Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch das Mitglied Dr. Alfred Stöbich über die Berufung des Herrn U. V., 6830 Rankweil, vertreten durch die Rechtsanwälte A., M., W. & Partner, 6800 Feldkirch, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 23.12.1999, Zl. ST-1407/99, wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm den §§ 24, 51, 51c und 51e VStG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber Folgendes vorgeworfen:
?Sie haben am 21.08.1999 von 19.30 Uhr bis 19.35 Uhr in Innsbruck, Tivoli Stadion, Ausgang Fansektor, 1) einen vollen Bierbecher in die Luft geworfen und durch dieses besonders rücksichtslose Verhalten die öffentlich Ordnung ungerechtfertigt gestört, 2) haben dabei laut geschrien und dadurch ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt, welcher vermeidbar gewesen wäre, 3) sind von 19.35 Uhr bis 19.50 Uhr trotz vorausgegangener Abmahnung auf Sicherheitswachebeamten losgestürmt und beschimpften diese lautstark, sodass eine Amtshandlung nicht mehr möglich war und haben sich dadurch gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht aggressiv verhalten und dadurch eine Amtshandlung behindert und 4) die Wachebeamten lautstark mit den Worten wie: ?Bullenschweine?, ?Schandi-Arschlöcher? und ?Wixer? beschimpft und dadurch den öffentlichen Anstand auf das Empfindlichste verletzt.?
Dadurch habe der Berufungswerber folgende Rechtsvorschriften verletzt:
zu 1) gegen § 81 Abs 1 SPG
zu 2) gegen § 1 Abs 1 TLPG
zu 3) gegen § 82 Abs 1 SPG
zu 4) gegen § 11 Abs 1 TLPG
Aufgrund dieser Verwaltungsübertretungen wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe von jeweils S 3.000,-- verhängt.
Dagegen wurde innerhalb offener Frist Berufung erhoben. In der Begründung wird zunächst vorgebracht, dass ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot der MRK vorliege. Wegen dieses Vorfalls sei beim Landesgericht Innsbruck zu 37 Hv 182/99 gegen den Berufungswerber bereits ein Strafverfahren anhängig, sodass eine weitere Bestrafung durch die Verwaltungsbehörden ausscheide.
Es liege jedoch nicht nur ein Verfolgungshindernis vor, sondern habe der Berufungswerber auch die ihm angelasteten Verwaltungsübertretungen nicht begangen. Es sei völlig unrichtig, dass er einen vollen Bierbecher in die Luft geworfen und durch dieses besonders rücksichtslose Verwalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört habe. Zwar habe er geschrien, jedoch dadurch nicht in ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt. Es sei das Schreien so erfolgt, wie es in einem Stadion bei einem Fußballspiel normal sei.
Er habe sich gegenüber den Organen der öffentlichen Aufsicht auch nicht aggressiv verhalten.
Es sei auch unrichtig, dass er die einschreitenden Wachebeamten mit Worten wie ?Bullenschweine?, ?Schandi-Arschlöcher? und ?Wixer? beschimpft hätte und dadurch eine Verletzung des öffentlichen Anstandes begangen habe.
Es wurde auch die Einholung des Aktes 37 Hv 182/99 des Landesgerichtes Innsbruck beantragt.
Diesem Antrag wurde seitens der Berufungsbehörde entsprochen und wurde der Akt mit Schreiben vom 11.09.2000 übermittelt.
Aus diesem Akt ergibt sich, dass der Berufungswerber mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28.01.2000, Zl. 37 Hv 182/99, wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den § 15, 269 Abs.1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt wurde. Diese Verurteilung steht im Zusammenhang mit Ereignissen, die sich am 21.08.1999 anlässlich eines Meisterschaftsspieles zwischen dem FC Tirol Milch Innsbruck und SW Bregenz im Tirol-Milch-Stadion in Innsbruck abspielten. Wie aus dem erstinstanzlichen Gerichtsakt hervorgeht, wurden der Berufungswerber sowie F. M. und D. Sch. aufgrund ihres aggressiven Verhaltens und aufgrund des Umstandes, dass sie Bier auf andere Fußballfans schütteten, aus dem Stadion verwiesen. Als die Sicherheitswachebeamten dabei waren, die Amtshandlung, nämlich das Verweisen aus dem Stadion zu beenden, sprang D. Sch. gegen ein Tor, wobei zwei Sicherheitswachebeamte davon getroffen wurden. Dies führte zum Ausspruch der Festnahme des D. Sch., wobei - nach dem Urteil des Gerichtes - der Berufungswerber die beiden Sicherheitswachebeamten beim Einschreiten gegen Sch. mit Gewalt, indem er sie von hinten erfasste und von diesem wegriss und wegstieß, an einer Amtshandlung zu hindern versucht hat. Letzteres ist der Kern des gegen den Berufungswerber im gerichtlichen Verfahren gerichteten Schuldvorwurfes.
Mit Urteil vom 20.04.2000, Zl. 7 Bs 156/00, bestätigte das Oberlandesgericht Innsbruck die Entscheidung des Einzelrichters des Landesgerichtes Innsbruck vom 28.01.2000.
Für den Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol war nach dieser rechtskräftigen Verurteilung durch das Gericht zu prüfen, inwieweit eine (weitere) Bestrafung durch die Verwaltungsbehörde hinsichtlich der im Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck erhobenen Schuldvorwürfe im Hinblick auf den Grundsatz ne bis in idem überhaupt zulässig ist.
In diesem Zusammenhang sei auf eine Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte in der Beschwerdesache ?Bernhard MARTE und Walter ACHBERGER gegen Österreich? (Beschwerde 22541/93, Newsletter 1997/5, 211) verwiesen. Dieser Entscheidung lag ein mit dem Gegenstandsfall durchaus vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. In dem von der Europäischen Kommission für Menschenrechte zu beurteilenden Fall ging es darum, dass die Beschwerdeführer anlässlich des Besuches eines Sommerfestes von Polizeibeamten aufgefordert worden waren, mit ihnen die dortige Bar zu verlassen. Die Beschwerdeführer hätten dies mit den Worten ?Arschlöcher?, ?Scheiß Bullen?, ?Ihr könnt uns am Arsch lecken? verweigert und versucht, sich loszureißen. Beim darauf folgenden Handgemenge seien die einschreitenden Polizeibeamten verletzt worden. Das Landesgericht Feldkirch hat die Beschwerdeführer daraufhin wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 StGB verurteilt. Im Verwaltungswege sind über die Beschwerdeführer Geldstrafen verhängt worden, nämlich a) gemäß Artikel IX (1) Z 1 EGVG (Störung der Ordnung an öffentlichen Orten) aufgrund ihres - Ärgernis erregenden - Verhaltens vor und nach dem Eintreffen der Polizeibeamten bzw. wegen Tätlichkeiten gegen einen Polizeibeamten und b) gemäß Artikel 18 Abs 2 Sittenpolizeigesetz (Verletzung des öffentlichen Anstandes) aufgrund der Beleidigung von Polizeibeamten.
Nachdem eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof gegen die Entscheidung im verwaltungsbehördlichen Verfahren ohne Erfolg bliebt, setzte sich die Europäische Kommission für Menschenrechte mit der Frage der Verletzung von Artikel 4 7 Zusatzprotokoll EMRK (ne bis in idem) auseinander.
Artikel 4 des 7 ZP EMRK lautet wie folgt:
?Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz oder dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren des selben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.?
In der Entscheidung führte die Kommission in weiterer Folge Folgendes aus:
?In seinem Urteil im Fall Gradinger/A (A/328-C § 51) hatte der GH festgestellt, dass die Erklärung Österreichs zu Art 4 7 ZP EMRK, nämlich, dass diese Bestimmung ?...sich nur auf Strafverfahren iSd. österr. StPO...? beziehe, den Anforderungen des Art 64 (2) EMRK nicht entsprochen hatte. Dies ist auch hier der Fall: Zwar ist - anders als im Fall Gradinger/A - nicht eindeutig, ob der den jeweiligen Verfahren zugrundeliegende Sachverhalt identisch war. So wurden die Beschwerdeführer wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt strafrechtlich verurteilt, da sie die einschreitenden Polizeibeamten beleidigt und nach dem Versuch, sich loszureißen, im anschließenden Handgemenge verletzt hatten. Die verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung stützte sich auf das Verhalten der Beschwerdeführer vor dem Eintreffen der Polizeibeamten bzw. auf die - nachfolgende - Beleidigung von bzw. Tätlichkeiten gegen einen Polizeibeamten. Den strafrechtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilungen lag jedoch ein weitgehend identer Sachverhalt zugrunde, sodass die Beschwerdeführer - in Bezug auf das Verwaltungsstrafverfahren - wegen einer strafbaren Handlung, wegen der sie bereits rechtskräftig verurteilt worden waren, erneut bestraft wurden. Verletzung von Art 4 7 ZP EMRK (einstimmig).?
Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol sieht diese Entscheidung als auch für den gegenständlichen Fall anwendbar an. Wenngleich nicht verkannt wird, dass die gerichtliche Bestrafung, die sich im Wesentlichen darauf gründet, dass der Berufungswerber mit Gewalt die Festnahme des D. Sch. zu verhindern versucht hat, sind die im Gegenstandsfall vorausgegangenen - hier gegenüber den einschreitenden Sicherheitswachebeamten gesetzten - Handlungen des Berufungswerbers, wie das in die Luft werfen eines Bierbechers und die Schmährufe bzw. das Beschimpfen der Sicherheitswacheorgane und das Losstürmen auf diese, als ein Verhalten anzusehen, das mit dem gerichtlich geahndeten Delikt in einem derart engen Zusammenhang steht, dass - jedenfalls nach Maßgabe der Ausführungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte in der vorangeführten Entscheidung - eine (neuerliche) Bestrafung der im angefochtenen Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck hier dargestellten Schuldvorwürfe eine Verletzung von Artikel 4 7 ZP EMRK bedeuten würde.
Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.