigen Strafverfügung an der gesetzlichen Grundlage.
Vollstreckungshandlungen, welche ohne vorangegangenes Verfahren bzw ohne zugrunde liegende materiell - rechtliche Entscheidung gesetzt werden, stellen - wie der VfGH mehrfach erkannt hat - Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar (vgl Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, E1 und 2 zu § 3 Abs 1 VVG mwN).
IV.
Der BF stellt daher an den Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol die Anträge,
1.
eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen;
2.
die der belangten Behörde zuzurechnende Vollstreckungsankündigung des Zentralfinanzamtes München vom 22.03.2000, VO 12.15.1VE-W-15/00C, in eventu die genannte Vollstreckungsankündigung und das zugrunde liegende Vollstreckungsersuchen der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 14.03.2000, für rechtswidrig zu erklären;
3. zu erkennen, das Land Tirol als Rechtsträger der belangten Behörde ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seiner rechtsfreundlichen Vertreter gem. § 79a AVG die Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.?
Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck legte den betreffenden Verwaltungsstrafakt und führte in ihrer Gegenschrift Folgendes aus:
?Um Wiederholungen zu vermeiden, darf ich festhalten, dass die Sachverhaltsfeststellung des einschreitenden Rechtsanwaltes absolut korrekt ist.
Aus diesem Grunde - da ja ein ähnlich lautendes Schreiben direkt an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gerichtet war - wurde sofort der Vollstreckungsauftrag in Deutschland gestoppt und dies auch dem Rechtsanwalt mitgeteilt.
Nach der nunmehr eingelangten Beschwerde an den UVS habe ich die Situation nochmals überdacht und bin zur Auffassung gekommen, dass die Zustellung durch Niederlegung doch rechtswirksam war!
Wie dem Akt zu entnehmen ist, wurde die Strafverfügung am 10.09.1999 durch Niederlegung zugestellt. Dies ist mit einer Zustellungsurkunde beurkundet. Gemäß § 182 des deutschen Verwaltungszustellungsgesetzes (dVwZG) ist auch in Deutschland eine Zustellung durch ?Niederlegung? rechtlich möglich. Voraussetzung ist, dass der Empfänger dort mit Hauptwohnsitz gemeldet ist.
Nach Auskunft eines Referenten beim Landratsamt Garmisch ist es unerheblich, wenn ein Student wegen seines Studiums ortsabwesend ist. Mit Einwurf des Schriftstückes am Hauptwohnsitz ist ordnungsgemäß zugestellt. Im konkreten Falle hätte der Student am Studienort sich mit Hauptwohnsitz anmelden müssen.
Sohin erfolgte das Vollstreckungsersuchen an die deutsche Behörde nach Ansicht des Gefertigten zu Recht.
Es wird ersucht, der Beschwerde keine Folge zu leisten.?
In ergänzenden Stellungnahmen der belangten Behörde und des Beschwerdeführers wurde auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Der Beschwerdeführer verwies noch auf das Schreiben des Zentralfinanzamtes München vom 22.05.2000, in dem ihm mitgeteilt worden ist, dass die in Deutschland durch die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen eingestellt worden sind.
Im gegenständlichen Fall ist also von jenem Sachverhalt auszugehen, wie er sich aus der Beschwerde ergibt.
Dieser Sachverhalt ist rechtlich wie folgt zu würdigen:
Wie der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde ausführt, geht er im gegenständlichen Fall von einer Vollstreckungshandlung aus, welche ohne vorangegangenes Verfahren bzw ohne zugrunde liegende materiell-rechtliche Entscheidung gesetzt worden sind und welche Maßnahmen unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt darstellen würden. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 01.12.1972, Slg. 6907, ausführte, können Vollstreckungsverfügungen für sich allein einen verfassungswidrigen Eingriff in die subjektive Rechtssphäre des Betroffenen nur dann darstellen, wenn die Vollstreckungsverfügung überhaupt keine materiell-rechtliche Entscheidung zur Grundlage hat oder über diese Entscheidung hinausgeht. Nun ist aber im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass - obwohl die dem Verfahren zugrunde liegende Strafverfügung als nicht zugestellt gelten zu hat - gegen den Beschwerdeführer ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet worden ist. Wie der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde selbst ausführt, hat er von der gegenständlichen angefochtenen Vollstreckungsankündigung des Zentralfinanzamtes München vom 02.03.2000 erst anlässlich ihrer Zustellung am 24.03.2000 Kenntnis erlangt. Daraus ergibt sich, dass seitens der belangten Behörde, der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, keine Vollstreckungsverfügung gesetzt worden ist. Daher kann im gegenständlichen Fall nicht davon gesprochen werden, dass die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gegen den Beschwerdeführer unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt hätte. Diese Rechtsansicht wird auch durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof vom 29.02.1980, Slg. 8752, unterstrichen. In dieser Entscheidung führt der Verfassungsgerichtshof aus, dass er in seiner Rechtsprechung Vollstreckungshandlungen, welche ohne vorausgegangenes Verfahren (siehe Slg 3648/1959) oder vor Erlassung einer Vollstreckungsverfügung (siehe Slg 7458/1974) durchgeführt werden, als Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt s
ieht. Da ein Bescheid erst mit der Zustellung (oder der hier nicht in Betracht kommenden Verkündung) als erlassen gilt (vgl die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, zB Slg 7458/1974), kann die gegen den Beschwerdeführer gesetzte Vollstreckungsmaßnahme nicht als in einem Verfahren nach dem VVG 1950 ergangene Vollstreckungsmaßnahme angesehen werden. Im gegenständlichen Fall hat jedoch die belangte Behörde keine Vollstreckungsmaßnahme gesetzt. Der Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Erkenntnis vom 26.04.1993, Zl 90/10/0209, 91/10/0179, Folgendes aus:
?Demgegenüber können Verwaltungsakte, die bloß als Maßnahmen zur Vollstreckung vorangegangener Bescheide anzusehen sind, nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, als sogenannte ?faktische Amtshandlungen? gewertet werden (vgl zB Funk, Die Anwendung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, in: FS Hellbling (1981) 199, unter Hinweis auf VfSlg 7514/1975).?
Der Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Erkenntnis vom 28.01.1994, Zl 93/11/0035, Folgendes aus:
?Die Regelungen über die sogenannten Maßnahmenbeschwerden dienen nur der Schließung einer Lücke im Rechtsschutzsystem, nicht aber der Eröffnung einer Zweigleisigkeit für die Verfolgung ein und desselben Rechtes.?
Im gegenständlichen Fall hat sich der Beschwerdeführer durch Erhebungen von Einwendungen erfolgreich gegen die Durchführung des Vollstreckungsverfahrens ausgesprochen und hat schlussendlich erlangt, dass die in Deutschland gegen den Beschwerdeführer durch die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen eingestellt worden sind. Es bestand also im gegenständlichen Fall keine Veranlassung, eine Maßnahmenbeschwerde zu erheben, denn es standen dem Beschwerdeführer andere Rechtsbehelfe zur Verfügung.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 79a AVG und auf die Aufwandersatzverordnung UVS,BGBl Nr 855/1995.